Mittwoch, 29. Juni 2022

Was wir lesen - 2022

Von Dominika Meindl. Fotos: Helmut Rizy

In gewohnt akribischer Vorbereitung und enthusiastischer Moderation führte Erich Wimmer durch einen Abend, der die Vielfalt der GAV OÖ stets besonders deutlich vor Augen führt: In "Was wir lesen" sprachen Andrea Drumbl, Kurt Mitterndorfer, Lisa-Viktoria Niederberger, Stephan Roiss, Elisabeth Strasser und Erich Wimmer kurz und prägnant über ihre Lieblingsbücher. Die junge Violonistin Valentina Pirklbauer spielte dazwischen einzelne Sätze aus Telemann-Fantasien für Violine Solo.


Andrea Drumbl war an diesem Abend besonders glücklich, da Christian Loidls Mutter im Publikum saß und sichtlich erfreut zuhörte, wie die Lyrikerin mehr als fachkundig über dessen Buch „schwarzer rotz“ sprach. Drumbl schaffte es auch, Erich Wimmer ins Boot zu holen, der mit der nicht sehr bildstarken, mitunter hermetischen Lyrik Loidls gehadert hatte.

Eine ganz andere Richtung schlug Lisa-Viktoria Niederberger ein. Sie erweiterte die Sichtweisen um die Perspektive einer Schwarzen Frau, der US-Amerikanerin Dantiel W. Moniz. Die Stories in „Milch Blut Hitze" zeigen die Schattenseiten des "Sunny State" Florida; wie unangenehm das Leben für die "Unterschicht" in den USA ist - vor allem für Frauen. Moniz beschreibt in ihrem Debüt Großes mit wenigen Strichen, sie beschönigt nichts und beherrscht einen klaren Stil - auch die Übersetzung von Claudia Arlinghaus und Anke Caroline Burger sei sehr gelungen.

Kurt Mitterndorfer führte das Publikum zurück nach Österreich - um Schattenseiten geht es aber auch hier. Da führt der Titel des von ihm vorgestellten Buches - „Das gute Leben“ - freilich in die Irre. Und doch beweist Fred Wander in seiner Autobiographie, was wahre Resilienz ist. Mitterndorfer und Wimmer sind sich einig, dass es ein Wunder sei, nach all den Schicksalschlägen nicht nur so ein Buch zu schreiben, sondern auch so ein Leben hinzukriegen. Dazu passt der Untertitel des 1996 erschienenen Buches: "Von der Fröhlichkeit im Schrecken". Wander hat es im Alter von fast 90 Jahren verfasst. Er beschreibt die Demütigungen eines jüdischen Buben im Nazi-Wien, von den Gefahren im Exil und dem Elend der Konzentrationslager in Buchenwald und Auschwitz. "Ich bin unterwegs, mein Gepäck ist nicht leicht", endet Wander.

Ein im Ton weitaus dunkleres Buch hat Stephan Roiss für den Abend gewählt: „Winters Garten“ von Valerie Fritsch. Roiss betont, dass für ihn die Sprache einer Erzählung das Wichtigste sei - ohne eine entsprechende Beschreibung seien die Handlung und der Gegenstand nichtig. Und wenn einer einen Stein drei Tage lang beschreibe, sei das legitim, wenn er dafür die richtige Sprache finde. Und das sei Fritsch in ihrem dystopischen Roman gelungen. Bei der Beschreibung einer Liebe im Klappentext scheiden sich kurz Wimmers und Roiss' Geister, aber es wäre gar nicht nötig gewesen, dass sich Roiss für den Bonsai-Zwist entschuldigt: Die beiden sind spürbar Freunde, und eine Debatte auf hohem Niveau schadet im Prinzip nie.

Nach Fritsch sprachmächtiger Beschreibung des Verfalls bot Elisabeth Strasser die nächste Wendung in eine komplett andere Richtung. Wimmer zeigt sich begeistert von ihrer intensiven, im allerbesten Sinne kindlichen Leselust - wir alle haben Sehnsucht nach der Versunkenheit in die Lektüre, wie sie nur den ganz Jungen gelingt. Strasser spricht über den gescheiten Witz in „Der Kater Konstantin“ von Walter Wippersberg. Nach der famosen Satire "Das Fest des Huhnes" gelang ihm mit den Erlebnissen des sprechenden Katers in einem völlig anderen Genre erneut ein großer Erfolg.

Und schließlich schloss der bekennende Bibliomane Erich Wimmer mit seinem feurigen Plädoyer für die (erneute) Lektüre der "Brüder Karamasow". Man möge sich einmal im Leben der gewaltigen Aufgabe unterwinden, sämtliche Übersetzungen ins Deutsche parallel zu lesen und die jeweiligen Ergebnisse vergleichen. Dabei erkenne man erst, was für ein Monument Fjodor Michailowitsch Dostojewski wirklich geschaffen habe - darüber stehe nur die Bibel. 

Die Nachberichterstatterin notiert noch dankbar seinen Hinweis auf Augustinus: "Sündige tapfer!" 

Valentina Pirklbauer, geboren 2004, maturiert derzeit am Stiftergymnasium, spielt bei diversen Ensembles und in der Upper Austrian Synfonietta.

 

Mittwoch, 8. Juni 2022

lyrik & jazz V - ein Nachbericht

Von Dominika Meindl. Fotos: Helmut Rizy

Zum fünften Mal lud Judith Gruber-Rizy zur Feier der Kongenialität ins Theater Phönix – und heuer waren die Sitzreihen auch endlich wieder so dicht besetzt, wie es diesem umsichtig kuratierten Literatur- und Musikereignis gebührt.

Das Line-Up an diesem 7. Juni: Marlene Gölz, Andreas Tiefenbacher Eva Fischer, Siegfried Holzbauer Till Mairhofer und Ines Oppitz lasen eigene Texte; bis auf Letztere war es für alle eine Premiere, was für die Attraktivität von Lyrik & Jazz für die Mitwirkenden spricht. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass sie von Rudi Habringer am Piano und von Franz Prandstätter am Saxophon begleitet werden. Wobei "begleiten" ein viel zu schwaches Wort dafür ist, was die beiden da alljährlich zaubern. Das ist wohlvorbereitete Improvisation, geteilte Spielfreude und höchstes Können. Die beiden unterstützen die Lesenden, dazwischen bekommt ihr Spiel den eigenen Raum, der ihm zusteht. Man wünschte, man verstünde mehr von Musik, um zu vermitteln, was zu hören war. Habringer verwies im Übrigen zu Recht darauf, dass es in der GAV OÖ etliche Menschen mit Mehrfachbegabung gebe, wobei die Bildende Kunst stärker vertreten sei als die Musik.

Marlene Gölz machte den Anfang, und es war für sie auch ungewohnt, Lyrisches zu lesen. Das erfuhr das Publikum aber nicht aus eigener Anschauung, sondern nur, weil sie es selbst feststellte. In "Schreiben 1": "alles reinhämmern an Wut und Kraft, was nötig ist". Sie weiß Bescheid, wenn sie über das Landleben schreibt, die drohende "Absiedlung ins Zwischengebiet", und indirekt wohl auch über "Wirrwarr, Wischiwaschi, Tunichtgut". Bei Gölz gibt es "Eigenarten, eigene Arten und den eigenen Garten". Ihre Lyrik schreibt sie aus dem Alltag heraus, etwa an einem trüben Sonntag Morgen im April. "Alles ist still, und ein Warten." Ihre genauen Beobachtungen sagen im Kleinen viel über das Große, etwa dass die Gurken im Eferdinger Becken geerntet werden müssen, und man weiß, dass das ein Problem wird, weil die ukrainischen Erntehelfer eingerückt sind.

Andreas Tiefenbacher las aus der "Liebesliederbox". Da kommen Zikaden vor, die im letzten Sonnenlicht baden, "wie zwei verliebte Fliegen". Das lyrische Ich steht ehrfürchtig vor der Skulptur Michelangelo Pistolettos in Pagliano, einem marmornen Riesen, "ein Körpermonument". "Und weg ist das innere Schluchzen." Er will ganz nach eigenem Willen leben, "die Sehnsucht sitzt auf jedem Zeh". Und schließlich versinken die Schwäne am Hallstättersee im Presslufthammergedröhne.

Eva Fischer hielt sich nicht sklavisch an die Vorgabe "Lyrik", stattdessen las sie drei Dialoge in ihrer bewährten Vorgangsweise, indem sie die Leute belauscht und sich dazu eigene Gedanken macht. Während der Dialoge schwiegen Saxophon und Piano, nur um sich in den kleinen Pausen zu einem besonders gelungenen Dialog zusammen zu tun. In der ersten Zwiesprache geht es um das Folgen und das Befragen von Landkarten. Oder führt das Bauchgefühl sicherer ans Ziel? "Karten und Pläne schränken meine Entscheidugsfähigkeit ein." Und Kartenzeichner könnten ja Gauner sein... "Vertrauen ist halt immer auch ein wenig riskant." Der zweite Dialog führte mit Kant in die Konditorei. Ob der Vorname "Immanuel" lautete, ist nicht überliefert, wohl aber, dass Kant schweigend seine Malakofftorte genoss. Und schließlich beschrieb Fischer Bilder zu Texten, ihre "Auftischungen", die sie "Denklinge" nennt. So ging es denn auch auf eine kleine Reise in das südbayrische Denklingen, wo es eine Denk-Kolonie zu gründen gilt, um dem Grund der eigenen Denklust doch am Ende vielleicht auf den Grund zu gehen.

Ines Oppitz beschreibt einen Platzregen in Aschach. "Eine Stromschnelle sei ich, sagst du", und das Du kann auch zur einem "Schnarren des Telefons" werden. Das lyrische Ich wird bei Oppitz zu einem Klangkörper, der sich wie ein Sonar selbst zu orten versucht. Sie findet das Namenlose auf verschütteten Wegen, in ortlosen Weiten. Ihre Gedichte sind zugänglich und doch etwas verschlossener als jene der anderen, was aber überhaupt kein Nachteil ist. "Guten Tag, guten Abend, ist das die Wirklichkeit?"

Eine einzigartige Verbindung von Lyrik und Tagesgeschehen schafft Siegfried Holzbauer schon seit mehr als 25 Jahren in seinem "Diarium": Jedes einzelne seiner Tagesgedichte besteht exakt aus 36 Buchstaben. Er geht damit seit Jänner 1996 der Frage nach, ob sich das individuelle Leben als poetischer Text begreifen (bzw, festhalten) lassen kann. Für "Lyrik & Jazz" las er seine verdichteten, assoziativen Eintragungen seit Beginn des Ukraine-Krieges bis zum aktuellen Datum vor. Am 23. Februar 2022 heißt es:

omikron rückt näher
die russen kommen
und

Im März:

aschermittwoch
charkiw
&
in schutt und asche

Profanes wie Fischverzehr und Corona stehen bei Holzbauer unmittelbar neben dem Großen, Existenziellen, der Himmel neben der Hölle – man ahnt, dass es hier gar keine rechte Grenzziehung geben kann.

Alles ist hier nachzulesen: http://advancedpoetx.com/DIARIUM/index.html

Den Abschluss machte Till Mairhofer. Er lehnte seine Darbietung an Brentanos "Der Spinnerin Lied" an – "Des Spinners Lied": Der geht die Buchreihen entlang, bevor er selbst geht. Er liest sich ein Spätwerk zusammen, von jedem Autor möglichst das letzte Werk. Daraus entsteht eine an Goethe und die eigene Gedichtinterpretation angelehnte Poetologie. Am Ende mündet der Gang durch die Bibliothek und die eigene Erinnerung in stiller Resignation. Und doch gibt es das "Blattgold", das Licht in den höchsten Birkenzweigen – und die Rettung der Welt in uns. In "Altersteilzeit" bleibt Verspieltes und vieles, das noch zu sagen ist. Für das musikalische Finale packt Mairhofer seine Violine aus, im Trio klingt dieser geglückte Abend aus.

Eine Veranstaltung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung in Zusammenarbeit mit der GAV OÖ. Ein Live-Mitschnitt ist demnächst auf dorfTV zu sehen, ebendort gibt es einige Ausgaben der Reihe zu finden.


Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...