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Montag, 22. Januar 2024
Montag, 8. Januar 2024
Besinnen auf einst Vertrautes Zu Peter Paul Wiplingers jüngstem Gedichtband »Blian und Vablian«
Von Helmut Rizy
Foto: Annemarie Susanne Nowak
Wei auf oamoi wird ma kloar, daß i / mit dera Schproch, de i nia valernt hob, / hoamkemma tua in mei Kindheit, / in a längst vaschwundane Wät, heißt es in Peter Paul Wiplingers Gedicht »Hoamkemma«. Und er meint darin auch, dass aus den Gedichten, die da innerhalb weniger Monate in einem »Schreibrausch« entstehen, a scheens Biachö werden könnte. Und das ist Wiplingers 55. Buchpublikation tatsächlich auch geworden.
Der mittlerweile 84jährige Poet und Photograph kehrt darin in seine Kindheit zurück, in Lebensräume, die vielfach im Verdrängen und Vergessen verschüttet waren. Und er bedient sich dazu jener Sprache, die er – wie er sagt – seinerzeit als erstes gehört und gesprochen hat, seiner »Muttersprache«, dem Mühlviertler Dialekt.
Peter Paul wurde am 25. Juni 1939 als zehntes Kind des Kaufmanns Max Wiplinger in Haslach im Oberen Mühlviertel geboren. Den hatten die Nazi im Jahr zuvor, gleich nach dem Einmarsch als Bürgermeister als »politisch unzuverlässig« abgesetzt. Bezüglich der tiefen Religiosität, die im Haus herrschte, schreibt Peter Paul Wipplinger in seinem Gedicht »A finstare Wät« oiwäu homma dahoam /nur betn miassn oiwäu /nur betn betn betn. Aber es war gerade der mächtige Turm der Haslacher Kirche mit seiner Galerie, von der man bei gutem Wetter weit in die Umgebung sehen kann, die es dem Buben erlaubte, der Enge zu entkommen, wie er im Gedicht »Fliagn wia a Vogö« erzählt. Dort hinauf flüchtete er gelegentlich mit dem Wunsch, fortfliegen zu können, ins Unbekannte, weit weg, auf Nimmerwiedersehen.
In den ersten Jahren seines Lebens während der Okkupation Österreichs durch Nazi-Deutschland hätte er sehr weit fliegen müssen. Da wurden die Kinder ermahnt: Kinda, seids a weng brav! / Wei draußn is da Kriag. / Und do hed ma hoid gern / dahoam a weng mehr Ruah, wie es im Gedicht »A Ermohnung« heißt. Und die Angst vor Gespenstern, die im Finstern lauern, wie der Momo, erübrigte sich, dem Gedicht »Da Momo und de ondan« zufolge: De schwoarzn Mona, de mit de Stifön / und de schwoarzn Uniformen und mit’n / schwoarzn Kappö mit’n Todnschädl draf, / de woarn jo in Wirklichkeit do, iwaroi. / Da ondare Momo woar eh nur a Geist.
Eine besondere Rolle kommt in den Gedichten dem damaligen Gemeindearzt von Haslach, Dr. Kaufmann, zu, der – nachdem er einen schmerzenden Zahn gezogen hat –, im Gedicht »Da Doktor Kaufmann« den kleinen Peter Paul, der wie am Spieß schreit, mit den Worten zu beruhigen sucht: Heast, bleda Bua, plear ned aso. / Ondare valian in dera Zeit hiazt / an Fuaß, an Oarm oda a Hond. / Du host eh nur an Zohn valoarn, / des is vaglichn dagegn goar nix. Eine wesentlich bedeutsamere Rolle kam dem Arzt allerdings in einem anderen Fall zu, wie man aus dem Gedicht »S’Onnamierl – d’Anschi« erfährt. Peter Pauls Schwester Annemarie stand schon auf der Liste jener Haslacherinnen und Haslacher, die ins Schloss Hartheim, einer der Mordanstalten im Rahmen des NS-Euthanasie-Programms, verbracht werden sollten. Annemarie entging dem Tod nur, da ihr der Dr. Kaufmann bescheinigte, sie hätte lediglich eine sprachliche Behinderung.
Im Wissen darum versteht man noch besser, warum es Peter Paul Wiplinger ein so großes Anliegen war, dass vor der Haslacher Kirche ein Mahnmal errichtet wurde, mit dem der in Hartheim ermordeten Haslacherinnen und Haslacher gedacht wird. Und mittlerweile wird auf seine Anregung hin auch des Deserteurs Josef Steffelbauer, der im Februar 1943 auf der Flucht erschossen wurde, mit einer Tafel gedacht, nachdem man ihn und seinen Tod über Jahrzehnte totgeschwiegen hatte.
Aber es ist nicht nur die Sprache, mit der Wiplinger, der seit etwa sechzig Jahren in Wien lebt, in seine Heimat zurückkehrt. Er, der einst der Enge daheim entfliegen wollte, ist in Wien, wie er immer wieder in seinen Gedichten festhält, nie richtig heimisch geworden und fühlt sich da immer noch als Zuagroasta. Nur wenige Gedichte aus früheren Jahren hat er in den Band »Blian und vablian« aufgenommen. Aus dem Jahr 1991 stammt eins mit dem Titel »Da Untaschiad«, in dem es heißt: bei uns dahoam /obm im Mühlviadl / do griaßt di a jeda / wonnst ausn Haus / aussegehst, um dann zum Schluss zu kommen: owa redn duat koana mit dir /da in dem bledn wean / und drum ko i d’leid do /ned leidn i mogs oafoch ned. Nicht anders im Gedicht »s’Mühlviadl z’Wean und i« vom Juli 2022: Nur wonn i von Zeit zu Zeit affe ins Mühlviadl foahr / donn gschpia i, wo i dahoam bin, ned untn in Wean, / sondan dort wo i durch d’Londschoft geh oda foahr, / wonn mi scho a Kirchaturm von da Weidn her griaßt.
Dort scheint es offenbar auch leichter zu sein, seinen Gedanken nachzuhängen – vor allem im heimatlichen Dialekt. So liest man im Gedicht »Wia’s sein kunnt«: Wonn da Newö / scho iwa’n Toi liegt / und d’Sunn scho / untagonga und / runherum oiss / so lautlos stüh is, / do deng i ma oft: / Mei God, wia scheen /kunnt’s af da Wät sein, / wonn’s koan Hunga gab / und koan Kriag.
Meine Mutter – sie unterrichtete einst Deutsch an der Hauptschule des Orts im mittleren Mühlviertel, in dem ich aufgewachsen bin – machte mich darauf aufmerksam, dass es Unterschiede gebe zwischen dem Dialekt, den man im Oberen Mühlviertel, und dem, den man im Mittleren Mühlviertel spreche. Es ist mir aber nicht schwer gefallen, Peter Paul Wiplingers Dialektgedichte zu verstehen und mich auf seine Sprache einzulassen. Das gilt wohl auch für andere Oberösterreicher und Oberösterreicherinnen, andere Österreicher und Österreicherinnen, denn der Autor hat zur besseren Lesbarkeit stumme Konsonanten eingefügt, sodass manche Wörter leichter erkennbar sind. Und wenn einem doch einmal ein Wortbild auf Anhieb fremd erscheint, muss man lediglich das Wort buchstabengetreu lesen, und wird es rasch erkennen.
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