Montag, 28. Oktober 2019

Aggregat eines Vielgestaltigen
Betrachtungen zu Anestis Logothetis Werk im Rahmen der Veranstaltungsreihe "LOGOtheSEN".

Zum 25. Todestag des Komponisten und Künstlers Anestis Logothetis [1921-1994] initierte Herbert Christian Stöger in Zusammenarbeit mit Günter Köllemann unter dem Titel "LOGOtheSEN" eine bemerkenswerte Veranstaltungsreihe, die eine Annäherung an das umfangreiche Schaffen eines Künstlers ist, der sich nicht leicht einer "Schublade" zuordnen lässt.

In zwei Veranstaltungen im Theater Phönix, setzten sich 8 AutorInnen der GAV OOE [Anestis Logothetis war 1973 Gründungsmitglied der GAV]  mit dem Künstler selbst oder mit Werken des Künstlers, sowohl der graphischen Notation als auch den Tonbandkompositionen, auseinander. [Dies sind Angela Flam,
Angelika Ganser. Foto: WallyRe
Angelika Ganser, Herbert Christian Stöger, Peter Hodina, Wally Rettenbacher, Waltraud Seidlhofer, Robert Stähr und Richard Wall sowie der Klangkünstler Stefan Tiefengraber].

Die Ergebnisse dieser literarischen Auseinandersetzungen und Annäherungen sind im Oktober 2019 in einer Publikation im Schundheft [ Unartproduktion Dornbirn; Heft Nr. 28-2019] unter dem Titel "LOGOtheSEN" erschienen. In einer anschließenden Ausstellung im Oberösterreichischen Kunstverein, die noch bis 13. November 2019 zu sehen ist, werden  u.a. Siebdrucke von Partituren, die Logothetis im Eigenverlag veröffentlicht hat, sowie auch Leihgaben der Künstlervereinigung MAERZ gezeigt [Anestis Logothetis war ab 1980 auch Mitglied der Künstlervereinigung MAERZ].


Günter Köllemann. Foto: WallyRe
Logothetis´ Notationsgrafiken erscheinen auf den ersten Blick wie Zeichen und Linien, die sich gebündelt oder strahlenförmig über ein Blatt Papier ausweiten und sich vom 5-Linien-System abheben. Richard Wall beschreibt die Wirkung dieses Abhebens vom 5-Linien-System in seinem Beitrag in den LOGOtheSEN so: "...Nur in der Synthese ist zu erreichen ........eine Korrespondenz zwischen Strich & optischem Klang......"[1].

Neben dem Komponieren arbeitete Logothetis immer wieder mit Tonbändern.  Im ersten österreichischen Tonbandstück "FANTASMATA 60"[2], das 1959/60 entstand, setzt er die Akzente bewusst aufs "klangliche und emotional assoziative"[3]. Das Begriffliche - obwohl vorhanden - wird durch die Klanglichkeit überdeckt und nur durch stark aktives Hineinhören wahrgenommen"[4]. "Besonders erwähnte er in seiner "Autobiographie"", so schreibt Waltraud Seidlhofer in den LOGOtheSEN, " die Begegnungen mit John Cage und Earle Brown"[5]. John Cage hat Logothetis eingeladen, in der Sammlung "Notations", die er mittels dem Zufallsverfahren des chinesischen I Ging zusammenstellte,  eine Partitur zu veröffentlichen. Der Komponist Earle Brown definiert, was Logothetis wohl auch inspiriert
Theater Phönix Beisl. Foto: WallyRe
hat: "Zeit ist die eigentliche Dimension, in der die Musik existiert, wenn sie aufgeführt wird, sie ist von Natur aus ein unendlich teilbares Kontinuum. Schall kann ....... in dieser Dimension beginnen oder enden."
[6]

Links:
Das aktuelle Schundheft ist bei www.Unartproduktion.at zu erhalten:
 
WallyRe 10/19


[1] vgl. Schundheft. Richard Wall S. 20
[2] vgl. openmusic.at: "Phantasmata & Meditation (1960/61, 19'58, Erstes österreichisches Tonbandstück, Première 1963 zu Hermann Nitschs erster öffentlichen Aktion [Aktion Perinetgasse - Die Blutorgel], Galerie Lagergasse)"
[3] vgl. Krones [Hg], Klangbild und Bildklang, S. 63.
[4] vgl. Krones s. 63
[5] vgl. Schundheft. Waltraud Seidlhofer S. 38 [Waltraud Seidlhofer hat Logothetis persönlich getroffen, u.a. bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt, wo sie Teilnehmerin war und Earle Brown von 1957-1965 Dozent]
[6] vgl. http://www.earle-brown.org/works/view/12

Montag, 21. Oktober 2019

Literaturaustausch Sachsen-Oberösterreich geht zu Ende

Nach elf Jahren Austausch Sachsen-Oberösterreich zwischen dem Sächsischen AutorInnen Verband und der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung waren nun, vorerst zum letzten Mal, die Sachsen zu Gast im Stifterhaus Linz.

Bettine Reichelt und Francis Mohr lasen aus ihren Texten und erlaubten im Gespräch einen Einblick in die Veränderungen, wie sie seit der Wende erlebbar geworden sind. Oder seit der „revolutionären Erneuerung“, wie Christa Wolf es in ihrer Rede auf dem Alexanderplatz auszudrücken versuchte, da es um genutzte Möglichkeiten gehen sollte und nicht um das Wegducken der Crew während einer Totalumkehr, weil der Wind sich gedreht habe (vergl. Auf dem Weg nach Tabou, S. 13). Wurden diesen Möglichkeiten je eine Chance eingeräumt? Was können wir rückblickend sehen, erfahren, darüber schreiben?

Die beiden AutorInnen aus Sachsen formulierten es so, dass die Sprache konkreter habe werden können, seit es nicht länger nötig gewesen sei, zwischen den Zeilen lesen zu müssen. Deutlich wurde in diesem Zusammenhang dennoch, dass es gerade in der DDR ein ausgesprochen aufmerksames Publikum gab (auch das ist nachzulesen bei Christa Wolf, die rückblickend konstatiert, das Publikum sei nirgend zahlreicher, anspruchsvoller, fordernder und dankbarer gewesen als in der DDR). Und auch die Autorin Elisabeth Strasser, die dieses Jahr Oberösterreich in Leipzig vertreten hat, fand dort ein zugewandtes Publikum, wie sie ergänzte.

Im Stifterhaus jedoch herrschte ebenfalls eine aufmerksame Bereitschaft zum Zuhören, Fragen und Sich-einlassen auf die doch sehr verschiedenen Zugänge, mit denen die vorgestellten Texte erstellt wurden: "Der Stoff liegt auf der Straße, man muss sich nur krümmen", meint Francis Mohr und bedient sich am reichhaltigen Alltag, während Bettine Reichelt die Bibel als unerschöpflichen Pool sieht, den kriminellen Energien des Menschen nachzuspüren, die durch alle Systeme hindurch offenbar gleichbleibend konstant bleiben. Als des Menschen Natur?

Danke für den Abend und die sowohl sprachliche als auch inhaltliche Rückkehr in die Ostberliner Gartenlaube meiner Kindheit. Damals verspürte ich neben der Hoffnung auf Wiedervereinigung, die mir als utopisch abgetan wurde, die unerschütterliche Hoffnung auf eine Gesellschaft, die eine humanistische Tradition und die Freiheit des Menschen in sich vereint.

Ich hoffe, diese Utopie entpuppt sich eines Tages als ebenso wenig reine Utopie wie es der Mauerfall gewesen ist und die menschliche Natur widerlegt ihre altherbebrachten Zuschreibungen innerhalb der nächsten 2000 Jahre.

https://corinna-antelmann.com/sachsen-oberoesterreich-literaturaustausch/

Selbst-Einlagerung, Stadt-Tiere und feine Striche. Waltraud Seidlhofers "wie ein fliessen die stadt"

Waltraud Seidlhofer, ein still leuchtender Fixstern österreichischer Literatur, macht sich mit ihrem neuen Buch selbst das beste Geschenk zum 80. Geburtstag.

Rezension: Dominika Meindl

Es ist keine leichte Übung, Seidlhofer ins Rampenlicht zu stellen, insbesondere zu ihrem Jubiläum am 26. November. Ihre Bescheidenheit steht in exakt umgekehrtem Verhältnis zur Relevanz ihrer Arbeit. Und die Lektüre ihrer neuesten Publikation „wie ein fliessen die stadt“ (Klever Verlag) zeigt, wie aktuell ihr Schreiben ist, wie nahe es der Gegenwart ist (warum sollte das auch anders sein?).


 Waltraud Seidlhofer bei "Zur Lage" im Posthof, 2017. Foto: Meindl
 
Ihre Prosastücke gehen von der Arbeit an einem Projekt im Architekturzentrum von Chicago aus, sie drehen sich um Strukturen einer Megacity, um Stadtentwicklung, Ruinen oder um Tiere im urbanen Naturraum. Wie stets denkt Seidlhofer bei ihren literarischen Erkundungen in offenen Dialektiken von Stadt und Natur, Raum und Zeit; auf alle Phänomene lenkt sie denselben scharfen Blick. Ihr Schreiben ist Prosa, Lyrik und Essay in einem. Sprache, Ton und Takt sind ganz eigentümlich, sie ähneln dem bedächtigen Flanieren einer älteren Dame durch ihre Umgebung: „feine striche aus bewegung und zeit.“
Seidlhofer nimmt sich auch im Text ganz zurück, ein „Ich“ kommt höchstens in Zitaten von Adorno, Butor oder Benjamin vor. Seite für Seite schreitet sie voran, wechselt zwischen der Beschreibung dessen, was sich im Blick aus dem Hotelzimmer fängt, und globalen architektonischen Reflexionen über den Entwurf von Riesenstädten und das Leben darin. Welche Glaspaläste werden den Reichen gebaut, in welchen Schachteln müssen die ArbeiterInnen oder Flüchtlinge hausen? Wie organisieren moderne Nomaden ihr Dasein, was bewahren sie in den boomenden self-stores? In den Vorstädten weiß sie auch die Eintönigkeit zu interessieren. Besonders fasziniert sie die verlassene Stadt, etwa nach einem Atomunfall oder nach einer Naturkatastrophe, wie „die restlinien einer industriearchitektur, die langsam und stetig in die oekologie eingepasst wird“.



Waltraud Seidlhofer: wie ein fliessen die stadt. Klever Verlag, 150 S., 18 €
Am 28. November liest sie bei der Verlagspräsentation im Stifterhaus aus dem Buch. 
Hinter dieser Rezension: Dominika Meindl ist so wie Waltraud Seidlhofer Mitglied der GAV OÖ und schätzt die Autorin auch persönlich. Es wäre der Rezensentin eine Freude, überprüften LeserInnen ihre Rezension durch eigene Lektüre auf deren Objektivität hin. Kommentare sind willkommen!

Samstag, 12. Oktober 2019

Literatur im Flößerhaus

Mit dem Herbst setzt der Reigen an Literaturveranstaltungen wieder ein. Die Saison begann fulminant mit der Herbstlesung im Flößerhaus in Wels/Thalheim am 27. September 2019.

Johann Kleemayr initiierte 2018 in engagierter Eigeninitiative eine Literaturreihe in seinem Haus nahe der Traun. Drei Lesungen mit jeweils drei Autorinnen und Autoren fanden bereits statt. Alle, wie auch die Herbstlesung, mit großem Publikumsinteresse: alle Plätze besetzt.

Waltraud Seidlhofer begann den Abend mit Lyrik und Prosa. Bilder entstanden beim Zuhören ihrer Texte, in denen es ihr um genaues Beschreiben geht. Eindrücklich etwa Bilder von Hochhäusern in den USA mit Swimmingpools auf den Dächern, die bei Erdbeben überschwappen. Aus ihren zahlreichen Reisen schöpft sie ihre Ideen, erzählte sie im Kurzinterview, das Stefan Reiser mit den Auftretenden führte, und als Gründungsmitglied der GAV sprach sie auch über deren Entstehungshintergründe.

Mit Rudi Habringer und Stefan Reiser traten zwei großartige Vortragskünstler auf.
Stefan Reiser, Schöpfer von witzig-geistreichen Dramoletten, ließ etwa einen Regisseur zu seinem Ensemble sprechen und nahm dabei Neid und Eifersüchteleien am Theater genauso satirisch aufs Korn wie das vordergründige Sprechen über Teamgeist und Zusammenhalt.
Rudi Habringer, literarischer und musikalischer Allround-Künstler, der das Spektrum vom Romanschriftsteller über den Kabarettisten bis zum Jazz-Musiker abdeckt, imaginierte u.a. eine Umfrage, wie Leute es mit dem Zweitbuch halten, und brachte dabei einen Studenten aus Afrika, einen Wiener Hausmeister, einen türkischstämmigen Jugendlichen und einen Kellner aus dem Mühlviertel in ihrer jeweiligen Sprache so lebensecht auf die Lesebühne, dass man sie wörtlich sprechen zu hören vermeinte.

Die Frage nach dem „Zweitbuch“, ließ das Problem des sekundären Analphabetismus und die Marginalisierung der Literatur im Schulunterricht ansprechen. Und die damit verbundene Idee eines „Landesliteraturschulwerks“, das vergleichbar dem Musikschulwerk Kinder und Jugendliche für Literatur beigeistern kann.

Interesse und Begeisterung für Literatur ist jedenfalls vorhanden, wie sich bei diesem gut besuchten Literaturabend wiederum zeigte. Literatur lesen ist immer gut, doch eine Life-Lesung macht die persönliche Begegnung mit Autorinnen und Autoren möglich. Eine Besonderheit im Flößerhaus: Das Buffet, selbst zubereitet von Sibylle Gandler, der Lebensgefährtin von Johann Kleemayr, im Anschluss an die Lesung bot einen stimmungsvollen Ausklang.

Johann Kleemayr über seine Initiative: „Wenn Begegnungen stattfinden, findet Literatur statt.“

Dies geschah allemal an diesem Abend.

Bericht: Elisabeth Strasser
Fotos: Johann Kleemayr


Freitag, 11. Oktober 2019

Der Pilznarr. Gerechtigkeit für Schönering

Als mich der Sprecher der Akademie an diesem viel zu warmen Oktoberdonnerstag anrief, um mir den Nobelpreis für Literatur 2021 zuzusprechen, ließ ich den Hammer fallen. Nun sind sie völlig verrückt geworden, dachte ich, damit ist der Preis endgültig ruiniert. Ich brachte nur ein wortloses Gurgeln heraus, das man in Stockholm für ein Zeichen der Rührung hielt.

Ich stieg benommen vom Dach meines Baumhauses, das in seinem siebten Jahr wieder angefangen hatte zu nässen; ein schwerer Landregen hatte meine größte Leistung in der Dichtkunst zunichte gemacht. Alles ließ ich nun liegen und stehen, die Planen, die Dachpappe, die Dichtmasse. Vor dem Gartentor hatte sich bereits eine Pressetraube gebildet, die Fotografen hielten eifrig auf meinen Hund, der schon wieder in den Vorgarten schiss, obwohl ich doch in der Früh mit ihm äußerln gewesen war. Ich hielt inne, dachte über das kostbare Wort „äußerln“ nach, ist nicht alles Sprechen ein Versuch, das Innere zu äußerln, da schrien mich die Journalisten gierig an, sie forderten Reaktionen und Reaktionen von mir, keiner von ihnen rief mir entgegen, dass er schon ein Buch von mir gelesen habe. Gut, beide sind vergriffen, aber dafür hatte das Dach drei Jahre lang dicht gehalten.

Ich bin nicht hier für des Hundes Scheißdreck!“ rief ich. Im Zustand äußerster Entfremdung lief ich ins Haus und wählte mit zitternden Fingern die Nummer des einzigen Menschen, der wusste, wie es mir jetzt ging. Doch Peter Handke hob nicht ab, typisch für diesen Bewohner des Elfenbeinturms in der Niemandsbucht! Er genoss das Exil, das ich ihm damals empfohlen hatte, zwecks Reparatur seines Images. „Zieh auch nach Schönering!“, sagte ich ihm nach seinem Auftritt als Gast bei den OLW, „zieh in mein Dorf, keine Sau interessiert sich dort für seine Dichter! Einmal im Jahr, Peter, lese ich im Pfarrheim für die Senioren, alle fünf Jahre zum Frauentag für die SPÖ-Damen, das war's! Eine heilige Ruhe!“ Tatsächlich konnte sich Handke der Öffentlichkeit hier, am Ostrand des Eferdinger Beckens, in unsere Oase der Poesielosigkeit retten. Ja, es war eine Rettung, seit zwei Jahren lebte er wunschlos glücklich in einem Vierkanter und sucht den lieben langen Tag Vogelfedern und Tintenröhrlinge im Kürnbergerwald. Wollte dem scheinbar verwirrten Großliteraten ein freundlicher Jogger den Weg zurück durch die Borkenkäferschneisen zeigen, sagte Handke „Ich komme Edramsberg her, von Schönering, von Wilhering“, und alles war gut.

Verlassen wie ein Kind im Grenzland lief ich durchs Haus, und leider, leider verfiel ich auf die Idee, ins Internet zu schauen. Keine Stunde war mein Nobelpreis bekannt, schon wurde meine gesamte Vita an die Öffentlichkeit gezerrt wie eine Picknickdecke, an der ein Rudel Paviane reißt. Mein Deutschlehrer erzählte lachend von meinem Faible für Guns N' Roses samt Fransenlederjacke; meine Schwester gab bei Barbara Stöckl preis, dass ich mir als Kind über Nacht ein Plastikdraculagebiss um 5 Schilling in den Mund gesteckt habe, um meinen Überbiss zu korrigieren. Auf ORF 3 machten sich Daniela Strigl und Klaus Nüchtern über die Rechtschreibfehler in der „Sau“ lustig, Nüchtern erzählte, dass ich zur Not auch Stiegl trinke. Und in der Mittags-ZiB plauderte Christian Wehrschütz über meine Freundschaft mit Kim Jong Un, Fotos von einem Begräbnis wurden eingeblendet. Ich geriet in Zorn, die Verwandtschaft kann man sich halt nicht aussuchen!

Da läutete es Sturm an der Tür, ich riss sie auf und sah LH Stelzer auf der Dacke, neben ihm strahlte Bürgermeister Mario Mühlböck. Sie klopften mir links und rechts auf die Schulter, der Ortskaiser überreichte mir ein Bild vom Stift Wilhering, der Landesvater eine Pfeffermühle aus Leondinger Fichtenholz. Da senkte sich mein Blutdruck, und ich richtete das Wort an die beiden. „Ich fühle mich losgebunden vom Pfahl des eigenen Ich!“ Wir umarmten einander. So sah ich nicht, wie die Pressetraube heranwanzte. Jemand tippte mir auf die Schulter. Armin Wolf! „Frau Meindl, Peter Handke sagt über Sie, dass zwar ihre Literatur großartig sei, aber Ihre Dichtkunst nicht, denn es regne schon wieder in Ihr Baumhaus!“ Ich war wie vom Blitz getroffen. „Verschwinden Sie!“, schrie ich, „und stellen Sie mir nicht solche Fragen! Ich stamme von Handwerkern ab, von Wegmachern, von Schneidern her! Von keinem Menschen hör' ich, dass er sagt, der Rasen ist aber schön geschnitten, und wie der Zuckerhut in Ihrem Hochbeet gedeiht, alle fragen nur wie Sie!“

Ich schlug, das muss ich zugeben, dem frechen Wolf mit der Pfeffermühle ein bisschen auf den Kopf, dann zog ich Stelzer und Mühlböck in mein Haus und sperrte die Weltpresse aus. Um unsere Stimmung zu reparieren, bot ich den Gästen selbstgebackene Hanfkekse an. Bald lagen wir kichernd auf der Soff, der Hund eingerollt und furzend zu unseren Füßen, und am Ende wurde es doch noch ein gemütlicher Nachmittag. Dem Handke, diesem geschwätzigen Arschloch, habe ich seither nie mehr beim Winterreifenwechseln geholfen.

Montag, 7. Oktober 2019

Fehlprägungen der Liebe. Privat sind wir ganz anders

 

Anna Weidenholzers Roman „Finde einem Schwan ein Boot“ zeigt kraft Empathie, wie die kollektive Rechtsdrift vonstatten geht. Und beglückt trotz allem durch seinen menschenfreundlichen Witz.

Rezension: Dominika Meindl

Elisabeth und Peter sind seit fünf Jahren ein Paar. Es kriselt nicht, aber ob sich noch einmal fünf Jahre miteinander ausgehen? So nennt er sie unbeirrt „Prinzessin“, schenkt ihr wöchentlich Supermarktrosen und mansplaint unentwegt. „Irgendwann wirst du noch die Vorteile eines Handstaubsaugers entdecken“. Der Wetter- und Lokaljournalist ist nicht unsympathisch, aber Elisabeths leise Entfremdung ist nachvollziehbar.
Weidenholzer zeichnet ihre Figuren stets sehr fein und empathisch, nie schreibt sie über Hipster oder andere schicke Leute, nie über elitäre Tatmenschen. Ihren neune Roman erzählt sie aus der Perspektive Elisabeths, einer zurückhaltenden Beobachterin. Die Handlung spielt sich in Rückblenden während einer schlaflosen Nacht ab. Der Text ließe sich in diesem Zeitraum auch lesen; die Kapitel enden ungefähr im Viertelstundentakt.
„Schau, wie die Leben dort drüben gestapelt sind.“ Elisabeth ist wach und schaut hinaus in die Nacht, von ihrer Wohnung hinüber in die ihrer Freunde Karla und Heinz, mit denen das Paar viel Zeit im Café Maria verbringt. Karla hat den Bogen raus: „Ich mache weniger, denn dauert das Leben länger.“ Heinz, trinkfest und gesellig, versucht sich als Energetiker, nachdem er als Versicherungsvertreter nicht reüssiert hat. So wie Peter hat er den Drang, etwas darzustellen, beide wollen ihre Frauen stolz machen, sind aber ziemliche Würschtel (ohne dass Weidenholzer das allzu plakativ macht). Dementsprechend verlaufen ihre Karrieren. Peter nimmt das Angebot einer rechten Wochenzeitschrift an. Weil als Schauplatz des Romans Linz angenommen werden kann („es ist die Stadt, die noch nie das Meer gesehen hat und doch unablässig Wasser dorthin weiterschiebt“), darf man dabei an das oberösterreichische Gratis-Blatt „Wochenblick“ denken, in dem die ehemaligen FPÖ-Minister gerne inseriert haben und das laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes als „Desinformationsprojekt am rechten Rand“ fungiert. Heinz bewirbt sich erfolgreich bei der Sicherheitswache. 
Elisabeth hat ein feines Radar für kleine Freundlichkeiten und skurrile Bilder. „Peter sagte: Du siehst Geschichten, wo keine sind.“ An ihrem Unbehagen verdeutlicht sich auch das gegenwärtige kollektive Abdriften nach rechts. Wenn etwa Peter nicht mehr über Graupelregen schreibt, sondern über Menschen als „tickende Zeitbomben“. Privat sind alle immer ganz anders, aber wo kriegt man heute noch eine Festanstellung her, außerdem muss man ja journalistisch beim Volk bleiben. Das ist der Kern der Sache. Wir haben es tatsächlich selten mit Unmenschen oder Neonazis zu tun, wenn wir Neoliberalismus und Rechtspopulismus anklagen. Ins Werk wird das Böse von denen gesetzt, die wider besseres Wissen dem „Pöbel“ die nächste soziale Gemeinheit als Wahrheit verkaufen und sich selbst eine moralisch akzeptable Privatmeinung gönnen.
Finde einem Schwan ein Boot“ ist Anna Weidenholzers dritter Roman, nach „Weshalb die Herren Seesterne tragen“ der zweite beim Berliner Verlag Matthes & Seitz. Der Schwan beginnt gleichsam, wo die Seesterne enden: Dort hatte ein pensionierter Lehrer die Menschen nach ihren Glücksbedürfnissen befragt; diese Rolle übernimmt die schrullige Professorin, die nun aber auf verlorenem Posten (= an der Bar) über Vorurteilsforschung referiert, und darüber, was sich da im reichen Mitteleuropa zusammenbraut. „Wenn es am Horizont dunkel ist, sieht man schlecht, was darunter liegt.“
Es ist schön und selten im Literaturbetrieb, dass sich Weidenholzer beim Schreiben nicht hetzen lässt. Dementsprechend gut sitzen die Worte. Mindestens einen Satz pro Seite möchte man sich als Aphorismus merken. „Plot driven“ ist das natürlich nicht, denn nur so lässt sich darstellen, wie sich der soziale Gletscher bricht. Von „unaufdringlicher Kunstfertigkeit“ spricht Falter-Kollege Sebastian Fasthuber: „Der Blick auf die Mitte der Gesellschaft offenbart Abgründe“.


 
Die Hintergründe sind ernst, es gibt allen Grund zur Melancholie, und doch blitzt viel feiner Witz auf. Etwa als Peter von der Landesgartenschau – das längste Kapitel – berichten und Pensionisten nach ihren Motiven befragen muss. „Die Welt ist groß und es gibt viel zu entdecken, und am besten ist es, wenn man vorher weiß, wo man sitzen wird“, antwortet ein passionierter Busreisender. Weidenholzer kennt sich bestens aus, wenn sie über journalistische Prekarisierung und die Verschwendung von Talent in Lokalredaktionen schreibt. „Wir brauchen noch ein gutes Zitat, damit es menschlich wird“.
Und man erfährt sehr viel über Tiere, auch das ein Merkmal von Weidenholzers Kunstwollen: Der titelgebende Schwan hat sich – wahre Geschichte – in ein schwanenförmiges Tretboot verliebt, seine Liebe ist „nichts als ein großes Stück Plastik“.
 
Hinter dieser Rezension: Dominika Meindl ist mit der Autorin eng befreundet; gemeinsam haben sie die Lesebühne „Original Linzer Wort“ gegründet. Anna Weidenholzer ist Mitglied der GAV OÖ. Es wäre der Rezensentin eine Freude, überprüften LeserInnen ihre Rezension durch eigene Lektüre auf deren Objektivität hin. Kommentare sind willkommen! 

Am Donnerstag, dem 10. Oktober, spricht die Rezensentin mit der Autorin, dazu spielt die Band "Fargo". "Owa vom gas", eine Kooperation von Experiment Literatur und dem Medien Kultur Haus. MKH Wels, Pollheimerstraße. Beginn: 19:30 Uhr. 

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...