Dienstag, 14. Dezember 2021

Die Lage als Plage

 “Truth is a cornerstone of our democracy.”
Michiko Kakutani, The Death of Truth

Post-truth is pre-fascism.“
Tomothy Snyder, On Tyranny

People have always had different opinions. Now they have different facts.”
Anne Applebaum, Twilight of Democracy


Zweifachkurzeitkanzler Kurz ist ab sofort nicht wieder nur für kurz, sondern, wie es den Anschein hat, nun dauerhaft weg – vom (politischen) Fenster. Er scheiterte an einem Gegner, den er, durch die rhetorische Theatralik der message control bewirkte Vernebelung, offenbar gar nicht auf Sicht hatte: sich selbst. Aus dem Freundeskreis türkiser Adlaten bleiben freilich diverse Attrappen sesselklebend zurück. Bleibend mitverantwortlich für den Coup, Parteiloyalität durch Obmannservilität ersetzt zu haben. Erinnert sei etwa an den Zinnober des obersten Berufstirolers, der noch vor einigen Wochen expressis verbis kundtat, der Zweck heilige die Mittel und wenn der Zweck die Mandatsmehrheit der Volkspartei sei, folge daraus stringent die Benediktion dessen, der sie bewirkt hat, egal mit welchen Mitteln. Damit befinden wir uns ganz im Katholischen, einer Tradition, die, bezeichnenderweise, die Pia fraus, die fromme Lüge, ersonnen hat. Welche Ironie, dass Kurz sich nicht auch noch als einer von den Frömmlern inszenierte, wie Nationalratspräsident Sobotka, Niederösterreichs Steuergeld-Trickster a. D., Organisator von unnötigen Parlamentsmessfeiern und alerter Skandalon-Schönredner („Fürs Inserat gibt’s ein Gegengeschäft, natürlich!“). Ebenso bleibt auch Oberösterreichs Landeshauptmann als Türkiser punziert. Man entsinne sich der Huldigungsverrenkungen an die Adresse des wiedergewählten Erwählten, auf einem bemerkenswert programmbefreiten Parteitag im Sommer. An die Eloge einer überforderten Gesundheitslandesrätin Haberlander auf einen nicht minder überforderten Landeshauptmann, in der drängenden Agenda Pandemiebekämpfung, im morgendlichen Rundfunk (Ö1-Morgenjournal, 10.11.2021), ganz der sedierenden Dramaturgie des Beschwichtigens und des Ablenkens verpflichtet. Das spiegelt kein verantwortungsvolles Handeln in gewählter Funktion, sondern irrlichtert als Attitüde eines permanenten, fingierten Wahlkampfs.

Als würde einem die Realität nicht schon genug an Herausforderung auferlegen, erlebt man dieser Tage die Manifestationen aggressiver Dummheit zunehmend militant werden. Die Rede ist von den Maßnahmengegnern wie den Leugnern der Pandemie. Dass gerade diejenigen sich in ihren Rechten beschränkt wähnen, die im Schulterschluss der Beschränkten mit den Rechten den Gleichmut der Vielen strapazieren und in deren Freiheit einzugreifen sich herausnehmen, ist nicht nur Zynismus in Praxis, sondern zielt auf eine Verkehrung der Verhältnisse durch das Heraufbeschwören einer Despotie der Denkfaulheit ab. Da tröstet es wenig, sich vor Augen zu führen, dass die sich hierzu formierenden Kräfte, auch à la longue gesehen, nicht ausreichen werden allein die Karikatur eines Umsturzes, eine Art Umstülpungsversuch, herbeizuzetern, denn die Kollateralschäden dieses Empörungsfurors werden den Hang zur kindischen Verantwortungsflucht, zur rücksichtslosen Unverantwortlichkeit, weiterhin befeuern.

Die schon vor über fünfzig Jahren von Elfriede Jelinek diagnostizierte Infantilgesellschaft ist in ihrer Entwicklung offenkundig steckengeblieben, befördert durch die Stimulanzien der, wie Werner Schneyder sie nannte, „asozialen Medien“. Wir sind nicht in den „automatischen Faschismus“ abgedriftet, wie es Michael Scharang nahezu zeitgleich halluzinierte. Wie sich zeigt, lassen die Randformen gegenwärtiger Verirrung in ihrem Wesenskern Blamableres zutage treten: nämlich die Wiederholung der Geschichte als Farce. Mitanzusehen, wenn Ökofreaks aller Couleur und Esoteriksumperer in Walkwesten mit geschniegelten und anderswie kostümierten Neonazis vereint die realen Opfer ihrer historischen Verbrüderung in Beschlag nehmen. Ein Vertreter der israelitischen Kultusgemeinde in Wien bezeichnete diese illegitime Vereinnahmung dezent als „geradezu pervers“. Wollte Zurückhaltung einmal nicht mehr geübt werden, bliebe als Attribut… Genau!

© Bernhard Hatmanstorfer

Samstag, 4. Dezember 2021

 ACHTUNG! ACHTUNG! ACHTUNG!

Auf Radio Oberösterreich werden heute im Rahmen der Literatursendung 'Premiere' zwischen 19:03 und 20:00 Uhr drei Kurzgeschichten von mir gesendet, nämlich 'Eine kleine Szene', 'Zen' und 'Das Kruzifix'. Vor allem meine Kurzgeschichte 'Das Kruzifix' liegt mir sehr am Herzen.
Eine sehr persönliche Geschichte über einen bewundernswerten Menschen.
Bitte nicht verpassen!
https://ooe.orf.at/studio/stories/1035/

Montag, 22. November 2021

Selbstgratulation zum 70er. Über unsere neuen Mitglieder Lisa-Viktoria Niederberger und Karin Peschka

Von Dominika Meindl

Alle zwei Jahre hofft und bangt unsere Regionalgruppe, welche neuen Mitglieder uns gewährt werden (vielleicht werden uns auch irgendwann einmal welche „erspart“, aber zu diesen gar zynischen Gefühlen ist es noch nie gekommen). Biennal können sich die schreibenden Menschen Österreichs um eine Aufnahme in die GAV (Grazer Autorinnen Autoren Versammlung) bewerben. 2021 ist unsere Bande um zwei Kolleginnen verstärkt worden. Es ist uns eine Ehre, regionalen „Anspruch“ auf Lisa-Viktoria Niederberger und Karin Peschka erheben zu dürfen. Mit diesen beiden hervorragenden Schriftstellerinnen sind wir nun also 70 geworden.

Zu siebzigst hat man noch Träume. Etwa den einer anständig dotierten Investition in die Literatur des Landes, in ein Landesliteraturschulwerk, und ja, in eine vernünftige Pandemiepolitik. Unser Forderungspapier hat kaum an Dringlichkeit verloren. Denn wir wollen wachsen. Viel zu wenige von uns können von ihrer Arbeit leben, und das liegt nicht an der Qualität unserer Arbeit.

Was wiederum ein gutes Stichwort ist, um zu unseren neu aufgenommenen Kolleginnen zurückzukommen. Was beide eint, ist ein Engagement, das über die reine Arbeit an eigenen Texten hinausgeht, nämlich die Freude an Zusammenarbeit und der Wille, die Bedingungen der eigentlichen literarischen Arbeit zu verbessern. 

 

Lisa-Viktoria Niederberger ist vor wenigen Jahren nach Linz zurückgekehrt, was viel zu selten vorkommt (die meisten unserer KollegInnen mit Wurzeln in OÖ leben aus guten/pragmatischen Gründen in Berlin oder Wien). Niederberger aber hat das Zentrum ihres Lebens und ihrer Arbeit nach Linz gelegt. Das allein reicht als Grund noch nicht aus, um das Kunstförderstipendium der Stadt zu bekommen, aber die Qualität ihrer Texte ließen keinen Zweifel. Ich hatte die Ehre, gemeinsam mit Barbi Marković, Ralph Klever und Heike Merschitzka in der Jury der Sparte „Literatur“ zu sitzen. Deswegen darf ich ausführlich aus der Begründung zitieren1:

Mit Lisa-Viktoria Niederberger hat sich die Jury für eine engagierte junge Autorin entschieden, die aus Salzburg in das Linzer Kunstgeschehen zurückkehrte und auch hier bereits zu einer starken Stimme im literarischen Netzwerk wurde. Im Moment ist ihr Buchprojekt „Fische freischneiden“ im Entstehen, ein Text, der vier Lebensgeschichten junger Erwachsener verwebt und in dem u.a. Dornach bzw. das Areal rund um die Universität eine wichtige Rolle spielen. Traumata und Lebenskrisen kerben sich bereits tief in die dargestellten Lebenslinien ein und rufen Gefühle der Wut und der Hilflosigkeit hervor, aus denen nur eigene Entscheidungen befreien können. Wie geht man mit dem Leben um, das man jetzt vor sich hat?

Vor allem überzeugte die Autorin die Jury mit ihren authentischen Beschreibungen von bildhaften Alltagssituationen, sei es am Spielplatz, wo die Väter der quietschenden Schaukel mit WD40-Spray zu Leibe rücken sollten und die kommunikationsfreudigen Kollektivmütter ihren „vorbeieiernden“ Windelhosenkindern die Hosen hochziehen, im „Eines-der ersten Hochhäuser-in Linz-Hochhaus“ mit dem Essensgeruch und dem Hausmeisterzettel in den Gängen oder die Familienfeier mit den „eingedüftelten sexistischen Onkeln aus Meran“, sie erzeugen sofort ein Gefühl von Identifikation, Wiedererkennung oder zumindest von ablehnender Vertrautheit.

Die Sprache, die sie dafür verwendet, integriert ganz selbstverständlich Splitter des Gesprochenen, denen auch hin und wieder ein Wortteil fehlt, Regionalismen („Gehört der leicht dir?“) und Web-Anglizismen: Mit einem „Wirtschaftsstandort my ass“ wird da etwa das verdreckte Hochhausbalkongeländer bedacht. Der Stil bleibt rotzig, trashig, natürlich, quasi eine Art dezenter regionaler Popliteratur. Gerne hätte man noch mehr von diesen Ausbrüchen gelesen, die einem unwillkürlich ein „Genauso ist es“ entlocken.

Es ist die Sprache der Generation und damit ist vor allem eines sofort klar: Wem diese Geschichte erzählt werden will. Social-Media-Beziehungshygiene und Polit-Statements, Kulturenmix und Geschlechterrollendiskussion: altersunabhängig schlüpft man gerne in das Mäntelchen der Anfangsdreißiger und fühlt sich wohl darin (in dieser Literatur).

Die Jury wünscht dieser Autorin und ihrem Buchprojekt weiterhin viel freche Energie, Rotzigkeit und Sprachwitz für die weiteren Kapitel und hofft, dies mit der Zuerkennung des Förderpreises zu unterstützen.“

* * *

 Karin Peschka ist die zweite Kollegin, die wir in der GAV OÖ begrüßen dürfen, und die zweite Autorin, deren Mitgliedschaft uns eine Ehre ist. Ihr Debütroman „Der Watschenmann“ ist vergleichsweise spät2 erschienen, hat aber in seinem Erscheinungsjahr 2014 völlig verdient für Furore gesorgt. So hat noch keine über die unmittelbare Nachkriegszeit geschrieben, über die ganze Härte und das bisschen Hoffnung. Ganz anders dann, mit viel schönem Witz, schrieb sie ihren zweiten Roman, der 2016 unter dem Titel „FanniPold“ erschien. Im Jahr darauf veröffentlichte sie in „Autolyse Wien“ postapokalyptische Erzählungen und gewann damit den Publikumspreis der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. Mit „Putzt euch, tanzt, lacht“ schließt sie wieder an „FanniPold“ an. Besonders viel Freude hat mir ihr Beitrag für die „Regressionsdisko“ 2020 gemacht, eine große Freundschaftserklärung an Manfred und an die gemeinsame Jugend: „Die Vögel heben an zu singen, und ich bin gefangen im Glück unserer Freundschaft, und so jung sind wir, glaub mir, das wird halten.“ 

Peschkas Prosa ist anzumerken, dass sie keine Bewohnerin des Elfenbeinturms ist, sondern ihrer Umwelt mit Einfühlungsfreude und Offenheit begegnet – nicht umsonst hat sie lange mit alkoholkranken Menschen und arbeitslosen Jugendlichen gearbeitet (zugleich auch als Online-Redakteurin und Projektorganisatorin).

Karin Peschka ist 1967 in Eferding als Wirtstochter zur Welt gekommen. Sie lebt schon seit geraumer Zeit in Wien, kümmert sich jedoch mit viel Herzblut um die vermeintliche Provinz. Gemeinsam mit Marianne Jungmaier hat sie in diesem Jahr die Reihe „dreimaldrei“ imGastzimmer Eferding ins Leben gerufen. Genauso muss es zugehen, wenn die Literatur zu den Leuten gebracht werden soll.

* * *

Falls es noch irgendwelche Zweifel geben sollte, sage ich es noch einmal, ganz gewiss im Namen von uns 67 anderen: Wir freuen uns sehr, Lisa-Viktoria Niederberger und Karin Peschka in der GAV OÖ begrüßen zu dürfen! 

 

1 Die Heike Merschitzka aus gemeinsamen Stichworten trefflich formuliert hat.

2 Was natürlich als einziges Qualitätskriterium einer Literaturkarriere reichlich old school eingeschätzt wäre...

GAV OÖ – Gedenkabend für Eugenie Kain - DORFTV

Texte, Hörbeispiele und Erinnerungen an die 2010 verstorbene Autorin mit Erich Klinger, Walter Kohl, Richard Wall.

Die Veranstaltung kann unter https://www.dorftv.at/video/36542 angesehen werden.


Der Donau möchte ich nahe bleiben. Sie gibt mir die Sicherheit, dass es weitergeht.“ (Eugenie Kain)

Musik: Katharina Kain und Alenka Maly („Sisters of another mother“) mit Liedern aus ihrem Programm „Doch den Mond in der Sicht

Konzeption und Moderation: Elisabeth Strasser und Rudolf Habringer

Veranstalter: Grazer Autorinnen Autorenversammlung – GAV OÖ

Freitag, 12. November 2021

Lyrik & Jazz IV

 Nach einem Jahr Pause gab es am 9. November wieder „Lyrik & Jazz“ der GAV OÖ im Phönix Beisl in Linz. 

Wie schon bei L & J III haben auch heuer wieder Rudolf Habringer (Klavier) und Franz Prandstätter (Saxophon) für den Jazz gesorgt, Lyrik und lyrische Prosa gelesen haben Corinna Antelmann, Judith Gruber-Rizy, Walter Kohl, Wally Rettenbacher, Robert Stähr und Herbert Christian Stöger

Gestartet haben wir die Reihe im Jahr 2017, das Konzept ist seither gleich geblieben: 6 Autorinnen und Autoren der GAV OÖ geben ihre Texte den Musikern, die sich schon im Vorfeld der Veranstaltung damit auseinandersetzen und zu jedem einzelnen Gedicht, zu jedem Text die entsprechende musikalische Umsetzung suchen. Improvisation steht dabei natürlich im Vordergrund. Bei der Aufführung selbst ergibt sich daraus ein wunderbares Miteinander, ein intensives Aufeinander-Eingehen von Musik und Worten. Mit Rudolf Habringer und Franz Prandstätter ist heuer wieder ein besonders schönes und mitreißendes Zusammenspiel entstanden, das für Zuhörende und Mitwirkende eine große atmosphärischen Dichte geschaffen hat. 

Wally Rettenbacher hat diesen Abend im Phönix dankenswerter Weise mitgeschnitten und so kann Lyrik & Jazz IV nun in der ganz neuen „GAV OÖ Hörbox“ nachgehört werden

Link zur Hörbox

Herzlichen Dank allen Kolleginnen und Kollegen fürs Mitmachen und für ihr großes Engagement. Und herzlichen Dank auch dem Theater Phönix, das uns den Raum und die Technik zur Verfügung gestellt hat.

Judith Gruber-Rizy









Dienstag, 9. November 2021

 MOMENTAUFNAHME

 

Ein jedes Gedicht

ist eine Momentaufnahme.

Die Stimmungsfänger

werfen ihre Netze aus.

 

Die Gedankenjäger

jagen mit Speeren.

Ein jedes Wort

ist unersetzlich.

 

Der Weg vom Gehirn

zur Hand

ist mit Erinnerungen

gepflastert.

 

Die Gegenwart

schlägt sie tot.

Ein jedes Gedicht

ist eine Momentaufnahme.


(Dietmar Füssel)

Montag, 8. November 2021

Lyrik & Jazz 9. November 2021



Lyrik und lyrische Prosa lesen: Corinna Antelmann, Judith Gruber-Rizy, Walter Kohl, Wally Rettenbacher, Robert Stähr, Herbert Christian Stöger

Musik: Rudolf Habringer (p) und Franz Prandstätter (sax)

Moderation und Organisation: Judith Gruber-Rizy

Bitte beachten Sie die aktuellen Corona-Regeln (siehe homepage).

> Theater Phönix, Wiener Straße 25, Linz,

Tel: 0732 662641

www.theater-phoenix.at 

Donnerstag, 28. Oktober 2021

Gedenkabend für Eugenie Kain

am Donnerstag, 4. November 2021, 19.30 Uhr, im Stifterhaus, Linz

 Im Jänner 2010 ist die Schriftstellerin und langjährige Regionalsprecherin der GAV OÖ, Eugenie Kain, verstorben. Im Jahr 2020 wäre sie sechzig Jahre alt geworden. Zu diesen Anlässen war im Herbst 2020 ein Gedenkabend im Stifterhaus geplant – begleitet von einer ihr gewidmeten Ausstellung und einer Ausgabe der „Rampe“. Aus bekannten Gründen wurde der Gedenkabend verschoben und kann nun am 4. November 2021 nachgeholt werden.

Foto: © D. Meindl


Seit ihrer Jugend literarisch tätig publizierte Eugenie Kain zunächst journalistisch-essayistische Texte in der „Volksstimme“ und in der Zeitschrift „hillinger“. Mit einem Text über die Lebenswelt von Putzfrauen, „Endstation Nasszone“, wurde sie 1982 mit dem Förderpreis „Literatur zur Arbeitswelt“ ausgezeichnet. Später erschienen ihre Texte in Buchform, vom Roman „Atemnot“ über mehrere Erzählbände, wie „Schneckenkönig“, „Sehnsucht nach Tamanrasset“, „Hohe Wasser“, bis zur umfangreichen Erzählung „Flüsterlieder“.


Weggefährten erinnern sich:
Rudolf Habringer, Erich Klinger, Walter Kohl und Richard Wall erzählen von ihren persönlichen Erinnerungen an Eugenie Kain.

Texte und Hörbeiträge:
Texte von Eugenie Kain werden an dem Erinnerungsabend (wieder) zu hören sein, gelesen von Rudolf Habringer und Elisabeth Strasser, sowie Originalaufnahmen aus dem Radio-FRO-Archiv.

Musik:
Katharina Kain und Alenka Maly, „Sisters of another mother“, tragen Lieder aus ihrem Programm „Doch den Mond in der Sicht“ vor.

Gestaltung des Abends: Rudolf Habringer & Elisabeth Strasser

Donnerstag, 14. Oktober 2021

Die Lange Nacht der GAV OÖ

Ein Abend mit aktueller Literatur aus der Region. 

Es lesen: Bauer, Gölz, Gruber-Rizy, Habringer, Hodina, Kleemayr, Klinger, Knapp, Mairhofer, Meindl, Menzinger, Mitterndorfer, Rieger, Silberer, Spoliti, Stabauer, Steiner, Strasser, Wall, Weber, Wimmer.

21. Oktober 2021 im Stifterhaus Linz, 19.30 Uhr.



Sonntag, 10. Oktober 2021

Vom Kopf auf den Bauch gestellt

Rezension von Luis Stabauer

Den Lesenden erschließt sich, wer und was das „Wunderschöne Tier“ ist und wofür es erschaffen wurde. Verraten wird hier nichts, nur so viel:

Jede Kurzgeschichte, alle Lyrikbeiträge und auch die Liedtexte von Christian Schwetz regen Abenteuer im Kopf an. Erstmals lese ich Lieder-Lyrics, bevor mir Melodien und Interpretationen der Rockgruppe Novi Sad bekannt gewesen sind. Die CD „Wunderschönes Tier“ habe ich noch in Wien gehört, die Texte an meinem Schreibplatz am Attersee gelesen. Der türkise und im Juni noch motorbootverseuchte See konnte mich nicht ablenken. Die Wort-, Gedanken- und Rhythmusspiele Christan Schwetz‘ sind stärker, haben eigene Ideen provo- und produziert, mich eine Woche lang hineingezogen.

Zum Beispiel:

„ …
Ich schreibe:
Gott ist in Wirklichkeit Waffenhändler.
Aber Ruhe ist nie.
Und wenn ich alle Worte schwarz übermale,
und wenn ich sie aus der Welt kratze.
Ruhe ist nie.

Ich schreibe aus dem Hinterhalt.“

Oder aus dem Lied „Das Blaue vom Himmel“

„ …
Komm sprich mir ein Wörterbuch, dann werde ich gesund
Ich geh für dich durch die Wand, du die Wand hoch hinauf
Ich schwimm durch die Nudelsuppe, der Teller ist rund
Doch ein Spiel und ein Leben gibt man niemals auf.
…“

Wer Regeln brechen will, muss sie kennen, wer Poesie vom Kopf auf den Bauch stellt, erzeugt Lust am Leben und Freude am Formulieren. Vielleicht ist seine einzige Regel: Im Spiel Danebendenken!

Für meine literarische Ordnung habe ich mir Schubladen eingerichtet. „Wunderschönes Tier“ von Christian Schwetz ist anarchistische Literatur, mit einem Schuss Dada. Herrlich quer-, um-, daneben-, gegen-, sowie nachgedacht und geschrieben.

Bravo, Bravo, der Inhalt ist von der editionlibica schön gestaltet. Der Druck hat mich anfangs ob der Schattierungen irritiert, der Verlag hat mich über die Absicht aufgeklärt. Das Buch ist unbedingt zu empfehlen.

Der erste Auftritt von Christian Schwetz, gemeinsam mit Novi Sad, im September in Wien, war ein besonderes Literaturrock Erlebnis. Sehr würdig, im Wiener Konzerthaus oder im Radiokulturhaus aufgeführt zu werden.

Buch: Wunderschönes Tier
Autor: Christian Schwetz
Verlag: edition libica

ISBN: 978-3-903137-33-2

Mittwoch, 29. September 2021

Flucht nachfühlbar gemacht

 Kurt Mitterndorfers Poem »GEH!« auch auf CD

Geh! Geh weiter! Nicht anhalten! Bleib nicht stehen! Nicht rasten!, mahnt sich der Mann, der aus Syrien geflüchtet ist, in Kurt Mitterndorfers Text »GEH!«, aber auch: Denk nicht nach! Nicht an die Vergangenheit und nicht an die Zukunft. Denken ist gefährlich! Denken kann dich umbringen! Nicht denken, solang du gehen musst!

Der Autor, auch bildender Künstler und – das muss in diesem Fall erwähnt werden – ehemalige Lehrer weiß, wovon er erzählt; und das hat er zuletzt zusammen mit dem Musiker Chris Herman auf CD nachhörbar gemacht. Im Winter 2015/16 begann er gemeinsam mit seiner Frau Barbara und anderen Freiwilligen, Menschen, die vor Terror und Krieg aus Syrien geflüchtet und schließlich in Linz gestrandet waren, Deutsch beizubringen. Daraus entwickelt sich später der Verein Zu-Flucht, der Geflüchteten die Integration erleichtern soll.

Verbunden mit dem Deutschunterricht waren aber auch Gespräche, in denen die Asylwerber von ihren Erlebnissen während der Flucht berichteten, von der Einsamkeit – Bleib im Wald! Lass dich nicht erwischen! –, von den Ängsten – Pass auf, dass du nicht fällst! Nur nicht verletzen! – von Menschen, die man lieber nicht kennengelernt hätte, von monatelangen Erniedrigungen und wochenlangem Sklavendasein. Aber auch vom Hunger, wenn das letzte Stück Brot vor Stunden gegessen, vom Durst, wenn die Trinkflasche leer war und der Weg ins nächste Dorf zu gefährlich schien. Vom Warten und Verharren bis zur Anspannung aller Kräfte. Zweieinhalb Tage sei er irgendwo in Serbien ununterbrochen gegangen, schilderte einer der Asylwerber – und das war für Kurt Mitterndorfer, wie er erzählt, wohl der Ausgangspunkt für das We
rk, aus dem er seither mitunter auch schon Teile daraus vortrug.

Dazu kam, dass der Autor im Frühjahr 2019 den Musiker Chris Herman kennenlernte, woraus in der Folge die Zusammenarbeit an einer durchgehenden Gestaltung des Poems entstand. Im Vortrag der einzelnen Abschnitte wird der monotone Rhythmus des Gehens klanglich verstärkt und zwischen die Abschnitte passt Chris Herman expressive Soundcollagen ein. Daraus entsteht ein Hörerlebnis, das auf eindringliche Weise die Fluchterlebnisse nachfühlbar macht.

Trotz aller Ermahnung gelingt es dem Flüchtenden selbstverständlich nicht, nicht zu denken, weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Da ist das Zuhause, das es für ihn nicht mehr geben wird; schließlich hat er seine Familie, seine Freunde und die vertraute Umgebung zurückgelassen, um dem Chaos des Kriegs zu entgehen. Nicht zurückschauen!, sagt er sich, und weiß ebensowenig, was die Zukunft bringen wird. Da ist die Hoffnung auf Frieden und Sicherheit, aber wird sie den Bildern entsprechen, die er sich aus Prospekten zusammengebastelt hat? Wird er ein Ziel erreichen? Oder wird auch er irgendwann zurückbleiben, wie jene Frau, die beim Anstieg auf den Berg dann nicht mehr da war? Er konnte ihr nicht helfen, da er selbst bereits zu erschöpft war. Und diese Erschöpfung ist für den Zuhörer, der den Flüchtling die Dauer der CD von etwa 70 Minuten begleitet hat, durchaus nachfühlbar.

Helmut Rizy


Chris Herman, Kurt Mitterndorfer: GEH! Oracle-Studio 2020. 15 €

Dienstag, 21. September 2021

SCHAURIG, SPANNEND, RÄTSELHAFT

 Am Dienstag, den 28. September 2021 liest Dietmar Füssel ab 19 Uhr aus seinem neuen Roman ‚Ricardi‘.



Füssels neuer Roman ist eine originelle Verknüpfung einer melancholischen Liebesgeschichte mit Elementen des klassischen Schauerromans. Er erzählt die Geschichte dreier junger Künstler, deren Leben sich durch die Begegnung mit einem mysteriösen Gemälde aus dem 17. Jahrhundert mehr und mehr in einen Alptraum verwandelt. Dieser Alptraum gipfelt in einer erschreckend realistischen Vision, deren wahre Bedeutung der Hauptheld und Ich-Erzähler erst viele Jahre später erkennt. Und auch wenn das Leben weitergeht, ist doch nichts mehr wie zuvor.

„Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Und erst recht keine schlafenden Dämonen.“

Da Dietmar Füssel vor einigen Monaten nach St. Georgen im Attergau übersiedelt ist, ist diese Lesung möglicherweise für längere Zeit seine letzte in seiner langjährigen Heimatstadt Ried.

(Franziskushaus, Riedholzstr. 15 a, Ried i.I., Dienstag, 28. September 2021, 19 Uhr, Eintritt: € 8,00)

Mittwoch, 21. Juli 2021

Zeit für Utopien zwischendurch?

Reflexionen zum Thema „Utopien“ angeregt durch die Online-Aufführung eines Lesedramas von Corinna Antelmann

von Elisabeth Strasser


Ist heute eine Zeit für Utopien?
Oder eine Zeit, über Utopien nachzudenken, wenn schon nicht, sich welche auszudenken?

Einen Versuch in diese Richtung unternahm Corinna Antelmann am Sonntag, 4. Juli 2021.
Unter dem Titel „Wir werden so lange werkeln, bis alles ist, wie wir es haben wollen“ begann um 19 Uhr eine Live-Online-Lesung, der Antelmanns Theaterstück „Der Schwierige Raum“ in stark gekürzter Fassung zugrunde lag. Die Autorin selbst übernahm dabei eine Rolle, weiters Thomas Bammer und Florentina Kutschera – beide in der jeweiligen Rolle als ultra-realistischer Skeptiker und als abgehobene Idealistin trefflich besetzt. Christian Oberndorfer trug mit Digitalisierungsberatung zum Gelingen bei. Und nicht zuletzt übernahm das Publikum eine durchaus nicht unwichtige Rolle: in Form einer Abstimmung am Ende.


Online-Format

In einer Zeit, in der – endlich – wieder Veranstaltungen in der realen Welt möglich sind, gab es also eine Online-Lesung mit Publikumsbeteiligung mittels Zoom.

Geplant war dies natürlich schon lange, zu einer Zeit, zu der noch nicht absehbar war, wann Lesungen wieder durchführbar sind. Dieser den Umständen geschuldete Aspekt ist evident, trotzdem passte diese Form treffend zu dem Thema (Vergleichbares wurde bereits mit der „Utopischen Nacht“ im Oktober 2020 in der Echtwelt, in Ottensheim, aufgeführt *), denn die digitale Welt hat etwas Utopisches an sich, das vor einigen Jahrzehnten noch völlig unvorstellbar gewesen wäre. Mit all ihren Gefahren freilich, die von Totalüberwachung bis Falschinformationen reichen, sodass das Dystopische nicht weit entfernt ist. Jedenfalls wurde mit dieser Form möglich, dass theoretisch Menschen auf der ganzen Welt daran hätten teilhaben können, sofern sie davon wussten oder zufällig darauf stießen. Dennoch erstaunlich, dass die Zahl der Anteilnehmenden … nun, recht überschaubar war. – Woran das lag, darüber mag man spekulieren: am Wetter, an der gleichzeitigen Fußball-EM, an der Übersättigung durch Online-Formate … Oder am Thema gar?


Der leere Raum, kopflastige Denkkonstrukte und Utopien zu Utopien

Das Lesedrama beginnt mit der Vorstellung eines leeren Raumes, oder eines weißen Blattes. Mit dem Traum, alles von Menschen Gemachte von Anfang an neu zu gestalten. Oder den Reset-Knopf zu drücken. Ein Schöpfungsakt, der eine Welt nach den eigenen Vorstellungen zu entwickeln vermag. Vorstellungen, die sich – sobald zwei oder mehr Personen beteiligt sind –, durchaus widersprechen können. Da fangen bereits die Probleme aller Utopien an. Bestenfalls werden Kompromisse möglich.

Utopien – von denen einige historische im Lesedrama vorgestellt werden – entstehen jedoch nicht im leeren Raum. Und den Reset-Knopf, der alles auf Start zurücksetzt, gibt es in der realen Welt nicht. Utopien sind eine Reaktion auf gegebene Verhältnisse, auf gesellschaftliche Verfallserscheinungen, auf eine Welt, die weit entfernt ist von einer gerechten Welt und einem idealen Zusammenleben. Aus dem „so ist es, und wir wissen, dass es so nicht gut ist“ entwickeln sich Vorstellungen, wie es besser sein könnte. Gedankenkonstrukte.

So faszinierend die Vorstellung auch ist, eine Gesellschaftsordnung gleichsam auf dem Reißbrett zu entwerfen, kann es so nicht funktionieren. Dafür ist das Leben zu vielschichtig, zu komplex. Kein einzelner Mensch kann alles, was das menschliche Zusammenleben und dessen Organisierung betrifft, vollständig überblicken und für alles eine Lösung finden. Und schon gar keine, bei der sich nicht einzelne oder viele ausgegrenzt, übergangen und benachteiligt fühlen, oder andere sich ihre Schlupflöcher suchen, um Reichtum und Macht anzuhäufen und damit für neue Ungerechtigkeit sorgen. Das ist wohl der Grund, warum Utopien durchwegs scheiterten, sofern sie in ganz wenigen Fällen überhaupt umgesetzt wurden, und schlimmstenfalls genau das Gegenteil des Beabsichtigten, eine gerechtere und freiere Gesellschaft nämlich, eintrat und es in Diktatur und Zwangsherrschaft endete.

Trotzdem: Wenn es nicht immer wieder Menschen gibt, die sich Alternativen überlegen, ihre Vorstellungen einbringen, wie eine gerechtere Welt und eine freiere Gesellschaft möglich werden, sind wir eigentlich am Ende. Alles würde stillstehen in einem trostlosen, hoffnungslosen Zustand, darum braucht es immer wieder neue Ansätze. Und Utopien. Allerdings besser nicht in der Form, dass ein einzelner Mensch – sei er noch so gebildet und wohlmeinend – sich etwas überlegt. Auch nicht in der Form, dass eine Gruppe – sei sie auch noch so breit vielerlei Interessen abbildend – das tut. Eine wirkliche Utopie für Utopien wäre, dass immer mehr Menschen sich dessen bewusst werden, was ein gelingendes Leben und eine gerechte Gesellschaft ausmacht und danach – freiwillig – handeln. Damit verbunden wäre jedoch eine radikale Änderung der Einstellung der meisten gegenüber der Gesellschaft und dem ganzen Leben. Was dem entgegensteht, liegt in der menschlichen Natur begründet, in der Angst (von Existenzangst bis Verlustangst) und mangelndes Vertrauen (in sich selbst, in anderen Menschen oder ins Transzendente) allzu stark sind, woraus all das, was ein gutes Leben für möglichst viele verhindert, hervorgeht: Gier, Machtmissbrauch, Ausbeutung, Neid, Eifersucht und was es derlei noch allerlei gibt.

Wie käme es, wie kämen wir dazu, diese Einstellung zu ändern? Das ist die schwierigste aller Fragen, denn diese Änderung der Einstellung müsste bei allen Einzelnen aus freiem Willen geschehen, wenn dem nicht so ist, wäre schon wieder Zwang nötig, der der wirklichen Utopie einer gerechten und freien Gesellschaft widerspricht.
Erziehung, Bildung – in Form von Wissen genauso wie Herzensbildung – könnten einen wesentlichen Beitrag leisten. Genauso wie die Kunst, einerseits im Darstellen des Besseren, andererseits in der Warnung: Wenn wir so miteinander und mit der Umwelt umgehen, kann es nur böse enden.

Das wären und sind kleine Schritte, die tatsächlich auch geschehen sind und geschehen.
Darauf dürfen wir nämlich nicht vergessen: Bei allem Kritikwürdigen, bei allen Rückschritten, die sich immer wieder ereignen, tat sich im Laufe der Geschichte doch einiges in Richtung einer besseren Welt. Und etliches davon war letztendlich von jenen angeregt, die ihre Utopien vorstellten, nicht unbedingt, um sie eins zu eins real umgesetzt zu sehen, sondern um Gegebenes zu hinterfragen, und die damit immer aufs Neue Menschen dazu brachten, ihre Ideen weiterzutragen und neu in ihrer Zeit aufzugreifen.

Der wichtigste Schritt ist ohnehin, dass jede und jeder versucht, im eigenen Einflussbereich das Bestmöglichste zu tun. Und auch die Hoffnung, dass andere da sind auf dem Weg, die zur Seite stehen, wenn man selbst nicht mehr weiterweiß und weiter kann, den Mut verliert und in Resignation abgleitet. Einige finden sich wohl in jeder Generation, die das Feuer weitertragen.


Alle wollen immer nur das Allerbeste

Das Lesedrama gibt einen guten Überblick über einige der Utopien, die im Laufe der Geschichte, vor allem im 16./17. Jh., entwickelt wurden. Eines der bekanntesten Beispiele ist Thomas Morus‘ „Utopia“ (1516), dazu auch Tommaso Campanellas „Sonnenstadt“ (1602), Johann Valentin Andraes „Christianopolis“ (1619) oder Charles Fouriers Schriften (18./19. Jh.) u.a. über die freie Liebe, sowie Einblicke in matriarchalische Gesellschaften, die eine gute Alternative zur heute üblichen Klein-/Kleinstfamilie eröffneten.

Unter den klassischen Utopie-Modellen finden sich Unterschiede, aber viel mehr Gemeinsamkeiten, die nicht selten auf Ideen des Urvaters der Utopien, nämlich auf Plato und seine „Politeia“, zurückgehen.

Das ganze Lesedrama ist übrigens auf Youtube noch anzusehen:

https://www.youtube.com/watch?v=UmK8Sf-UT34 (beginnt erst bei Minute 18).

Nach der Aufführung des Lesedramas wurden die Zusehenden zu einer Abstimmung eingeladen. Die Fragen dazu mit Antwortmöglichkeit (Mehrfachlösung möglich) deckten sehr gut die Bereiche ab, um die es bei den klassischen Utopie-Modellen im Wesentlichen geht, weil sie die grundlegenden Fragen des Zusammenlebens beinhalten:
Wie gestalten wir die Arbeitswelt, die Wirtschaft, das Bildungssystem? Wie gehen wir mit Besitz um, wie mit Sexualität, wie mit der Natur? Wie sollen Kinder am besten aufwachsen?

Wirklich spannend wäre eine solche Abstimmung natürlich, wenn mehr Leute mitmachten, die ein breiteres Spektrum unserer Gesellschaft abbildeten. Jenen, die sich für Themen interessieren, die von Utopie-Modellen aufgegriffen werden, liegt meist ohnehin viel an gesellschaftlicher Veränderung in Richtung einer gerechteren Welt, eines Gesellschaftssystems, das weniger auf Ausbeutung, Gier und Unfreiheit baut. Theoretisch jedenfalls. In der Praxis und Überzeugungsarbeit haben wir gewiss noch einiges zu werkeln, bis wir – annähernd – eine Welt haben, wie wir sie uns wünschen.

* Zur „Utopischen Nacht“ gibt es auf diesem Blog einen Bericht von Corinna Antelmann vom 13.10.2020.


Donnerstag, 15. Juli 2021

„Allein, es zählt die Kunst – Text und Musik im Echo V“

Künstlerinnen-Schicksale standen im Mittelpunkt des von der GAV veranstalteten Abends im Linzer Cellostudio unter dem Titel „Allein, es zählt die Kunst – Text und Musik im Echo V“. Corinna Antelmann las aus ihrem Roman „Drei Tage drei Nächte“, Judith Gruber-Rizy aus ihrem Roman „Schwimmfüchslein“ begleitet vom Geiger Tokio Takeutchi und dem Cellisten Christoph Ernst, die Kompositionen von Reinhold Glière spielten.





Donnerstag, 1. Juli 2021

Und nach den Neuen kommen gleich die nächsten Neuen! Präsentation der neu aufgenommenen Mitglieder der GAV OÖ

"Kalt" muss nicht automatisch "ungemütlich" bedeuten, und es bleibt zu hoffen, dass der Plan aufgegangen ist, unsere zuletzt aufgenommenen Mitglieder wärmstens willkommen zu heißen. 

Es ist keine Gnade, die den KollegInnen zuteil ward, vielmehr zieren sie unsere Vereinigung und machen uns Freude. Gestern lasen - nach etlichen Verschiebungen! - kurze Texte aus ihren akutellen Arbeiten: Peter Assmann, Eva Fischer, David Fuchs, Marlene Gölz, Christine Mack, Mieze Medusa, Barbara Rieger und Luis Stabauer.

Es freut uns zudem, dass es keine interne Veranstaltung wurde, sondern immer wieder auch PassantInnen innehielten. Das Frieren hat sich also gelohnt - am Ende sogar mit einem Regenbogen.

Wenn alles gut geht, laden wir schon im nächsten Sommer zur Lesung der Mitglieder, die quasi simultan zur Präsentation gestern ausgewählt wurden. Auf dass die GAV floriere! Auf dass die Literatur in Oberösterreich immer weitere Kreise ziehe!

Mittwoch, 30. Juni 2021

Aus der Reihe: Fotos zur Ablenkung und Erbauung, Folge XV, 24. Juni 2021

 "Jetzt lege ich mir einen Campingkocher mit Gaskartusche zu, um für etwaige längere Ausfälle, die auch abseits von Panikmache erwartbar sind, gewappnet zu sein, die Wasserversorgung funktioniert bei uns im Haus auch ohne Strom, da das Wasser vom Hochbehälter am Froschberg kommt, eine funktionierende Taschenlampe habe ich ohnehin zu Hause und einiges an Lebensmitteln, die ohne aufwändige Kocherei zubereitet werden können, auch"  habe ich gerade in einem Mail an die GAV-Kollegin Elisabeth Strasser geschrieben, als Beifügung zu Informationen hinsichtlich unserer Nachspann-Sendung am kommenden Dienstag.

Gestern abend, etwa um 21.15 Uhr kam es bei einigen Häusern in Straßen meines Viertels zu einem bis 22.30 dauernden Stromausfall, die Menschen in den Neubauten in der Coulinstraße, darunter auch das Haus an der Stelle der Volkshochschule, kamen in den Genuß der Rolle als BeobachterInnen der relativen Finsternis ringsum. Auch die O-Busse fuhren dank eigener Stromversorgung ungehindert durchs Viertel, in der Pizzeria nebenan wurde ein improvisierter Gastbetrieb aufrecht erhalten und im Haus, in dem ich wohne, blieb das Stiegenhaus dank Notbeleuchtung an sich gefahrlos benutzbar, sieht man von den mitten im Weg abgestellten Kartons der Nachbarin im dritten Stock ab.

Ich war, auch dank Daphne Hrubys Reportage über die zunehmende Unsicherheit der Stromversorgung in europäischen Netzen, die vor einigen Wochen in den Dimensionen auf Ö1 zu hören war, gut auf ein derartiges Ereignis vorbereitet, wobei ich anmerken muss, dass ich nicht von einem länger andauernden Ausfall der Stromversorgung ausgegangen bin.

Zuerst einmal nachzusehen, ob die Stromlosigkeit nur den eigenen Haushalt betrifft, also zu überprüfen, ob der Schutzschalter gefallen ist bzw. die Sicherungen für die Zuleitung im Sicherungskasten im Stiegenhaus intakt sind, war ebenso Teil des Vorspiels zum Befund eines großflächigeren Stromausfalls wie die Feststellung, dass auch das Licht im Stiegenhaus nicht funktioniert. 

Bei der Notfallsnummer der Linz AG lief ein Tonband mit dem Hinweis auf eine relativ kleinräumige Störung einer Versorgungsleitung, der auch in seinem eigentlichen Domizil stromlose Teilhausbesitzer und Vermieter bestätigte nach seinem Eintreffen im Stiegenhaus den teilweisen Ausfall der Stromversorgung in seinem Straßenzug.

Im nachhinein fällt mir auf, dass ich auf besondere Ereignisse nicht ähnlich panisch oder ängstlich wie im Umgang mit meinem Körper zu reagieren imstande bin, sondern eher zu einer konstruktiven Gelassenheit neige, die mir möglich macht, den Überblick zu bewahren und im Gegensatz zu meinen körperlichen Zuständen nicht automatisch in Katastrophenszenarien abzudriften.

Dass mein persönliches Notfallsmanagement - man verzeihe mir diesen etwas befremdlichen Ausdruck - funktioniert, weiß ich schon lange, es hat mich auch schon einmal davor bewahrt, im Schlaf abzubrennen und ich nehme mir jetzt vor, dieses beruhigende Wissen in meinen Alltag stärker einzubinden.

Der Nachbemerkungen erster Teil:

Im gestrigen Journal-Panorama "Hinter den Kulissen der EM-Euphorie" kam auch Klaus Zeyringer, Germanist und Autor mehrerer Bücher über Fußball und Sport, zu Wort. In seinem Abschlussstatement meinte er, dass er sich nicht wünsche, dass Frankreich, Deutschland und Österreich in der EM weiter respektive gar ins Finale kommen, da er den in diesen Ländern betriebenen Nationalismus in Verbindung mit Sport für gefährlich halte. Worüber er in der gebotenen Kürze allerdings nicht mehr sprechen konnte, war die Tatsache, dass der Aufstieg des deutschen Teams ins Achtelfinale nur durch eine Niederlage gegen Ungarn, gleichbedeutend mit dem Aufstieg der ungarischen Nationalmannschaft, vereitelt werden könnte.

Immer nur diese Männer: im auch nationalistischen Taumel darüber, dass Österreichs Männerteam im dritten Anlauf erstmals Siege bei einer EM erreicht hat und somit auch erstmals über die Vorrunde hinauskam, wurde völlig außer Acht gelassen, dass das österreichische Frauenteam bei der ersten Teilnahme an einer EM 2017 die Vorrundengruppe gewann (2 Siege, 1 Unentschieden) und erst im Halbfinale ausschied. Um gleichzuziehen, müsste Österreichs Männerteam das Achtelfinale gegen Italien überstehen und erst im Viertelfinale "scheitern". Aufgrund der um die Hälfte geringeren Zahl an Frauenteams 2017 war für den Aufstieg ins Halbfinale ein Spiel weniger nötig als bei den Männern 2021, daher Halbfinale Frauen = Viertelfinale Männer.

Zweiter Teil:

Die beigefügten Fotos entstanden großteils in und um Rohr im Kremstal und Kematen. Für den Blog habe ich die Zahl der Fotos von 16 auf 5 reduziert.

Zum vorletzten Foto: Fast bis zur Unkenntlichkeit zergatschter Korpus eines Igels, der auf einer nur dem Anrainerverkehr dienenden Straße in Rohr von einem Traktor, Pickup-Truck oder einem "Privat-Panzer" (SUV) überrollt wurde. Man fährt auch in diesem Straßenzug "schnittig" oder wie ich behaupten würde, rücksichtslos gegenüber Tier und unter Umständen auch gegen Mensch. 

Erich Klinger







Freitag, 18. Juni 2021

Alle Neuen! Präsentationslesung am 30. Juni

Acht neu aufgenommene Mitglieder der GAV stellen sich vor

30. Juni, 19:30, bei Schönwetter im Garten vor dem Kulturverein Strandgut


Es lesen: Peter Assmann, Eva Fischer, David Fuchs, Marlene Gölz, Christine MackMieze Medusa, Barbara Rieger, Luis Stabauer. Moderation und Gespräch: Dominika Meindl

Mit 69 Mitgliedern (Tendenz steigend) stellt die GAV OÖ die größte Vereinigung von SchriftstellerInnen in Oberösterreich dar. Aus bekannt unguten Gründen konnten wir im Vorjahr die neu aufgenommenen KollegInnen mit Oberösterreich-Bezug oder Hauptwohnsitz nicht vorstellen, umso mehr freuen wir uns, dass es heuer klappt. Schön ist, dass fast zeitgleich der nächste Schwung an AutorInnen Teil unserer Vereinigung werden - die stolze Präsentation der Neuen ist 2022 also ein fixer Bestandteil unseres Veranstaltungsjahres!

Allgemeines zur GAV:

Der Name „Graz“ geht auf den Entstehungsort der basisdemokratischen Versammlung zurück: 1973 gründeten AutorInnen wie H.C. Artmann, Gerhard Rühm, Wolfgang Bauer, Ernst Jandl, die unlängst verstorbene Friederike Mayröcker oder Alfred Kolleritsch die GAV. Kulturpolitisches Engagement und die antifaschistische, emanzipatorische Haltung machen die DNA der GAV aus. Die Regionalgruppe Oberösterreich ist die größte und aktivste, sie steht in enger Verbindung mit der Zentrale in Wien, arbeitet aber als autonome AutorInnengruppe. 

Kulturverein Strandgut: 

Ottensheimer Str.25


Mittwoch, 2. Juni 2021

Start des Channels "Vorlesestunde"

Heute beginnt die erste VORLESESTUNDE auf DORF TV:
2. Juni, 19:30 Uhr: Corinna Antelmann
Weitere Termine:
16. Juni, 19:30 Uhr: Sven Daubenmerkl
30. Juni, 19:30 Uhr: Eva Fischer
14. Juli, 19:30 Uhr: Judith Gruber-Rizy
28. Juli, 19:30 Uhr: Peter Hodina
11. August, 19:30 Uhr: Siegfried Holzbauer
25. August, 19:30 Uhr: Erich Klinger
8. September, 19:30 Uhr: Hermann Knapp
22. September, 19:30 Uhr: Erika Kronabitter
6. Oktober, 19:30 Uhr: Till Mairhofer
20. Oktober, 19:30 Uhr: Kurt Mitterndorfer
3. November, 19:30 Uhr: Barbara Rieger
17. November, 19:30 Uhr: Renate Silberer
1. Dezember, 19:30 Uhr: Leopold Spoliti
15. Dezember, 19:30 Uhr: Luis Stabauer
29. Dezember, 19:30 Uhr: Robert Stähr
12. Jänner, 19:30 Uhr: Richard Wall

26. Jänner, 19:30 Uhr: Andreas Weber 

Dienstag, 25. Mai 2021

Was schreiben die Menschen, die für uns sprechen? Teil 2: Flieder fladern

Beginn einer kleinen Rezensionsreihe über KollegInnen der GAV. Von Dominika Meindl

Karin Ivancsics: Aufzeichnungen einer Blumendiebin

Es ist im Grunde einfach nicht einzusehen, dass ein Buch quasi ein einziges Mal erscheinen soll und dann entweder per kommerziellem Erfolg oder sofortiger Kanonisierung in der öffentlichen Wahrnehmung weiterleben darf – oder nach kurzer Zeit wieder in die Halbvergessenheit zurücksinkt. Viel zu viele KollegInnen wissen, was damit gemeint ist – ihre Neuerscheinungen fielen in die dummen Monate der Pandemie und damit aus dem Raster des Betriebes. Hängen bleibt nur das massiv Beworbene. Rezensiert wird nur das ganz Aktuelle. Verlegt wird nur das Erfolg Versprechende.

Umso schöner, dass der verdienstvolle Klever Verlag in diesem Frühling eine Neuauflage besorgt: „Aufzeichnungen einer Blumendiebin“ ist erstmals 1996 im Ritter Verlag erschienen. Karin Ivancsics ist Vorstandsmitglied der GAV, Sprecherin der GAV Burgenland, Präsidiumsmitglied der Erich-Fried-Gesellschaft und – gemeinsam mit Andreas Okopenko – ausgezeichnet mit dem Hertha-Kräftner-Preis (ein Beispiel von vielen).

Ihrem Text ist sein Alter nicht anzumerken, es ist ein hervorragendes Exempel gegen den Aktualitätsfetischismus. Ihn gattungsmäßig einzuordnen ist zwar nicht leicht, aber auch nicht unbedingt nötig. Das Ignorieren von literarischen, geographischen, biologischen (Gattungs-)Grenzen ist ihm wesentlich. Die titelgebende Blumendiebin lädt zur Teilhabe an einem Bewusstseinsstrom, der mal Naturlyrik im neueren Sinn ist, mal Flashback einer Reise, mal pflanzlich-menschliche Erotik. „Brauche ich einen Punkt zur Definition, außerhalb meiner Selbst eine Position, da ich mir selbst genüge und mich selbst vergesse, im Verwachsen mit der Natur?“ Kindheitserinnerungen an beerdigte Mäuse (samt geschmettertem „Näher mein Gott zu dir“, wer kennt das nicht?), Hahnenkämpfe in Mexico, Straßenszenen in Bangkok oder irgendwo in Cuba – alles ist mit allem verbunden. Klaus Taschwer hat das damals im Falter sehr treffend eine „florale Reise um den Tag in 80 Welten“ genannt. Im aktuellen Nachwort erfreut sich Petra Ganglbauer zu recht an der „poetischen Fülle“ dieser Aufzeichnungen, und am beobachtenden Ich, das „alles hereinholt, was es mit seinen Sinnen zu erfassen imstande ist“. Und man kann tatsächlich lernen, wie der Diebstahl von Topfpflanzen am besten zu bewerkstelligen ist. Die vielleicht allerwichtigste Botschaft: „Wenn du etwas anderes tust als das, was dir Freude macht, machst du dich der Verweigerung schuldig“!

Karin Ivancsics: „Aufzeichnungen einer Blumendiebin.“ Klever Verlag

Was schreiben die Menschen, die für uns sprechen? Teil 1: Die Bitte um eine gute Sterbstunde.

Beginn einer kleinen Rezensionsreihe über KollegInnen der GAV.  Von Dominika Meindl

Martin Fritz: Die Vorbereitung der Tiere / Two Princesses

Für ein Bundesland zu sprechen, daraus machen Politiker einen Fulltime-Job – Martin Fritz aber baut die GAV Tirol aus, während er glitzernde Lesebühnen inszeniert, Poetry Slams hochjazzt, Literaturwissenschaft pflegt (Dr. Mag. Mag. Phil, prack!) und Bücher schreibt. Voilà die Überleitung!

„Die Vorbereitung der Tiere“ ist nicht einfach ein lieblos aus Kurztexten zusammenklabüsertes Manuskript, sondern gereifte Slam Poetry, die verschriftlicht für sich steht (und das lässt sich ja wahrlich nicht über alle Texte dieses Genres sagen; es muss ja auch nicht jede reale Performanz in Buchstaben gezwungen werden!). Diese Sammlung ist also schon alleine ein Geschenk für alle, die diesen gleißend intelligenten Blödsinn noch einmal im Stillen nachlesen wollen. Oft hat man dem Fritz auf der Bühne zugehört und sich gewünscht, das soeben Gehörte und Verklungene gleich memorieren und bei Gelegenheit in klugen Konversationen zitieren zu können!

Hier gibt es Fußnoten zuhauf, darin eigene Erzählungen. Hier verbinden sich moralisch höchstwertige, ernsthafte Anliegen mit akademischem, elegantem Unsinn. Wenn Fritz nachweist, dass der Tiger sich für Innenarchitektur interessiert, möchte man ungern widersprechen. Oder: Der Biber „wird nicht umsonst, um an dieser stelle auch ein persönliches urteil abzugeben, er wird nicht umsonst als der helmut berger des tierreichs bezeichnet“. Die Biene etwa ist eine Dilettantin, die es gut meint. „es darf nur nie jemand etwas in die hände bekommen, das nach der art der biene gemacht ist, oder der schwindel wird gewahr.“

Neben den proaktiv anthropomorphisierenden Tierberichten erzählt Fritz von seinen Leidenschaften (Schneefräsen auf dem Balkon, so ist das halt in Tirol), Schnapsideen beim Kiffen (unter Einbeziehung von Amphibien), Abenteuern mit Installateuren (eine eigene Welt), Philosophisches zur Zeit, aber ohne Hegel (wie Pralinen bewusst ohne Schokolade) und zutreffende Klagen über Nachkriegsadventkalender, in denen die Generation X zum Beten für eine gute Sterbstunde angehalten wurde: „Wir haben ja nichts gehabt!“

„Bier ist ein Quell nur einer Freude: des Trostes, dass, wenn gar kein Bier vorhanden ist, immerhin auch kein Corona da ist.“ Ist es falsch, Fritz den Max Goldt von Innsbruck zu nennen? So doof kann jedenfalls nur der wirklich Gescheite sein. 


 

Nicht unerwähnt darf die jüngste Hervorbringung Fritzens bleiben: In der ganz und gar einzigartigen Broschüre „Two Princesses“ setzt er sich mit dem Phänomen der Produktkönigin auseinander, was speziell für uns Menschen rund um das Eferdinger Becken höchst relevant ist (#puppingergemüseprinzessin). Er nennt sie „elegante zeuginnen untergegangener industrie“ mit Verbindung zur späteren Popkultur. Die Untersuchung hat immens viel über Vergangenheit und Zukunft der Weiblichkeit zu sagen. Theoretischer Bonus: Einsichten über „diese vielleicht letzte generation von menschen, deren leben im netz nur eine einzige spur hinterlassen hat: wie schön ist es, über sie so wenig zu wissen.“ Er wundert sich darüber, wie leicht ein Produkt wie Safran von Afghanistan nach Europa kommt, und wie schwer ein Mensch.

Martin Fritz: "Die Vorbereitung der Tiere". Edition Laurin. „Two Princesses (Queens, Pt. III)“ ist in Form einer Lecture Performance hier zu sehen: https://youtu.be/NwDo4WsCSGg

Kritik an der Literaturkritik ist im Kommentarteil nicht nur möglich, sondern erwünscht! 

Donnerstag, 15. April 2021

 Eine Rezension meines neuen Romans 'Ricardi', von von Helmuth Schönauer:

Ricardi

Bei der Planlosigkeit, mit Menschen in einer konsumorientierten Gesellschaft oft ihr Leben starten, ist es geradezu verwunderlich, wie viele davon später irgendwie das Sterbebett erreichen. Die meisten freilich enden ziemlich weit weg von ihren Träumen.

Dietmar Füssel erzählt in seinem Roman „Ricardi“ von drei sogenannten Knalltüten, die in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in der Provinzmetropole Wehrstadt eine Künstler-WG aufmachen. In einem Roman des Scheiterns wird gezeigt, wie ein Schriftsteller, ein Maler und eine Sängerin noch während ihrer Künstlerpubertät von der Kunst abgewehrt und ausgeschieden werden.

Es sind nämlich keine sogenannten Türhüter, die darauf achten, dass niemand Falscher in den Kunstbetrieb einsteigt, sondern es sind die Helden, die sich selbst nicht in die Augen sehen können und deshalb auch keinen wahrhaftigen Blick auf die Kunst zusammenbringen.

In der Rahmenhandlung räumt der Icherzähler Poschpischil den Keller auf und entdeckt Notizen zu einem Ricardi-Roman, den er als Student hat schreiben wollen. Ricardi ist der Namensgeber einer Gasse im kleinen Wehrstadt, er dürfte vor Jahrhunderten durchgereist sein und hat eine so starke Wirkung hinterlassen, dass seine Werke im Lokalmuseum hängengeblieben sind.

Wie es sich für das Aufräumen gehört, setzt sofort die Erinnerung ein, wenn man ein Stück davon in die Hand nimmt. Sofort tauchen die Geschehnisse rund um die WG auf, die Absteige war selbstverständlich zu teuer, so dass man zu Zwangsfreundschaften gezwungen war. Der angehende Maler Baccu und die angehende Sängerin Marie müssen einziehen, damit die Kosten für den einzelnen sinken. Der Erzähler versucht sie in sein Romanprojekt zu implementieren, damit wenigstens ein Hauch von Gemeinschaftssinn entsteht. Aber die Zentrifugalkräfte sind zu groß, die Künstler-WG implodiert in Wahnsinn.

Das ist zumindest beim Maler wörtlich zu nehmen, der nach einigen LSD-Aktionen in den Wahn verfällt, dass seine Bilder begehbare Räume sind, aus denen Greifarme des Schreckens herausragen. Selbst die simple Kellertür wird durch Halluzination zu einer Pforte, die stracks in die Zeitlosigkeit eines schlecht gemalten Fegefeuers führt.

Marie, die eigentlich Eduarda heißt, hat hingegen hat Probleme mit Männerbekanntschaften, welche der Erzähler regelmäßig als Arschlöcher empfindet, da er vielleicht selber eines ist und gegenüber Frauen den Verschreckten gibt.

Als der LSD-Maler in eine psychiatrische Anstalt kommt und Marie mit einer Bekanntschaft verschwindet, löst sich die WG auf. Mit dem Studium ist es nichts geworden, mit der Kunst auch nichts. Die einzig richtige Antwort auf das allgemeine Desaster ist die österreichische: Verdrängen und Vergessen.

Aber zum Österreichischen gehört es auch, dass alle einen Keller haben, worin die Vergangenheit eingesperrt ist. So sehr kann man gar nicht aufpassen, dass nicht eines Tages der Keller aufgeräumt wird und die Geschichte erneut explodiert.

Poschpischil versucht möglichst wertneutral seinen Romanversuch als echten Roman zu lesen, in dem bekanntlich eine eigene Realität zur Anwendung kommt. Beim Durchstöbern der Notizen verschwinden allmählich die Fixpunkte der Erinnerung, vielleicht hat es die WG gar nicht in der Realität gegeben und alles war von vorneherein ein Romanprojekt?

Um eine gewisse Linearität in die Erinnerung zu bekommen, macht der Erzähler etwas, was man vor allem bei Liebesbeziehungen und gescheiterten Verhältnissen nie tun darf: Er geht der Sache nach dreißig Jahren noch einmal nach und sucht Marie, von der er eine vage Adresse hat. Tatsächlich öffnet sie auf sein Läuten hin und erscheint gespenstisch abgemagert und verängstigt an ihrer Wohnungstür. Ihr Mann ist wie prophezeit ein Arschloch und schlägt sie, aber sie kann nicht weg, weil es ja kein Roman ist.

Jetzt ist allgemeine Traurigkeit angesagt, die Künstler unter dem Stern von Ricardi haben der Reihe nach versagt. Gut für die Kunst, aber schlecht für das Heldenleben.

Dietmar Füssel reizt das Genre Künstlerroman absurd genau aus, indem er vordergründig mit Klischees spielt, die bei genauerer Betrachtung mit Kunsttheorie gespickt sind. Wenn man an diesen Klischees kratzt, tut sich die pure Banalität auf, die aber wunderbar geeignet ist, um einen üppigen Sinnlichkeitskosmos zu entfalten. Der Roman endet als wundersame Würdigung des Scheiterns. 

Dietmar Füssel: Ricardi. Roman.

Klagenfurt: Sisyphus 2020. 152 Seiten. EUR 14,80. ISBN 978-3-903125-53-7.

Dietmar Füssel, geb. 1958, lebt in Ried im Innkreis.

Helmuth Schönauer 19/11/20

 


Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...