Von Dominika Meindl
Nein, man soll Stephan Roiss', dessen Roman zwar auf der Long-, nicht mehr aber auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis gelistet war, nicht mit dem doofen Hinweis trösten, dass es für ein Debüt eh total respektabel sei, so weit zu kommen. „Triceratops“ ist nicht „super für den ersten Roman“, sondern es ist per se ein super Roman. Von einem super Typen, aber das ist germanistisch wertlos, denn dieses Urteil fälle ja ich, die Vereinskollegin. Und Roiss könnte ein Ungustl sein, ohne dass seine Prosa Schaden nähme. Die glänzt in ihrem klaren Stil. Damit dem Urteil Relevanz und seiner Bildung Transparenz zuteil werde, sprechen wir also über den Text.
Im Gegensatz zu seinem Zweitdasein als Musiker ist es Roiss mit der Literatur sehr ernst. Behaglich wird einem hier nicht, das macht das erste Schluchzen der Mutter im zweiten Satz zunichte. „Wir sagten Mutter, dass wir sie lieben. Es war nicht wahr.“ Das Unbehagen steigert sich, sobald klar wird, dass es sich hier nicht um mehrere Geschwister handelt, sondern um ein Kind, das in diesem bedenklichen Plural Modestiae von sich selbst spricht. Immer wieder stolpert man über diese Verdoppelung der Ich-Perspektive. In der Familie haben alle schwere Lastan zu tragen, die Mutter aller Wahrscheinlichkeit nach schwer bipolar, die Schwester pathologisch autistisch, der Vater überfordert, der Großvater erliegt seinem Hirntumor und die Tante hat einen esoterischen Hau, sie erkennt aber immerhin, dass der Sohn (=“wir“) der Stärkste in diesem prekären Gefüge ist. Das muss er auch sein, denn zum Hauptproblem Familie kommt ein ordentliches Hautproblem des Heranwachsenden.
Roiss erzählt vom coming of age des Jungen in kurzen Rückblenden, atmosphärisch verdichtet und manchmal nur drei Sätze lang – in harten Schnitten und in sehr starken Bildern, bei denen er sich einer Wertung oder gar billiger Psychologismen enthält. „Mutter las Beipackzettel und Kalorientabellen, Vater die Evangelien und Teletext.“ Die Mutter fürchtet sehr, zuzunehmen, nicht aber zu verhungern. „Ein einzelner Mensch kann das nicht ertragen!“ sagt sie bei einem ihrer Zusammenbrüche. „Allen ist... alles immer zuviel“, sagt der Vater und bringt den Sohn immer wieder zur Großmutter, wenn die Mutter wieder in die Psychiatrie muss, weil er nicht fähig ist, mehr als Frankfurter kochen zu lernen. Er ist so brav, dass es ihn nicht wundern würde, wenn eines Tages ein Engel in sein Kinderzimmer schwebte, „um uns zu eröffnen, dass wir Gottes Sohn sind. Wir hätten ihn bloß gefragt, was genau unsere Aufgabe ist.“ Den Titel hat sein Roman, weil die Verpanzerung des Dinosauriers gut zum Wesen des Kindes passt.
Die Distanz zur Familie setzt mit der Pubertät ein, und hier ist sie nicht nur eine normale Entwicklung, sondern die Rettung. Auch hier passt das Bild des Triceratops, der ein gewaltiges Nackenschild und Hörner trug, und doch nur Pflanzen fraß: „Er stand fest auf der Erde.“
Schon in einer seiner ersten Veröffentlichungen zeigte Roiss viel Gespür und Wärme beim Betrachten menschlicher Engpässe. „Gramding“ war nicht nur von der Länge her eine starke Novelle über die Widerfahrnisse eines Zivildieners im Altersheim. Da steht ein Satz, der mich sogleich für seine Literatur eingenommen hat, im Text spricht ihn eine alte Dame, die gefragt wird, wie es ihr gehe: „Wie einem mittleren Hund. Ein leichter würde eingehen.“
Stephan Roiss: Triceratops. Roman, Kremayr und Scheriau, 204 S., 20 €
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