Vergangene Woche ist unser Kollege Günther Haidinger verstorben, vielen unter dem Pseudonym "M. Rutt" bekannt. Zum Abschied sammeln wir hier die Worte jener, die ihn gekannt und geschätzt haben.
Johann Kleemayr
Ruth Aspöck
Meine Erinnerung an M. Rutt
Der Tod von M. Rutt macht mich betroffen. Ich habe ihn bei einer Generalversammlung der GAV kennengelernt, es wird um das Jahr 2000 gewesen sein. Er war erst seit kurzem Mitglied. Durch Zufall kamen wir beim anschliessenden Abendessen nebeneinander zu sitzen und sprachen sehr, sehr lange miteinander.
Es stellte sich bald heraus, dass wir ähnliche Vermutungen darüber hatten, wie die Kontrolle von Menschen funktioniert. Wir wussten beide nicht, wer dabei die Fäden zog, aber meinten die Zeichen zu erkennen. Wir tauschten die Erfahrungen, Beobachtungen und Meinungen zu diesem Thema aus. Ich war damals in einer sehr schlechten Verfassung. Es hatte sich herausgestellt, dass mein Wunsch, in Kuba dauerhaft zu leben, nicht zu verwirklichen war. Und ich fühlte mich sowohl dort wie auch in Österreich nicht nur von einem Geheimdienst verfolgt. Es entspannte mich, mit jemandem darüber zu sprechen.
M. Rutt wollte weder optisch noch namentlich erkennbar sein, daher das Pseudonym und daher sein Zögern, bei öffentlichen GAV-Veranstaltungen mitzumachen. Er war davon überzeugt, dass Klone herumlaufen, mitten unter uns Menschen. Ich teilte seine Meinung, erzählte von den Begegnungen, die mich dazu gebracht haben, das auch anzunehmen.
Wir trennten uns an diesem Abend sehr nachdenklich. Die nächsten Begegnungen waren bei einigen GAV-Generalversammlungen und er als Publikum bei Lesungen im Linzer Stifterhaus. Er machte auch aktiv mit, als die OÖ GAV-Regionalgruppe (wohl mit Richard Wall als Motor) eine große Ausstellung zusammenstellte und in den Hallen der Linzer Kunstuniversität ausstellte, bei der sich Kollegen und Kolleginnen, die literarisch und bildnerisch arbeiten, präsentieren konnten, darunter auch ich.
Wir haben nie mehr über dieses Thema gesprochen, es war keine Gelegenheit und ich suchte auch keine. Ich schämte mich, so viel von meinen Ängsten und Zweifeln mitgeteilt zu haben. Wir haben einander aber immer sehr freundlich und liebevoll umarmt – das ist jetzt nicht mehr möglich.
2.10.2020
Herbert Christian Stöger
Ich sage jetzt einfach Günther,
obwohl ich ihn als M.Rutt kennengelernt habe, fehlt mir. Dieses Pseudonym trug ich lang im Kopf herum, aber nach einigen Begegnungen fragte ich ihn dann doch nach seinem „richtigen“ Namen, unter einem besonderen Vorwand, um eine persönlichere Tür zu ihm zu öffnen.
Er war einer jener Personen, die ich gerne zufällig in der Stadtbibliothek, auf dem Weg oder bei kulturellen Veranstaltungen getroffen habe. Sein Auftreten war immer korrekt, lag das an seiner Kleidung, Ausstrahlung oder an seiner ruhigen Sprechweise? Meist hatte ich den Eindruck, er sprach mit einem verschmitztem Lächeln.
Ich denke, er war auf der Suche. Dies bestätigte sich auch in seiner künstlerischen Herangehensweise, wenn er im Netz nach Häufigkeiten zu bestimmten Begriffen recherchierte. Und nun suche ich im Netz nach ihm und entdecke keinen Hinweis. War das sein Ziel, dort keinen Fußabdruck zu hinterlassen?
Was hat er künstlerisch hinterlassen für uns? Darüber weiß ich leider zu wenig. Wenn ich mich jetzt zu erinnern versuche, fällt mir ein, daß er bei einer Ausstellung in Linz dabei war. Dort hing ein weißes Leibchen mit einem besonders beschrifteten Etikett. Aber was war da zu lesen? War es sauber, rein, weiß, nein, es war „subventioniert“! Mit diesem statement machte er aber nicht auf sich aufmerksam … Im Katalog „QUERSCHNITT“, Kunstankäufe der Stadt Linz 2001/2002 wurde eine Kopie seiner genauen Anweisung für die Herstellung der Aufschrift abgedruckt. Dieses Blatt war mit einem eigenen Stempel versehen: ORIGINAL UNTERFERTIGT M.RUTT (nebst Unterschrift).
Er bleibt mir nicht in Erinnerung als Günther oder unter seinem künstlerischer Pseudonym, sondern als Mensch mit einem nicht zu altern scheinenden, ja einem jungen freundlichen Antlitz, das er sich über die Jahre bewahrt hat.
Bernhard Hatmanstorfer
In memoriam M. Rutt
Wenn mir der Fehler unterlief – und er unterlief mir eine Zeitlang nicht selten – freitags in der bunten Beilage der financialtimesfarbenen, österreichischen Tageszeitung zu lesen und ich gleichen Datums Günter Haidinger über dem Weg lief, verabschiedete ich ihn immer wieder als Robert. [Ein Robert Haidinger schreibt oder schrieb bekanntlich für eben erwähntes Blatt.] Diesen Fauxpas pflegte der richtige Haidinger – der Günther – stets mit einem Schmunzeln zu überspielen, das ich mir natürlich immer erst zu spät zu deuten wusste. Dass ich ihm einst in launiger Überheblichkeit den Einsatz von Diaprojektoren sowie billigem Backwerk vorgeworfen habe, hat er mir aber ebenso wenig übel genommen, wie meine Auslassungen über Olga Neuwirth, deren kompositorische Innovationen er mir in besonnener Gegenrede darzulegen versuchte. Als er mich allerdings in flagranti dabei stellte, wie ich das einzige überzeugende Album von Juliette Lewis and the Licks im Fachgeschäft aus der Ladenhüterecke rettete, war ich in musikgeschmacklichen Dingen damit bei ihm endgültig unten durch. Schien ich diesem musikalischen Genre entwachsen, so jenem – nämlich dem der von mir sehr geschätzten deutsch-koreanischen Komponistin Chin Unsuk – auf lange Sicht nicht würdig. Fehlte noch, dass mir Günther eine rustikale Volldampfcombo ironisch empfahl. So kam es, dass wir Worte wechselseitiger Verkalauerung für einander fanden, was uns in so manchen bitterschokoladigen Alltagsabend, über die flüchtigen Momente unserer Begegnung, einen geistreichen Unernst zauberte.
Das sonore Timbre seines überlegten Sprechens fehlt jetzt, wie die unaufdringliche Eleganz seiner flotten Erscheinung.
Richard Wall
Für M. Rutt
Für den beweglichen Geist
gibt es keine Hindernisse –
alles gläsern
M. Rutt
Denke ich an M. Rutt/Günther Haidinger, sehe ich vor mir eine schlanke Gestalt, groß, unauffällig elegant gekleidet, daher doch nicht ganz unauffällig, zurückhaltend im Gespräch, selten emotional, sogfältig in der Wortwahl. Wenn man jemandem in der Runde, die wir damals, vor gut einem Vierteljahrhundert, die GAV-OÖ dargestellt haben, das Adjektiv „distinguiert“ hätte zuschreiben können, dann ihm.
Er war ein verlässlicher Besucher der Treffen, meldete sich in strittigen Fragen abwägend & die Aspekte bedenkend zu Wort, & war konstruktiv(!) im Umsetzen(!) von Ideen. So hatten wir uns u.a. entschieden, für das Jahr 2003 zu 30 Jahre GAV & 30 Jahre Hochschule für künstlerische & industrielle Gestaltung (heute Kunstuni Linz) ein Symposion zur Schnittstelle „Literatur und Bildende Kunst“ zu veranstalten, ein verrücktes Unternehmen, mit geringen Mitteln in jeder Hinsicht. An uns beiden ist dann auch die Arbeit von der Finanzierung bis zum Hängen der Bilder & der Konzeption wie Realisierung des Katalogs hängengeblieben.
Jede Kollegin, jeder Kollege – 25 insgesamt, davon mehrere in Wien lebende mit OÖ-Bezug – hatte im Katalog eine Seite zur Verfügung, Bild & Kurz-Bio. M. Rutt konnte die Kunsthistorikerin & Kuratorin zahlreicher Ausstellungen, Dr. Eleonore Louis, damals Lehrbeauftragte an der Kunstuniversität Linz, für einen Begleittext gewinnen; kein geringerer als Dr. Burghart Schmidt hielt einen Vortrag, der ebenfalls im Katalog abgedruckt werden konnte. Diese Publikation war offensichtlich für den Vorstand der GAV in Wien etwas derartig Besonderes, dass wir uns eine weitere Arbeit eingeheimst haben. Wir wurden gebeten, von den Schriftstellerporträts, die Eva-Maria Geisler, die Frau von Gerald Bisinger, im Laufe der Jahre angefertigt hatte, zur Ausstellung dieser Bildnisse ebenfalls einen Katalog zu realisieren. Er erschien im Jahr darauf zeitgerecht zur Ausstellung, sozusagen zum 31. Jahr der Gründung der GAV.
Wir blieben uns verbunden, trafen uns hin & wieder im Café Traxlmayr, M.Rutt kam zu meinen Lesungen, & wir sandten uns jedes Jahr zum Jahreswechsel kleine bildnerische Arbeiten.
Marcel Duchamp hatte sein erstes Ready-Made, ein um 90 Grad gekipptes Urinal, mit R. Mutt signiert. Günther Haidinger pflegte die diskrete Anspielung. Sein Künstlername, ein Anagramm der Signatur Duchamps, gab die Richtung seiner künstlerischen Arbeit vor: Das Konzept, das Aufgreifen vorhandener Materialien, zuletzt vor allem aus dem Netz, Strategien, die subtile intellektuelle Eingriffe oder Manipulationen ermöglichten, um den ursprünglichen Sinn zu verändern, zu relativieren.
Er ging so leise von uns, wie er aufzutreten beliebte. Chapeau, Maestro des Understatements!
12., 13. Okt. 20