Materialsammlung für
Vorträge, Essays oder Workshops. Zusammengestellt und
konzipiert von Dominika Meindl
Der Anlass
Jede
Diktatur herrscht über die Etablierung einer zynischen, verlogenen
Terminologie (schlimmstes Beispiel: „Untermensch“). Gegenwärtig
dürfen wir es eine Nummer kleiner geben, sollten aber scharf
aufpassen, welches Sprechen uns da schmackhaft gemacht werden soll.
Allzu oft wird ja schon alleine das ästhetische Empfinden durch den
„neuen Stil“ verletzt, aber das einmal nebenbei.
Da
wir Autorinnen und Autoren nicht nur mit den Wassern der
Ideologiekritik gewaschen sind, sondern tagtäglich mit Erzähltem
arbeiten, erkennen wir die Machart von Narrativen schnell, wir
riechen den Braten und erkennen schnell, welches Stück hier gegeben
werden soll. So zumindest die Hoffnung...
Was SchriftstellerInnen
und PolitikerInnen eint, ist – im Idealfall – die Achtung auf
jedes Wort. Die Absichten sind jedoch zuweilen völlig gegensätzlich.
Es ist eine noble Aufgabe der Literatur,
Propaganda als solche zu behandeln und sich gegen die Normalisierung
aggressiver, populistischer Sprache einzusetzen.
Wer
so wie wir mit Sprache arbeitet und um künstlerische Wahrhaftigkeit
bemüht ist, registriert früh Verschiebungen in der Tektonik
öffentlichen Sprechens. Das Unbehagen angesichts des uneigentlichen,
gescripteten Sprechens ist groß. Um eine Krise im politischen
Diskurs zu registrieren, braucht es mittlerweile kein allzu feines
Sensorium mehr, wohl aber beim Widerstand dagegen. Die Politik zeigt
in ihren Äußerungen ein hohes Maß an Bürgerverachtung. Je öfter
die Phrasen „Transparenz“ und „auf Augenhöhe kommunizieren“
gedroschen werden, desto geringer ist der Sachgehalt des Gesagten.
Das uneigentliche Sprechen der Macht ist nicht nur frustrierend,
sondern gefährlich: Wenn niemand mehr zuhört, lässt es sich
ungestört walten.
Die
Literatur (wie die Kunst selbst) dient nicht der Suche nach einer
objektiv zu erlangenden Wahrheit, kann aber in einer „neuen
Normalität“ voller „alternativen Fakten“ und roboterhaft
repetitierter „Messages“ nicht gedeihen.
Das
erste Konzept wurde im März 2019 verfasst, in der Phase der
türkisblauen Regierung und nach heftigen Protesten der Freien Szene
gegen bedrohliche Sparmaßnahmen
seitens der türkisblauen Landesregierung in Oberösterreich.
Menschen, die in den Bereichen Kunst und Kultur arbeiteten, mussten
die Lage als sehr bedrohlich empfinden. Die Landes-FPÖ versuchte,
den rechtsradikalen Maler Odin Wiesinger in den Landeskulturbeirat zu
setzen. Auf Bundesebene radikalisierte sich der Ton seitens der
Regierung, am deutlichsten jener von Innenminister Herbert Kickl.
Seine Rede von „konzentriert Anhalten“, „Ausreisezentren“,
„Sicherheitshaft“ und „Arbeitspflicht“ ließen alle
Alarmglocken schrillen. Dann wurde das Ibiza-Video veröffentlicht,
die folgenden Neuwahlen veränderten das politische Sprechen
deutlich, rechtsextremistische Parolen wanderten zurück in die
Opposition. Die Voraussetzungen veränderten sich nach dem
Amtsantritt der türkisgrünen Regierung – ganz besonders durch die
Kommunikation in der Covid-Pandemie. Der
Anlass für das Konzipieren einer Workshop-Reihe zum Thema blieb
bestehen. Die Vermittlung der „Maßnahmen“ ist erhellend. Und
leider richtet die rechtspopulistische Message
Control weiter große Schäden an. Ein besonders empörendes
Beispiel gab Bundeskanzler Kurz im September 2020 mit seinem Nein,
Menschen aus den unzumutbaren Lagern auf Lesbos zu holen, was er als
„flexible Solidarität“ bezeichnete. 2015 sei eine „Katastrophe“
gewesen. Außenminister Schallenberg sprang bei, indem er die
inakzeptable Haltung als „realistischen Pragmatismus“ verbrämen
wollte.
Der Protest gegen diesen
rhetorischen Zynismus, gegen empathielose Herrschaftssprache ist
Grundlage für diese Workshop-Unterlagen. Er dient keiner Partei,
sondern der Politik. Und die hat wiederum uns allen zu dienen, dem
Souverän: den Menschen, die in diesem Land leben. Im besten aller
Fälle ist damit auch der Politik gedient – frei sprechen zu können
ist selbst für die mit der Macht Betrauten ein erstrebenswertes
Ziel. Kritik darf ja auch konstruktiv sein, und das bessere Argument
darf durchaus gewinnen.
Unsere Überparteilichkeit
ist wesentlich. Wir erachten das links-rechts-Schema als antiquiert,
wir setzen uns für Solidarität ein. Die Grazer Autorinnen und
Autorenversammlung stellt sich entschieden gegen Rassismus,
Antisemitismus, Faschismus, Sexismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie
und jedwede weitere Form der Diskriminierung.
Ausgangspunkt sind
unsere Fragen: Mit welchen „Frames“ versuchen Regierende, den
öffentlichen Diskurs zu steuern? Welche destruktiven
Gesprächstaktiken (Whatabaoutismus, Touch Turn Talk etc.) wenden sie
an? Welche Gegenstrategien können wir uns aneignen, um
PolitikerInnen wieder davon abzubringen, wortreich nichts zu sagen,
Kommunikation nicht als Verkaufsgespräch zu gestalten, die
Desinformation und Politikverdrossenheit durch unendliche
Wiederholung des Immergleichen weiterzutreiben?
Als
Zielgruppen und KooperationspartnerInnen sehen wir Institutionen,
Vereine und AkteurInnen im Bereich Kunst und Kultur, Schulen, Medien
und Bildungseinrichtungen, weiters KollegInnen
und Sprachinteressierte.
Kommunikative
Kontrolle
Der
Hebel des Workshops sitzt an der rhetorischen Technik, eine Botschaft
konzentriert und kontrolliert auf allen Kanälen zu verbreiten: der
Message Control. Das ist die Kunst, wortreich NICHTS zu sagen, bis
auf die eigene Botschaft, die wird dafür so maßlos und stereotyp
wiederholt, dass empfindliche Gemüter einen Würgreflex erleiden.
JournalistInnen, PolitologInnen und KünstlerInnen kommt die groteske
Aufgabe der Auguren zu, die aus den sinnarmen, orakelhaften
Wortgirlanden das Gemeinte herauszulesen haben. Eine
Interpretationsarbeit, wie sie die meisten von uns nur vom Deuten
schwieriger, experimenteller Lyrik kennen. Schwer ist es, über die
Phrasenflut keine Satire zu schreiben, es reicht schon fast, die
Bausteine „Leuchtturmprojekt“, „Maßnahmen auf den Weg
bringen“, „Standort“, „ein klares Bekenntnis meinerseits“,
„auf Augenhöhe kommunizieren“ oder „Spielräume schaffen“
wahllos miteinander zu verbinden, dazu die obligate
„Digitalisierung“, und fertig ist der Spott.
Ohne rhetorisches
und mediales Coaching wird spätestens seit den 1960er Jahren keine
politische Fachkraft mehr auf das Wahlvolk losgelassen, was per se
noch nicht verwerflich ist. Zum einen haben die „sozialen“ Medien
öffentliches Sprechen zwar immens vereinfacht, zugleich aber sehr
riskant gemacht, weil sie von Krawall profitieren – das ist die
Ökonomie der Aufmerksamkeit. Einen Shitstorm fängt man sich bei
ungescriptetem Sprechen sehr schnell, das muss sich logisch auf die
Latenzzeit zwischen Denken und Reden auswirken. Zudem hat das
Misstrauen gegenüber politischer Rhetorik eine lange Tradition und
ist in den Nachfolgestaaten der NS-Diktatur auch besonders angezeigt.
Aber warum soll die Kunst der Rede nicht der guten Sache dienen? Mit
Worten Macht zu erlangen und diese auszuüben, ist politisch legitim.
Ohne Macht keine Politik. Wo diese aber zum Populismus wird, ist
Protest Pflicht.
Der Missbrauch der
Rhetorik ist wohl so alt wie die Sprache selbst. Im Zusammenhang mit
unseren Überlegungen steigen wir mit der ersten
Schwarz-Blauen-Koalition ein, konkret beim damaligen Finanzminister
Karl-Heinz Grasser, der sich als glühender Fan der
neurolinguistischen Programmierung zeigte, durch besonders
ungeniertes Nichtbeantworten journalistischer Fragen auffiel und sich
selbst als „Ich-AG“ und Marke zu etablieren versuchte. Die FPÖ
bedient sich sehr deutlich der „neurolinguistischen Programmierung“
(NLP), ein Set psychologischer Taktiken, die bei den ZuseherInnen
bestimmte, hauptsächliche negative Assoziationen verankern sollen.
Der Schritt zur
Message Control ist nun nicht mehr weit. Die aktuelle Regierung steht
rhetorisch in dieser Tradition, beherrscht aber statt allzu plumper
NLP exakt kalkuliertes Botschafts-Marketing. Das türkise
Regierungsteam wird nicht mehr von PolitikberaterInnen oder gar
GeisteswissenschaftlerInnen begleitet, sondern besetzt die
Kommunikationsstellen mit Verkaufs-ExpertInnen, die ihnen das
„Wording“ designen.
Die
Strategien der Message Control:
„Agenda
Setting“ (wir bestimmen, worüber geredet wird). Die Botschaft
wird versteckt in einer möglichst guten Geschichte („Story
Gold“).
„Touch,
Turn, Talk“: Danke für Ihre Frage! Lassen Sie mich zunächst auf
etwas anderes eingehen.“ Den Trick nennt man auch „Bridging“ –
das Thema wird kurz behandelt und dann als Überleitung zur Agenda
missbraucht. Gesundheitsminister Anschober ist auf diesem Gebiet zum
Meister geworden.
„Whataboutismus“
zum Ablenken von Kritik: „Was ist mit linker Gewalt, hä?“ Oder:
Kurz vermutet am Tag nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos Tal
Silberstein als Drahtzieher; nach Abschiebung dreier Kinder
beschuldigt Innenminister Nehammer die Eltern.
„Framing“:
Sprechen mit manipulativen Bildern, um den Rahmen des Diskurses
einzuengen. 2015 ist das Jahr der „Flüchtlingswelle“, einem
bewusst gewählten Begriff, um die Not fliehender Menschen zu
verdecken und zur Naturgewalt zu degradieren, gegen die man sich
natürlich zu schützen hat. Von daher rührt auch das Mantra „Klima
und Grenzen schützen“ bei der Vermarktung der türkis-grünen
Koalition; eine gefährliche und unzulässige Gleichsetzung. Weitere
Beispiele: „Klimahysterie“, „soziale Hängematte“, „Leistung
muss sich wieder lohnen“, „Schuldenpolitik“ (als ob das
Hauptproblem nicht die Deregulierung der Wirtschaft wäre).
Wiederholung der
„Catch Phrase“ bis zum Erbrechen. Siehe: „Balkanroute
schließen“ im türkisen Wahlkampf 2017 vor der Koalition mit der
FPÖ. Die Härte versteckte sich bei Verkündung des Wechsels zum
Grünen Koalitionspartner hinter Phrasen wie: „das Beste aus
beiden Welten“ und „Grenzen und Klima schützen“ bei
Verkündung der Koalition mit den Grünen.
Angriffe gegen
die Person sollen KritikerInnen und JournalistInnen aus der Fassung
bringen: Im Präsidentschaftswahlkampf wurden vom Team Norbert
Hofers auf Facebook gezielt Gerüchte gestreut, Alexander van der
Bellen sei dement. Der schwerreiche Jörg Haider liebte es, seinen
Interview-GegnerInnen ihr ORF-Gehalt auf Täfelchen vorzuhalten.
„Mikro-Targeting“:
Zeige jeder Zielgruppe nur das, was sie sehen will. Wie zum Beispiel
Andreas Rabl, Bürgermeister von Wels, der sich im Feuilleton als
Kunstexperte präsentiert und auf Facebook Migrationspanik schürt.
Machtdemonstrationen
bei direkten Treffen: Von der Sekretärin den Termin verschieben
lassen, zu spät kommen, mit großem Stab auftreten, „Quick Wins“
anbieten, also Entgegenkommen da, wo es am allerwenigsten kostet.
Die
Journalistin Barbara Tóth hat gemeinsam mit dem
Kommunikationsexperten Walter Ötsch die zehn Schritte der
Diskurszertrümmerung
beschrieben (ergänzt und erweitert von DM).
Das
Verstecken der „Hidden Agenda“: Eine „Verschwörungstheorie“
wird gebastelt – anhand eines vermeintlichen Belegs wird die
eigene Botschaft in den öffentlichen Diskurs geschmuggelt, zum
Faktum zurechtgedreht, damit zum Thema und im Idealfall zum
Pseudo-Skandal in Boulevard und sozialen Medien. Das offen
Gesprochene kommt wie das Gegenteil der versteckten Botschaft daher,
wenn etwa ein Politiker sagt, „ich bin gegen politische
Einmischung!“
„Stay
on the Message!“ Halte dich an das Manuskript! In Interviews die
allgemein gehaltene Kernbotschaft mindestens drei Mal wiederholen,
völlig ungeachtet der Frage. Bei Nachfragen behaupten, das doch
schon mehrfach erklärt zu haben, Ungeduld andeuten.
Kontrolle über
das Gespräch erlangen, ModeratorIn das Heft aus der Hand nehmen.
Das funktioniert über „Prozesskommentare“ auf der angemaßten
Metaebene des Interviews, der Befragte dreht die Rangordnung um,
indem er zwischen Inhaltsebene und „Prozessebene“ hin- und
herwechselt, und dabei ein echtes Gespräch verhindert.
„Whatabaoutismus“,
Ablenkung bei Angriffen: bei unangenehmen Fragen sofort
Ausweichmanöver starten, in die Opferrolle schlüpfen und
nicht-antworten, indem man sagt, wie offen man für harte Fragen
sei.
Direkte Angriffe
auf die Fragenden: Den Gegner mit persönlichen Untergriffen
desavouieren, gerne mit Schlagworten wie „Lügenpresse“,
„Mainstreammedien“, „Rotfunk“; Gegenargumente als Propaganda
abtun. Trump war hier immens erfolgreich, seine Strategie, wenn man
ihn zu Recht der Lüge zieh, war sinngemäß: „Seht euch an, wer
das sagt, kein Wunder, dass sie gegen mich sind“.
Überhöhung der
eigenen Person: mit Kontakten und prominenten UnterstützerInnen
prahlen. Rechtspopulismus funktioniert durch Überhöhung der
führenden Person; MinisterInnen agieren wie Jünger gegenüber dem
Heiland.
Verbünden mit
dem Publikum: man wendet sich direkt an den „einfachen Mann“, an
„die Menschen da draußen“, an die Steuerzahler.
Behaupten, nie
Teil des Systems gewesen zu sein: „Dafür war ich zu jung, das ist
ein Erbe der rot-schwarzen Koalition.“ Rechtspopulisten setzen auf
Gefühle und bieten sich als Alternative zum „Filz“ an.
„Das
wird man ja wohl noch sagen dürfen!“ Dazu mehr im Kapitel zur
politischen Korrektheit. Nur so viel: Die Versuche, Institutionen
wie die Sozialpartnerschaft, den gebührenfinanzierten
öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder gar die unabhängige Justiz
und die Genfer Flüchtlingskonvention zu behindern oder gar zu
zerschlagen, funktionieren am besten über den Hinweis, dass man
darüber ja wohl nachdenken dürfe, der „neue Stil“ lehne
„Denkverbote“ ab.
Arbeit mit der
gewonnenen Aufmerksamkeit: Erfolgreiche Kampagnen brauchen nicht nur
Inserate, eigene Kanäle, sondern Präsenz in „Earned Media“, in
von unabhängigen JournalistInnen generierten Beiträgen. Hier gilt:
Empörung schadet gar nicht.
Intention
und Taktik der Message Control
kann der guten Sachen nicht dienen, weil sie kein gutes Mittel ist;
kein gutes, aber leider ein erfolgreiches. Das Wiederholen von zuvor
ausgeklügelten, von Marketing-Fachkräften abgetesteten Schlagworten
in immer gleicher Form verlangt den Anwendern dieses
Herrschaftssprechens einen guten Magen ab. Bernhard Horwatitsch,
Dozent für Recht und Ethik, nennt den Jargon der Herrschenden
„Sprachmuster, die für die Bewältigung von Aufgabenroutinen immer
wieder benutzt werden“. Politiker-Sprech sei ein „Sprachstil, der
sich an keinem widerstrebenden Material mehr zu erproben hat“, nach
Adorno also die Negation von Stil. Noch pointierter Armin Thurnher:
„Message Control bedarf eines gewissen Willens zur Dürftigkeit.
Man darf sich nicht genieren, zum siebenhundertsten Mal 'Das Beste
aus beiden Welten' zu sagen.“
Der
Diskurs hat sich in den vergangenen Jahren deutlich nach rechts
verschoben. Den Worten folgen augenscheinlich Taten. Oberösterreich
ist 2020 erneut nationaler Spitzenreiter bei rechtsextremen Delikten,
Landeshauptmann Stelzer antwortet auf Protest dagegen, er sei gegen
„Extremismus von beiden Seiten“. Noch viele Stufen schlimmer ist
der indiskutable Donald Trump, der diese Phrase verwendete, nachdem
ein Neonazi mit seinem Auto Gegendemonstrantinnen getötet hatte. Es
ist wichtig, sich diesen vorgegebenen Rahmen nicht aufdrängen zu
lassen. Die Journalistin und Autorin Kübra
Gümüsay bringt das auf den Punkt: „In dem Moment, in dem ein
Begriff wie 'Gutmensch' zur Beleidigung wird, blicken wir auf die
Engagierten und die Toleranten durch die Brille der Rechten.“
Angesichts des
Rechtsrutsches und der gesellschaftlichen Normalisierung
rechtsextremer Aussagen wurde die Phrase „Wir müssen die Sorgen
und Ängste der Bevölkerung ernst nehmen“ sprichwörtlich. In
leicht abgeschwächter Form sagte – das als Beispiel – das der
deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „Demokratie
verlangt Respekt und die Bereitschaft zum Kompromiss.“ Sehr zu
recht verweist Horwatitsch darauf hin, dass hier nicht von
„Kompromiss“ die Rede sein dürfe, denn das bedeute einen
Verzicht der Streitparteien auf Teile ihrer Positionen. „Wenn einer
Krieg will und der andere nicht, führen wir dann ein bisschen Krieg?
Wenn einer foltern will und der andere nicht, foltern wir dann ein
bisschen?“ Hier werde, so Horwatitsch, „die Kontrolle der
Herrschenden sichtbar“: Klingt anheimelnd, dass sich die Mächtigen
mit unseren Gefühlen beschäftigen – tatsächlich werden sie aber
dafür gewählt und bezahlt, also mögen sie bitte ihren Job machen
und uns nicht mit ihrer „Verkaufspolitik“ behelligen. Deren
Markenzeichen sind verlogene Begriffe wie „Pflegenotstand“,
„Sicherung der Altersvorsorge“, „Zuwanderungsproblem“, ihre
verheimlichte Absicht ist es aber, der „kapitalistischen
Verwertungsindustrie“ zu dienen. Noch ein zynisches Beispiel: Man
kürzt den Pflegekräften in Rumänien oder der Slowakei das
Kindergeld und nennt das „Indexierung der Familienbeihilfe“.
Message Control
nervt nicht nur, sondern verursacht Politikverdrossenheit. Das
gefährdet die Demokratie – und treibt klassische Medien weiter in
die Krise, weil niemand mehr die sinnarmen Worthülsen lesen oder
hören mag. Man muss nicht Habermas und seine Diskursethik
(Demokratie ist Diskurs) studieren, um hier Sorgen zu entwickeln. Die
aktuelle Rhetorik legt den öffentlichen Diskurs lahm und verhindert
das demokratische Ausverhandeln von Interessen.
Die Sprache in der
Politik ist ganz besonders zu behandeln und zu beachten, weil in ihr
Sprechen und Handeln in eins fallen (vgl. „Kavalleriepferde beim
Hornsignal“ von Erhard Eppler). Sätze sind mehr als ihr
vermeintlicher Wahrheitsgehalt, sie sind Handlungen, die Folgen
haben.
Cyber-Propaganda
und mediale Steigbügelhalter
Message
Control erfüllt nicht nur einen propagandistischen Zweck, sie
verspricht auch einen gewissen Schutz. Der öffentliche Ton ist –
den Begriff „soziale
Medien“ Lügen strafend – sehr viel rauer geworden. Den
besoffenen Krakeeler unter dem Wirtshaustisch haben einst nur die
anderen Gäste hören müssen, heute kann er sich (zum Glück nur
theoretisch) global Gehör verschaffen. „In der gigantischen
Öffnung des kommunikativen Raums ist jeder zum Sender geworden“,
schreibt Bernhard Pörksen. Die Furcht vor dem nächsten Shitstorm
muss sich logisch darauf auswirken, wie PolitikerInnen sprechen. In
Zeiten galoppierender Verblödung reicht es ja schon, wenn der soeben
angelobte grüne Vizekanzler dabei fotografiert wird, wie er einen
Burger isst.
PolitikerInnen
profitieren aber mit etwas Geschick immens von der redaktionell nicht
betreuten Verbreitungsmöglichkeit über Facebook & Co. Seit sie
über ihre sozialen Kanäle ihre Anhänger direkt und ungestört
erreichen können, sind sie bei der Verbreitung ihrer Botschaften
nicht mehr auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder unabhängige
Medien angewiesen. So klappt die Inszenierung viel leichter.
Die klassischen
Medien sind aus der Schuld nicht zu entlassen, bringen doch auch die
entwürdigenden Methoden des Boulevards Personen des öffentlichen
Interesses schon lange dazu, wortreich nichts zu sagen. Die Rolle der
Presse gäbe genug Stoff für eine eigene Workshop-Reihe ab, ganz
besonders in Österreich, wo die Medienlandschaft eher einer Wüste
gleicht. Über die unselige Rolle des Marktführers „Kronenzeitung“
ließe sich lange sprechen. Selbstreflexion schadet auch seriöseren
Redaktionen nicht. So hat der „Kurier“ unter der Leitung von
Chefredakteurin Martina Salomon überdeutlich die Rolle des
Verlautbarungsorgans der türkisen Regierungsmitglieder übernommen.
„Es
gibt sehr viel mehr PR-Experten als Journalisten“, stellt der
Medienforscher Stephan Russ-Mohl fest.
Im Kontext unserer Überlegungen greifen wir nur
auf, was Florian Scheuba im Falter sehr treffend als
„Zudeckungsjournalismus“ bezeichnet, der sich mit den Interessen
der Herrschenden gemein macht und die LeserInnen offen manipuliert.
So wird der Untersuchungsausschuss, der dem Vorwurf der Käuflichkeit
türkis-blauer Regierungsmitglieder nachgehen soll, in „Kurier“,
„Krone“ oder „Österreich“ wiederholt als „Hick-Hack“
oder „Schlammschlacht“ denunziert. Von großem Übel sind auch
Interviews, die nicht viel mehr sind wie ein seichter Teich, in dem
die Herrschenden aufs Stichwort ungehindert die aktuellen Botschaften
ablaichen dürfen (das ist jetzt sehr polemisch formuliert, wir
entschuldigen uns sofort wieder). Man darf es nicht allein Armin Wolf
überlassen, den Wortstrom ab und zu mit einem „Was heißt das
jetzt wirklich?“ oder „Das war nicht meine Frage“ zu stören.
Corona:
Neu-Normalitäts-Sprech
Es
gibt diese große Lust an der täglichen Pressekonferenz durch die
Dreifaltigkeit aus Oberster Macht, religionspädagogisch klingender
Vernunftappelle und martialischer Sicherheitsdurchsagen. Es ist kaum
übertrieben zu sagen, dass Bundeskanzler Kurz durch seine
Inszenierung als oberster Krisenmanager die Informationskanäle
verstopft. Über die sozialen Medien erreicht er mehr Menschen als
über den ORF, und das – wie bereits gesagt – unbehelligt durch
Kritik.
Besonders problematisch ist, wie viele an sich unabhängige Medien
seine Terminologie bewusst oder unbewusst übernehmen, das geht von
den ChefredakteurInnen abwärts. Immerhin stellt Christoph Kotanko in
den OÖN fest: „Corona-Politik: Zählt das Erreichte oder reicht
das Erzählte?“
In
einem an die Öffentlichkeit gelangten Sitzungsprotokoll der
„Taskforce Corona“ sprach sich Sebastian Kurz dafür aus, die
Bevölkerung mit drastischen Aussagen zu ängstigen. In Erinnerung
geblieben ist etwa sein Satz "Jeder wird bald jemanden kennen,
der an Corona verstorben ist" und die Rede davon, dass mit
100.000 Toten zu rechnen sei. In der Pandemie setzten er und sein
Team auf martialische Rhetorik, siehe die „Lebensgefährder“ von
Innenminister Nehammer. Was im Wahlkampf die überstrapazierte
„Balkanroute“ war, wurde nun zu „neuer Normalität“,
„systemrelevant“ (was immer an ein Gegenteil denken lässt), oder
„kulturverliebt“. „Lockerungen“ und „Verschärfungen“
wurden so inflationär und verwirrend synchron verwendet, dass man
darüber einen beispielhaften Eintrag über „psychologische
Doppelbotschaften“ schreiben könnte.
Die
Balkanrouten-Leier war schließlich auch wieder für etwas gut. Als
im Sommer die Infektionszahlen wieder exponentiell in die Höhe
schnellten, sagte er: „Wir
haben
dann durch Reiserückkehrer, und insbesondere auch durch Menschen,
die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns
Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt."
Verborgene Botschaft: Die Ausländer sind schuld an der europaweit
höchsten Infektionsrate, nicht die mangelhafte Arbeit der Regierung.
Nie ist davon die Rede, dass der Anteil der MigrantInnen an den
„systemrelevanten“,
schlecht bezahlten Jobs, die sich nicht im „Home Office“
erledigen lassen – in der Pflege etwa, sehr hoch.
Das Patriarchat
im Journalismus
Gleichberechtigung
ist nichts ohne entsprechenden Platz im öffentlichen Raum. Wenig
überraschend werden alle, die nicht klar in die Kategorie „weißer
Mann“ einzuteilen sind, vehement bekämpft, sobald sie den alten
Platzhirschen ihr Territorium streitig machen. Wieder spielen die
„sozialen“ Medien eine hässliche Rolle beim reaktionären
Versuch, Frauen
mundtot zu machen.
Sexismus
ist eine klare Sache von Hierarchien und Machtmissbrauch, hier in der
Kategorie „Patriarchat“. In unserem Zusammenhang relevant ist
unter anderem die Boulevard-Terminologie. Ziel ist es, Verbrechen
durch Sprache zu vernebeln und zu verharmlosen, und zwar fast
ausschließlich jene von Männern an Frauen. Gegenprobe: Wie würde
der Redakteur das Vergehen nennen, wäre es seiner eigenen Frau,
Tochter, Mutter widerfahren? Hießen die Verbrecher dann auch noch
„Sex-Täter“, „Strolch“ oder „Unhold“? Und was geht durch
Kopf des Redakteurs der Kronenzeitung, wenn er
verharmlosend-aufgeilend „Sex-Anklage“ schreibt, statt die
Anklage wegen sexueller Belästigung einer jüngeren Mitarbeiterin
durch einen Landtagsabgeordneten als solche zu benennen?
Am widerlichsten ist das „Familiendrama“ oder das „Ehedrama“,
wenn ein Mord stattfindet, der auch als „Beziehungstat“ noch
unpassend klingt.
Mildere Formen
von Sexismus:
Frauen sind in den
handelsüblichen Medien eindeutig unterrepräsentiert. Um Einsicht in
die Problematik zu gewinnen, empfiehlt es sich, die TeilnehmerInnen
vor dem Workshop zu bitten, eine Woche lang das Verhältnis zwischen
abgebildeten Frauen und Männern zu erheben. Am augenscheinlichsten
funktioniert das im Sport- oder Wirtschaftsteil fast jeder
Tageszeitung.
Hätte
ein Mann gewonnen, wäre das Abschneiden der Damen den OÖN kaum eine
Zeile wert gewesen. Und warum nicht gleich mit der Leistung der Damen
beginnen?
Über
die politische Korrektheit und rechte Wortfindungsfreude
Wer zu viele
Meinungsbeiträge wertkonservativer älterer Herren liest, könnte
über kurz oder lang den Eindruck gewinnen, dass die drängendsten
gesellschaftlichen Probleme nicht Pandemie, Klimakollaps, Terror oder
zunehmende soziale Ungleichheit ist, sondern die garstige
Meinungsdiktatur der politischen Korrektheit. Auf allen Kanälen
findet sich die Klage, dass man heutzutage gar nichts mehr sagen
dürfe. Das Abendland sei gefährdet, weil in „Pippi Langstrumpf“
das N-Wort „ausgemerzt“ werde. Der Leidensdruck scheint sehr hoch
zu sein, wenn man Sinti und Roma nicht mehr „Zigeuner“ nennen
darf, „Zensur“ sei das, und was bitte ist jetzt falsch an
„Asylant“!? Wer die Überempfindlichkeit jener Mitbürger
erforschen möchte, die angesichts gendergerechter Sprache deren
Schönheit zerstört sehen, bewegt sich nicht im Feld der Stilkunde,
sondern der Psychologie (bzw. Psychopathologie). Wer sich in seiner
Meinungsfreiheit beschränkt sieht, wenn er andere Menschen nicht
mehr ungehemmt beleidigen darf, unterschreitet das Niveau, ab dem
sich eine echte Auseinandersetzung überhaupt auszahlt – das ist
einfach deppert.
Viel ist schon
darüber gesagt worden, dass sich die BürgerInnen zusehends
voneinander entfernen. Die Algorithmen von Facebook und Konsorten
schließen uns unbemerkt in immer dichtere Echokammern, in dem nur
noch zurücktönt, was man selbst gesagt hat. Das Denken und vor
allem Fühlen innerhalb der eigenen Blase entlädt sich reflexartig
in der Ablehnung des Anderen, mit dem man praktisch nichts mehr
gemein hat. Das Regime „Teile und herrsche“ erledigt sich fast
ohne offensichtliches Zutun der Herrschenden.
Die
aufgeklärte, liberale Akademikerschaft muss sich zuweilen elitäres
Wortgeklingel vorwerfen lassen, das die „Bildungsfernen“
ausschließen möchte. Wenn etwa allen Ernstes ein Kulturmagazin die
„temporalen Bilokalisationen alternativer Singularitäten und
heteronormativen Anthropozentren“ verhandelt, ist Schimpf
angebracht.
Da können
aufgeklärte, akademische Menschen noch so viel Diskurs- und
Medientheorie studiert haben, sie entfernen doch Volksschulfreunde
aus ihren „Freundes“listen, weil sie nach einem stressigen Tag
nicht auch noch mit den Auslassungen von Corona-Querdenkern und
FPÖ-Wählerinnen behelligt werden wollen. Das ist nachvollziehbar,
aber bedenklich. Echte Auseinandersetzung wird rar. „Du wählst
Kurz? Dann brauche ich mit dir gar nicht mehr zu sprechen.“ So
geht’s natürlich auch nicht. Moralische Überlegenheitsgefühle
bringen eine Gesellschaft auch nicht wieder dazu, sich vernünftig
über unterschiedliche Interessen auszutauschen.
In „Manufacturing
consent“, einem seiner bekanntesten Bücher schreibt Noam Chomsky
über die Manipulation der (US-amerikanischen) Medien durch
verschiedene politische und wirtschaftliche Akteure. Darin kommt er
auf die zunehmende Polarisierung zu sprechen, das Ende des echten
Dialogs – und da was denkfaule Rechte als „politisch korrekte
Meinungsdiktatur“ bejammern: „Wenn viele junge Leute anderen die
Redemöglichkeit entziehen, machen sie meiner Meinung nach einen
schlimmen Fehler, selbst aus taktischer Sicht. Es gibt viel bessere
Möglichkeiten, mit Gegnerschaft umzugehen. (…) Ich denke, es ist
prinzipiell falsch und taktisch falsch. Es ist ein Geschenk für die
Rechten. Die lieben es.“
Insofern stimmt
die konservative Verschleierungsrede vom „Extremismus von beiden
Seiten“. Freilich: Die Wirkmacht akademischer Schaßphrasen ist
gering. Zurecht wird so im Einführungsproseminar gesprochen, und das
ganze Safe-Space-Ding spielt sich auch hauptsächlich an Universität
ab. Das allzu korrekte Sprechen kann zwar nerven, ist aber zumindest
um Pluralität bemüht und stellt sich auf Seiten jener, die bislang
noch nicht ausreichend am Diskurs beteiligt waren. Der Unterschied
zwischen den angeblich überempfindlichen akademischen „Snowflakes“
und recht(sextrem)en Kämpfern gegen die „politische Korrektheit“
manifestiert sich schnell im Vorhandensein von Vernichtungsfantasien
gegenüber der Gegenseite. Flapsig gesagt: Linke verachten deine
Rechtschreibfehler auf Facebook und lassen dir die Luft aus deinen
SUV-Reifen. Rechte gehen mit Maschinengewehren auf Synagogen und
Moscheen los. Das ist jetzt natürlich extrem überspitzt, es lässt
sich aber festhalten, dass die sogenannte „Linke“ anerkennt, dass
es klare rote Linien im öffentlichen Sprechen gibt – und dass das
nichts mit Zensur zu tun hat, wenn man eine Debatte über die
Wiedereinführung der Todesstrafe gar nicht erst aufkommen lässt.
Die
„rechte Reichshälfte“, die davon halluziniert, dass es ein
Volk gebe, für das man spricht, erweist sich seit je als sehr
einfallsreich beim Finden von abwertenden, entmenschlichenden
Schlagworten. Das liegt wohl daran, dass man rechtsextremen Menschen
getrost den Wunsch nach totalitärer Führung unterstellen darf, von
daher rühren Eifer und Erfindungsreichtum bei der Terminologie. Ein
paar bekannte Beispiele: linksversifft, Willkommensklatscher,
Sozialromantiker, „die Ostküste“, „alimentierte Messermänner“,
der NS-Terror als „Vogelschiss in der Geschichte“. Ein klein
wenig von dieser Freude an der linguistischen Arbeit wünscht man der
Gegenseite. Vielleicht
ist die Aufforderung angebracht, dass Linke an ihrer Rhetorik
arbeiten möge, und die Rechte an ihrer Ethik.
Gegenstrategien. Kleine
Handreichungen für konkretes Sprechen
Die Arbeit der
SchriftstellerInnen, ihre ganz eigene Stimme zum Ausdruck zu bringen,
ist nie abgeschlossen. Wir ringen um Wahrhaftigkeit und untersuchen
jeden Satz auf seine Relevanz. Klarheit und Form unserer Sprache sind
der Kern unseres Berufs.
Würden wir
unserem Ideal gerecht, könnte ein Gespräch mit PolitikerInnen nur
scheitern. Schlimmstenfalls sitzen die Schreibenden da wie Waldorf
und Statler, die das Spiel mit schlechtgelaunten Kommentaren
begleiten. Ein viel lohnenderes Ziel ist es, PolitikerInnen wieder
weg von diesem vorformulierten und manipulativen Sprechen bringen:
Sprachkritik etablieren, Diskurs und Partizipation wieder stärken,
der Ästhetik eine Rolle zuweisen! Das ist die Legitimation von uns
SprachkünstlerInnen, diesen Workshop überhaupt anzubieten. Die
Forderung nach echter Kommunikation und wahrhaftigem Sprechen dürfen
Teil unserer literarischen Arbeit sein.
Wir
sind höchstens
KulturpolitikerInnen,
also geht es nicht um ein Debattentraining, wir sind keine Judokas,
die alle Tricks kennen müssen. In einer direkten Konfrontation mit
ausgebildeten Kommunikationstrainern wie Norbert Hofer oder Andreas
Rabl wäre für die Kunst wahrscheinlich nicht viel zu gewinnen. Die
Einübung einer gewissen Schlagfertigkeit im Dienste der
Debattenkultur ist dennoch erstrebenswert (und dauert wohl so lange
wie der Weg zum Schwarzen Gurt). Zielsichere Argumentation, Kritik an
Desinformationskniffe und höfliche Konfrontation sind Wege, die gute
Sache voranzubringen, nämlich das Engagement gegen Spaltung und
Populismus. Eine grund-empathische Haltung macht es unmöglich, mit
Message Control ein Gespräch zu zerstören.
Bei aller
Wertschätzung für den Versuch „gewaltfrei“ zu kommunizieren: Es
ist völlig legitim, einen Menschen, der mir sprachlich den Respekt
verweigert oder sich keine Mühe in Sachen Empathie macht
(absichtliche Lüge, Verschleierung, Nicht-Antwort), mit meinen
authentischen Gefühlen zu konfrontieren. Man muss nicht immer nur
enttäuscht sein, Wut ist zuweilen angebracht.
Der Drang, stets
vermitteln zu wollen und Verständnis für jede Position
aufzubringen, ist löblich, allerdings nur in einem klaren Rahmen:
Das ist kein „Framing“, sondern der Einsatz für Menschenrechte,
unabhängige Justiz und Gleichberechtigung. Darüber muss nicht lange
diskutiert werden, darum ist es nicht zu akzeptieren, dass Herbert
Kickl nach seinem Sager „Das Recht muss der Politik folgen“ nicht
sofort zurücktreten musste. Der Differenzierungsexzess kommt
natürlich auch auf der anderen Seite vor, wenn etwa in einer
Mailingliste der Freien Szene in OÖ jemand gegen den
antifaschistischen Grundkonsens argumentiert, mit linguistisch
mangelhaften Mitteln: „die antifaschistischen Grüße unterscheiden
sich von den faschistischen Grüßen bloss durch eine Vorsilbe.
Sowohl anti als auch der Rest des Attributes sind negativ besetzt.“
Das ist schon sehr, sehr blöd.
Konkrete
Gegenstrategien: Meta-Kommunikation
Problematik offen
ansprechen, auf die Meta-Ebene wechseln. „Sender“
sprachanalytisch darauf hinweisen, was sie sagen oder eben nicht
sagen.
„Was
wollen Sie damit eigentlich sagen?“
Die eigene
Unzufriedenheit mit Phrasen und Ausweichen klar kommunizieren (in
aller Höflichkeit). JournalistInnen mögen darauf hinweisen, dass
die LeserInnen, ZuhörerInnen, ZuseherInnen mit dieser Antwort nicht
zufrieden sein werden.
PolitikerInnen,
MachtinhaberInnen offensiv darüber informieren, dass nun ein
ehrlicheres Sprechen erwünscht ist. In der Berichterstattung stark
betonen.
Kleine Nebenbemerkung:
Obacht vor den Beckmessern, die dem Elitären das Wort reden und den
elaborierten Code zur Abgrenzung missbrauchen. Es
ist der Welt nicht sehr geholfen, wenn sie wegen jedem kleinen
Tippfehler eine Bildungskrise herbei jammern. Einem nationalistischen
Nationalratsabgeordneten muss man die Rechtschreibfehler in seinen
Postings mit Fug und Recht vorhalten, wenn die Beherrschung der
deutschen Sprache in komischem Kontrast zum fremdenfeindlichen Inhalt
steht. Es zeugt aber von mangelnder Herzensbildung und Eleganz,
politisch Andersdenkenden permanent ihre sprachliche Schwäche
vorzuwerfen. Bildung ist ein Privileg und ein Geschenk, das nicht
jedem im gleichen Ausmaß zuteil wird.
Übungen
„Geframte“
Begriffe sammeln, Gewohnheiten aufzeigen: Warum sagen wir
Arbeitnehmer
und Arbeitgeber?
Beispiele: Soziale Hängematte, „Leistung muss sich wieder
lohnen“, die Herde der Babyelefanten in den Medien.
Ein
transkribiertes Manuskript, etwa von Ministerin Karin Edtstadler,
gemeinsam lesen und zählen, wie viele der Tricks sie anwendet.
Satire
ist ein wunderbares Werkzeug für die Förderung von Aufklärung.
Schöne Beispiele sind die „feministische“ Literaturkritik, die
Großschriftsteller mit denselben Frechheiten behandelt, wie sie
sich sonst Autorinnen gefallen lassen müssen. Schreiben Sie ein
kurzes Porträt eines prominenten Mannes, in dem Sie ihn
herablassend auf seine Körperlichkeit reduzieren. („Ist so ein
hübsches Gesicht nicht zu schade für die Politik“?)
Das
Kurz-Wolf-Spiel: TeilnehmerInnen schlüpfen in Zweier-Teams jeweils
einmal in die Rolle von Armin Wolf (stellvertretend für andere
JournalistInnen, die ihre Verantwortung ernst nehmen), einmal in
jene des Bundeskanzlers, der den Fragen möglichst ohne echte
Antwort entschlüpft. Nach fünf Minuten werden die Rollen
getauscht. Parodistische Übertreibung ist sehr erwünscht!
Verwendete
Literatur
Gümüsay, Kübra:
Sprache und Sein. Hanser Verlag, 2020
Horaczek,
Nina und Walter Ötsch (Hrg.): Populismus für Anfänger. Anleitung
zur Volksverführung,
Westend-Verlag, 2017
Horwatitsch,
Bernhard: Jargon der Aufklärung. Wenn sie reden ohne etwas zu
sagen. In: schreibkraft. Feuilletonmagazin, #34, Graz 2019, S. 13-17
Menasse, Eva:
Lieber aufgeregt als abgeklärt. Essays. Btb-Verlag, 2016
Bernhard Pörksen:
Die große Erregung. Hanser Verlag
Tóth, Barbara:
Einmal Diskurs zertrümmern, bitte. Falter 8/2020
Weiterführende
Empfehlungen:
Isolde Charim
analysiert in ihrer wöchentlichen Kolumne im „Falter“ politische
Begrifflichkeiten.
Noam Chomsky und
Edward S. Herman: Manufacturing Consent: The Political Economy of
the Mass Media
Erhard Eppler:
Kavalleriepferde beim Hornsignal. Suhrkamp
Peter Huemer: Über
das Reden schreiben. Stadtgespräch 26-50
Viktor Klemperer:
LTI. Reclam
George Orwell:
1984, Ullstein (s. „Neusprech“)
Walter
Ötsch setzt sich mit Framing, NLP und Kommunikationstechniken des
Populismus wissenschaftlich auseinander: https://walteroetsch.at/
Armin
Thurnhers Blog-Beiträge handeln auch immer wieder von den
Verfehlungen des Boulevards und politischen Unsitten:
https://cms.falter.at/blogs/athurnher/
Ruth Wodak:
Politik der Angst. Edition Konturen.
Es lohnt sehr oft,
die „heute Show“ auf ZDF anzusehen, hier wird das Mantra der
Message Control oft und mit schöner Sorgfalt auf die Schaufel
genommen.
Anhang – Textbeispiele
Klaus
Nüchtern, Newsletter des „Falter“, 15. Jänner 2021:
„Der
Babyelefant hat ganz klar das Rennen gemacht – im Unterschied zu
2017, als "Vollholler" nur "arschknapp" (Platz 3
im Jahr 2016) vor "Fake News" voranlag, wohingegen sich
"Schweigekanzler" (2018) und "Ibiza" (2019)
einigermaßen klar als Wort
des Jahres durchsetzen konnten. Der Babyelefant
allerdings war mit mehr als nur ein paar Rüssellängen Vorsprung vor
"Corona" und "verblümeln" durchs Ziel
geschossen.
Auch das an sich
unverdächtige Wort Adjektiv "systemrelevant" wäre eine
Option gewesen. Ich bin zwar kein Apidologe, mir allerdings relativ
sicher, dass man mit der Behauptung, die Königin sei für das System
Bienenstaat von höherer Relevanz als die fünfte Drohne von links
nicht einmal in linksradikalen Bienenkundlerkreisen helle Empörung
auslösen würde. Entscheidend sind nicht die Worte selbst, sondern
der Gebrauch, der von ihnen gemacht wird. Sprechakte bewirken etwas,
verknüpfen sich zu Narrativen und Diskursen, die unsere Wahrnehmung
strukturieren und schließlich auch ganz bestimmte Praktiken zur
Folge haben.
Über die Unterscheidung
zwischen "systemrelevanten" und lediglich
"kulturverliebten" Menschen grämen sich diejenigen, die
vom Slimfit-Kanzler der zweiten Kategorie zugezählt wurden, seit
Monaten. Die einen beschweren sich depressiv darüber, dass sie ja
"leider nicht systemrelevant" seien; die anderen beteuern
trotzig, dass Kultur eben auch ein "Lebensmittel" sei. Das
ist verständlich, aber nicht sonderlich fruchtbar. Der Gestus "Seht
ihr nicht, wie wichtig wir sind?!" indiziert die eigene
Hilflosigkeit: Er wird von den Bekehrten bestätigt und von den
Indolenten ignoriert. Und gegen öffentliche Selbstzerknirschung gilt
es ohnedies Erich Kästners hellsichtiges Bonmot zu mobilisieren:
"Nie sollt Ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man Euch
zieht, auch noch zu trinken!"
[...]
Als
1971 Teile der bis dahin geheimen Pentagon-Papiere
durch die New York Times und die Washington Post
geleaked wurden, erfuhr die Öffentlichkeit, dass sie vom Präsidenten
abwärts jahrelang systematisch belogen worden war. Die in die USA
emigrierte deutsche Philosophin und Totalitarismus-Theoretikern
Hannah
Arendt veröffentlichte aus diesem Anlass ihren
Essay über "Die
Lüge in der Politik", in dem sie u.a.
über den wachsenden Einfluss der PR-Abteilungen nachdenkt und zu dem
Schluss kommt, dass das Handeln als "das eigentliche Werk der
Politik" immer mehr in den Hintergrund rückt: "Image-Pflege
als Weltpolitik – nicht Welteroberung, sondern Sieg in der
Reklameschlacht um die Weltmeinung – ist allerdings etwas Neues in
dem wahrlich nicht kleinen Arsenal menschlicher Torheiten, von denen
die Geschichte berichtet." Dass die Lektüre
dieses Essays auch ein halbes Jahrhundert nach
dessen Entstehung lohnt, versteht sich in Zeiten von "Fake News"
und "Message Control" fast von selbst.
Armin
Thurnher, „Seinesgleichen geschieht“, Falter, 3/2020:
„Nein,
Message Control mag 'state of the art' sein, eine Freude von
sogenannten Politikberatern und sonstigen Feinspitzen der
Desinformation. Aber Message Control ist auch eine Hausmeisterform
von Totalitarismus. Was sonst als klassisches Untertanengehabe wäre
die Freude, eine Parole wiederholen zu können, ohne sie in Frage zu
stellen, und fremdes Gedankengut wiederzukäuen, ohne zu erröten? …
Message Control ist nicht nur raffinierter Stumpfsinn, sie ist auch
Entwöhnung von öffentlichem Denken, von der Kunst der fairen
Auseinandersetzung. Message Control ist Unterwerfung.“
Eva
Menasse über Rechthaberei:
„Die
auf dem Antisemitismus-Feld lange eingeübte Unkultur der
gegenseitigen Exkommunikation vom Diskurs, also des versuchten
Mundtotschlags, beginnt sich epidemisch auf andere Diskurse
auszubreiten.“ S. 119, „Raus aus dem Quadrat“
Fußnoten: