Dienstag, 29. März 2022

Frauenstimmen 2022

Veranstaltungsinfo:

Lesebühne im Theater Phönix, Dienstag, 5. April 2022, 19.30 Uhr

Linz, Wiener Straße 27

mit Angelika GanserChristine Mack –    Renate Silberer –   Elisabeth Strasser

Eine Vielfalt an Texten – von Lyrik bis zum Minidrama, vom Stimmungsbild bis zum Romanauszug – lassen sich hören.

Eine Veranstaltung der Grazer Autorinnen Autoren Versammlung (GAV) in Zusammenarbeit mit der GAV OÖ, dem Theater Phönix und dem Linzer Frauenbüro.


Freitag, 18. März 2022

Dienstag, 8. März 2022

Krieg ist keine Option. Zu keiner Zeit. Niemals.

Von Corinna Antelmann

Der Krieg ist schuld und immer wieder der Krieg, er lässt die Menschen nicht sein, wie sie sind, wann immer sie lebten oder noch leben werden, es sind seine Spuren, die sich so nachhaltig in die Seelen graben, dass Kieselsäureester nichts ausrichten kann und auch keine Anstrengung und keine Flucht. Der Krieg wird mitgenommen von Ort zu Ort, von Generation zu Generation, er tötet die Liebe, und das ist die Wahrheit. Ja, selbst aus den Gräbern grinsen sie einen an, die Zeichen des Krieges, dieses einen und des anderen, aber das spielt keine Rolle. Der eine Krieg zieht auf der Flucht vor dem vorherigen den nächsten nach sich und der dritte auf der Flucht vor dem zweiten den vierten. Die Gewalt wird weitervererbt, während die Narben durch die Zufügung neuer Narben gesalbt werden, denn wenn ich dir wehtue, tut es mir weniger weh.
Vererbte Irrtümer.
Irgendetwas geschieht mit uns allen, es durchfährt uns, ohne dass wir wissen, was es ist und warum. Aber wo bin ich, und wie finde ich von hier wieder heraus? Diese Geschichte geht mich an, sie erzählt von der Gegenwart. Krieg hat seine Zeit, und Friede hat seine Zeit, so heißt es, aber der Krieg sollte keine Zeit haben.
Zu keiner Zeit. Niemals.

(Hinter die Zeit, Septime Verlag, 2015)

Die Leiden dees Krieges lassen verstummen, so war es immer. Bis die Sprache zurückkehrt. Ich erinnere mich, wie die Großtanten schwiegen, zumal Teil des Tätervolks und somit nicht berechtigt zum Fühlen von Schmerz. Vererbte Irrtümer. Später dann gab es eine Zeit der Aufarbeitung und des Ausdrucks über alles Leid. Über den Schmerz, den der Krieg hinterlässt, über die Wunden, die kaum je heilen können. Ja, soviel wurde geschrieben und gemahnt, bedacht und betrauert, bis deutlich zu werden schien: Im Krieg gibt es allein Verlierer. Schien es nur mir, als wären wir seither auf dem Weg in ein offenes Miteinander gewesen, das keine Gegensätze aufbaut, sondern Brücken? Dass keine Fronten mehr schaffen will, sondern um Verständigung ringt? Keine Feindbilder aufbaut, sondern zeigt, dass alle einfach nur  leben und leben gelassen werden wollen in ihrer Verschiedenheit?

Aber so war es doch! Wir hatten zu reden begonnen, um das Gemeinsame zutage treten zu lassen und zu erfahren, dass alle immer nur das eine sind: Menschen. Menschen mit ihren Ängsten und Zweifeln und Irrtümern und Irrwegen. Mit ihren Verletzungen, die nach Heilung rufen, um nicht als Verdrängtes hervorzubrechen und Unheil hervorzurufen.

Reden wir weiter und suchen nach dem, was eint, nicht trennt.

Und deshalb habe ich immerzu diesen Satz im Kopf und kann ihn nicht naiv finden: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Oder dieses Bild: Wir stehen einander gegenüber und werfen die Waffe weg, um dem Gegenüber entgegenzugehen und in die Arme zu fallen. Weil das Gegenüber Angst empfindet wie wir. Weil das Leben heilig ist. Weil niemand töten will, weder Russe noch Ukrainer. Und niemand dazu gezwungen werden sollte.

Zu keiner Zeit. Niemals.

Geste – Schrift – Bild – Poesie. Ein Nachruf auf Josef Bauer

Von Richard Wall

 1

Nach seinem Tod, Traumsequenzen, verblassend: Der Stabhochspringer läuft mit seinen Stangenbuchstaben durch eine baumlose Landschaft … / Das Wort ROT schwebt als Laken im grünen Blattwerk eines Gartens … / Der Stabhochspringer rührt Farbmassen, streicht ein BLAU auf eine Plastikfolie, legt einen Bilderrahmen darüber … / Lässt Gips und Beton nach Interaktionen mit seinem Körper zu Reliefs und Skulpturen erhärten … / Vom jugendlichen, allerdings von grauen Haaren umrahmten Gesicht des Stabhochspringers löst sich die Brille und schwebt, zu einem unlesbaren Wort geworden, als taktile Poesie, jedoch unberührbar und uneinholbar durch einen leeren weißen Raum … 


2

Als ich 1989 in die GAV aufgenommen wurde, waren mir der Name Josef Bauer und seine eigenständige bildnerische Arbeit ausschnitthaft bekannt. Spätestens als ich nach der Regionalisierung der GAV als sogenannter Regionaldelegierter der GAV OÖ die Liste der Autorinnen und Autoren in die Hände bekam, wusste ich, dass er auch Mitglied war. 

Als junger Mensch, an Kunst interessiert, hatte ich etwa ab 1970 fast jede Ausstellung, die es in Linz zu sehen gab, besucht. Die Orte, an denen Zeitgenössisches gezeigt wurde, waren wenige. Die Hypo-Galerie Nähe Mozartkreuzung, das Nordico, die Neue Galerie der Stadt Linz im Brückenkopfgebäude West (Vorläufer des Lentos) und die Galerie MAERZ am Taubenmarkt. Hier sah ich das erste Mal Arbeiten des Objekt- und Konzeptkünstlers: In Erinnerung blieb mir eine Fotodokumentation von Buchstabenskulpturen und Buchstaben an Latten oder Stangen, schwarz bemalt, positioniert in einer Landschaft … 


3

Ich nehme an, dass ich Bauer bei einer Veranstaltung in der Galerie MAERZ persönlich kennengelernt habe. Ins Gespräch kamen wir – abseits von Small-Talk und Begrüßungsritualen bei Ausstellungseröffnungen – einige Male im Café Traxlmayr in den 1990er Jahren. Ich erlebte ihn als unaufgeregten und absolut uneitlen Kollegen. Wir sprachen über Kunst, speziell über die seine, ein Schaffen, das er neben seinem Brotberuf in nahezu jeder freien Minute betrieb. Er nannte die Materialien, die er benötigte und verwendete, erwähnte Abgusstechniken und ärgerte sich über Misslungenes, wenn ihm zum Beispiel bei einem Pinselstrich die intendierte Spannung fehlte. Einmal erzählte er mir von der Bedeutung der Galerie Griechenbeisl in Wien für die Avantgarde, wo er mindesten einmal, 1970, ausgestellt hat. Als M. Rutt und ich anlässlich 30 Jahre GAV die von einem Symposium begleitete Ausstellung „Literatur und Bildende Kunst. Die GAV-OÖ“ konzipierten (heute würde man sagen: kuratierten) baten wir auch Josef Bauer um einen Beitrag und um seine Teilnahme (im Katalog zwischen Heimrad Bäcker und Dietmar Brehm vertreten).    

Als beglückend empfand er die Wertschätzung, die Angerlehner seinem Werk entgegengebracht hat. Er zeigte mir, bescheiden wie immer, aber doch auch ein wenig stolz, bei einem Rundgang nach der Eröffnung den repräsentativen Ankauf, bemerkenswert schlüssig präsentiert. Zuletzt sah ich ihn 2019 anlässlich der Eröffnung seiner Schau im Belvedere 21 und kurz darauf in der Galerie MAERZ, wo ihm zu seinem 85. Geburtstag ebenfalls eine Ausstellung gewidmet wurde.  


4

Eines seiner künstlerischen Anliegen war die Transformation eines visualisierten Textes/Wortes in eine haptische Qualität, wobei diese „Verdinglichung“ oft mit dem menschlichen Körper (oder Körperteilen) korrespondierte. Auf diversen Flächen „taktiler Poesie“ baute er durch minimale Artikulationsformen eine Spannung auf zwischen dem visuell Wahrnehmbarem und dessen Bedeutung (z.B. im „Zweifarbenbild gelb“, im monochromen Blau steht das Wort „gelb“; oder im Bild „Musterkatalog“ ist das Wort „schwarz“ mit roter Farbe geschrieben). Als originell empfand ich auch seine Objekte und Fotos bzw. Fotodokumentationen in Verbindung mit Sprache („Handalphabet“, etc.) und seine dreidimensionalen Objekte, bei denen ebenfalls Form und Inhalt auseinanderklaffen. Mischtechniken, bei denen er Zeitungen und andere bedruckte Materialien be- und überarbeitete (z.B. „Auswischungen“) sagten mir besonders zu. Ich empfinde dies als einen Eingriff, der eine vorgegebene, industriell gefertigte Botschaft respektive Ästhetik auslöscht und durch die eigene individuelle „Handschrift“ ersetzt oder gar ins Gegenteil verkehrt.


5

Die Sprache des Zeigens – die Sprache der Manipulation – semiotisch gesehen: Hinter einer scheinbar eindeutigen Semantik (Wahrheit?) verbirgt sich oft eine andere Sigmatik oder Pragmatik. Welch eine Aktualität.


Josef Bauer und seine Frau Ulrike bei Eröffnung der Ausstellung
„Demonstration“ im Belvedere 21, 4. 9. 2019


Josef Bauer (links) im Gespräch vor Eröffnung
seiner Ausstellung im Belvedere 21, 4. 9. 2019


Text und Fotos: Richard Wall

Donnerstag, 3. März 2022

…und Sturm zieht auf

„Während Stalin und Hitler gleichzeitig an der Macht waren,

starben mehr Menschen in der Ukraine als irgendwo sonst in den

Bloodlands oder in Europa oder auf der Welt.“

Timothy Snyder, Bloodlands


„Aber wer weiß eigentlich noch, dass der Frieden nur deshalb

von Dauer ist, weil es Institutionen gibt, die ihn jederzeit

erzwingen können?“

Jörg Baberowski, Räume der Gewalt


„Schon die Vorstellung, die Politik lasse sich von den

Wechselfällen des Lebens isolieren und zum Monopol nur einer

Gruppe oder einer Ideologie machen, ist unter den Bedingungen 

des modernen Lebens nicht zu verwirklichen.“

Richard Pipes, Russland vor der Revolution


„Der Mensch als Zuschauer verdrängt Schritt für Schritt, ohne auf

Widerstand zu stoßen, den Menschen als Beteiligten.“

Gustaw Herling, Tagebuch bei Nacht geschrieben


„Im Krieg und auch ohne Krieg wird man alle erschießen, die

nicht zu uns gehören – oder sie werden ins Gefängnis gesteckt,

um dort einzugehen.“

Anna Politkowskaja, Russisches Tagebuch 


1.

„Mögest du in interessanten Zeiten leben!“ gilt als Ausspruch einer aus dem Chinesischen übertragenen Verwünschung. Wer wollte abwehren, möchte ein Unbeholfener einwenden, Zeitläufte voller Überraschungen zu erleben? Honi soit qui mal y pense. Um gleich noch einen Wahlspruch aufzufahren, nämlich jenen unverfänglichen der Ritter des Hosenbandordens. Deutet man die Gunst des Schicksals so, welterschütternde Ereignisse aus der Perspektive „siebte Reihe, fußfrei“ verfolgen zu können, wäre die Sache an sich nicht zu verübeln. Vorausgesetzt man gefällt sich in der Rolle des Zynikers. Was aber, wenn der Zuschauer es nicht mehr bestimmt, dass er nur Zuschauer bleibt? Wenn nicht er, die Umstände nutzend, Schlitten fährt, sondern die Umstände mit ihm Schlitten fahren? Wenn man sich plötzlich so in die Dinge verstrickt findet, wie man es nie sein wollte? Wenn die Politik sich für die Menschen interessiert, dann wird es gefährlich, lautet einer der Schlüsselsätze in einem Fragment gebliebenen Roman von Friedrich Torberg. Wenn Menschen es sich nicht mehr aussuchen können, kein Interesse an Politik zu zeigen… Natürlich ist das alles schon einmal dagewesen. Geschichte wiederholt sich. Als Farce. Doch auch eine Farce kann sich als todbringend erweisen.


2.

„…und anstatt zu versuchen, Frieden zu kriegen, gaben sie sich wieder mit Kriegen zufrieden“, kommentierte Karl Farkas einst in der Wochenschau den Ausbruch des Korea-Kriegs. Liegt das zu lange zurück, um sich noch seiner Bedeutung für die Entwicklungen in Europa bewusst zu sein? Oder einfach zu weit weg?

In der achten Kalenderwoche des Jahres 2022 lässt der alternde Autokrat Russlands, Wladimir Putin, seine Streitkräfte in die Ukraine einmarschieren, um einen vorgeschobenen Genozid an ethnischen Russen zu stoppen und eine ebenso vermeintliche Nazi-Herrschaft in Kiew zu beenden. Das ist eine nicht nur nicht-erklärte Kriegserklärung an den souveränen Staat Ukraine, sondern ein Beutegriff auf die bestehende Weltordnung. Putin setzt seinen Fiebertraum von der Revision des Zerfalls der Sowjetunion als militärische Eskalation in die Realität um. Kein Menschenleben zählt dem, der Opfer zu bringen fordert und doch nie auf den Gedanken verfiele, sich selbst zu opfern. Stell dir vor, es ist Krieg und keiner schafft es mehr weg…


3.

Im Februar beklagt eine in Großbritannien exilierte Hongkonger Bürgerrechtsaktivistin in der Tageszeitung „Die Welt“ das völlige Versagen Europas angesichts der Bezwingung der einzigen demokratischen Enklave Festlandchinas durch den staatskapitalistischen Postmaoismus. Ihre Philippika gemahnt an die Brandrede des Negus vor dem Völkerbund, da er den noch freien Nationen des Kontinents, die dem Überfall des faschistischen Italiens auf Abessinien nichts anderes entgegenzusetzen wussten als zahnlose Resolutionen, ihr kommendes Schicksal in Aussicht stellte.

Geschäftemacherei kennt keine Moral. Und ließe sich mit Teufeln handeln, macht man sich vor, sie womöglich durch Handel zu bekehren.


4.

Ein Untoter ist wieder auferstanden in Europa: der Krieg.

Wird er/es (schweiz.: das Malaise) mit dem Fiasko des Aggressors enden?

Soviel steht fest: die Ereignisse beschämen die Gutgläubigen und sie lehren die Untergangsapologeten das Fürchten. Sie zeihen diplomatisches Verhandlungskalkül der Naivität und trübsinnigen Pessimismus des mangelnden Realitätssinns. Niemand in den extremen Positionen könne sagen, er oder sie habe es kommen gesehen, hätte es kommen sehen müssen.

„You see, what you think you saw”, schätzte der Choreograph William Forsythe einmal Sichtweisen ein. Und in der disruptiven Ära der “alternativen Fakten” gilt: Du siehst, was du sehen willst.

Aber, objektiv betrachtet: War tatsächlich alles so unabsehbar?


5.

Zu Zeiten von Glasnost und Perestroika kam eine Zusammenarbeit von russischen und deutschen Archäologiestudenten und -studentinnen zustande, die an einem ehemaligen Frontabschnitt auf dem heutigen Staatsterritorium von Belarus Gefallene exhumierten, um sie in der angemessenen Weise in einen Soldatenfriedhof zu überführen. Die russischen Studenten machten dabei eine besonders makabre Entdeckung: die skelettierten Leichname von Rotarmisten, die Schusswunden aufwiesen, die eindeutig belegten, dass sie in der zur Frontlinie feuernden Richtung, also von hinten, erschossen worden waren. Der Umstand ihrer Tötung war weder dadurch zu erklären, dass es Einheiten der deutschen Wehrmacht gelingen konnte, Truppenteile des Gegners zu umfassen, was absurd gewesen wäre zu einem Zeitpunkt, da über den Ausgang von Kesselschlachten längst die sowjetischen Truppen allein geboten. Noch durch eine bestimmte Form es militärischen Versagens, das der notorische US-General Norman Schwarzkopf euphemistisch als Friendly Fire bezeichnete. Vielmehr stießen die Archäologiestudenten auf den handfesten Beleg einer Tatsache, die auch nach Kriegsende in der UdSSR zu erinnern lebensgefährlich gewesen wäre: Um dem von Stalin ausgegebenen Verbot des Zurückweichens zu entsprechen, saßen den Rotarmisten beim Vormarsch gegen die Wehrmacht Spezialkräfte des Militärgeheimdienstes im Nacken, die den an sie ergangenen Schießbefehl immer wieder in die Tat umsetzten.

Im Dezember 2021 wurde die russische Menschenrechtsorganisation Memorial, die sich vordringlich der Aufarbeitung des stalinistischen Terrors widmete, nach einer Fülle von Schikanen und Beschränkungen, durch Gerichtsbeschluss aufgelöst.


6.

Die Despotie fürchtet nichts so sehr wie die Selbstorganisation mündiger Bürgerinnen und Bürger. Darum trachtet sie nach Gleichschaltung, will Uniformität. Einheitspartei, gelenkte Gerichtsbarkeit, Willkürjustiz und Schauprozesse, Medienzensur, Unterdrückung der freien Presse und der Meinungsäußerung, repetitive Propaganda konstruierter Bedrohung, Nationalgefühlsduselei und Geschichtsklitterung sind ihre prägenden Charakteristika.

„Die Macht muss fälschen, weil sie in eigenen Lügen gefangen ist. Sie fälscht die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft“, schrieb Václav Havel 1978 in seinem politischen Essay Moc Bezmocných (Von der Macht der Ohnmächtigen), der auf Deutsch 1980 unter dem Titel Versuch, in der Wahrheit zu leben erschien. Wer dies unterlässt, so die Conclusio, lebt die Lüge.

In der Lüge sich einzurichten, seine Landsleute in sie zu zwingen, darin wurde Wladimir Wladimirowitsch zu lange auch von der sogenannten freien Welt unterstützt.

Oppositionelle Stimmen wurden in Putins Russlands über Jahre systematisch mundtot gemacht, weggesperrt, in die Flucht geschlagen oder im wortwörtlichen Sinne tot gemacht. Umso bemerkenswerter ist der Mut all jener, die heute in Sankt Petersburg, in Moskau oder wo auch immer in Russland an die Öffentlichkeit treten, um zu bekunden, dass sie mit dem Überfall auf Land und Leute in der Ukraine nicht einverstanden sind.


7.

Wofür steht Europa? ist die unvollständige, falsche Frage. Wofür ist man in Europa bereit einzustehen? müsste sie präziser lauten.

Michail Gorbatschow prägte einst die berückende Analogie vom gemeinsamen Haus. In einem Mehrparteien-Wohnhaus kann niemand wohnen bleiben nach seinen/ihren Regeln, der/die damit alles an wechselseitiger Verbindlichkeit Ausverhandelte mit Füßen tritt.

Zivilisation verheißt die Obsoleszenz des Naturrechts.

Verführe man allgemein nach der Lenin-Methode (Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück), kehrte man zurück in die Barbarei!


© Bernhard Hatmanstorfer


Dienstag, 1. März 2022

Nicht das Wort ist’s, was man sucht

 


Richard Wall

Nicht das Wort ist’s, was man sucht


Хололно роэе в снегу / Es friert die Rose im Schnee

                                   Ossip Mandelstam


I

Lüge und Vertrauensbruch, wenn auch nur 

beobachtet und indirekt empfunden, 

genügen, um im ganzen Körper 

ein noch nie dagewesenes Gefühl zu erwecken.

Immer wieder, dieses Mal ganz stark 

und bis in die Träume hinein,

erkennst du, fühlst du das Übel,

dort – in der Ferne – so nah.

Körper leblos, verstümmelt, zerfetzt –

nichts Neues, wie immer,

wenn an Masken abprallen Bitte und Frage, 

und von allen guten Geistern verlassen

die Waffen sprechen, Sprache ohne Worte.

Wo sind nun Wege, auf denen, vor einem Ziel, 

das es, wie es scheint, noch nicht gibt,

das Herz sich der Schläge erwehrt,

sich das Schlagen erhält?


II

Ein wenig, nein lange, war Friede hier, 

fast nie im Süden, im Südosten, das haben wir 

aus der Ferne zur Kenntnis genommen 

durch all die Jahre wie den Wetterbericht, 

gefiltert durch Ideologien und Medien.

Nun reckte, ganz in der Nähe,

in einer Engführung von Geschichte,

sinnlos ein Schrecken sein Haupt, ihm eingeschnitten 

die Grimasse des Gräuels, des Gemetzels,

weil ein Sturkopf, humorlos, dem Wahnsinn verfallen, 

vermeintlich gedemütigt wie ein kleines Kind, 

dem ein anderes ein Teil von einem Puzzle vorenthält, 

Taten befiehlt, die nichts bringen außer hunderttausendfach 

Not und Tod und Zerstörung von Hab und Gut.


III

Ich zähle die Tage seit Kriegsbeginn.

Es gibt kein Austreten aus der Geschichte.

Kein Davon schleichen. Eine neue Zeitrechnung 

hat begonnen. An Gräben, die man begonnen hat, 

einzuebnen, wird wieder gegraben. 

Diesen Tyrannen zu beseitigen

obliegt niemand geringerem als jenem Volk,

das Poetinnen wie Marina Zwetajewa, Anna Achmatova,

Künstler wie Alexander Rodtschenko, 

Architekten wie Konstantin Melnikov hervorgebracht hat, 

dem so duldsamen, so oft betrogenen 

russischen Volk, dem meine Liebe gilt. 


Дружба / Druschba!


27. Februar 22

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...