Zu Herbert Christian Stögers Textsammlung „partibus“
le cygne sur le lac fait le scorpion à sa manière
Picasso
Herbert Christian Stöger ist seit Jahr und Tag als bildender Künstler und Schriftsteller zugange. Oder vice versa. Eine Professionskombination, die so manche(r) in sich zu einen versteht. Man denke an Größen wie Richard Wall, Dürrenmatt, Leonora Leitl, Adalbert Stifter, Unica Zürn, die Oppenheim oder Picasso. Mit letzterem teilt Stöger seine Anverwandlung einer Tradition der literarischen Avantgarde. Dass er sich für jene der Lesbarkeit entschieden hat, sollte ihm nicht allein dadurch vergolten bleiben, dass man in Talmesch, Heltau oder, meinetwegen, Großscheuern regelmäßig Rosenkränze für sein Seelenheil herunterbetet. Seine Bücher sind es wert auch gekauft und gelesen zu werden.
Jetzt also „partibus“ – was notabene nix zu tun haben will mit Party-Bus. Einhundert Teile und einer an Text-Miniaturen – nähme man des Autors launige Vita hinzu, wären einhundertzwei zu zählen – zu einem handsamen Werk im Brevier-Format gebunden, vorstellbar unter der Soutane zur, von Borchardt besorgten, gemeinverständlichen Ausgabe des Marxschen Kapitals passend tragbar. Begleitet werden die Texte von Poemen, sachdienlichen Bekundungen weiß auf schwarz, sowie Wiedergaben von graphischen Arbeiten des Künstlers.
Wer sich als Nicht-Canidenaffiner hin & wieder fragt, warum man Hunden Kauknochen wirft, findet sich mit der Erklärung abgespeist, das Zeug trainiere die Muskulatur. (Wer wollte aber auch, dass seinem putzigen Pitbull die Beißkraft erschlaffe?) Könnte es sein, dass uns der stupende Autor Quasi-Kauknochen (nicht in Biskottenform freilich, sondern) als portionierte Prosaminiaturen darbietet? Um uns ins Fabulieren von Fikta wie Fama einzugewöhnen? Das Weiterspinnen von Geschichtenausgängen anzustoßen? Dann wäre es wohl mentalmedizinisch angezeigt, HC Stögers Elaborate rezeptfrei und großzügig zu verabreichen. Nicht nur durch die hochnotwendigen Einrichtungen der literarischen Grundversorgung (wie der GAV). Gerade in Zeiten grassierender Radikalverhunzung.
Lässt man sich auf diese Texte ein, mehr noch: lässt man sich in sie fallen, irritieren sie Erwartungsroutinen fulminant. Oder verhageln einem das Resümee rekapitulierenden Nacherzählens durch lapidare Schlusssätze à la: „Nichts ist geschehen. Niemandem wurde ein Leid angetan.“ Man weiß spätestens seit Ror Wolf, dass die Beschreibung einer Idylle den Verdacht aufdrängt sie falsch zu deuten, bei gleichzeitig bestehender Unsicherheit, auch hierüber einem Irrtum zu erliegen.
Man kann also nie genau wissen, woran man ist. Was eine surreale Auffassung von Wirklichkeit evoziert. Oder, mit Ginka Steinwachs gesprochen: „Der Mensch ist das einzige Wesen, das Wirklichkeit simuliert und sie glaubt.“
Beispielgebend erwähnt seien die Geschichte, die nach dem Motto „Wie man sich bettet, beeinflusst den Lauf der Welt“ abläuft (6), die Offenbarung über die Folgen der Verfreundung mit Nachbarn (13), die Schilderung des Schmetterlingseffekts, den Orgeltöne auslösen (26), eine Hommage an die gothic novel (35), die Rehabilitierung des literarisch-untoten Doppelgängermotivs (37), schließlich eine Warnung vor dem Innenleben von Häusern (68), als wäre es als Wink gedacht, Danielewskis House of Leaves wieder einmal (lesend) zu besuchen. Dass es viele Varianten gibt eine vielversprechende Beziehung zu verdeichseln, ruft einem jener Text ins Gedächtnis zurück, in welchem der Protagonist sich selbst begegnet (56) – schon setzt einem Walter Benjamins Definition von Glücklichsein zu! Wie hieß gleich noch jener Dichter, der die Empfehlung aussprach: „Erinnern Sie sich daran, mich zu vergessen“? Text 84 lässt einen an eine bildende Künstlerin mit russischem Akzent denken, die diesen Satz zitierte.
Mutet manches als Skizze zu einer Filmszene an, findet sich anderes ähnlich Traumgesichte gestaltet. Es ist davon auszugehen, dass der Autor „Entr’acte“ von Renè Clair kennt. Ebenso scheint er mit Lautréamonts Aperçu, das vom zufälligen Zusammentreffen einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch handelt, vertraut.
Meret Oppenheim notierte: „A la lisière du bois un chasseur égaré demande aux cerfs un verre d’eau.“ Auch eine Beobachtung, von der sich denken ließe, sie würde unter den Sensitiven einem HC Stöger genauso unverwandt zuteil.
partibus
Herbert Christian Stöger
Herausgegeben von edition fabrik.transit 2021
ISBN 978-3-903267-25-1
© Bernhard Hatmanstorfer