Montag, 11. Mai 2020

Covid-19 DIARIUM 2020


von Siegfried Holzbauer


Die ersten 50 Tage


12 03 2020 ihr lächeln ist ansteckend / sei auf der hut
13 03 2020 der angst eine absage erteilt / dennoch fr. 13.
14 03 2020 leere regale / geplündert / die straßen leer
15 03 2020 im baumgarten / er / ich / ein ungewißer ausgang
16 03 2020 ausgangssperre / stimmen hören / bruder / sie / &
17 03 2020 solitaire / kein bock / wie vor jahr und tag / nix
18 03 2020 miss your voice, my buddy / my body misses youa.
19 03 2020 homework / stay in touch / der frühling bleibt
20 03 2020 neu / das prinzessinnenbettmassaker video
21 03 2020 wettersturz / eine verschnaufpause / allein
22 03 2020 allein mit deinem gott und st.covid / laetare
23 03 2020 & nur mut / kann es schaffen / sie glaubt an mich
24 03 2020 vereinbarung sinnlos / hengst mit abschlag
25 03 2020 bamblia im eismeer / zeitweise eingefroren
26 03 2020 ein lächeln vertreibt böse gedanken und
27 03 2020 & ein weiterer tag mit komplimenten vertan
28 03 2020 erster marienkäfer / spring / love zooms in / &
29 03 2020 bird singin´ / let´s get together one more time
30 03 2020 oye cómo va / cancel: perfekter seitensprung
31 03 2020 sauerampfer / löwnzahn / MNS / demanding times
01 04 2020 kirschblia / und dennoch / leere / 1.april
02 04 2020 zwischen tür und angel / sie / ungeschminkt &
03 04 2020 a signal fun der fargangenheyt / זיי געזונט &
04 04 2020שטיסל & der rote drache / die liebe siegt
05 04 2020 besser ein spatz in der hand als sie am hals &
06 04 2020 aus dirndl´s stofffundus / MNS maske genäht
07 04 2020 birnbamblia / und bei ihr / der zaunkönig / rev.
08 04 2020 hemd zerschnitten / maskenball an חג שמח / פסח
09 04 2020 pan bläst heftig auf seiner flöte / lousy day
10 04 2020 stanglfisch / das neue kruzifix / karfreitag
11 04 2020 wälder / zartgrün & weißgetupft / karsamstag
12 04 2020 auferstehung / o Herr / was dann / ostersonntag
13 04 2020 osterhase wovor hast du angst / ostermontag
14 04 2020 geschäfte erledigt / es hat abgekühlt und
15 04 2020 ihre hände wieder in meinen / erste schwalbe
16 04 2020 covid / wann lassen wir die masken fallen und
17 04 2020 reiseträume / victor & hetti / ein sprachkurs
18 04 2020 kaffee und kuchen / bei sissi im rosengarten
19 04 2020 mißverstanden / rätsel bleibt ungelöst
20 04 2020 pfarrer hermann und seine moorhühner / R.I.P.
21 04 2020 a phone call / sie entdeckt mir / das geheimnis
22 04 2020 glück / un / glück / das volle leben / aber / irreal
23 04 2020 katzen / ein / jammer / laß dich in den arm nehmen
24 04 2020 musik im hintergrund / panflötenmelodien
25 04 2020 ausgeflippt / wieder eingekriegt / alles gut
26 04 2020 sonntag / die kirche noch immer leer / nur gott
27 04 2020 zum kuckuck mit covid / 19 whiskies verkostet
28 04 2020 kurznachrichten: macht euch locker / am 1.mai
29 04 2020 erwarte / nichts / kein anspruch / geht auch so &
30 04 2020 ausgangsbeschränkungen laufen aus @ 24 uhr


© 2020 s.holzbauer

Donnerstag, 7. Mai 2020

Beginn der Entgleisung – Meine Coronareisen Tag 1

Von René Bauer

Vorwort
Nach einigen Wochen Eingesperrtsein macht sich in mir der Wunsch zu verreisen bemerkbar. Gut, denk ich, ein paar Regeln brauche ich noch, dann steht mir die Welt offen. Sollen die Anderen doch zuhause versauern, ihre Tagebücher mit Gedanken aus dem Auf-sich-selbst-zurück-geworfen-sein füllen, ich schreite mutig fort und mache Urlaub. Einen Experimentalurlaub. Ohne Maske. Ohne Beschränkungen.

Regel 1: Ich reise an einen zufälligen Ort und muss selbst herausfinden, wo ich bin.
Regel 2: Möglichst keine Karten oder Reiseführer verwenden.
Regel 3: Möglichst nur zu Fuß gehen.
Regel 4: Tagesprogramm ist je einmal essen, eine Sehenswürdigkeit, einen Spaziergang im Park oder Wandern, am Ende eines Tages ein Hotel suchen, schlafen, dann sofort wieder abreisen.

18. April 2020– Uberlândia, Brasilien
Ich befinde mich offensichtlich in einer Stadt, in einer engen Gasse, der Asfalt in schlechtem Zustand. Niedrige, simple, aber bunte Häuser. Überall parken Autos und Motorräder. Rechts neben mir schwebt eine Gitterbox aus Metall, rot lackiert, wie ein großer Einkaufskorb, auf eine Stange geschweißt mitten am Gehsteig, darin ein Paket. Ist das ein Briefkasten? Links ein Autoverleih. Die Sprache scheint Spanisch zu sein. Brauch ich ein Auto? Nein ich geh zu Fuß.

Urlaubsfoto 1: Ein Briefkasten? Ein Einkaufskorb?

Nach ein paar Schritten erreiche ich eine Autowerkstatt – auto mecanico. Brauch ich nicht. Drei Männer stehen vor der Werkstatt, warten und rauchen. Sie tragen keine Masken, dafür sind ihre Gesichter verschwommen.

Ich gehe weiter die Straße entlang. Bin ich in Spanien? Südamerika? Hier steht eine Apotheke. Krank bin ich nicht. Aber obwohl die Sonne scheint, fühle ich sie nicht. Ist es warm? Kalt? Welche Jahreszeit haben wir? Welches Jahr?
Auf dem ersten Straßenschild, das mir begegnet, steht Teatro municipal – in der selben Richtung scheint auch ein Park zu sein, ich biege an der Kreuzung ab und folge den Schildern. Viele Motorräder stehen auf Miniparkplätzen. Wenige, dafür alte Autos. Dürfte keine wohlhabende Gegend sein.

Den Park finde ich noch nicht, dafür ein Geschäft für Kühlschränke. Statt einer Glasauslage hat es ein großes Loch in der Wand mit hochgezogenem Ladengitter, dahinter stapeln sich hauptsächlich gebrauchte Kühlschränke in einem wilden Durcheinander. Ein Moped steht im Geschäftsraum. Dürfte geöffnet sein.

Ich irre durch die Gassen. Schau schau! die Tierklinik Imperial, ein Veterinär und Pet-Shop zugleich, auf dem Schild eine protzige Königskrone ähnlich wie die der Queen, zwei weiße Pudel tragen die gleiche, der Werbegrafiker muss günstig gewesen sein. Die Sprache ist aber kein Spanisch, das ist wahscheinlich Portugiesisch. Auf der Klinik steht auch der Ort, Uberlândia, tippe auf Südamerika und damit Brasilien.

Würde ja gern jemanden fragen, wo sich der Park befindet, aber leider versteh ich kein Portugiesisch.
Immer wieder Häuser in Stacheldraht eingekleidet. Angst? Jemand gießt den Gehsteig vor einem Stacheldrahtzweifamilienhaus, daneben wieder so eine Briefkastenbox, leer, im selben edlen Design wie alle Schutzgitter, Zäune und Rollläden des Hauses, Videokamera, Alarmanlage. Naja.

Endlich bin ich in der Nähe des Parks, Uberlândia ist eine große Stadt, sicher größer wie Linz oder Graz. Stehe vor einem Riesensportstadion auf dem Parkplatz, extrem schiarch, Bauweise Schalbeton, nackt, keine Farbe auf den Wänden. Hier gibt's rote Erde überall, aber so richtig rot, sehe kein Gras oder es ist vertrocknet und so braunrot wie die Erde. Parkplatz ist leer.

Hoher Zaun, der Park befindet sich dahinter, nur wie komm ich da rein? Rüberklettern, bin jetzt auf einem Fußballplatz mit alten verrosteten Toren, niemand spielt. Mitten im Park ein mittelgroßer Baggersee, fast keine Leute da, ist's fürs Baden zu kalt? Ich fühle keine Temperatur, muss mich nach visuellen Hinweisen richten. Neben dem See eine Laufstrecke, nein, rund um den See. Ich lauf mal ein bisschen, am Gehsteig steht ein auf seinem Schwanz aufgerichteter Plastikhecht, ein Kind in seinem Schatten. Ups, ich sollte nicht mitlaufen, an der nächsten Kurve warten Zuseher hinter Absperrungen, eine Polizistin kommt auf mich zu, deutet etwas, alle haben kurze Hosen, sind braungebrannt, kurze Leiberl, oft ärmellos. Also doch warm. Vielleicht sogar heiß.

Aber das Rennen auf der Laufstrecke, wird das nicht ernst genommen? Jetzt fährt einer mit einem Moped mitten auf der Bahn, der hinter ihm am Sozius trägt keinen Sturzhelm! Jetzt hab ich's, es ist ein Radrennen, da kommen schon die ersten. Hier ist das Ziel, aber der mit dem Moped ist in die falsche Richtung gefahren ...

Sonst ist nicht viel los, Hüpfburg, Standln, Schoko und Eis. Am Ausgang herrscht Sonnenuntergang. Ich verzupf' mich.

Gehe aus dem Park und lande in einem kleinen Einkaufszentrum, ähnlich wie hierzulande sind innen Fakebalkone im Fake-zweiten-Stock, der die Realität umkehrt, als ob draußen jemand wohnt, dabei ist da nichts, nur der Himmel. Im Spielwarengeschäft haben sie lauter Plastikzeugs.
Hab Hunger, kann niemanden fragen, find nur einen Obst- und Gemüsehändler mit ein paar braunen Bananen und riesigen Paprika und Orangen, so groß wie Fußbälle. Sind das Pomelos? Ich glaub die machen bald zu, nur mehr ein paar Besucher sitzen an den Tischlein, keiner isst was, keiner trinkt was.

Ich suche den Weg aus der Stadt, folge einer Art Autobahn, komme an ein hässliches Gebäude aus Beton und Glas, darauf in glänzenden metallenen Lettern centro administrativo, dahinter brasilianische Flaggen auf Halbmast. Es dürfte was passiert sein.

Meine Suche nach Essen zieht sich in die Länge: An der nächsten Kreuzung gibt es ein Dominos, aber ich mag keine Pizza. Dann entdecke ich ein rotes Gebäude, Abierto 24h, also immer offen, der Amorecana Club, dachte zuerst an Steaks und so, Americana, aber daneben steht das Hotel Amora, also eher wohl nix zum Essen und wenn, dann recht teuer und im Zusammenhang mit nackten Menschen. Außerdem ist alles vergittert und nicht einsehbar, Geld hab ich auch keins.

Urlaubsfoto 2: Eher kein Restaurant mit Steakfleisch ...

Endlich aus der Stadt rausgefunden! Einfach zum Park zurück und in die andere Richtung auf die Autobahn wärs gewesen. Lasse mich per Anhalter mitnehmen und darf sogar selber fahren. Den Schildern nach führt es hier nach São Paolo oder Brasilia, aber bis dorthin sinds noch hunderte Kilometer und ich entscheide mich für Santa Juliana, das ist nicht so weit weg.

Komme an einer Polizeikontrolle vorbei, ein gelangweilter Polizist mit einem Bierbauch beobachtet den Verkehr, ein zweiter lehnt sich an einem Lieferwagen zum Fahrer hinein. Beide Polizisten schauen aus wie Bauarbeiter, nirgends steht Polizei, sie haben keine Waffe, vermute was anderes. Ist das eine Privatpolizei? Ein Sicherheits- oder Ordnungsdienst? Lieber nicht stehenbleiben.

Die Erde ist in dieser Gegend wirklich überall knallrot-braun, völlig übertriebene Farbe, vielleicht ein hoher Eisengehalt? Ringsum reichen weitläufige Felder und Grünflächen bis an den Horizont, keine Ahnung was die da anbauen, sieht aus wie Mais, könnte Zuckerrohr sein. Brauche einen Rum.
Hab jetzt auf dem Weg nach Santa Juliana den Rio Claro überquert und suche auf einem Campingplatz nach Essen. Gibt natürlich nix. Haben nur einen Besucher mit einem Campingwagen. Er dreht mir den Rücken zu.

Nach Stunden erreiche ich Santa Juliana. Werde begrüßt von einer Tankstelle mit einer integrierten kleinen Kirche oder Kapelle gleich neben den Zapfsäulen. Santa Juliana ist eine kleine Stadt, winzige Häuser ducken sich hinter Mauern, alle so groß wie Schrebergartenhütten, ein Lkw voller nackter Hühner kommt mir entgegen. Sollte ein Lied über die federlosen Hühner von Santa Juliana schreiben.
Sehr bäuerliche Gegend, an jeder Ecke Traktoren, Erntemaschinen, Rasenmäher und ähnlichen landwirtschaftlichen Krimskrams zu verkaufen.

Ein Autohändler macht groß Werbung mit einem Lamborghini oder sonstigen Superflitzer auf seinem Schild am Dach, drunter ducken sich 30 ungewaschene Autos dichtgedrängt, kleine gebrauchte Stadtflitzer, welch Diskrepanz!

Endlich habe ich das Geheimnis der Briefkästen gelüftet, diese Einkaufskörbe auf Stangen am Gehsteig sind einfach Miskübeln, drin ist keine Post, einfach Müll!

So jetzt kauf ich mir ein Eis, sorvetes frutos do cerrado gegessen, geschmeckt hat's mir nicht, hab auf meinen Reisen auch meinen Geschmackssinn verloren. Jetzt bin ich müde. Gegessen hab ich, spazieren war ich im Park von Uberlândia, als Sehenswürdigkeit nehme ich die Tankstellenkirche vor Santa Juliana, fehlt noch ein Schlafplatz, dann ist mein erster Urlaubstag vorbei.

Zufällig finde ich das Hotel Villa Comfort, als Willkommensteppich haben sie ein Putztücherl/Geschirrtuch vor den Eingang gelegt, schwer den Fuß drauf zu setzen, so klein ist es.
Die Zimmer sind ok. Innen schauts aus wie in einem Warteraum einer Arztpraxis in den 80ern, klinisch, clean, Fliesen, wenig Zierde, Türschwellen wurden offensichtlich gestohlen, da klaffen Löcher zwischen den Türrahmen. Mein Zimmer ist ein kleines Doppelzimmer, zwei Betten, keine Einrichtung außer einem Spiegel, einem Kasten ohne Türen, einem Fernseher an der Decke, Klima, WC mit Dusche, Nachtkastl. Bettwäsche wie in einem Krankenhaus mit grün-blauem Überzug. Der Frühstückssaal ist rustikal, sechs kleine Tische, an denen niemand sitzt.

Auf dem Weg zurück in mein Zimmer durchquere ich eine Art Minilobby mit Glasdach und vier großen Palmen, eine kitschige Glitzerdecke bedeckt eine weiße Kunstledercouch, aber worauf sollte man hier warten? Ich finde keine Menschen, das Hotel ist leer. Gute Nacht Santa Juliana. Morgen bin ich anderswo.

Anm.: Tagesreise nach Uberlândia, eine Art Reisebericht, von René Bauer, durchgeführt während der Corona-Reisebeschränkungen 2020 mit Google Street View auf einer Virtual-Reality-Brille zuhause in seinem Schlafzimmer. Es folgen bald noch weitere Reisen.

Freitag, 1. Mai 2020

Möglichkeiten



Es ist still geworden. Wir sind, kollektiv, aus der Zeit gefallen.
Die gefüllt war mit Besorgungen, Treffen, Besprechungen, Terminen, Abgaben. Wir feiern allein Geburtstag. Wir sterben allein in fremden Zimmern. Wir denken allein: Doch die Möglichkeit, diese Gedanken teilen, zu hören, auszusprechen, ist geringer geworden. Nicht die virtuelle, ich spreche von der realen, an unsere Körper gebundene.
An unseren Atem, die Bewegung unseres Brustkorbs, während wir jemandem eine Geschichte erzählen, während die Worte anderer Bilder in unsere Köpfe zaubern. Das Pulsieren in unseren Adern, während wir einander gegenüberstehen, einander halten, einander versichern, dass wir existieren: durch Berührung. Haut, Poren, Haare, Finger, Münder.

Es ist still geworden in der Welt, das hat auch sein Gutes.
Neben der Unsicherheit, die aufsteigt, ein Gefühl des Schwimmens, in einem Fass ohne Boden (woher werden die nächsten Förderungen kommen? wird man Projekte fördern, die in der Fremde stattfinden? wann werden die Grenzen geöffnet?), hat sich in dieser Stille, in diesem Warten, dieser bedingten Ruhe, ein Raum aufgetan.
In diesem liegt die Möglichkeit von Kommunion. Wenn der Geist nicht mehr abgelenkt wird von tausend Dingen, können sich seine Prioritäten neu ordnen. Erinnert man sich der Texte, die einer Ruhe bedürfen. Ein Roman schreibt sich nicht von selbst.
Das Reisen in Gedanken ist die schönste Freiheit, die ich mir vorstellen kann.
Das Reisen im Äußeren nur ein Ausdruck dieses Inneren.

Es ist still geworden.
Ich bin im Kollektiv aus der Zeit gefallen, und in diesem Vakuum zurück in meinen Text.
In eine Geschichte eingetaucht, die erzählt werden will, an der Hand genommen von einer unsichtbaren Kraft, die jeden Schreibprozess begleitet. Das hat nichts Religiöses, um Himmels willen, sondern etwas sehr Humanes, es bedingt nur eine Zutat: Hingabe.
Dieses Zauberhafte lässt Grenzen schwinden, lässt jede Enge weit werden.
Gedanken geteilt, nur eben zeitversetzt. Aus der Zeit genommen, jetzt geschrieben für eine spätere.

Später werden wir wieder feiern, einander berühren, und auch sterben, aber nicht mehr allein.
Bis dahin bleibt uns die Möglichkeit der Phantasie.

© Marianne Jungmaier


Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...