Als
mich der Sprecher der Akademie an diesem viel zu warmen
Oktoberdonnerstag anrief, um mir den Nobelpreis für Literatur 2021
zuzusprechen, ließ ich den Hammer fallen. Nun sind sie völlig
verrückt geworden, dachte ich, damit ist der Preis endgültig
ruiniert. Ich brachte nur ein wortloses Gurgeln heraus, das man in
Stockholm für ein Zeichen der Rührung hielt.
Ich
stieg benommen vom Dach meines Baumhauses, das in seinem siebten Jahr
wieder angefangen hatte zu nässen; ein schwerer Landregen hatte
meine größte Leistung in der Dichtkunst zunichte gemacht. Alles
ließ ich nun liegen und stehen, die Planen, die Dachpappe, die
Dichtmasse. Vor dem Gartentor hatte sich bereits eine Pressetraube
gebildet, die Fotografen hielten eifrig auf meinen Hund, der schon
wieder in den Vorgarten schiss, obwohl ich doch in der Früh mit ihm
äußerln gewesen war. Ich hielt inne, dachte über das kostbare Wort
„äußerln“ nach, ist nicht alles Sprechen ein Versuch, das
Innere zu äußerln, da schrien mich die Journalisten gierig an, sie
forderten Reaktionen und Reaktionen von mir, keiner von ihnen rief
mir entgegen, dass er schon ein Buch von mir gelesen habe. Gut, beide
sind vergriffen, aber dafür hatte das Dach drei Jahre lang dicht
gehalten.
„Ich
bin nicht hier für des Hundes Scheißdreck!“ rief ich. Im Zustand
äußerster Entfremdung lief ich ins Haus und wählte mit zitternden
Fingern die Nummer des einzigen Menschen, der wusste, wie es mir
jetzt ging. Doch Peter Handke hob nicht ab, typisch für diesen
Bewohner des Elfenbeinturms in der Niemandsbucht! Er genoss das Exil,
das ich ihm damals empfohlen hatte, zwecks Reparatur seines Images.
„Zieh auch nach Schönering!“, sagte ich ihm nach seinem Auftritt
als Gast bei den OLW, „zieh in mein Dorf, keine Sau interessiert
sich dort für seine Dichter! Einmal im Jahr, Peter, lese ich im
Pfarrheim für die Senioren, alle fünf Jahre zum Frauentag für die
SPÖ-Damen, das war's! Eine heilige Ruhe!“ Tatsächlich konnte sich
Handke der Öffentlichkeit hier, am Ostrand des Eferdinger Beckens,
in unsere Oase der Poesielosigkeit retten. Ja, es war eine Rettung,
seit zwei Jahren lebte er wunschlos glücklich in einem Vierkanter
und sucht den lieben langen Tag Vogelfedern und Tintenröhrlinge im
Kürnbergerwald. Wollte dem scheinbar verwirrten Großliteraten ein
freundlicher Jogger den Weg zurück durch die Borkenkäferschneisen
zeigen, sagte Handke „Ich komme Edramsberg her, von Schönering,
von Wilhering“, und alles war gut.
Verlassen
wie ein Kind im Grenzland lief ich durchs Haus, und leider, leider
verfiel ich auf die Idee, ins Internet zu schauen. Keine Stunde war
mein Nobelpreis bekannt, schon wurde meine gesamte Vita an die
Öffentlichkeit gezerrt wie eine Picknickdecke, an der ein Rudel
Paviane reißt. Mein Deutschlehrer erzählte lachend von meinem
Faible für Guns N' Roses samt Fransenlederjacke; meine Schwester gab
bei Barbara Stöckl preis, dass ich mir als Kind über Nacht ein
Plastikdraculagebiss um 5 Schilling in den Mund gesteckt habe, um
meinen Überbiss zu korrigieren. Auf ORF 3 machten sich Daniela
Strigl und Klaus Nüchtern über die Rechtschreibfehler in der „Sau“
lustig, Nüchtern erzählte, dass ich zur Not auch Stiegl trinke. Und
in der Mittags-ZiB plauderte Christian Wehrschütz über meine
Freundschaft mit Kim Jong Un, Fotos von einem Begräbnis wurden
eingeblendet. Ich geriet in Zorn, die Verwandtschaft kann man sich
halt nicht aussuchen!
Da
läutete es Sturm an der Tür, ich riss sie auf und sah LH Stelzer
auf der Dacke, neben ihm strahlte Bürgermeister Mario Mühlböck.
Sie klopften mir links und rechts auf die Schulter, der Ortskaiser
überreichte mir ein Bild vom Stift Wilhering, der Landesvater eine
Pfeffermühle aus Leondinger Fichtenholz. Da senkte sich mein
Blutdruck, und ich richtete das Wort an die beiden. „Ich fühle
mich losgebunden vom Pfahl des eigenen Ich!“ Wir umarmten einander.
So sah ich nicht, wie die Pressetraube heranwanzte. Jemand tippte mir
auf die Schulter. Armin Wolf! „Frau Meindl, Peter Handke sagt über
Sie, dass zwar ihre Literatur großartig sei, aber Ihre Dichtkunst
nicht, denn es regne schon wieder in Ihr Baumhaus!“ Ich war wie vom
Blitz getroffen. „Verschwinden Sie!“, schrie ich, „und stellen
Sie mir nicht solche Fragen! Ich stamme von Handwerkern ab, von
Wegmachern, von Schneidern her! Von keinem Menschen hör' ich, dass
er sagt, der Rasen ist aber schön geschnitten, und wie der Zuckerhut
in Ihrem Hochbeet gedeiht, alle fragen nur wie Sie!“
Ich
schlug, das muss ich zugeben, dem frechen Wolf mit der Pfeffermühle
ein bisschen auf den Kopf, dann zog ich Stelzer und Mühlböck in
mein Haus und sperrte die Weltpresse aus. Um unsere Stimmung zu
reparieren, bot ich den Gästen selbstgebackene Hanfkekse an. Bald
lagen wir kichernd auf der Soff, der Hund eingerollt und furzend zu
unseren Füßen, und am Ende wurde es doch noch ein gemütlicher
Nachmittag. Dem Handke, diesem geschwätzigen Arschloch, habe ich
seither nie mehr beim Winterreifenwechseln geholfen.