Freitag, 2. August 2024

„Flügel und Füße ein Sprengen in der Ferne". Zu Renate Silberers Gedichtband „Reste einer Sprengung“

Rezension von Angelika Ganser


„Reste einer Sprengung“ ist der Titel eines Gedichts und er gibt jenem Gedichtband von Renate Silberer, der kürzlich bei dem feingeistigen Lyrikverlag Edition Melos erschienen ist, den Namen.
Der Name ist Programm und in jenem Gedicht wird benannt, um welcherlei Reste es sich handelt – „Reste von Reden“ nämlich und im weiteren Sinn – immer wieder legen die Texte diese Spur – Reste von Sprache. Es geht darum, Sprache zu finden – wiederzufinden oder (auch diese Möglichkeit offenbart ein Verlust) zu erfinden, Vorgefundenes / Erinnertes neu zusammenzusetzen, um damit vielleicht zu einem neuen Blick, zu einem neuen Denken zu finden.
Der Band ist in sieben Abschnitte gegliedert, aus deren Titeln sich, wenn man will, durchaus eine semantische Linie konstruieren ließe, aber es bleibt eine durchbrochene, nicht notwendige Linie, die nicht beabsichtigt, ihre imaginäre Beschaffenheit und damit ihre Künstlichkeit zu verbergen.
Motive und Bilder, die die Gedichte durchziehen und immer wiederkehren, zuweilen scheint ein Gedicht in dem auf es folgendem seine Fortsetzung zu finden und möglicherweise ließen sich auch zwischen weiter auseinanderliegenden Gedichten Verbindungen finden. Möglicherweise ließen sich die einzelnen Gedichte völlig anders zusammensetzen, wodurch zwar anderes akzentuiert wäre, aber dennoch würde der Band wohl als Ganzes funktionieren.
Eine klare Entscheidung, die die Autorin trifft, und diese durch die Auswahl, der jeden Abschnitt vorangestellten Zitate betont, ist die Fokussierung auf eine weibliche Traditionslinie – ausschließlich Autorinnen werden als Quellen herangezogen – Hélène Cixous, Elke Erb, Luce Irigaray, Margret Kreidl, Anja Utler und Rosmarie Waldrop. Dieser Fokus legt nahe, zu präzisieren – es geht um weibliche Sprachfindung. Wie könnte eine Sprache beschaffen sein, die sich bewusst von der noch immer stärker verankerten Traditionslinie des männlichen Sprachgebrauchs absetzt?
Renate Silberer findet diese andere Sprache in den Brüchen, dort wo es ungewiss ist, ob es gelingen wird, Zuflucht in Sprache zu finden – es ist eine Sprache, auf der das Schweigen lastet und die in enger Nahbeziehung zur Sprachlosigkeit steht, der es aber gelingt, daraus ihre Kreativität und damit Sprache zu schöpfen. Nicht zuletzt vielleicht auch, da der ursprüngliche Mangel eine Umbewertung erfährt, nicht als reines Negativum, sondern als sine qua non erfahren wird: „hinter jedem Wort ist noch ein Wort sagt die Bärin / hinter jedem Fehlen noch ein Fehlen sagt das Reh“2 – erst das Fehlende macht den Text vollständig und gibt dem Gedicht, das in diesem Fall aus nur zwei Zeilen besteht, seine Form.
Diese andere Sprache könnte, wie Renate Silberer mit diesem Gedichtband es vorschlägt, im Vieldeutigen liegen und dort, wo Perspektiven sich in fluider Weise verschieben, nicht eindeutig zuordenbar sind, ähnlich der Logik von Träumen vielleicht, in denen das träumende Ich sich in mehreren Gestalten (nicht notwendig menschlicher Natur) gleichzeitig wiedererkennt. Es ließe sich wohl noch vieles herauslesen, aus diesem feingewebten Gespinst dieses Textes (textus lateinisch bedeutete zunächst Gewebe, Geflecht und erst im übertragenen Sinn Gefüge, Zusammenhang der Rede, Text), ich möchte hier aber eine Grenze setzen und nun endlich dem Text selbst, mehr Raum geben, ihn für sich sprechen lassen und es dem Leser, der Leserin überlassen, den Text und in weiterer Folge vielleicht den Gedichtband für sich zu entdecken und eigene, möglicherweise andere und weitere Lesefährten darin zu verfolgen.


Reste einer Sprengung


ein Fisch schwimmt aus dir heraus während du
der See bist wartet hinter dem Schilfgürtel
das große Insekt raubvogelhaft kriegerisch
verlässt du die Deckung Gestrüpp sieht dich an
der Mund eine Falltür mit Resten von Reden
die Wespe in deiner Blutbahn verscharrt sich
während die Kriegerin auf dich zukommt
liegst du reglos das Fischmaul ist eine große Grube
sie öffnet und schließt sich mit zittrigem Atem
hältst du ihr stand machst die Stirnlampe an




1 Der Titel ist ein Zitat aus Renate Silberers "Reste einer Sprengung". Gedichte, Edition Melos, 2024
2 s.o.


„Flügel und Füße ein Sprengen in der Ferne". Zu Renate Silberers Gedichtband „Reste einer Sprengung“

Rezension von Angelika Ganser „Reste einer Sprengung“ ist der Titel eines Gedichts und er gibt jenem Gedichtband von Renate Silberer, der kü...