Von Richard
Wall
Mittwoch,
25. März
Aus
dem Träumeland, das mich allzusehr aufgeregt, ins Waldviertler
Winterland. Blickt man frühmorgens in die frostbedingt fahlen Farben
& Schneereste, könnte man meinen, es hätte einen ordentlichen &
nicht einen so siebenseidenen Winter gegeben. Den Vogerln ist das
lustige Tirilieren bei diesem eisigen Nordwind vergangen. Der friert
einem ja die Zunge ein, wenn man das Maul aufmacht. Nicht einmal
Krähen stochern mit ihren Schnäbeln durchs Gelände. Ich halte mich
nach dem Holzholen & Salbeiblätterzupfen am Teehäferl fest.
Dreh die schaurigen Nachrichten ab. Das Positive: Es wird wieder,
zumindest hier im Norden, ein sonniges Tagerl & ein Frühstücksei
geben.
Ankunft
von M. gegen Mittag. Am Frauenwieserteich, den sie zuvor umrundet
hat. Gab’s feine Wind- & Wassermusik: Der N-Wind schlug Wellen
gegen die Eiskrusten an der von einem Waldstück beschatteten S-Ufer
des Gewässers.
Bissiger
N-Wind. Dennoch kleinere Arbeiten im Garten verrichtet, mit der
Holzarbeit bin ich vorläufig fertig. Eine Fuhre trockenes Buchenholz
für den kommenden Winter erwarte ich im Sommer, diese Meterscheiter
muss ich dann mit der Kreissäge ofengerecht ablängen, klieben &
in der luftigen Holzhütte auftristeln.
Schreibe
Briefe an Hans Höller & Regina Hadraba.
Die
Lage der Ärzte in Bergamo erinnert an den Arzt Bernard Rieux in
Camus‘ Pest. In
hoffnungsloser Lage arbeitet er bis zur Erschöpfung, während immer
mehr Freunde sterben; auch seine Frau kommt um.
Der
Tod meistert alles.
Das
Leben nicht.
In
wärmender Helle tauen auch die Vögel wieder auf. Flitzen aus
Sträuchern in die Kronen der Bäume, wetzen die Schnäbel, im
nächsten Moment flitzen sie wieder retour. Vorwiegend Kohl-, Blau- &
Haubenmeisen. Und ein Rotkehlchen-Paar.
Sturm
aus Nord (klingt beinah anrüchig germanisch
oder
wie ein Buchtitel von Luis Trenker)
weht
Kristalle grau wie Asche
im
Spätlicht des Abends über die Hügel.
Die
Brandung ferner Meere
rauscht
aus den Wäldern über die Fluren.
Der
Frost der Nächte hat die Blüten der Primeln
zu
bräunlichen Fäden versengt.
Der
Städte Straßen & Plätze leergefegt
Covid
19 wütet weltweit, tötet exponentiell
Treibt
unsere Zivilisation vor sich her
Hölderlin
meinte,
Wo
aber Gefahr ist wächst
Das
Rettende auch.
Noch
ist das Virus dem menschlichen Geist enthoben.
Erkenntnisse
& Ausgang ungewiss.
Wie
tief der Riss geht
wagen
nur Scharlatane zu sagen.
Saunaabend:
Wenn wir nackert vor das Haus treten, sehen wir die nackerten Sterne
blinken & blitzen. Die Wolken haben sich verzogen.
Donnerstag,
26. März
Seit
Samstag ist Winter. Der 5. Tag in Folge mit Minustemperaturen.
Dergleichen hatten wir nicht in den zurückliegenden Wintermonaten.
Marillen wird es heuer kaum welche geben.
Heute
ist wieder ein Handschuh- & Filzstiefeltag. M. liest mir aus
ihrem iPhone Nachrichten vor von Peter Wenzel, Ernst Skrička &
Ray MacMánais. Letzterer kann es nicht lassen & beglückt uns
auch dieses Mal mit Beispielen für die Vielschichtigkeit der
Irischen Sprache & mit philologischen Spitzfindigkeiten, die vor
allem Vokabel betreffen, die im weitesten Sinn der Ermunterung
dienen.
Zwei
seien hier angeführt: Misneach. Im
Dictionary, so der Kommentar, werde es als „Mut“ übersetzt, aber
für eine irisch sprechende Person kann es mehr bedeuten. Nämlich
Ermutigung, Glaube & Hoffnung. Angefügt eine Redewendung: Ná
caill do mhisneach – Verlier nicht Deinen
Mut. Sólás
bedeutet Trost in schweren Zeiten.
An áit a mbíonn an
dólás, bíonn an sólás ina aice
–
Jede Wolke hat einen
Silberstreifen.
Dazu
ein Filmchen, auf dem zu sehen ist, wie eine junge irische Familie
von einem sturmausgesetzten Trampolin – nebelverhangene Hügel im
Hintergrund – das traditionelle Protestlied Óró
Se Do Bheata ‘Bhaile interpretiert.
Der
Song, der auf den Kampf der von den Iren unterstützten Jakobiten
gegen den englischen König zurückgeht, ist dem Kampf der irischen
Piratin Grace O’Malley gegen die britische Herrschaft gewidmet. Von
Mitgliedern und Sympathisanten der IRA wurde es während des
Osteraufstandes 1916 und später während des Unabhängigkeitskrieges
gesungen.
Hier
jene Strophe, die sich explizit auf Grace O’Malley bezieht:
Tá
Gráinne
Mhaol ag teacht thar sáile
óglaigh armtha léi mar gharda
Gaeil iad féin is ní Gaill ná Spáinnigh
is cuirfidh siad ruaig ar Ghallaibh.
óglaigh armtha léi mar gharda
Gaeil iad féin is ní Gaill ná Spáinnigh
is cuirfidh siad ruaig ar Ghallaibh.
Grace
O’Malley kommt übers Meer
Bewaffnete Krieger begleiten sie als Wache
Es sind Iren keine Franzosen oder Spanier
Und sie werden die Fremden in die Flucht jagen.
Bewaffnete Krieger begleiten sie als Wache
Es sind Iren keine Franzosen oder Spanier
Und sie werden die Fremden in die Flucht jagen.
In
diesen Tagen blühen solche als Aufmunterung gedachten
Heimwerkerkonzerte, gedacht für urbi et orbi, sprich Soziale Medien,
YouTube etc. Selbst Buchpräsentationen finden in den eigenen 4 Wänden
statt.
Stärker
in Bann zu ziehen vermochte das auf Ö1 gegebene Opus 54 von Brahms,
ein Werk für Chor & Orchester, eine Vertonung von Hölderlins
Hyperions Schicksalslied.
Ui, da bekam ich eine Ganslhaut & etwas lief mir kalt über den
Rücken.
Erheiternd
hingegen einige Passagen in der Postwurfsendung „Aus der
Gemeindestube Langschlag“:
Das
Corona Virus hat auch unsere Nation voll erwischt. Wir sprechen
mittlerweile von einer Pandemie, bei der Europa und somit auch
Österreich im Zentrum liegt (sic!). Das Gemeindeamt Langschlag ist
weiterhin für unserer Bürger besetzt, allerdings nur im Notbetrieb.
Der direkte Parteienverkehr wird auf ein Minimum reduziert, weswegen
der Außeneingang derzeit versperrt ist.
Unter
der Rubrik „Einschränkungen“
- Die Heiligen Messen in der Pfarre werden ohne Volk abgehalten (lt. Verlautbarung).
- Gemeindeamt geschlossen aber besetzt (…).
Abreise
von M. spätabends.
Die
Rückkehr des Winters der keiner war.
Bitterkalter
Wind aus Nord, Polarluft frostete
tagelang
in die schon schwellenden Knospen hinein
von
Kirsch- & Birnbaum kurz vor dem Erblühen, Aufblühen,
ich
hingegen, beschämt unversehrt, warm gekleidet,
bergauf
gehend mit dem steigenden Licht im Rücken
&
dem Wissen dass jedes Beginnen
schlicht
auf das Ende verweist.
Freitag,
27. März
Morgenfrost,
klarer Himmel. In der Mitte des Vormittags ziehe ich los Richtung
Süden, den Stierberg querend, pflücke die letzten noch nicht
schwarz gewordenen Hagebutten als Wegzehrung. Hinein in den
Höllgraben, in dem riesige Felsblöcke liegen, die wildeste Stelle
heißt demnach auch Teufelsmühle. Am Augenbründl vorbei Richtung
Schmalspurbahnstrecke & weiter Richtung Wolfersberg & im
weiten Bogen über Bruderndorf retour. An gen Ost & Südost
ausgesetzten Stellen stürmischer Wind. Traf nur einen Mann, der brav
ausweichend mit seinen Stöcken vorbeiklapperte.
Am
Nachmittag Teppiche geklopft, Wintergarten & Vorräume gekehrt,
Türen & Fenster aufgerissen & durchgelüftet.
Jetzt
ist es amtlich: Boris Johnson hat sich mit dem Virus infiziert.
Italien hat 919 Tote an nur einem Tag.
Samstag,
28. März
Die
Sonne lockt, lockt mich hinaus. Hinaus in den Garten. Ich breche
Salbeiblätter von der Staude, 2 Blätter kommen zum
Himmelschlüsselblütentee dazu, die anderen werden mit den
Frühstückseiern in Butter gebraten. Es gibt Tage, da MUSS ich mit
den Händen schaffen, Komposterde umgraben, ein Beet für das
Bepflanzen richten, Trittsteine legen, ein Steinmäuerchen errichten,
das Beil schärfen, trockenes Astholz mit der Handsäge ablängen
u.v.m. Hantieren & Greifen kann einen Gedanken verkörpern. Es
gibt Handlungsabläufe, die geschehen in 1 – 2 Sekunden, das lässt
sich nicht beschreiben. Aber dennoch ist es manchmal einen Versuch
wert. Um zu sehen, wie Wörter ineinandergreifen, ohne bemerkbare
Nahtstelle, wie im Garten, wo das Eine das Andere hervorbringt, &
das Ergebnis hat dann gar nichts zu tun mit dem was man ursprünglich
zum Ausdruck bringen wollte. Man ist gescheitert, & dieses in
Form gebrachte Scheitern, diese Transformation führte bei Plato
(oder bei Nietzsche im Zarathustra)
zum Verdacht, die Dichter lügen. Wenn ich einem vergangenen Erlebnis
verhaftet bin, setzte ich mich dem Verdacht aus, eine rückwärts
gewendete Haltung zu vertreten.
Skepsis
ist geboten, das wissen wir, die mit dem Wort arbeiten, am besten.
Misstrau den Wörtern, vor allem jenen, die Dir täglich um die Ohren
fliegen. Ein geschärftes Beil ist ein geschärftes Beil. Es bewährt
sich bei seinem Einsatz, so wie das Wort, das auch erst im Kontext,
vom Rost befreit & vom Missbrauch durch Werbung, Politik &
Wirtschaft stumpf gemacht, als Scharnier oder Tür wieder
funktionieren kann.
Im
Mund der Mächtigen können Wörter zu einer Waffe werden, um uns,
nein alles auf dem Planeten zu beherrschen, alles auch jenseits der
menschlichen Bereiche, denn sie haben sich abgesetzt von den
irdischen Kreisläufen. Die von Hollywood geschaffenen Aliens leben
längst unter uns & vermehren sich auf Teufel komme raus.
Wir
aber setzen einen Birnbaum Sorte Alexander Lucas. Siebe für den
Wurzelbereich feine abgelagerte Komposterde, M. gibt Steinmehl dazu,
dann wässern wir ordentlich. Nachdem Scheibtruhe, Spaten &
Schaufel weggeräumt sind, trinken wir ihm zu mit einem Glas Bier &
exerzieren ein Ritual mit gefalteten Händen & einigen
Verbeugungen & lachen dabei selber über uns. Alexander Lucas
soll merken, dass wir auf ihn bauen & ihm ein gutes Anwurzeln
wünschen.
Wieder
ein viel zu warmer Tag.
Der
Herr Bundeskanzler von den Türkisen gibt sich sozial, aber
hinterrucks wird das Klientel der Mächtigen bedient. Die Bezeichnung
„Volkspartei“ war schon immer ein Schmäh (außer man ist der
Meinung, die oberen Zehntausend repräsentieren das Volk).
Jetzt
kommen weitere Details zum Sumpf in Tirol ans Licht: Unter „Treffen
mit der Adlerrunde“ heißt es in der Tageszeitung Der
Standard:
„Bemerkenswerter Zufall inmitten all dieser Entwicklungen ist, dass
Kurz eine Woche bevor im Innsbrucker Hotel Europa Österreichs erster
Coronavirus-Fall publik wurde, genau dort zu Gast war. Der Kanzler
traf hier bei seinem ersten offiziellen Tirolbesuch seit der
Wiederangelobung, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, die
Mitglieder der Tiroler Adlerrunde zum ‚Gedankenaustausch‘. Hinter
dieser laut Eigendefinition ‚politisch unabhängigen Plattform‘
verbergen sich mehr als 40 der größten Unternehmer Tirols. Darunter
die mächtigen Seilbahner Jakob Falkner aus Sölden und Hannes Parth
aus Ischgl, der Tourismusverbandobmann des Paznauntals und Hotelier
Alexander von der Thannen, aber auch Porr-Hauptaktionär und
Kurz-Großspender Klaus Ortner.“
In
Spanien 832 Tote binnen 24 Stunden.
Im
letzten Abendlicht schwebt hoch oben die Mondgondel, der höhere, gen
Norden weisende Bug spitzt Richtung Abendstern Venus.
Weder
Fluch(t)zeug noch Kondensstreifen am Himmel. O wie schön!
Sonntag,
29. März
Die
auf den Höhen des Hubberg auf felsigem Grund wachsenden Föhren &
Buchen sind anders. Föhren, die auf den Felsen stehen, sehen aus wie
Bonsaibäume, & die Buchen sind gedrungen & unsymmetrisch
gewachsen, auch aufgrund der ausgesetzten Lage. Sie haben Ausdruck,
jeder Baum für sich, die Einbeziehung in die Bezeichnung „Wald“
wäre eine Beleidigung für diese solitären Wesen. Ich sehe sie in
keinem narrativen Zusammenhang & ohne symbolische Bedeutung. Sie
sind vollkommener Ausdruck einer Lebensform, die mit wenig auskommt;
deutliche Zeichen für das, was (noch) möglich ist und sein kann,
wenn der Mensch nicht eingreift mit seiner Ökonomie und
Zweckmäßigkeit.
(Das
Wort „Wald“ verbinde ich eher mit den unsäglichen
Fichtenmonokulturen, mit einer dunkelgrünen, schweren, ja düsteren
Gleichförmigkeit; immerzu fällt mir hier, in dieser Höhe, Stifters
„Hochwald“ ein: Der Böhmerwalddichter zog selten den einzelnen
Baum in Betracht.)
Der
Waldkurgast erkennt
in
den harzenden Stellen randständiger Fichtenstämme
Saugnäpfe.
Sein
japanisches Objektiv macht große Augen,
er
lacht mit den klaffenden Sohlen seiner Wanderschuhe,
verheddert
sich mit den Schuhbändern
in
der Macchia aus Heidelbeerstauden, Thymian und Heidekraut,
fordert
Hofhunde heraus, Wetterhähne,
zieht
die Reißleine, ruft Simsala-Bim,
die
Tramway hält, & er fährt geheilt
retour
nach Döbling.