Mittwoch, 8. Juni 2022

lyrik & jazz V - ein Nachbericht

Von Dominika Meindl. Fotos: Helmut Rizy

Zum fünften Mal lud Judith Gruber-Rizy zur Feier der Kongenialität ins Theater Phönix – und heuer waren die Sitzreihen auch endlich wieder so dicht besetzt, wie es diesem umsichtig kuratierten Literatur- und Musikereignis gebührt.

Das Line-Up an diesem 7. Juni: Marlene Gölz, Andreas Tiefenbacher Eva Fischer, Siegfried Holzbauer Till Mairhofer und Ines Oppitz lasen eigene Texte; bis auf Letztere war es für alle eine Premiere, was für die Attraktivität von Lyrik & Jazz für die Mitwirkenden spricht. Das liegt zu einem großen Teil daran, dass sie von Rudi Habringer am Piano und von Franz Prandstätter am Saxophon begleitet werden. Wobei "begleiten" ein viel zu schwaches Wort dafür ist, was die beiden da alljährlich zaubern. Das ist wohlvorbereitete Improvisation, geteilte Spielfreude und höchstes Können. Die beiden unterstützen die Lesenden, dazwischen bekommt ihr Spiel den eigenen Raum, der ihm zusteht. Man wünschte, man verstünde mehr von Musik, um zu vermitteln, was zu hören war. Habringer verwies im Übrigen zu Recht darauf, dass es in der GAV OÖ etliche Menschen mit Mehrfachbegabung gebe, wobei die Bildende Kunst stärker vertreten sei als die Musik.

Marlene Gölz machte den Anfang, und es war für sie auch ungewohnt, Lyrisches zu lesen. Das erfuhr das Publikum aber nicht aus eigener Anschauung, sondern nur, weil sie es selbst feststellte. In "Schreiben 1": "alles reinhämmern an Wut und Kraft, was nötig ist". Sie weiß Bescheid, wenn sie über das Landleben schreibt, die drohende "Absiedlung ins Zwischengebiet", und indirekt wohl auch über "Wirrwarr, Wischiwaschi, Tunichtgut". Bei Gölz gibt es "Eigenarten, eigene Arten und den eigenen Garten". Ihre Lyrik schreibt sie aus dem Alltag heraus, etwa an einem trüben Sonntag Morgen im April. "Alles ist still, und ein Warten." Ihre genauen Beobachtungen sagen im Kleinen viel über das Große, etwa dass die Gurken im Eferdinger Becken geerntet werden müssen, und man weiß, dass das ein Problem wird, weil die ukrainischen Erntehelfer eingerückt sind.

Andreas Tiefenbacher las aus der "Liebesliederbox". Da kommen Zikaden vor, die im letzten Sonnenlicht baden, "wie zwei verliebte Fliegen". Das lyrische Ich steht ehrfürchtig vor der Skulptur Michelangelo Pistolettos in Pagliano, einem marmornen Riesen, "ein Körpermonument". "Und weg ist das innere Schluchzen." Er will ganz nach eigenem Willen leben, "die Sehnsucht sitzt auf jedem Zeh". Und schließlich versinken die Schwäne am Hallstättersee im Presslufthammergedröhne.

Eva Fischer hielt sich nicht sklavisch an die Vorgabe "Lyrik", stattdessen las sie drei Dialoge in ihrer bewährten Vorgangsweise, indem sie die Leute belauscht und sich dazu eigene Gedanken macht. Während der Dialoge schwiegen Saxophon und Piano, nur um sich in den kleinen Pausen zu einem besonders gelungenen Dialog zusammen zu tun. In der ersten Zwiesprache geht es um das Folgen und das Befragen von Landkarten. Oder führt das Bauchgefühl sicherer ans Ziel? "Karten und Pläne schränken meine Entscheidugsfähigkeit ein." Und Kartenzeichner könnten ja Gauner sein... "Vertrauen ist halt immer auch ein wenig riskant." Der zweite Dialog führte mit Kant in die Konditorei. Ob der Vorname "Immanuel" lautete, ist nicht überliefert, wohl aber, dass Kant schweigend seine Malakofftorte genoss. Und schließlich beschrieb Fischer Bilder zu Texten, ihre "Auftischungen", die sie "Denklinge" nennt. So ging es denn auch auf eine kleine Reise in das südbayrische Denklingen, wo es eine Denk-Kolonie zu gründen gilt, um dem Grund der eigenen Denklust doch am Ende vielleicht auf den Grund zu gehen.

Ines Oppitz beschreibt einen Platzregen in Aschach. "Eine Stromschnelle sei ich, sagst du", und das Du kann auch zur einem "Schnarren des Telefons" werden. Das lyrische Ich wird bei Oppitz zu einem Klangkörper, der sich wie ein Sonar selbst zu orten versucht. Sie findet das Namenlose auf verschütteten Wegen, in ortlosen Weiten. Ihre Gedichte sind zugänglich und doch etwas verschlossener als jene der anderen, was aber überhaupt kein Nachteil ist. "Guten Tag, guten Abend, ist das die Wirklichkeit?"

Eine einzigartige Verbindung von Lyrik und Tagesgeschehen schafft Siegfried Holzbauer schon seit mehr als 25 Jahren in seinem "Diarium": Jedes einzelne seiner Tagesgedichte besteht exakt aus 36 Buchstaben. Er geht damit seit Jänner 1996 der Frage nach, ob sich das individuelle Leben als poetischer Text begreifen (bzw, festhalten) lassen kann. Für "Lyrik & Jazz" las er seine verdichteten, assoziativen Eintragungen seit Beginn des Ukraine-Krieges bis zum aktuellen Datum vor. Am 23. Februar 2022 heißt es:

omikron rückt näher
die russen kommen
und

Im März:

aschermittwoch
charkiw
&
in schutt und asche

Profanes wie Fischverzehr und Corona stehen bei Holzbauer unmittelbar neben dem Großen, Existenziellen, der Himmel neben der Hölle – man ahnt, dass es hier gar keine rechte Grenzziehung geben kann.

Alles ist hier nachzulesen: http://advancedpoetx.com/DIARIUM/index.html

Den Abschluss machte Till Mairhofer. Er lehnte seine Darbietung an Brentanos "Der Spinnerin Lied" an – "Des Spinners Lied": Der geht die Buchreihen entlang, bevor er selbst geht. Er liest sich ein Spätwerk zusammen, von jedem Autor möglichst das letzte Werk. Daraus entsteht eine an Goethe und die eigene Gedichtinterpretation angelehnte Poetologie. Am Ende mündet der Gang durch die Bibliothek und die eigene Erinnerung in stiller Resignation. Und doch gibt es das "Blattgold", das Licht in den höchsten Birkenzweigen – und die Rettung der Welt in uns. In "Altersteilzeit" bleibt Verspieltes und vieles, das noch zu sagen ist. Für das musikalische Finale packt Mairhofer seine Violine aus, im Trio klingt dieser geglückte Abend aus.

Eine Veranstaltung der Grazer Autorinnen Autorenversammlung in Zusammenarbeit mit der GAV OÖ. Ein Live-Mitschnitt ist demnächst auf dorfTV zu sehen, ebendort gibt es einige Ausgaben der Reihe zu finden.


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