Dienstag, 15. Dezember 2020

Vorbeugende Verbeugungen

Zu Herbert Christian Stögers Buch „VON HIER bis bald“

„Wer findet hat nicht richtig gesucht.“ Aglaja Veteranyi [Hier Himmel. Postkartenset]

Dünkt man sich in der subtilen Bevorzugung bevorteilt, den Hervorbringungen aus Herbert Christian Stögers Schaffenskunst in bekömmlicher Dosierung teilhaftig zu werden, vermag man unter gewissen Umständen der Vorstellung sich ergehen, in welchem Aggregatzustand des Autors, Fotografen, Redakt- wie Organisators sowie Hin- u. Herreisenden, kurz: des Multi-Kulti-Künstlers Werkausgabe letzter Hand dereinst einmal daherkommen wird. In der Darreichungsform stimulierender Pastillen, die man, wie saure Drops, nicht wirft, sondern zutzelt? Als Fluidum, in das man sich vermittels irgendeines Gadgets einwickelt? Als Prachtausgabe wie einstens Unica Zürns komplette Werke in Oasenziegenleder gebunden? 


Soll bis dahin ruhig noch Zeit vergehen. Unterdessen hat er ein weiteres Buch fabriziert. Und straft damit Koeppens vorgelebtes Diktum Lügen, es habe irgendwann im Literaturzirkus damit sein Genügen zu haben, dass man sein nächstes Buch ankündigt & ankündigt und aus. (Dem Vernehmen nach hat der Gute aber auch keine Gute in Pflege, die ihn von der Obsorge fürs eigene Schrifttum fernhielte.) 

Da ist es also. Und es empfiehlt sich schon vom Format her. (Was gehen uns mittlerweile diese gewichtigen Coffee-Table-Bücher renommierter Verlagshäuser auf den Keks, zu denen ebenso renommierte Designer Beistelltische als Beigaben entwerfen!) Ein Buch wie eine Grabplatte – nein danke aber auch, nölt man da als Connaisseur und verspricht feierlich (im Beisein einer Zeugin), demnächst auf die Gesundheit des Autors anzustoßen. (In effigie desselben notgedrungen mit selbiger Zeugin.)

Was heißt lesen? Sich eines anderen verschriftlichte Elaborate zu Gemüte führen? Dann wäre man mitunter besser beraten fischen zu gehen, legte man es darauf an gehaltvolle Erträge zu erzielen. Vor den Gefahren des Lesens warnte einst die Bücherstube Fessl in Linz (an einem Ort, an dem nun lombardische und andere originalregional-italienische Spezereien in Wachspapier geschlagen werden). Was diese Betätigung an Assoziationskaskaden so allerhand auslösen kann… Stichhaltigen Gerüchten zufolge sind Lesende zu allem fähig. Worunter auch produktives Missverstehen zu zählen ist. Also man liest etwas und fasst etwas auf, was so nicht geschrieben steht. Der Autor, der das Buch schreibt und der Leser, der es liest – auch wenn der Text hier mit dem Text da in eins fällt – der Leser liest dennoch nicht deckungsgleich das, was der Autor geschrieben hat. Kein Autor/keine Autorin würde sich deshalb ins Knie schießen, weil davon auszugehen ist, dass die Leserschaft seiner/ihrer Konzeption nicht in nuce zu folgen imstande ist. 

Es gibt den (literarischen) Text, der einen vereinnahmt, wie den, der für sich einnimmt. Es gibt das triviale und das ambitionierte Schreiben. Es gibt Worte, an denen man kiefelt und das allzu milde Satzgulasch ohne Flachsen. Es gibt die Bücher, deren Überraschungsmoment sich allein im Titel erschöpft (Beispiele: „Das Neue Buch“, „Die Verhaftung der Dunkelheit wegen Einbruchs“) und es gibt das Voynich-Manuskript, über dem man aus dem Grübeln nicht mehr herauskommt, schafft man es erst einmal hinein. Der blödsinnige Werbespruch kolportiert eine Wahrheit: Alles ist möglich. Und macht es damit nicht weniger kompliziert.

Autor Stöger bläut es einem nicht mit Eindeutigkeit ein. (Was heißt schon Eindeutigkeit, wenn womöglich nicht einmal das Datum stimmt? Zu Zeiten der Kalenderreform gingen bekanntlich ganze Tage verloren.) Dieses Buch ist eine hybride Angelegenheit, das mit Prosa im Flattersatz, hier: einer handlungsverbrämenden Ereignislosigkeitsschilderung à la Ror Wolf anhebt. Auf diese folgen – tja, was eigentlich: Gedichte? Klar, Stöger beherrscht „Die Kunst des Sonetts“, gleichwohl ohne sich der Verbissenheit zu ergehen, die jenem Avantgardisten eignet(e), der für einen gesellschaftspolitischen Befund dichtet(e), dem Alfred Hrdlicka Folgendes statuierte: „In der Bildenden Kunst ist die Neutronenbombe längst gezündet worden.“ Stöger hat nämlich Humor (und bevor man jetzt entsetzt die Hände vorm Kopf zusammenschlägt, wolle man eben diese Zuschreibung im Sinngehalt ihrer englischen Entsprechung nehmen). Der Effekt der Erheiterung sollte einen nicht genieren. Stöger schafft es Schüttel-Sonett mit Limerick zu verschwistern, was schöne Erinnerungen an den lyrischen Eskapismus Meret Oppenheims evoziert. Daneben wird man mit einem Potpourri wohlfeiler Mottos bedient, wie: „einen holzstoß als freund wählen“ – als wär’ man ein Scheit. Womöglich hält es der Autor mit Jonathan Meese: „Kunst ist Kampf gegen die Realität. Realität bringt mir nichts.“ Was in diesen epidemischen Zeiten auch als Vademecum verstanden werden könnte. 


Dem Buch fehlen Seiten, aber das ist Absicht. Erkühne man sich nicht zu behaupten, den fehlenden Seiten mangelte es womöglich an Gehalt! (Man erinnert sich, kein Geringerer als Christian Futscher, gewesener Gastwirt und wesender Dichter, trug anno dazumal beim Wettlesen in Klagenfurt leere Seiten vor – was auch als Hommage zu verstehen war.) Die Sache franst schließlich beschwingt in einer Räuberpistole aus, worin folgendes Beschreibungsjuwel platziert wird: „Niemand anders kannte er so gut wie sie ihn.“

Garniert ist das Buch mit fotografischen Arbeiten des Autors.

In der Populärmusikbranche hat man vor Jahr & Tag die überzeugende Unausgegorenheit, die die einschlägigen Charts stürmte, ein Konzeptalbum genannt. Möglicherweise liegt Stögers Buch so etwas Ähnliches zugrunde, nämlich ein Konzept, das demjenigen sich erschließt, bei dem es verfängt. 

Einem Buch den Autor/die Autorin beizupacken, zu allfälliger vertiefender Nachbesprechung ohne „Kunsterklärungslatein“(Robert Stähr), wäre zwar nicht unoriginell, würde sich aber trotzdem nicht überwältigend verkaufen. Martin Amanshauser hat einem seiner Werke den programmatischen Titel „Hunderttausend verkaufte Exemplare“ gegeben. Möge sich diese Perspektive auch dem Autor Herbert Christian Stöger eröffnen. 

(Bernhard Hatmanstorfer)


Herbert Christian Stöger: VON HIER bis bald

Wien, edition fabrik.transit 2020

ISBN 978-3-903267-23-7


Montag, 16. November 2020

„Man überlebt mehr, als man glaubt.“ Über Barbara Riegers Roman „Friss oder stirb“

Von Dominika Meindl

Schon im August erschienen und im September gelesen, nein – gefressen: Barbara Riegers zweiter Roman. In allen Rezensionen wird das Label "Coming of Age" bemüht, dabei ist die Protagonistin am Ende 37, da stimmte ja noch nicht einmal "middle age". In der Tat ist "Friss oder stirb" ein Entwicklungsroman, den die von ihrem Binge-Eating geheilte Anna in Rückblenden anhand ihrer Tagebücher erzählt. Passend zum Heranwachsen der Generation X steht jedes Kapitel unter dem Motto eines zeitgenössischen Songs – im Übrigen gibt's eine Spotify-Playlist als Begleitung zum Roman.

"Smells Like Teen Spirit" ist der fast schon logische Beginn. Anna ist 14 und hasst nicht nur ihren Körper, sondern ihr ganzes Leben. Grunge ist der perfekte Soundtrack zu Matheproblemen, zum Wunsch, anders zu sein und trotzdem dazuzugehören. (Was ist das eigentlich für eine Jugend, die jetzt mit aggro-sexistischem Deutsch-Rap aufwächst, herrjeh?) Alle tragen Wollwesten und Converse und Piercings, alle färben sich die Haare und wollen einzigartig sein.

Doch Annas Sorgen sind nicht banal. Da ist einmal der fehlende Vater und die schwierige Beziehung zur Mutter. Liebeskummer ist auch unvermeidlich. Und ganz grundsätzlich ist es keine kleine Herausforderung für eine junge Frau, mit Rollenerwartungen umzugehen. Die patriarchalen Ansprüche an einen Frauenkörper stecken immer noch tief. Jugendliche müssen dafür kämpfen, ihren Raum und ihre Stimme zu finden. "Wenn man keine Sprache, keine Wörter findet, dann spricht der Körper", sagt die Therapeutin. In Annas Fall entscheidet sich der Körper für eine massive Essstörung. Trotzdem hat sie Angst, "dass sie zu feig ist für eine ordentliche Selbstzerstörung". Ihr Bauch, den sie wie jede Frau als zu dick empfindet, "erinnert sie AN MEIN STÄNDIGES TOTALES VERSAGEN ALS MENSCH". Wer das als Teenie-Hysterie abtut, frage sich einmal, warum gerade alle Freundinnen Zuckerfasten oder Pilates betreiben. Anna hat in Sachen Selbstwert einen sehr, sehr weiten Weg vor sich.

"Wie siehst du dich eigentlich selbst" fragt die Diätberaterin dann. Wie ein faules, fettes schwaches Stück Scheiße, sagt eine Stimme in Annas Kopf, aber das will sie der netten Diätberaterin nicht sagen, "ein verwöhntes Kind", sagt sie, "das den Kindern auf der ganzen Welt das Essen wegfrisst."

Resilienz muss erkämpft werden, das Schreiben ist die Therapie. Das "Leben, weiß Anna, schreibt keine Romane", Rieger gelingt aber genau das, ihr glückt die Verbindung von Empathie und künstlerischer Distanz auf der Metaebene, der Bericht Annas klingt nie nach Selbsthilfeprosa. Und doch ist es sehr gut vorstellbar, dass "Friss oder stirb" genau der Roman ist, der Betroffenen tatsächlich hilft. Das ist ein erstaunlicher Spagat.

Das Ende ist nicht happy, aber gut, denn Anna „will keine andere mehr sein als die, die sie ist.“

Barbara Rieger: Friss oder stirb. Roman. Kremayr und Scheriau, 22 €


Chaos und Ruhe. Judith Gruber-Rizys neuer Roman ist eine sanfte Emanzipationsgeschichte

Von Dominika Meindl

 

"Seit Rosa in dieser Stadt K. Das Chaos erlebt hat, liegt über allem ein dunkler Schatten.“ Kurz vor ihrem 40. Geburtstag hat sie ihre Arbeit verloren. Grund genug für die zurückhaltende Journalistin, eine Auszeit zu nehmen und eine erste Zwischenbilanz ihres bisherigen Lebens zu ziehen. Sie fliegt nach Griechenland – aber weniger um Urlaub zu machen, sondern um sich einer nicht allzu lange zurückliegenden, immer noch quälenden Erschütterung zu stellen. Das Ereignis, das die posttraumatische Belastung ausgelöst hat, nennt Rosa konsequent „das Chaos“, ein bloßes „Erdbeben“ verharmlost es.

Zurück am Schauplatz reflektiert sie über die wenig nährende Beziehung mit dem Phlegmatiker Gerhard, an dem das „Chaos“ in der „Stadt K.“ spurlos vorübergezogen ist, und der nicht ganz versteht, was Rosa dermaßen aus der Bahn gebracht hat. Wie auch ihr dominanter Vater nicht, dessen passiv-aggressiver Übergriffigkeit sie noch viel zu viel Raum lässt. „Dieses eine Mal konnte und durfte sie nicht seine brave Rosa sein“. Generell glaubt sie, den Männern noch sehr verpflichtet zu sein. „Denn Rosa versteht immer alles, entschuldigt alles“.

Die Stadt K. selbst erweist sich aber, anders als im Titel suggeriert, als pittoresk, und auch an ihr scheint alles spurlos vorübergegangen zu sein. Allmählich kommt wirklich so etwas wie Urlaubsstimmung auf, vor allem, als sich eine Romanze mit dem Deutsch-Chilenen Luis anbahnt, der im selben Hotel logiert und ein Faible für Sonnenaufgänge am Strand teilt. „Und wer so frei im Raum schwebt wie Rosa, darf nach allem greifen.“ Doch auch in ihm schlummern ganz eigene Traumata und belastende Bindungen.

Gruber-Rizys Roman verhandelt das seelische Auf und Ab, Rosas Weg zu sich selbt in ruhiger, stilsicher Prosa, deren Rhythmus durchaus einem sanften Seegang entspricht. Man darf „Die schreckliche Stadt K.“ durchaus als Geschichte weiblicher Selbstermächtigung lesen, wenn auch als leise. „Rosa hat plötzlich den Eindruck, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt nie gesagt hat: Ich will!“

Judith Gruber-Rizy: Die schreckliche Stadt K. Edition Art Science, 198 S.

Die Autorin und die Rezensentin stehen einander schon alleine über ihre jeweiligen "Ämter" in der GAV OÖ nahe. Wir freuen uns über ein Feedback über den Objektivitätsgrad dieser Rezension im Kommentarteil!

 

Sonntag, 15. November 2020

Sprache der Macht. Warum wir uns gegen Message Control wehren müssen

Materialsammlung für Vorträge, Essays oder Workshops. Zusammengestellt und konzipiert von Dominika Meindl

 

Der Anlass

Jede Diktatur herrscht über die Etablierung einer zynischen, verlogenen Terminologie (schlimmstes Beispiel: „Untermensch“). Gegenwärtig dürfen wir es eine Nummer kleiner geben, sollten aber scharf aufpassen, welches Sprechen uns da schmackhaft gemacht werden soll. Allzu oft wird ja schon alleine das ästhetische Empfinden durch den „neuen Stil“ verletzt, aber das einmal nebenbei.

Da wir Autorinnen und Autoren nicht nur mit den Wassern der Ideologiekritik gewaschen sind, sondern tagtäglich mit Erzähltem arbeiten, erkennen wir die Machart von Narrativen schnell, wir riechen den Braten und erkennen schnell, welches Stück hier gegeben werden soll. So zumindest die Hoffnung...

Was SchriftstellerInnen und PolitikerInnen eint, ist – im Idealfall – die Achtung auf jedes Wort. Die Absichten sind jedoch zuweilen völlig gegensätzlich. Es ist eine noble Aufgabe der Literatur1, Propaganda als solche zu behandeln und sich gegen die Normalisierung aggressiver, populistischer Sprache einzusetzen.

Wer so wie wir mit Sprache arbeitet und um künstlerische Wahrhaftigkeit bemüht ist, registriert früh Verschiebungen in der Tektonik öffentlichen Sprechens. Das Unbehagen angesichts des uneigentlichen, gescripteten Sprechens ist groß. Um eine Krise im politischen Diskurs zu registrieren, braucht es mittlerweile kein allzu feines Sensorium mehr, wohl aber beim Widerstand dagegen. Die Politik zeigt in ihren Äußerungen ein hohes Maß an Bürgerverachtung. Je öfter die Phrasen „Transparenz“ und „auf Augenhöhe kommunizieren“ gedroschen werden, desto geringer ist der Sachgehalt des Gesagten. Das uneigentliche Sprechen der Macht ist nicht nur frustrierend, sondern gefährlich: Wenn niemand mehr zuhört, lässt es sich ungestört walten.

Die Literatur (wie die Kunst selbst) dient nicht der Suche nach einer objektiv zu erlangenden Wahrheit, kann aber in einer „neuen Normalität“ voller „alternativen Fakten“ und roboterhaft repetitierter „Messages“ nicht gedeihen.

Das erste Konzept wurde im März 2019 verfasst, in der Phase der türkisblauen Regierung und nach heftigen Protesten der Freien Szene gegen bedrohliche Sparmaßnahmen2 seitens der türkisblauen Landesregierung in Oberösterreich. Menschen, die in den Bereichen Kunst und Kultur arbeiteten, mussten die Lage als sehr bedrohlich empfinden. Die Landes-FPÖ versuchte, den rechtsradikalen Maler Odin Wiesinger in den Landeskulturbeirat zu setzen. Auf Bundesebene radikalisierte sich der Ton seitens der Regierung, am deutlichsten jener von Innenminister Herbert Kickl. Seine Rede von „konzentriert Anhalten“, „Ausreisezentren“, „Sicherheitshaft“ und „Arbeitspflicht“ ließen alle Alarmglocken schrillen. Dann wurde das Ibiza-Video veröffentlicht, die folgenden Neuwahlen veränderten das politische Sprechen deutlich, rechtsextremistische Parolen wanderten zurück in die Opposition. Die Voraussetzungen veränderten sich nach dem Amtsantritt der türkisgrünen Regierung – ganz besonders durch die Kommunikation in der Covid-Pandemie. Der Anlass für das Konzipieren einer Workshop-Reihe zum Thema blieb bestehen. Die Vermittlung der „Maßnahmen“ ist erhellend. Und leider richtet die rechtspopulistische Message Control weiter große Schäden an. Ein besonders empörendes Beispiel gab Bundeskanzler Kurz im September 2020 mit seinem Nein, Menschen aus den unzumutbaren Lagern auf Lesbos zu holen, was er als „flexible Solidarität“ bezeichnete. 2015 sei eine „Katastrophe“ gewesen. Außenminister Schallenberg sprang bei, indem er die inakzeptable Haltung als „realistischen Pragmatismus“ verbrämen wollte.

Der Protest gegen diesen rhetorischen Zynismus, gegen empathielose Herrschaftssprache ist Grundlage für diese Workshop-Unterlagen. Er dient keiner Partei, sondern der Politik. Und die hat wiederum uns allen zu dienen, dem Souverän: den Menschen, die in diesem Land leben. Im besten aller Fälle ist damit auch der Politik gedient – frei sprechen zu können ist selbst für die mit der Macht Betrauten ein erstrebenswertes Ziel. Kritik darf ja auch konstruktiv sein, und das bessere Argument darf durchaus gewinnen.

Unsere Überparteilichkeit ist wesentlich. Wir erachten das links-rechts-Schema als antiquiert, wir setzen uns für Solidarität ein. Die Grazer Autorinnen und Autorenversammlung stellt sich entschieden gegen Rassismus, Antisemitismus, Faschismus, Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und jedwede weitere Form der Diskriminierung.

Ausgangspunkt sind unsere Fragen: Mit welchen „Frames“ versuchen Regierende, den öffentlichen Diskurs zu steuern? Welche destruktiven Gesprächstaktiken (Whatabaoutismus, Touch Turn Talk etc.) wenden sie an? Welche Gegenstrategien können wir uns aneignen, um PolitikerInnen wieder davon abzubringen, wortreich nichts zu sagen, Kommunikation nicht als Verkaufsgespräch zu gestalten, die Desinformation und Politikverdrossenheit durch unendliche Wiederholung des Immergleichen weiterzutreiben?


Als Zielgruppen und KooperationspartnerInnen sehen wir Institutionen, Vereine und AkteurInnen im Bereich Kunst und Kultur, Schulen, Medien und Bildungseinrichtungen, weiters KollegInnen und Sprachinteressierte.




Kommunikative Kontrolle


Der Hebel des Workshops sitzt an der rhetorischen Technik, eine Botschaft konzentriert und kontrolliert auf allen Kanälen zu verbreiten: der Message Control. Das ist die Kunst, wortreich NICHTS zu sagen, bis auf die eigene Botschaft, die wird dafür so maßlos und stereotyp wiederholt, dass empfindliche Gemüter einen Würgreflex erleiden. JournalistInnen, PolitologInnen und KünstlerInnen kommt die groteske Aufgabe der Auguren zu, die aus den sinnarmen, orakelhaften Wortgirlanden das Gemeinte herauszulesen haben. Eine Interpretationsarbeit, wie sie die meisten von uns nur vom Deuten schwieriger, experimenteller Lyrik kennen. Schwer ist es, über die Phrasenflut keine Satire zu schreiben, es reicht schon fast, die Bausteine „Leuchtturmprojekt“, „Maßnahmen auf den Weg bringen“, „Standort“, „ein klares Bekenntnis meinerseits“, „auf Augenhöhe kommunizieren“ oder „Spielräume schaffen“ wahllos miteinander zu verbinden, dazu die obligate „Digitalisierung“, und fertig ist der Spott.3

Ohne rhetorisches und mediales Coaching wird spätestens seit den 1960er Jahren keine politische Fachkraft mehr auf das Wahlvolk losgelassen, was per se noch nicht verwerflich ist. Zum einen haben die „sozialen“ Medien öffentliches Sprechen zwar immens vereinfacht, zugleich aber sehr riskant gemacht, weil sie von Krawall profitieren – das ist die Ökonomie der Aufmerksamkeit. Einen Shitstorm fängt man sich bei ungescriptetem Sprechen sehr schnell, das muss sich logisch auf die Latenzzeit zwischen Denken und Reden auswirken. Zudem hat das Misstrauen gegenüber politischer Rhetorik eine lange Tradition und ist in den Nachfolgestaaten der NS-Diktatur auch besonders angezeigt. Aber warum soll die Kunst der Rede nicht der guten Sache dienen? Mit Worten Macht zu erlangen und diese auszuüben, ist politisch legitim. Ohne Macht keine Politik. Wo diese aber zum Populismus wird, ist Protest Pflicht.

Der Missbrauch der Rhetorik ist wohl so alt wie die Sprache selbst. Im Zusammenhang mit unseren Überlegungen steigen wir mit der ersten Schwarz-Blauen-Koalition ein, konkret beim damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der sich als glühender Fan der neurolinguistischen Programmierung zeigte, durch besonders ungeniertes Nichtbeantworten journalistischer Fragen auffiel und sich selbst als „Ich-AG“ und Marke zu etablieren versuchte. Die FPÖ bedient sich sehr deutlich der „neurolinguistischen Programmierung“ (NLP), ein Set psychologischer Taktiken, die bei den ZuseherInnen bestimmte, hauptsächliche negative Assoziationen verankern sollen.

Der Schritt zur Message Control ist nun nicht mehr weit. Die aktuelle Regierung steht rhetorisch in dieser Tradition, beherrscht aber statt allzu plumper NLP exakt kalkuliertes Botschafts-Marketing. Das türkise Regierungsteam wird nicht mehr von PolitikberaterInnen oder gar GeisteswissenschaftlerInnen begleitet, sondern besetzt die Kommunikationsstellen mit Verkaufs-ExpertInnen, die ihnen das „Wording“ designen.

Die Strategien der Message Control4:

  • Agenda Setting“ (wir bestimmen, worüber geredet wird). Die Botschaft wird versteckt in einer möglichst guten Geschichte („Story Gold“).

  • Touch, Turn, Talk“: Danke für Ihre Frage! Lassen Sie mich zunächst auf etwas anderes eingehen.“ Den Trick nennt man auch „Bridging“ – das Thema wird kurz behandelt und dann als Überleitung zur Agenda missbraucht. Gesundheitsminister Anschober ist auf diesem Gebiet zum Meister geworden.

  • Whataboutismus“ zum Ablenken von Kritik: „Was ist mit linker Gewalt, hä?“ Oder: Kurz vermutet am Tag nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos Tal Silberstein als Drahtzieher; nach Abschiebung dreier Kinder beschuldigt Innenminister Nehammer die Eltern.

  • Framing“: Sprechen mit manipulativen Bildern, um den Rahmen des Diskurses einzuengen. 2015 ist das Jahr der „Flüchtlingswelle“, einem bewusst gewählten Begriff, um die Not fliehender Menschen zu verdecken und zur Naturgewalt zu degradieren, gegen die man sich natürlich zu schützen hat. Von daher rührt auch das Mantra „Klima und Grenzen schützen“ bei der Vermarktung der türkis-grünen Koalition; eine gefährliche und unzulässige Gleichsetzung. Weitere Beispiele: „Klimahysterie“, „soziale Hängematte“, „Leistung muss sich wieder lohnen“, „Schuldenpolitik“ (als ob das Hauptproblem nicht die Deregulierung der Wirtschaft wäre).

  • Wiederholung der „Catch Phrase“ bis zum Erbrechen. Siehe: „Balkanroute schließen“ im türkisen Wahlkampf 2017 vor der Koalition mit der FPÖ. Die Härte versteckte sich bei Verkündung des Wechsels zum Grünen Koalitionspartner hinter Phrasen wie: „das Beste aus beiden Welten“ und „Grenzen und Klima schützen“ bei Verkündung der Koalition mit den Grünen.

  • Angriffe gegen die Person sollen KritikerInnen und JournalistInnen aus der Fassung bringen: Im Präsidentschaftswahlkampf wurden vom Team Norbert Hofers auf Facebook gezielt Gerüchte gestreut, Alexander van der Bellen sei dement. Der schwerreiche Jörg Haider liebte es, seinen Interview-GegnerInnen ihr ORF-Gehalt auf Täfelchen vorzuhalten.

  • Mikro-Targeting“: Zeige jeder Zielgruppe nur das, was sie sehen will. Wie zum Beispiel Andreas Rabl, Bürgermeister von Wels, der sich im Feuilleton als Kunstexperte präsentiert und auf Facebook Migrationspanik schürt.

  • Machtdemonstrationen bei direkten Treffen: Von der Sekretärin den Termin verschieben lassen, zu spät kommen, mit großem Stab auftreten, „Quick Wins“ anbieten, also Entgegenkommen da, wo es am allerwenigsten kostet.


Die Journalistin Barbara Tóth hat gemeinsam mit dem Kommunikationsexperten Walter Ötsch die zehn Schritte der Diskurszertrümmerung5 beschrieben (ergänzt und erweitert von DM).

  1. Das Verstecken der „Hidden Agenda“: Eine „Verschwörungstheorie“ wird gebastelt – anhand eines vermeintlichen Belegs wird die eigene Botschaft in den öffentlichen Diskurs geschmuggelt, zum Faktum zurechtgedreht, damit zum Thema und im Idealfall zum Pseudo-Skandal in Boulevard und sozialen Medien. Das offen Gesprochene kommt wie das Gegenteil der versteckten Botschaft daher, wenn etwa ein Politiker sagt, „ich bin gegen politische Einmischung!“6

  2. Stay on the Message!“ Halte dich an das Manuskript! In Interviews die allgemein gehaltene Kernbotschaft mindestens drei Mal wiederholen, völlig ungeachtet der Frage. Bei Nachfragen behaupten, das doch schon mehrfach erklärt zu haben, Ungeduld andeuten.

  3. Kontrolle über das Gespräch erlangen, ModeratorIn das Heft aus der Hand nehmen. Das funktioniert über „Prozesskommentare“ auf der angemaßten Metaebene des Interviews, der Befragte dreht die Rangordnung um, indem er zwischen Inhaltsebene und „Prozessebene“ hin- und herwechselt, und dabei ein echtes Gespräch verhindert.

  4. Whatabaoutismus“, Ablenkung bei Angriffen: bei unangenehmen Fragen sofort Ausweichmanöver starten, in die Opferrolle schlüpfen und nicht-antworten, indem man sagt, wie offen man für harte Fragen sei.

  5. Direkte Angriffe auf die Fragenden: Den Gegner mit persönlichen Untergriffen desavouieren, gerne mit Schlagworten wie „Lügenpresse“, „Mainstreammedien“, „Rotfunk“; Gegenargumente als Propaganda abtun. Trump war hier immens erfolgreich, seine Strategie, wenn man ihn zu Recht der Lüge zieh, war sinngemäß: „Seht euch an, wer das sagt, kein Wunder, dass sie gegen mich sind“.

  6. Überhöhung der eigenen Person: mit Kontakten und prominenten UnterstützerInnen prahlen. Rechtspopulismus funktioniert durch Überhöhung der führenden Person; MinisterInnen agieren wie Jünger gegenüber dem Heiland.

  7. Verbünden mit dem Publikum: man wendet sich direkt an den „einfachen Mann“, an „die Menschen da draußen“, an die Steuerzahler.

  8. Behaupten, nie Teil des Systems gewesen zu sein: „Dafür war ich zu jung, das ist ein Erbe der rot-schwarzen Koalition.“ Rechtspopulisten setzen auf Gefühle und bieten sich als Alternative zum „Filz“ an.

  9. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Dazu mehr im Kapitel zur politischen Korrektheit. Nur so viel: Die Versuche, Institutionen wie die Sozialpartnerschaft, den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder gar die unabhängige Justiz und die Genfer Flüchtlingskonvention zu behindern oder gar zu zerschlagen, funktionieren am besten über den Hinweis, dass man darüber ja wohl nachdenken dürfe, der „neue Stil“ lehne „Denkverbote“ ab.

  10. Arbeit mit der gewonnenen Aufmerksamkeit: Erfolgreiche Kampagnen brauchen nicht nur Inserate, eigene Kanäle, sondern Präsenz in „Earned Media“, in von unabhängigen JournalistInnen generierten Beiträgen. Hier gilt: Empörung schadet gar nicht.


Intention und Taktik der Message Control7 kann der guten Sachen nicht dienen, weil sie kein gutes Mittel ist; kein gutes, aber leider ein erfolgreiches. Das Wiederholen von zuvor ausgeklügelten, von Marketing-Fachkräften abgetesteten Schlagworten in immer gleicher Form verlangt den Anwendern dieses Herrschaftssprechens einen guten Magen ab. Bernhard Horwatitsch, Dozent für Recht und Ethik, nennt den Jargon der Herrschenden „Sprachmuster, die für die Bewältigung von Aufgabenroutinen immer wieder benutzt werden“. Politiker-Sprech sei ein „Sprachstil, der sich an keinem widerstrebenden Material mehr zu erproben hat“, nach Adorno also die Negation von Stil. Noch pointierter Armin Thurnher8: „Message Control bedarf eines gewissen Willens zur Dürftigkeit. Man darf sich nicht genieren, zum siebenhundertsten Mal 'Das Beste aus beiden Welten' zu sagen.“

Der Diskurs hat sich in den vergangenen Jahren deutlich nach rechts verschoben. Den Worten folgen augenscheinlich Taten. Oberösterreich ist 2020 erneut nationaler Spitzenreiter bei rechtsextremen Delikten, Landeshauptmann Stelzer antwortet auf Protest dagegen, er sei gegen „Extremismus von beiden Seiten“. Noch viele Stufen schlimmer ist der indiskutable Donald Trump, der diese Phrase verwendete, nachdem ein Neonazi mit seinem Auto Gegendemonstrantinnen getötet hatte. Es ist wichtig, sich diesen vorgegebenen Rahmen nicht aufdrängen zu lassen. Die Journalistin und Autorin Kübra Gümüsay bringt das auf den Punkt: „In dem Moment, in dem ein Begriff wie 'Gutmensch' zur Beleidigung wird, blicken wir auf die Engagierten und die Toleranten durch die Brille der Rechten.“

Angesichts des Rechtsrutsches und der gesellschaftlichen Normalisierung rechtsextremer Aussagen wurde die Phrase „Wir müssen die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen“ sprichwörtlich. In leicht abgeschwächter Form sagte – das als Beispiel – das der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Demokratie verlangt Respekt und die Bereitschaft zum Kompromiss.“ Sehr zu recht verweist Horwatitsch darauf hin, dass hier nicht von „Kompromiss“ die Rede sein dürfe, denn das bedeute einen Verzicht der Streitparteien auf Teile ihrer Positionen. „Wenn einer Krieg will und der andere nicht, führen wir dann ein bisschen Krieg? Wenn einer foltern will und der andere nicht, foltern wir dann ein bisschen?“ Hier werde, so Horwatitsch, „die Kontrolle der Herrschenden sichtbar“: Klingt anheimelnd, dass sich die Mächtigen mit unseren Gefühlen beschäftigen – tatsächlich werden sie aber dafür gewählt und bezahlt, also mögen sie bitte ihren Job machen und uns nicht mit ihrer „Verkaufspolitik“ behelligen. Deren Markenzeichen sind verlogene Begriffe wie „Pflegenotstand“, „Sicherung der Altersvorsorge“, „Zuwanderungsproblem“, ihre verheimlichte Absicht ist es aber, der „kapitalistischen Verwertungsindustrie“ zu dienen. Noch ein zynisches Beispiel: Man kürzt den Pflegekräften in Rumänien oder der Slowakei das Kindergeld und nennt das „Indexierung der Familienbeihilfe“.

Message Control nervt nicht nur, sondern verursacht Politikverdrossenheit. Das gefährdet die Demokratie – und treibt klassische Medien weiter in die Krise, weil niemand mehr die sinnarmen Worthülsen lesen oder hören mag. Man muss nicht Habermas und seine Diskursethik (Demokratie ist Diskurs) studieren, um hier Sorgen zu entwickeln. Die aktuelle Rhetorik legt den öffentlichen Diskurs lahm und verhindert das demokratische Ausverhandeln von Interessen.

Die Sprache in der Politik ist ganz besonders zu behandeln und zu beachten, weil in ihr Sprechen und Handeln in eins fallen (vgl. „Kavalleriepferde beim Hornsignal“ von Erhard Eppler). Sätze sind mehr als ihr vermeintlicher Wahrheitsgehalt, sie sind Handlungen, die Folgen haben.


Cyber-Propaganda und mediale Steigbügelhalter


Message Control erfüllt nicht nur einen propagandistischen Zweck, sie verspricht auch einen gewissen Schutz. Der öffentliche Ton ist – den Begriff „soziale Medien“ Lügen strafend – sehr viel rauer geworden. Den besoffenen Krakeeler unter dem Wirtshaustisch haben einst nur die anderen Gäste hören müssen, heute kann er sich (zum Glück nur theoretisch) global Gehör verschaffen. „In der gigantischen Öffnung des kommunikativen Raums ist jeder zum Sender geworden“, schreibt Bernhard Pörksen. Die Furcht vor dem nächsten Shitstorm muss sich logisch darauf auswirken, wie PolitikerInnen sprechen. In Zeiten galoppierender Verblödung reicht es ja schon, wenn der soeben angelobte grüne Vizekanzler dabei fotografiert wird, wie er einen Burger isst.

PolitikerInnen profitieren aber mit etwas Geschick immens von der redaktionell nicht betreuten Verbreitungsmöglichkeit über Facebook & Co. Seit sie über ihre sozialen Kanäle ihre Anhänger direkt und ungestört erreichen können, sind sie bei der Verbreitung ihrer Botschaften nicht mehr auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder unabhängige Medien angewiesen. So klappt die Inszenierung viel leichter.

Die klassischen Medien sind aus der Schuld nicht zu entlassen, bringen doch auch die entwürdigenden Methoden des Boulevards Personen des öffentlichen Interesses schon lange dazu, wortreich nichts zu sagen. Die Rolle der Presse gäbe genug Stoff für eine eigene Workshop-Reihe ab, ganz besonders in Österreich, wo die Medienlandschaft eher einer Wüste gleicht. Über die unselige Rolle des Marktführers „Kronenzeitung“ ließe sich lange sprechen. Selbstreflexion schadet auch seriöseren Redaktionen nicht. So hat der „Kurier“ unter der Leitung von Chefredakteurin Martina Salomon überdeutlich die Rolle des Verlautbarungsorgans der türkisen Regierungsmitglieder übernommen.

Es gibt sehr viel mehr PR-Experten als Journalisten“, stellt der Medienforscher Stephan Russ-Mohl fest9. Im Kontext unserer Überlegungen greifen wir nur auf, was Florian Scheuba im Falter sehr treffend als „Zudeckungsjournalismus“ bezeichnet, der sich mit den Interessen der Herrschenden gemein macht und die LeserInnen offen manipuliert. So wird der Untersuchungsausschuss, der dem Vorwurf der Käuflichkeit türkis-blauer Regierungsmitglieder nachgehen soll, in „Kurier“, „Krone“ oder „Österreich“ wiederholt als „Hick-Hack“ oder „Schlammschlacht“ denunziert. Von großem Übel sind auch Interviews, die nicht viel mehr sind wie ein seichter Teich, in dem die Herrschenden aufs Stichwort ungehindert die aktuellen Botschaften ablaichen dürfen (das ist jetzt sehr polemisch formuliert, wir entschuldigen uns sofort wieder). Man darf es nicht allein Armin Wolf überlassen, den Wortstrom ab und zu mit einem „Was heißt das jetzt wirklich?“ oder „Das war nicht meine Frage“ zu stören.


Corona: Neu-Normalitäts-Sprech10

Es gibt diese große Lust an der täglichen Pressekonferenz durch die Dreifaltigkeit aus Oberster Macht, religionspädagogisch klingender Vernunftappelle und martialischer Sicherheitsdurchsagen. Es ist kaum übertrieben zu sagen, dass Bundeskanzler Kurz durch seine Inszenierung als oberster Krisenmanager die Informationskanäle verstopft. Über die sozialen Medien erreicht er mehr Menschen als über den ORF, und das – wie bereits gesagt – unbehelligt durch Kritik.11 Besonders problematisch ist, wie viele an sich unabhängige Medien seine Terminologie bewusst oder unbewusst übernehmen, das geht von den ChefredakteurInnen abwärts. Immerhin stellt Christoph Kotanko in den OÖN fest: „Corona-Politik: Zählt das Erreichte oder reicht das Erzählte?“12

In einem an die Öffentlichkeit gelangten Sitzungsprotokoll der „Taskforce Corona“ sprach sich Sebastian Kurz dafür aus, die Bevölkerung mit drastischen Aussagen zu ängstigen. In Erinnerung geblieben ist etwa sein Satz "Jeder wird bald jemanden kennen, der an Corona verstorben ist" und die Rede davon, dass mit 100.000 Toten zu rechnen sei. In der Pandemie setzten er und sein Team auf martialische Rhetorik, siehe die „Lebensgefährder“ von Innenminister Nehammer. Was im Wahlkampf die überstrapazierte „Balkanroute“ war, wurde nun zu „neuer Normalität“, „systemrelevant“ (was immer an ein Gegenteil denken lässt), oder „kulturverliebt“. „Lockerungen“ und „Verschärfungen“ wurden so inflationär und verwirrend synchron verwendet, dass man darüber einen beispielhaften Eintrag über „psychologische Doppelbotschaften“ schreiben könnte.

Die Balkanrouten-Leier war schließlich auch wieder für etwas gut. Als im Sommer die Infektionszahlen wieder exponentiell in die Höhe schnellten, sagte er: „Wir haben dann durch Reiserückkehrer, und insbesondere auch durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt." Verborgene Botschaft: Die Ausländer sind schuld an der europaweit höchsten Infektionsrate, nicht die mangelhafte Arbeit der Regierung. Nie ist davon die Rede, dass der Anteil der MigrantInnen an den „systemrelevanten“, schlecht bezahlten Jobs, die sich nicht im „Home Office“ erledigen lassen – in der Pflege etwa, sehr hoch.


Das Patriarchat im Journalismus

Gleichberechtigung ist nichts ohne entsprechenden Platz im öffentlichen Raum. Wenig überraschend werden alle, die nicht klar in die Kategorie „weißer Mann“ einzuteilen sind, vehement bekämpft, sobald sie den alten Platzhirschen ihr Territorium streitig machen. Wieder spielen die „sozialen“ Medien eine hässliche Rolle beim reaktionären Versuch, Frauen13 mundtot zu machen.

Sexismus ist eine klare Sache von Hierarchien und Machtmissbrauch, hier in der Kategorie „Patriarchat“. In unserem Zusammenhang relevant ist unter anderem die Boulevard-Terminologie. Ziel ist es, Verbrechen durch Sprache zu vernebeln und zu verharmlosen, und zwar fast ausschließlich jene von Männern an Frauen. Gegenprobe: Wie würde der Redakteur das Vergehen nennen, wäre es seiner eigenen Frau, Tochter, Mutter widerfahren? Hießen die Verbrecher dann auch noch „Sex-Täter“, „Strolch“ oder „Unhold“? Und was geht durch Kopf des Redakteurs der Kronenzeitung, wenn er verharmlosend-aufgeilend „Sex-Anklage“ schreibt, statt die Anklage wegen sexueller Belästigung einer jüngeren Mitarbeiterin durch einen Landtagsabgeordneten als solche zu benennen?14 Am widerlichsten ist das „Familiendrama“ oder das „Ehedrama“, wenn ein Mord stattfindet, der auch als „Beziehungstat“ noch unpassend klingt.


Mildere Formen von Sexismus:

Frauen sind in den handelsüblichen Medien eindeutig unterrepräsentiert. Um Einsicht in die Problematik zu gewinnen, empfiehlt es sich, die TeilnehmerInnen vor dem Workshop zu bitten, eine Woche lang das Verhältnis zwischen abgebildeten Frauen und Männern zu erheben. Am augenscheinlichsten funktioniert das im Sport- oder Wirtschaftsteil fast jeder Tageszeitung.



Hätte ein Mann gewonnen, wäre das Abschneiden der Damen den OÖN kaum eine Zeile wert gewesen. Und warum nicht gleich mit der Leistung der Damen beginnen?





Über die politische Korrektheit und rechte Wortfindungsfreude


Wer zu viele Meinungsbeiträge wertkonservativer älterer Herren liest, könnte über kurz oder lang den Eindruck gewinnen, dass die drängendsten gesellschaftlichen Probleme nicht Pandemie, Klimakollaps, Terror oder zunehmende soziale Ungleichheit ist, sondern die garstige Meinungsdiktatur der politischen Korrektheit. Auf allen Kanälen findet sich die Klage, dass man heutzutage gar nichts mehr sagen dürfe. Das Abendland sei gefährdet, weil in „Pippi Langstrumpf“ das N-Wort „ausgemerzt“ werde. Der Leidensdruck scheint sehr hoch zu sein, wenn man Sinti und Roma nicht mehr „Zigeuner“ nennen darf, „Zensur“ sei das, und was bitte ist jetzt falsch an „Asylant“!? Wer die Überempfindlichkeit jener Mitbürger erforschen möchte, die angesichts gendergerechter Sprache deren Schönheit zerstört sehen, bewegt sich nicht im Feld der Stilkunde, sondern der Psychologie (bzw. Psychopathologie). Wer sich in seiner Meinungsfreiheit beschränkt sieht, wenn er andere Menschen nicht mehr ungehemmt beleidigen darf, unterschreitet das Niveau, ab dem sich eine echte Auseinandersetzung überhaupt auszahlt – das ist einfach deppert.

Viel ist schon darüber gesagt worden, dass sich die BürgerInnen zusehends voneinander entfernen. Die Algorithmen von Facebook und Konsorten schließen uns unbemerkt in immer dichtere Echokammern, in dem nur noch zurücktönt, was man selbst gesagt hat. Das Denken und vor allem Fühlen innerhalb der eigenen Blase entlädt sich reflexartig in der Ablehnung des Anderen, mit dem man praktisch nichts mehr gemein hat. Das Regime „Teile und herrsche“ erledigt sich fast ohne offensichtliches Zutun der Herrschenden.

Die aufgeklärte, liberale Akademikerschaft muss sich zuweilen elitäres Wortgeklingel vorwerfen lassen, das die „Bildungsfernen“ ausschließen möchte. Wenn etwa allen Ernstes ein Kulturmagazin die „temporalen Bilokalisationen alternativer Singularitäten und heteronormativen Anthropozentren“ verhandelt, ist Schimpf angebracht.15

Da können aufgeklärte, akademische Menschen noch so viel Diskurs- und Medientheorie studiert haben, sie entfernen doch Volksschulfreunde aus ihren „Freundes“listen, weil sie nach einem stressigen Tag nicht auch noch mit den Auslassungen von Corona-Querdenkern und FPÖ-Wählerinnen behelligt werden wollen. Das ist nachvollziehbar, aber bedenklich. Echte Auseinandersetzung wird rar. „Du wählst Kurz? Dann brauche ich mit dir gar nicht mehr zu sprechen.“ So geht’s natürlich auch nicht. Moralische Überlegenheitsgefühle bringen eine Gesellschaft auch nicht wieder dazu, sich vernünftig über unterschiedliche Interessen auszutauschen.

In „Manufacturing consent“, einem seiner bekanntesten Bücher schreibt Noam Chomsky über die Manipulation der (US-amerikanischen) Medien durch verschiedene politische und wirtschaftliche Akteure. Darin kommt er auf die zunehmende Polarisierung zu sprechen, das Ende des echten Dialogs – und da was denkfaule Rechte als „politisch korrekte Meinungsdiktatur“ bejammern: „Wenn viele junge Leute anderen die Redemöglichkeit entziehen, machen sie meiner Meinung nach einen schlimmen Fehler, selbst aus taktischer Sicht. Es gibt viel bessere Möglichkeiten, mit Gegnerschaft umzugehen. (…) Ich denke, es ist prinzipiell falsch und taktisch falsch. Es ist ein Geschenk für die Rechten. Die lieben es.“

Insofern stimmt die konservative Verschleierungsrede vom „Extremismus von beiden Seiten“. Freilich: Die Wirkmacht akademischer Schaßphrasen ist gering. Zurecht wird so im Einführungsproseminar gesprochen, und das ganze Safe-Space-Ding spielt sich auch hauptsächlich an Universität ab. Das allzu korrekte Sprechen kann zwar nerven, ist aber zumindest um Pluralität bemüht und stellt sich auf Seiten jener, die bislang noch nicht ausreichend am Diskurs beteiligt waren. Der Unterschied zwischen den angeblich überempfindlichen akademischen „Snowflakes“ und recht(sextrem)en Kämpfern gegen die „politische Korrektheit“ manifestiert sich schnell im Vorhandensein von Vernichtungsfantasien gegenüber der Gegenseite. Flapsig gesagt: Linke verachten deine Rechtschreibfehler auf Facebook und lassen dir die Luft aus deinen SUV-Reifen. Rechte gehen mit Maschinengewehren auf Synagogen und Moscheen los. Das ist jetzt natürlich extrem überspitzt, es lässt sich aber festhalten, dass die sogenannte „Linke“ anerkennt, dass es klare rote Linien im öffentlichen Sprechen gibt – und dass das nichts mit Zensur zu tun hat, wenn man eine Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe gar nicht erst aufkommen lässt.

Die „rechte Reichshälfte“, die davon halluziniert, dass es ein Volk gebe, für das man spricht, erweist sich seit je als sehr einfallsreich beim Finden von abwertenden, entmenschlichenden Schlagworten. Das liegt wohl daran, dass man rechtsextremen Menschen getrost den Wunsch nach totalitärer Führung unterstellen darf, von daher rühren Eifer und Erfindungsreichtum bei der Terminologie. Ein paar bekannte Beispiele: linksversifft, Willkommensklatscher, Sozialromantiker, „die Ostküste“, „alimentierte Messermänner“, der NS-Terror als „Vogelschiss in der Geschichte“. Ein klein wenig von dieser Freude an der linguistischen Arbeit wünscht man der Gegenseite. Vielleicht ist die Aufforderung angebracht, dass Linke an ihrer Rhetorik arbeiten möge, und die Rechte an ihrer Ethik.



Gegenstrategien. Kleine Handreichungen für konkretes Sprechen


Die Arbeit der SchriftstellerInnen, ihre ganz eigene Stimme zum Ausdruck zu bringen, ist nie abgeschlossen. Wir ringen um Wahrhaftigkeit und untersuchen jeden Satz auf seine Relevanz. Klarheit und Form unserer Sprache sind der Kern unseres Berufs.

Würden wir unserem Ideal gerecht, könnte ein Gespräch mit PolitikerInnen nur scheitern. Schlimmstenfalls sitzen die Schreibenden da wie Waldorf und Statler, die das Spiel mit schlechtgelaunten Kommentaren begleiten. Ein viel lohnenderes Ziel ist es, PolitikerInnen wieder weg von diesem vorformulierten und manipulativen Sprechen bringen: Sprachkritik etablieren, Diskurs und Partizipation wieder stärken, der Ästhetik eine Rolle zuweisen! Das ist die Legitimation von uns SprachkünstlerInnen, diesen Workshop überhaupt anzubieten. Die Forderung nach echter Kommunikation und wahrhaftigem Sprechen dürfen Teil unserer literarischen Arbeit sein.

Wir sind höchstens KulturpolitikerInnen, also geht es nicht um ein Debattentraining, wir sind keine Judokas, die alle Tricks kennen müssen. In einer direkten Konfrontation mit ausgebildeten Kommunikationstrainern wie Norbert Hofer oder Andreas Rabl wäre für die Kunst wahrscheinlich nicht viel zu gewinnen. Die Einübung einer gewissen Schlagfertigkeit im Dienste der Debattenkultur ist dennoch erstrebenswert (und dauert wohl so lange wie der Weg zum Schwarzen Gurt). Zielsichere Argumentation, Kritik an Desinformationskniffe und höfliche Konfrontation sind Wege, die gute Sache voranzubringen, nämlich das Engagement gegen Spaltung und Populismus. Eine grund-empathische Haltung macht es unmöglich, mit Message Control ein Gespräch zu zerstören.

Bei aller Wertschätzung für den Versuch „gewaltfrei“ zu kommunizieren: Es ist völlig legitim, einen Menschen, der mir sprachlich den Respekt verweigert oder sich keine Mühe in Sachen Empathie macht (absichtliche Lüge, Verschleierung, Nicht-Antwort), mit meinen authentischen Gefühlen zu konfrontieren. Man muss nicht immer nur enttäuscht sein, Wut ist zuweilen angebracht.

Der Drang, stets vermitteln zu wollen und Verständnis für jede Position aufzubringen, ist löblich, allerdings nur in einem klaren Rahmen: Das ist kein „Framing“, sondern der Einsatz für Menschenrechte, unabhängige Justiz und Gleichberechtigung. Darüber muss nicht lange diskutiert werden, darum ist es nicht zu akzeptieren, dass Herbert Kickl nach seinem Sager „Das Recht muss der Politik folgen“ nicht sofort zurücktreten musste. Der Differenzierungsexzess kommt natürlich auch auf der anderen Seite vor, wenn etwa in einer Mailingliste der Freien Szene in OÖ jemand gegen den antifaschistischen Grundkonsens argumentiert, mit linguistisch mangelhaften Mitteln: „die antifaschistischen Grüße unterscheiden sich von den faschistischen Grüßen bloss durch eine Vorsilbe. Sowohl anti als auch der Rest des Attributes sind negativ besetzt.“ Das ist schon sehr, sehr blöd.


Konkrete Gegenstrategien: Meta-Kommunikation

  • Problematik offen ansprechen, auf die Meta-Ebene wechseln. „Sender“ sprachanalytisch darauf hinweisen, was sie sagen oder eben nicht sagen.

  • Was wollen Sie damit eigentlich sagen?“

  • Die eigene Unzufriedenheit mit Phrasen und Ausweichen klar kommunizieren (in aller Höflichkeit). JournalistInnen mögen darauf hinweisen, dass die LeserInnen, ZuhörerInnen, ZuseherInnen mit dieser Antwort nicht zufrieden sein werden.

  • PolitikerInnen, MachtinhaberInnen offensiv darüber informieren, dass nun ein ehrlicheres Sprechen erwünscht ist. In der Berichterstattung stark betonen.


Kleine Nebenbemerkung: Obacht vor den Beckmessern, die dem Elitären das Wort reden und den elaborierten Code zur Abgrenzung missbrauchen. Es ist der Welt nicht sehr geholfen, wenn sie wegen jedem kleinen Tippfehler eine Bildungskrise herbei jammern. Einem nationalistischen Nationalratsabgeordneten muss man die Rechtschreibfehler in seinen Postings mit Fug und Recht vorhalten, wenn die Beherrschung der deutschen Sprache in komischem Kontrast zum fremdenfeindlichen Inhalt steht. Es zeugt aber von mangelnder Herzensbildung und Eleganz, politisch Andersdenkenden permanent ihre sprachliche Schwäche vorzuwerfen. Bildung ist ein Privileg und ein Geschenk, das nicht jedem im gleichen Ausmaß zuteil wird.



Übungen

  • Geframte“ Begriffe sammeln, Gewohnheiten aufzeigen: Warum sagen wir Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Beispiele: Soziale Hängematte, „Leistung muss sich wieder lohnen“, die Herde der Babyelefanten in den Medien.

  • Ein transkribiertes Manuskript, etwa von Ministerin Karin Edtstadler, gemeinsam lesen und zählen, wie viele der Tricks sie anwendet.16

  • Satire ist ein wunderbares Werkzeug für die Förderung von Aufklärung. Schöne Beispiele sind die „feministische“ Literaturkritik, die Großschriftsteller mit denselben Frechheiten behandelt, wie sie sich sonst Autorinnen gefallen lassen müssen. Schreiben Sie ein kurzes Porträt eines prominenten Mannes, in dem Sie ihn herablassend auf seine Körperlichkeit reduzieren. („Ist so ein hübsches Gesicht nicht zu schade für die Politik“?)

  • Das Kurz-Wolf-Spiel: TeilnehmerInnen schlüpfen in Zweier-Teams jeweils einmal in die Rolle von Armin Wolf (stellvertretend für andere JournalistInnen, die ihre Verantwortung ernst nehmen), einmal in jene des Bundeskanzlers, der den Fragen möglichst ohne echte Antwort entschlüpft. Nach fünf Minuten werden die Rollen getauscht. Parodistische Übertreibung ist sehr erwünscht!


Verwendete Literatur

Gümüsay, Kübra: Sprache und Sein. Hanser Verlag, 2020

Horaczek, Nina und Walter Ötsch (Hrg.): Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung, Westend-Verlag, 2017

Horwatitsch, Bernhard: Jargon der Aufklärung. Wenn sie reden ohne etwas zu sagen. In: schreibkraft. Feuilletonmagazin, #34, Graz 2019, S. 13-17

Menasse, Eva: Lieber aufgeregt als abgeklärt. Essays. Btb-Verlag, 2016

Bernhard Pörksen: Die große Erregung. Hanser Verlag

Tóth, Barbara: Einmal Diskurs zertrümmern, bitte. Falter 8/2020


Weiterführende Empfehlungen:

Isolde Charim analysiert in ihrer wöchentlichen Kolumne im „Falter“ politische Begrifflichkeiten.

Noam Chomsky und Edward S. Herman: Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media

Erhard Eppler: Kavalleriepferde beim Hornsignal. Suhrkamp

Peter Huemer: Über das Reden schreiben. Stadtgespräch 26-50

Viktor Klemperer: LTI. Reclam

George Orwell: 1984, Ullstein (s. „Neusprech“)

Walter Ötsch setzt sich mit Framing, NLP und Kommunikationstechniken des Populismus wissenschaftlich auseinander: https://walteroetsch.at/

Armin Thurnhers Blog-Beiträge handeln auch immer wieder von den Verfehlungen des Boulevards und politischen Unsitten: https://cms.falter.at/blogs/athurnher/

Ruth Wodak: Politik der Angst. Edition Konturen.


Es lohnt sehr oft, die „heute Show“ auf ZDF anzusehen, hier wird das Mantra der Message Control oft und mit schöner Sorgfalt auf die Schaufel genommen. 

 

Anhang – Textbeispiele


Klaus Nüchtern, Newsletter des „Falter“, 15. Jänner 2021:

„Der Babyelefant hat ganz klar das Rennen gemacht – im Unterschied zu 2017, als "Vollholler" nur "arschknapp" (Platz 3 im Jahr 2016) vor "Fake News" voranlag, wohingegen sich "Schweigekanzler" (2018) und "Ibiza" (2019) einigermaßen klar als Wort des Jahres durchsetzen konnten. Der Babyelefant allerdings war mit mehr als nur ein paar Rüssellängen Vorsprung vor "Corona" und "verblümeln" durchs Ziel geschossen.

Auch das an sich unverdächtige Wort Adjektiv "systemrelevant" wäre eine Option gewesen. Ich bin zwar kein Apidologe, mir allerdings relativ sicher, dass man mit der Behauptung, die Königin sei für das System Bienenstaat von höherer Relevanz als die fünfte Drohne von links nicht einmal in linksradikalen Bienenkundlerkreisen helle Empörung auslösen würde. Entscheidend sind nicht die Worte selbst, sondern der Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. Sprechakte bewirken etwas, verknüpfen sich zu Narrativen und Diskursen, die unsere Wahrnehmung strukturieren und schließlich auch ganz bestimmte Praktiken zur Folge haben.

Über die Unterscheidung zwischen "systemrelevanten" und lediglich "kulturverliebten" Menschen grämen sich diejenigen, die vom Slimfit-Kanzler der zweiten Kategorie zugezählt wurden, seit Monaten. Die einen beschweren sich depressiv darüber, dass sie ja "leider nicht systemrelevant" seien; die anderen beteuern trotzig, dass Kultur eben auch ein "Lebensmittel" sei. Das ist verständlich, aber nicht sonderlich fruchtbar. Der Gestus "Seht ihr nicht, wie wichtig wir sind?!" indiziert die eigene Hilflosigkeit: Er wird von den Bekehrten bestätigt und von den Indolenten ignoriert. Und gegen öffentliche Selbstzerknirschung gilt es ohnedies Erich Kästners hellsichtiges Bonmot zu mobilisieren: "Nie sollt Ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch zieht, auch noch zu trinken!"

[...]

Als 1971 Teile der bis dahin geheimen Pentagon-Papiere durch die New York Times und die Washington Post geleaked wurden, erfuhr die Öffentlichkeit, dass sie vom Präsidenten abwärts jahrelang systematisch belogen worden war. Die in die USA emigrierte deutsche Philosophin und Totalitarismus-Theoretikern Hannah Arendt veröffentlichte aus diesem Anlass ihren Essay über "Die Lüge in der Politik", in dem sie u.a. über den wachsenden Einfluss der PR-Abteilungen nachdenkt und zu dem Schluss kommt, dass das Handeln als "das eigentliche Werk der Politik" immer mehr in den Hintergrund rückt: "Image-Pflege als Weltpolitik – nicht Welteroberung, sondern Sieg in der Reklameschlacht um die Weltmeinung – ist allerdings etwas Neues in dem wahrlich nicht kleinen Arsenal menschlicher Torheiten, von denen die Geschichte berichtet." Dass die Lektüre dieses Essays auch ein halbes Jahrhundert nach dessen Entstehung lohnt, versteht sich in Zeiten von "Fake News" und "Message Control" fast von selbst.


Armin Thurnher, „Seinesgleichen geschieht“, Falter, 3/2020:

„Nein, Message Control mag 'state of the art' sein, eine Freude von sogenannten Politikberatern und sonstigen Feinspitzen der Desinformation. Aber Message Control ist auch eine Hausmeisterform von Totalitarismus. Was sonst als klassisches Untertanengehabe wäre die Freude, eine Parole wiederholen zu können, ohne sie in Frage zu stellen, und fremdes Gedankengut wiederzukäuen, ohne zu erröten? … Message Control ist nicht nur raffinierter Stumpfsinn, sie ist auch Entwöhnung von öffentlichem Denken, von der Kunst der fairen Auseinandersetzung. Message Control ist Unterwerfung.“


Eva Menasse über Rechthaberei:

„Die auf dem Antisemitismus-Feld lange eingeübte Unkultur der gegenseitigen Exkommunikation vom Diskurs, also des versuchten Mundtotschlags, beginnt sich epidemisch auf andere Diskurse auszubreiten.“ S. 119, „Raus aus dem Quadrat“

 

 Fußnoten:

1Es ist eine Aufgabe der Literatur. Sie darf aber auch völlig auf sich selbst, auf die Sprache bezogen sein. Die schöne, dialektische Pointe ist jedoch, dass ein künstlerischer Akt um seiner selbst Willen durchaus als politischer Akt gelesen werden darf. Deswegen setzt sich die GAV (OÖ) auch vehement für experimentelle, abstrakte Literatur ein, die mit keinem Auge auf irgendeinen Markt schielt.

2Im Nachhinein im Übrigen euphemistisch als der Versuch bezeichnet, „Gestaltungsräume zu schaffen“.

3Oder der Projektantrag.

4Wir ersuchen um Nachsicht angesichts der vielen, eher unschönen Anglizismen, aber es geht hier auch darum, die Vokabel der Herrschaftssprache bekannt zu machen.

5Und zwar anhand der Auftritte von Sebastian Kurz in der ZiB 2 sowie von Karoline Edtstadler bei „Im Zentrum“, bei denen es um die Unabhängigkeit der österreichischen Justiz ging.

6So hatte übrigens auch LH Stelzer auf Kritik reagiert, dass er sich vom Koalitionspartner Odin Wiesinger in den Landeskulturbeirat setzen ließ, es sei eine lang geübte Praxis, sich in die Arbeit der Gremien nicht einzumischen.

7Lukas Matzinger, Falter: Kurz fungiert als ein „türkiser Direktvermarkter“.

8Armin Thurnher, Falter 3/20, „Seinesgleichen geschieht“. Längere Zitate aus dem Kommentar im Anhang.

9In „Überreagieren? Oder doch lieber die Klappe halten?“ ZEIT, 44/2020

10Keine Sorge, wir plädieren für höchste Achtsamkeit bei der Eindämmung der Pandemie. „Querdenker“ wären auch ein ungemein lohnendes Ziel unserer Kritik.

11Über seine Facebookseite erreichte HC Strache in seiner aktivsten Zeit rund 800.000 Menschen, das sind mehr als die ZuseherInnen der ZiB 1.

12OÖN, 4.12.2020

13Wir schreiben „Frau“, genauso gut könnte hier stehen: Lesben, Schwule, queere oder Transpersonen; Persons of Colour; behinderte Menschen, Kinder. Weil der Fokus in diesem Kapitel auf Sexismus liegt, bleibt das vereinfachende „Frau“.

14Kronenzeitung Oberösterreich, 15.1.2021

15Meine eigene Diplomarbeit ist voll von diesem Jargon, den ich selbst nicht vollständig verstanden habe. Ein Versuch der Wiedergutmachung ist „Die Sau“.

16So wie im „Standard“ am 18.1.2020 von Selina Thaler analysiert.

Mittwoch, 21. Oktober 2020

BABELinz #turmblau: Lesung im Theater Phönix

Ausgehend von Herbert Christian Stögers literarischem Projekt "BABELinz" und dem Instagram-Profil „turmblau“, gestalteten Autorinnen und Autoren der GAV OÖ eine Text-Bild-Lesung zum Thema Verwirrung.
Eine Auswahl von Texten und Bildern erscheint demnächst in der Publikation X-BLATT Nr. 7, Hefte für Literatur der GAV OÖ.

Text und Fotos: Dominika Meindl

René Bauer zeigte Stierschädel, die Falten seiner Frau, unbotmäßige rote Bälle, die melancholischen Reste eines Moorbades und Füße in der Suppe, dazu verlas er seine Assoziationen in lyrischer Verdichtung (was generell für alle Vortragenden zu sagen ist).

Christian Futscher, der sich mit seinen "Morgenbetrachtungen" dem Insta-Gebot "schöner als im echten Leben" aufs schönste entzog, las aus dem ebenso betitelten Buch, das Erika Kronabitter herausgegeben hat. Er echauffiert sich über das Gedöns rund um die Frisur und beschreibt seinen Grant auf Hugh Grant. Dazu Texte aus dem "Trinkertagebuch" und "Wer einsam ist in der großen Stadt".


Angelika Ganser konzentrierte sich auf die Texte, dazu zeigte Stöger eine Serie an Türmen. Ganser schrieb über das Schreiben, ihre Poetologie, über die Umgebung ihres Schreibens. Es ging etwa um das Stocken des Wortflusses, um das Wahrnehmungssieb der Worte und um die Frage, ob man unbeirrt an der Autorschaft festhalten solle.


Peter Hodina trug direkt aus dem #turmblau-Account vor, sein Fokus lag auf der Quarantänezeit im Februar und März, dem Lockdownschock: Der tote Hund führt zur Frage, ob man jetzt selbst bellen müsse (nein), seine Abwesenheit "beißt sich fest". In tiefkaltem Coronablau steht der Gaisberg da, in Wien verwirrt ein janusköpfiger Handspiegel, in Salzburg episkopale Stadtmöblierung. Der St. Nimmerleinszug ist so obsolet, dass hinter ihm gleich die Gleise abgetragen werden.


Dominika Meindl (Foto: René Bauer, rührige Hände links: Herbert Christian Stöger) zeigte autobiographische Bilder von ihren Ausflügen; der kürzeste führte in den vollgeräumten Keller, der weiteste in einen verwunschen Wald im tiefsten Friaul. In Schärding werden Hühner getötet, im weglosen Toten Gebirge spottet sie über Socken, auf denen "links" und "rechts" steht. In Hallstatt werfen Chinesen den verwöhnten Schwänen vergebens Pommes frites zu.

 
Wally Rettenbacher lud gemäß André Breton zu assoziativem Wandeln; sie unterlegte ihre Bilder mit einer zweiten, akustischen Spur. So switchte sie zwischen dreierlei Jetlags und einer Multitude an Orten: "grelle Güte in Zellophan verpackt am Flughafen in Dubai, der in Wahrheit eine einzige Mall ist. Klebende Hitze in Bangkok kurz vor der Pandemie (dort ist auch ein Teil ihrer Texte entstanden). In München ist sie schon "17 Stunden unterwegs, keinesfalls hier". "Jeder Atemzug stirbt, der Atem bleibt."




Dienstag, 13. Oktober 2020

Utopische Nacht mit ungewissem Ausgang

von Corinna Antelmann

Zukunft muss man gemeinsam träumen, steht in dem Buch Die Psychotische Gesellschaft von Ariadne von Schirach (übrigens eine Leseempfehlung). Neue Begriffe ermöglichen neues Denken und damit vielleicht auch eine andere Beziehung zur Welt (Seite 210).

Deshalb haben wir einen Abend mit dem Titel Utopische Nacht mit ungewissem Ausgang konzipiert, der im Alten Bootshaus in Ottensheim am 29.10. zur Aufführung kam und Vortrag, Film (Otto Saxinger, Lisa Spalt) und Publikumsgedanken zusammenzuweben suchte. Ja, gemeinsam mit Lisa Spalt entsatnd die Idee, sich von den Dystopien, die allerortens die Oberhand zu gewinnen scheinen, nicht länger irre machen zu lassen, sondern lieber zu überlegen, wie sie denn nun aussehen soll, die andere Welt, der Raum, den wir in Zukunft zu bewohnen trachten.


"Füll mich", sagt der Raum, "mach, dass etwas wird."

Deshalb das Ansinnen, gemeinsam mit dem Publikum die folgenreiche Denk- und Besinnungsarbeit zu zu leisten, die es emöglicht, eine andere Welt zu beschwören, ja, zu erschaffen, denn, wie schon Gott sagt: Thought is the firts level of creation, next comes the word, next comes action. Actions are words moving (Conversation with God, Seite 74).

Wo, wenn nicht in Ottensheim, der Gemeinde der innovativen Ideen und gelebter Gemeinschaft, ließe sich der richtige Ort dafür finden, dieses Unterfangen zu beginnen?

Einen Abend lang widmeten wir uns also der Frage: Wie können Einzelmenschen zusammenleben?, in Übereinstimmung mit ihrer Umwelt?, in Übereinstimmung mit anderen und sich selbst?, und gaben dabei Entwürfe zur Inspiration, die in den letzten 2500 Jahren die Vorarbeit leisteten für uns, hier, heute. Im Gespräch zitierten wir unter anderem Fourier, Morus, Campanella und Margaret Cavendish: Inspirationen, wie es aussehen könnte, das Paradies, nach dem wir uns sehnen. Oder nicht? Was ist zum Beispiel mit Campanellas Vorschlag: Große, schöne Frauen werden mit großen, tugendhaften Männern gepaart, dicke mit dünnen und dünne mit dicken, zum Ausgleich allen Übermaßes? Da klingt Aristophanes schon besser, wenn ihr mich fragt, wenn er die Paxagora das Zepter überlässt und sie sagen lässt: Die etwas Geringeren und Plattnasigen werden bei den Göttlichen sitzen; und wenn einer die Schönste begehrt, muss er erst einmal die Hässliche stoßen.

Und zuguterletzt wurden deshalb urdemokratisch (noch eine Leseempfehlung: Gegen Wahlen von David van Reybrouck) einige der in stiller Einzelarbeit entstandenen Vorschläge aus dem Gesamtpool gelost, um dann (ganz im Sinne der gegenwärtig praktizierten Demokratie; allerdings ohne Wahlkampf) zur Abstimmung zu gelangen. 


Die (nicht nur) OttensheimerInnen kreierten somit schlussendlich eine Welt, in der unter anderem Arbeit als erfüllend empfunden wird, statt als Gegensatz zum "Leben", es eine unsichtbare Oma für die Einsamen gibt, keine Formal1-Rennen mehr stattfinden und alle gemeinschaftlich MITEINANDER leben.

Und so und so -

- so machen wirs.

Und die Liebe wird zur Hauptbeschäftigung (das füge ich mit Fouriers Worten einfach mal kommentarlos hinzu) ...

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...