Freitag, 26. Juni 2020

Meine Coronareisen - Tag 2

Anm.: Tagesreise nach Singapur, eine Art Tagebuch, von René Bauer, durchgeführt während der Corona-Reisebeschränkungen 2020 mit Google Street View auf einer Virtual-Reality-Brille zuhause in meinem Schlafzimmer. Es folgen noch weitere Reisen. 

19. April 2020

In Santa Juliana habe ich zwar schlecht, aber doch geschlafen. Wache am nächsten Tag exakt am Mittelstreifen einer Straße in einem Hafenviertel auf. Rundum nur Industrie, hohe Kräne, ziemlich große Schiffe und Verladestationen für ebendiese. In der Ferne Hochhäuser. Keine Ahnung wo ich bin, die Straßenschilder sind alle knallrot, was vielleicht einer Baustelle geschuldet ist. Das näheste, lesbare Schild warnt mich mit "Caution! Watch for <unleserlich>" vor etwas nicht Entzifferbaren. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als einfach in irgendeine Richtung zu gehen. Mal schauen, ob ich herausfinden kann, wo ich bin.

Works Access

Dürfte Asien sein. Auf einem Bagger lese ich "Hitachi", obwohl das noch nichts heißen soll. Das schlechte Englisch eines weiteren Schilds "Works Access - Danger Keep Out" vermischt mit Schriftzeichen, die dem Chinesischen oder Japanischen ähneln, aber doch nicht gleich sind und darunter "bahaia jangkang dekat" lässt mich Südostasien vermuten.

Ich erreiche die erste große Kreuzung. Hier fährt man links. Check. Straßenschilder sind hauptsächlich auf Englisch. Jetzt erreiche ich die ersten großen Firmengebäude und da hab ich schon des Rätsels Lösung. Die Gebäudeaufschrift lautet DHL, DB Schenker, 17 Changi South Street 2, Singapur.

Singapur, war ich eh noch nie. Ich frag' mich worauf ich Lust hab. Würde ja gern in ein Museum gehen, etwas erleben, aber Singapur ... null Ahnung. Das einzige, was ich weiß, ist, dass ich keinen Kaugummi auf die Straße spucken sollte. Hier bin ich eindeutig in der falschen Umgebung. Alles Autos, nur Verkehr, keine Fußgänger. Ich bemühe mich, so etwas wie ein Stadtzentrum zu finden. Dort sind doch meistens die Museen. Ein paar Straßenzüge weiter ein großes, auffälliges Gebäude.
Funeral Parlour – also eher kein Museum.

Nach vielen Irrungen und einigen Sackgassen entscheide ich mich dafür, zu schummeln. Ich schlage eine Karte auf und navigiere zum Nationalmuseum in Singapur. Betrete es. Kenn mich nicht aus. Was kann man hier sehen? Ein großes Plakat im Eingangsbereich begrüßt mich mit einem Schwarzweißfoto eines jungen Mannes. "In memoriam Lee Kuan Yew 1923 – 2015".  Meine Geschichtskenntnisse über diesen Flecken Erde sind mehr als dürftig.

Man lässt mich ausnahmsweise ins Museum, es gibt aber leider keine Führungen, die meisten Türen sind zugesperrt, nur in der Haupthalle darf ich mich umsehen. Hier hängen die Präsidenten von Singapur in Form von Plaketten mit Namen und Geburts- und Sterbedaten. Nein. So wird das nichts. Ich spreche einen Mann an, den einzigen, dessen Gesicht nicht unscharf ist und heuere ihn als meinen Local Guide an.

Er bringt mich zu einem Aquarium, das Van-Kleef-Aquarium. Scheint ähnlich wie Sea World angelegt zu sein, ist aber auch zu. Der Local Guide (ich nenne ihn mal Wu) lässt mich auf seinen Schultern sitzen. Nett von ihm! Jetzt gehen wir erstmal ein bisschen durch die Gegend, spazieren, also er spaziert, ich lasse mich von ihm tragen. Schon wieder eine dumme Shopping Mall. Ich hasse diese Orte. Wenigstens essen kann ich hier. Das erste Lokal heißt "Fun Toast – Have Fun since 1941". Aber Toasts schmecken mir nicht. Daneben ein weiteres Restaurant. Auf dem Schild steht "Let’s Eat!”. Warum komplizierte Namen ausdenken, wenn man es einfach ausdrücken kann? "Let's Eat!". Keep it simple.
Hier in der Mall gibt es auffallend viele Pre Schools, wo man seine Kinder schon ab einem Alter von 2 Monaten bis 6 Jahren abgeben kann. Diese hier ist "Pats award winning". Es gibt also Preise für besonders herausragende Vorschulen.

Ooooh, Photo Booth! Ich liebe diese Fotoautomatenumkleidekabinen! Aber weil ich noch immer auf den Schultern meines Guides sitze, passen wir nicht rein. Ein andermal vielleicht ...

In einem Laden gehe ich die Zeitschriften durch. Es sind Frauenzeitschriften. “Simply her - hubby special”, daneben “HER upsized". Was das wohl bedeuten mag? Aufschlagen lassen sie sich nicht, sie sind in den Haltern festgeklebt.

Wu ist lästig, er schleppt mich wieder in eine Mall, diesmal eine Outdoor Mall. Plötzlich erblicke ich ein "Hooters"! Lustig, war noch nie in einem Hooters. Ist das nicht etwas amerikanisches, eher anrüchiges, so Richtung große Oberweiten? Das Logo ist eine Eule. Natürlich betrete ich sofort das Lokal, innen zieren allerhand Straßenschilder die Wände. Haha. Eines warnt vor “Bumps” in der Form zweier Brüste. Ein weiteres vor "Double Curves". Es geht noch sexistischer: "Caution blondes thinking!". Sehr lustig der Humor hier. Leider ist es leer. Kein Schwein da, obwohl Fußball im Flatscreen läuft. Niemand bedient mich. Wo sind denn jetzt die Hooters? Hallooo? Seltsam. Mit jedem Sitzplatz kommt eine eigene, dicke Küchenrolle. Lässt mich an schmieriges Denken. Schnell unterdrücke ich pubertäre Erinnerungen bezüglich dieser weißen Tücher.

Küchenrollen im "Hooters"

Natürlich! Alle sitzen sie draußen im Gastgarten, wie ich durchs Fenster erkennen kann. "Bring mich raus Wu! Hühott!" Aber auch hier: Keine Hooters. Bin schwer enttäuscht. Eine einzige Barfrau steht an einer Kaffemaschine und sieht völlig normal aus. So bekommt man keine Eulenaugen.

Wir gehen den Singapur River entlang, auf der Fahrspur eine Aufschrift, "HUMP AHEAD". Klingt vielversprechend, dem werde ich nachgehen. Frage Wu nach einem Park. Wir wenden uns nach Osten. Im Pearls Hill City Park verbringen wir einige Zeit und finden ein abgesperrtes Gelände. Wenn ich den Warnschildern glauben kann, wird man erschossen, wenn man reingehen will.

Achtung, hier wird man erschossen.

Wu, mein Führer, hält mich vor suizidalem Verhalten ab und schleppt mich stattdessen in den Buddha Tooth Relic Temple. Ob hier Buddhas dritte Zähne zu besichtigen sind?
Innen ist alles sehr prächtig. Gold, rote Farbe, hunderte Kerzen. Der Buddhismus ist mir eher fremd und mein  Begleiter sehr schweigsam und so mache ich mir meine eigenen Gedanken. Anscheinend sind auf den Altären lauter Opfergaben abgelegt: Bananen, Ananas, hunderte Arten Obst und Blumen. Buddhas müssen sehr hungrig sein. Und Buddhas sitzen überall: Fette Buddhas, dünne Buddhas, Buddhas aus Wachs, Buddhas aus Stein, tausende Minibuddhas in Regalen an den Wänden. Der Zahntempel entpuppt sich als Labyrinth, aber wenigstens ein schönes. Ich soll spenden. So weit kommts noch! Genug jetzt. Ausgang.

Rund um den Tempel Souvenierläden. Es gibt Rucksäcke und Steine. Alpinisten aufgemerkt!

Auf dem Weg zum Natural History Museum kommen wir an einer ehemaligen Zweigstelle der Kempetai vorbei, dem japanischen Pendant der Gestapo. Nett hier. Die Dinosaurier im Museum sind riesig. Hab keine Lust auf Dinos. Muss jetzt langsam ins Bett, also los, ein Hotel finden. Mein Guide  empfiehlt mir noch die "Hau Par Villa" und macht sich aus dem Staub. Nur wo bin ich jetzt wieder gelandet? Sieht nicht nach Hotel aus, eher eine singapuritanische (sagt man das so?) Grottenbahn.  In  künstlichen Höhlen voller Dioramen für Touristen entdecke ich viel Fantasy: Hirschköpfige Menschen, kleine Zwergerl, alles schön beleuchtet, erinnert frapant an die pöstlingbergsche Version, nur dass man hier zu Fuß gehen muss und nicht in einem wilden, feuerspeienden Drachen auf Gleisen durch die dunkle Unterwelt reitet, während in den Seitenwänden Zwerge und Sagenfiguren ihren Tätigkeiten nachgehen. Nein. Hier wird viel getötet, es werden Gedärme aus Menschen herausgefädelt, sie werden abgestochen, überall fließt Blut, man hackt ihnen die Hände ab, schneidet sie mit Riesenmessern in zwei Teile, tanzt mit Heugabeln, die man schlussendlich in Leiber stößt.

Gedärme in der Singapuritanischen Grottenbahn
Ziemlich schrecklich. Bin müde. Das ist zwar kein Hotel, aber ohne Wu gehe ich nicht nochmal in die Stadt hinaus. Ich schlafe zwischen den Zwerglein und den toten, abgeschlachteten Menschen. Mir fröstelt.

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...