Dienstag, 16. Mai 2023

50 Jahre GAV - 50 Gründe, zu feiern!

9. Mai, Stifterhaus

Fotos: Helmut Rizy 

Organisation, Text und Moderation: Dominika

Gleich zu Beginn drei Geständnisse: 

Erstens Pardon für die Städte-Verwirrung. Gegründet 1973 in Graz, bald und endgültig nach Wien gezogen, heute in Linz - die GAV macht es uns mit ihrem Namen nicht immer ganz einfach. Aber das ist auch nicht die Aufgabe von Literatur. Außerdem ist das Stifterhaus auch so ziemlich voll geworden. 

Zweitens ist es ein wenig geschwindelt, wenn wir 50 Jahre GAV OÖ feiern, das kommt eigentlich erst 1988, aber wir haben einfach von Staats wegen the licence to lie und wollen keine Gelegenheit zum Feiern auslassen. 

Drittens ist die Abgrenzung zum PEN nicht mehr in strengster Schärfe gegeben, und das ist ok so. Immerhin fand unsere Feier inmitten der Ausstellung des PEN OÖ statt, der gerade 100 geworden ist. 

Das Stifterhaus ist uns von großer Bedeutung, als Institution an sich (die wir mit Zuneigung und Kritik begleiten, weil wir das Land Oberösterreich mit Zuneigung und Kritik begleiten). Der Abend gelang wegen der Umsicht des Teams, das hier die liebe Regina Pintar repräsentiert.

Das Hauptproblem der Organisation eines solchen Abends war ein Luxusproblem: Wen holen wir auf die Bühne? Es macht mich natürlich auch sehr glücklich, als Kuratorin aus dem Vollen schöpfen zu können – aktuell 69 Mitglieder –, und ich entschuldige mich bei allen, die am 9. Mai nicht ins Rampenlicht durften. 

Es ist ein schönes Erbe als Regionalsprecherin, das ich 2019 angetreten habe (anfangs hätte ich es so formuliert: "das mir aufgelastet wurde, aber ich kann Kurt Mitterndorfer keinen Wunsch abschlagen"). Weil zum Glück bis auf eine traurige Ausnahme alle meine Vorgängerinnen noch leben, zähle ich sie lieb grüßend der Reihe nach seit 1988 auf: Christian Steinbacher, Richard Wall, Jutta Skokan, Andreas Renoldner, Eugenie Kain, Andreas Weber, Kurt Mitterndorfer. Das anfängliche Überforderungsgefühl ist der Freude gewichen, weil mich Elisabeth Strasser als "Finanzministerin" auf eine Weise unterstützt, die ich gar nicht zu viel ausposaunen möchte, weil sie sonst "weggeheadhuntet" wird. Judith Gruber-Rizy und Rudi Habringer haben sich vom Stellvertretungsamt in die Pension begeben, ich werde sehr nachtragend sein, was meinen Dank betrifft. Ihr logischer Nachfolger ist Herbert Christian Stöger, seit Kurzem unterstützen uns Marlene Gölz und Lisa-Viktoria Niederberger bei der Öffentlichkeitsarbeit (an dieser Stelle gab's Zwischenapplaus für diese nicht immer angenehme Arbeit). 

Den Anfang machten unser dienstältestes und das dienstjüngste Mitglied:

  • Lisa-Viktoria Niederberger (2021) ist binnen kürzester Zeit zu einer starken Stimme im literarischen Linz geworden. Sie beherrscht authentische Beschreibungen von bildhaften Alltagssituationen und steht für feministisches, gesellschaftspolitisches Engagement – und dafür steht auch die GAV.

  • Richard Wall (1989) – gesellschaftspolitisches Engagement ist auch seine Sache. Er ist Dichter und bildender Künstler, großartiger Reise-Chronist. Etliche seiner Texte sind in unserem Blog nachzulesen. Ganz nebenbei wird er heuer auch 70 und veröffentlicht länger, als ich das Alphabet kann.


Musik kam von Rudi Habringer – stellvertretend für die Multitalente im Verein. Das ist eine gute Gelegenheit, um darauf hinzuweisen, dass er im Herbst einen Band mit Erzählungen veröffentlicht. Rudi war einer der ersten, die mich (DM) im oberösterreichischen Literaturbetrieb freundlich empfangen haben; es liegt an ihm, Walter Kohl, Kurt Mitterndorfer und Andreas Weber, dass ich mich darin sehr bald willkommen gefühlt habe. Diese Herren haben mich auch in die GAV OÖ gelockt. Rudi spielte drei Songs, und jede im Raum hätte gern noch drei mehr gehört.

Die Anwesenheit Waltraud Seidlhofers hat alle sehr gefreut. Sie ist eines von zwei Gründungsmitgliedern, und wer sie kennt, weiß um ihren Unwillen, im Mittelpunkt zu stehen. Dankenswerterweise hat Till Mairhofer die schöne Aufgabe übernommen, ihr schön zu tun. Er hat in langer Vorbereitung Texte und Worte von und über sie zusammengestellt. Auch er übt sein literarisches, literaturpädagogisches und dramaturgisches Handwerk schon lange, verdienstvoll und in aller Vielfalt aus. Er repräsentiert heute Steyr. Und immer, wenn über Waltraud Seidlhofer gesprochen wird, ist in liebevoller Erinnerung Gregor M. Lepka anwesen, dem sie über viele Jahrzehnte "lyrische Beifahrerin" war. 

Apropos Gründungsmitglied! Apropos Erinnerung. Meine traurigste Aufgabe ist es, immer wieder (zum Glück nicht zu oft), die Listen der Kolleginnen und Kollegen zu aktualisieren. So bei Walter Pilar, m.rutt, zuletzt Eva Fischer. 

Fritz Lichtenauer erinnerte an Josef Bauer. „Urgestein“ klingt immer so uncharmant, ich sage lieber, Lichtenauer ist ein Pfeiler des oö. Literaturbetriebs. Er hat Bücher mit großer Themenvielfalt veröffentlicht, er ist der Meister der visuellen Poesie, konkreter Kunst und Fotographie; Redakteur der Rampe und des Kulturberichts. Er las zwei Texte für Josef Bauer, die in den „Facetten“ erschienen sind – der Erfinder der „taktilen Poesie“ ist Anfang 2022 verstorben. 

Judith Gruber-Rizy las Gedichte sowie einen Auszug aus dem letzten Roman von Hans Eichhorn. Der Wortfischer unserer Herzen, ist Anfang 2020 verstorben, wir vermissen ihn sehr. Sie erinnerte an seine Arbeit als Fischer (übrigens waren auch Gruber-Rizys Eltern Berufsfischer, am Traunsee) und Dichter. Eichhorn war der GAV OÖ bis ganz zum Schluss eng verbunden. Zu unserer großen Freude hat Elisabeth Eichhorn am 9. Mai mit uns gefeiert.

Bis vor kurzem war Gruber-Rizy engagiertes Mitglied im Vorstand, Mitglied ist sie seit 1994. 

Das Schöne an der Literatur ist ja, dass man auch so rund um die 40 die neue Generation verkörpert. Mieze Medusa ist aber ganz unabhängig von ihrem Geburtsdatum eine Repräsentantin des Neuen - sie beherrscht ihr Handwerk nicht nur in der klassischen Romanform, sondern ist eine der allerersten Slam-Poetinnen Österreichs. Es freut uns so, dass sie sich freut, von uns in OÖ vereinnahmt zu werden, obwohl der Ort ihrer höchsten Aufenthaltswahrscheinlichkeit 1. Wien und 2. irgendein Zug ist. An diesem Abend las sie einen Text, der exklusiv im X-Blatt zum Thema "Identität" erschienen ist + einen Text, der den Rap ins Rampenlicht bringt.

Eine, die wir auch mit viel Zuneigung zu Werk und Autorin für OÖ vereinnahmen, ist Anna Weidenholzer, die seit 2012 Mitglied der GAV ist. Ihr zu Ehren trug ich das Katzenhemd. Sie las aus einer noch nicht veröffentlichten Erzählung, in dem ein Gast sich in einer Pension als treuer Wiederkehrer einrichtet, ein bisschen gegen den Willen der Betreiber, aber mit großer Zustimmung des dicken, halbschwänzigen Hauskaters.


Ohne mich selbst loben zu wollen, kann man doch festhalten, dass es taktisch gut aufgegangen ist, nach einem bereits so reichhaltigen Geschehen einem wie René Freund den Schluss machen zu lassen. Und wirklich, allen haben seine Kolumnen über das Ringen mit Sprache und Mentalität von uns Eingeborenen ein solches Vergnügen bereitet, dass sie alle noch mehr davon hätten hören wollen. Die Landeshymne kann er immer noch nicht singen, aber deren Text ist eh zurecht in schwerer Kritik, und es muss auch nicht mehr sein, dass der Freund derlernt, wie man "Ich habe ja ohnehin noch ein Ei" oder "Ich hole euch alle ab" korrekt ins Ostmittelbairische übersetzt.

 

Vorletztes Foto: Erich Klinger


Letztes Foto: Marlene Gölz

Freitag, 12. Mai 2023

SPALIER DER FARNE. Ein Buch für die Insel

Von Richard Wall

Ich lernte Peter Hodina kennen, weil er mich kennenlernen wollte, er hatte mein Buch „Wittgenstein in Irland“ gelesen. Er kam – es muss im Jahr 2003, also vor 20 Jahren, gewesen sein – in die Gallneukirchner Buchhandlung „Bücherinsel“, in der Hans Eichhorn und ich unsere neuen Gedichtbände vorstellten. Er lebte damals gelegentlich in Gallneukirchen bei seiner damaligen Freundin, die ihn auf die Lesung aufmerksam gemacht hatte. Er blieb nach der Lesung, suchte das Gespräch, das im Erker jenes Gasthauses (vormals Konditorei Pauli, das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert), das jetzt abgerissen werden soll, fortgesetzt wurde. Ich war sofort von seiner Belesenheit und Wortgewandtheit beeindruckt, und er war einer der wenigen, der den im oben genannten Buch zitierten marxistischen Literaturwissenschaftler und Keltologen George Thompson und den Linguisten Michail Michailowitsch Bachtin nicht nur namentlich kannte. In den darauffolgenden Wochen, Monaten und Jahren trafen wir uns in unregelmäßigen Abständen zu längeren Wanderungen durch das Untere Mühlviertel, auch bei Schnee, poetisch-philosophische Spaziergänge, die stets von lustvollen Gesprächen und Gedankenspielereien begleitet waren. Unsere längste, mehrtägige Wanderung führte uns von Koper im weiten Bogen um Triest herum durch den slowenischen Karst bis nach Štanjel. Jahre später – seine Liebesbeziehung mit der Frau in G. war zu einem Ende gekommen – konnten wir unserer Gespräche anlässlich der Literaturtage am Wolfgangsee wieder aufnehmen.

Der in Salzburg geborene, abwechselnd in Wien, Berlin und seiner Geburtsstadt an der Salzach lebende Schriftsteller Peter Hodina setzt in seinem neuen Buch auf das Denken. Kein stümperhaftes „Querdenken“, wie es derzeit phrasenhaft Konjunktur hat, kein ideologisch festzumachendes, sondern ein prozesshaft-forschendes und sinnliches mit starken Bildern. Ihm in seinen originellen, die Bibel, Natur- wie Geisteswissenschaften und Weltliteratur miteinbeziehenden Denkbewegungen folgend, musste ich an folgendes Diktum von Fritz Mauthner denken: „Die Sprache ist aber kein Gegenstand des Gebrauchs, auch kein Werkzeug, sie ist überhaupt kein Gegenstand, sie ist gar nichts anderes als ihr Gebrauch. Sprache ist Sprachgebrauch.“

Da unser Denken nun einmal sprachgebunden ist, das Denken erst durch die Sprache und, konzentriert, durch die Verschriftlichung von Gedanken eine Form erhält, das daher nachvollziehbar und überprüfbar wird, sind Bücher wie „Spalier der Farne“ ein Segen in dieser von Banalitäten und geistiger Niedertracht verfluchten Zeit. Hodinas „Notate“ sind eine Manifestation des Humanen, eine Rückbesinnung auf Möglichkeiten, die in uns – ja in fast allen – angelegt sind. Sein Denken und Schreiben fußt auf einer breiten wie tiefgehenden Lektüreerfahrung von philosophischen Schriften und Autoren der Antike über Fichte bis zu Leo Tolstoi, Ralph Waldo Emerson, Wittgenstein, Cioran und den Notizen von Ludwig Hohl, um nur einige Kapazunder zu nennen. Dazu kommt eine Schärfe an Beobachtung von Alltagsverhaltensweisen und medialen Diskursen, die in präzisen Bildern, (ironischen) Fragestellungen und (desillusionierenden bis angriffigen) Einschätzungen den Reflexionsraum erweitern. Eingeschobene Traumsequenzen ergeben in ihrer poetischen Qualität einen zusätzlichen Aspekt, der subtil zu den eher objektivistischen Passagen eine persönliche und sympathische Dimension eröffnen.

Hier ein Beispiel dafür, wie eine Schrift wirken kann, aber nicht muss. Ich will damit zeigen, wie bereits der junge Student Hodina kreativ-eigenständig, vielleicht auch etwas naiv (im positiven Sinne!) mit einer Lektüre verfuhr: „Mit neunzehn Jahren vermeinte ich, etwas magisch, ich könnte durch das eifrige Studium von Edmund Husserls Schrift Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins so etwas wie die ZEITBREMSE finden. Statt wie andere junge Leute den Führerschein zu machen, um Gas, Bremse, Kupplung einzuüben, dachte ich, die Zeit mir vehikulär machen, sie nach Belieben beschleunigen, bremsen, zurückfahren zu können. / Ich dachte, die alten Leute, die Erwachsenen hätten irgendetwas in ihrem Leben falsch gemacht, indem sie vergingen. Sie hätten auf etwas Bestimmtes nicht achtgegeben: Die ZEITBREMSE nicht gefunden und nicht zu betätigen gelernt. / Mit Husserl gedachte ich, diese meine magische Intuition realisieren zu können: Retention wäre die Bremse, Protention das Gasgeben.“

Auch wenn aus den zum Teil aphoristisch kurzen Textpassagen Desillusionierung über das Verhalten der Menschheit durchklingt, sieht er immer wieder (noch) Erhellendes, trotz all der Versäumnisse und Dummheiten der an und für sich vernunftbegabten Spezies. In den einsamen Stunden des Geistes (Trakl) auf sich selbst zurückgeworfen, bedenkt er dialektisch Gesellschaftliches (mit). Denn das Individuum kann ohne Beziehung zu anderen Menschen keine Ethik entwickeln. Wie die Sprache ist sie etwas zwischen dem Du und dem Ich.

Er beharrt auf eine ins Stocken geratene Aufklärung (im Englischen „Enlightenment“, auch im Sinne von Inspiration, Erleuchtung) und insistiert auf das Bestehen von Möglichkeiten. Beispielhaft formuliert in folgender Passage: „Etwas auch nur zu denken, bedeutet schon ein Heranbranden. Manche Welle langt schon an das Gestade der Realisation. Und auf einen Vorstoß ins Reale kommen hunderte mit hundertfacher Heftigkeit. Wenn ich nur die andere Welt denke, sucht sich bereits etwas einen Weg. Es sind Versuche. / Selbst bist du Teil eines insgesamt Prozessierenden. Ein Regentropfen, ein Hagelkorn, Funke.“

Hodina zog und zieht es vor – obwohl ich mir bei ihm aufgrund seiner Kompetenzen und seinem Wissenshorizont eine akademische Laufbahn vorstellen konnte – ein freiberuflicher „Gelehrter“, Essayist und Schriftsteller zu sein, ja zu SEIN. Er steht auch peripher zum Literaturbetrieb, der Rauriser Förderungspreis im Jahre 2004 ist seine einzige wesentliche Auszeichnung.

Erstaunlich bei ihm ist seine formale Vielfalt, denn immer wieder zieht es ihn auch zur Poesie, so schreibt er auch Gedichte und hat 2012 den Gedichtband „Sternschnuppen über Hyrkanien“ veröffentlicht. Schon der Titel seines neuen Buches ist ein erlesen-schönes poetisches Bild. Der Farn – zumindest der Wurmfarn – erinnert an das Gefieder eines Pfaus, und wenn man sich vergegenwärtigt, wie ein Farn im Frühjahr austreibt, allmählich seine Blätter entrollt, so kann dies als ein Bild gesehen werden für das Entstehen einer Idee, für ein gewissenhaftes Formulieren und Schreiben. Und so ist, entsprechend des Titels, das Buch eine den Geist erfrischende Passage aus Ideen, ein Angebot an Leser:innen, dem Spalier aus konzentrierter Prosa entlangzuwandeln. „Spalier der Farne“ ist ein fein durchgearbeitetes, in seiner sprachlichen Qualität und aufgrund seiner lustvoll zu lesenden Denkbewegungen ein solitäres Meisterwerk, dem ich viele Leser:innen wünsche.

Peter Hodina: Spalier der Farne. Notate. edition fabrik transit, Wien 2022, 24 Euro




Mittwoch, 3. Mai 2023

Ausstellung: Abenteuer Holz



 

Postkarten aus Flandern

Von Richard Wall


Polderlandschaft


Ein Gebirge aus Schnee

Gewölk über Plastikfolienfelder

grün begrenzt von einem

Winterweizenteppich mit

Traktorenfurchen, denn die Saat

muss gedüngt und besprüht

werden im Frühling

wenn die Osterhasen

rammeln und die Erpel

den Enten nachstellen.


In der Dämmerung

wird alles eins, meint man,

doch manches ist näher dem

Tod als dem Leben.



Brügge I


Backsteingotik, Türme dienen

der Orientierung und irritieren,

geziegelte Spitzbögen, Maßwerk,

welch eine Manifestation

von Material und Handwerk.

Über Kopfsteinpflaster – woher

nur kam der vertraute Granit? –

hüpfen wir auf unseren Rädern

durch schmale Gassen über

Steinbogenbrücken und

nachtschwarzen Kanälen entlang.


Durchgerüttelt die Gehirnmasse

schnalzen die Synapsen einen

Aprilscherz ins Nieseln.

Auf den Gemeinplätzen

um Kirchen und den Belfried

drängen die Massen in

vorösterlicher Erwartung.

Aufsteigt der Weihrauch

aus Fritteusen

Festliches ist vorgesehen

in jedem Winkel.



Brügge II


Vom Restaurant La Dentellière

blicken wir hinüber zum

Eingang der Beginenhöfe

dort, in der Stille eines weiten

Raumes wachsen aus dem

Märzenbecher-Blütenteppich

schlanke, hohe Bäume

schwarz wie Ruß die vom Regen

spiegelnassen Stämme

vor dem Weißanstrich der Mauern –

Kontraste einer Gnade die

Harmonie ergeben im Gegensatz

zum schrillen Gedränge draußen

in den Straßen und Gassen

flüchtige Momente aus

schmelzenden Schokoladebonbons

in endlichen Mündern.




Eulenspiegel


Tanzte vor unseren Augen

über den Kanal in Damme

befeuerte den Kessel im Raddampfer

und kletterte auf die Flügel

der Windmühle Schellemolen.


Er und seine Wassergeusen

befreiten die Flamen von der Inquisition

vom spanisch-habsburgischen Joch.

Goethe mochte Egmont.

War ihm Tyll zu rebellisch,

zu nah am Volk?


Die Störche auf den Rauchfängen

und Türmen aus Backstein

die Bewohner der Spechtlöcher

in hohlen und morschen Pappelbäumen

am Kanal, den Napoleon geplant,

wissen nichts

von den Wegen der Menschen.




An der Nordsee


Im Wattenmeer von Zwin

stochern Watvögel im flachen

Wasser nach Nahrung

vernehme ich die Rufe der

Austernfischer, des Brachvogels

Sinnliches und Assoziationen

versetzen mich flugs

an die Küste Connemaras.


Im Dünensand unsere Spuren

Fußstapfen in schmalen Rinnen

Wasser fließt meerwärts

oder versickert im Schlamm.

Draußen, im Dunst, auf der

fahlgrau-grünen Wasserlinie

ein Frachtschiff, typisch die Form

mit der hohen Brücke am Heck –

was sich nicht alles fügt

in diesem einen Moment.



Gent


Von Ganda, keltisch Zusammenfluss

von Leie und Schelde, Stapelrecht

seit dem Mittelalter, Waren im Überfluss,

auch für Hochstapler wie den

Kreuzfahrer Graf Philipp von Elsass

mit seinem Bollwerk Burg Gravensteen,

nichts weiß man vom Los der Steinmetze

und Leibeigenen die hier geschuftet.

Am Korenmarkt die Weite der Plätze

Lakenhalle, Stadthuis, gotisches Auf

und Nieder, Kopf im Nacken, stockender

Atem im Banne des Belfrieds, der Kirchen,

in St.-Bavo das Werk der Gebrüder Eyck

im Dunklen vom Aufleuchten der Farben

von der Vollendung der Formen

unweigerlich berührt – :

Unter flämische Kirchturmlandschaft

mit einer Dattelpalme am Horizont

gedeihen um die Gruppen der Anbetung

des hl. Lamms mit den Menschenaugen

Orangen- und Granatapfelbäumchen,

in den Grünschattierungen der Gräser

ein synchrones Aufblühen Dutzender

Heilkräuter und Blumen wie Maiglöckchen,

Pfingstrosen, Lilien, Veilchen, Gänseblümchen …

im Zentrum der Blutfluss aus wolleweißer Seite

das Lamm wankt nicht trotz Blutverlust

doch im Salzstollen von Altaussee fror

die nackte schwangere Eva beinahe zu Tode

beim Anblick der eingelagerten Fliegerbomben –

verhindert wurde die Sprengung, das Sakrileg.

Unter gotischem Gesprenge nun wieder

angstbefreiend die Offenbarung –

doch wer glaubt noch an sie?


5. - 10. April 2023

P.S.: Flandern ist ein Paradies für Radfahrer:innen. Einen Bruchteil nur der Radwege wenn wir hierzulande hätten! Und es gibt KEINE Werbetafeln über Land & vor den Dorf- bzw. Stadteinfahrten, & KAUM Zersiedelung!

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...