Von Corinna Antelmann
Der Krieg ist schuld
und immer wieder der Krieg, er lässt die Menschen nicht sein, wie sie
sind, wann immer sie lebten oder noch leben werden, es sind seine
Spuren, die sich so nachhaltig in die Seelen graben, dass
Kieselsäureester nichts ausrichten kann und auch keine Anstrengung und
keine Flucht. Der Krieg wird mitgenommen von Ort zu Ort, von Generation
zu Generation, er tötet die Liebe, und das ist die Wahrheit. Ja, selbst
aus den Gräbern grinsen sie einen an, die Zeichen des Krieges, dieses
einen und des anderen, aber das spielt keine Rolle. Der eine Krieg zieht
auf der Flucht vor dem vorherigen den nächsten nach sich und der dritte
auf der Flucht vor dem zweiten den vierten. Die Gewalt wird
weitervererbt, während die Narben durch die Zufügung neuer Narben
gesalbt werden, denn wenn ich dir wehtue, tut es mir weniger weh.
Vererbte Irrtümer.
Irgendetwas geschieht mit uns allen, es durchfährt uns, ohne dass wir
wissen, was es ist und warum. Aber wo bin ich, und wie finde ich von
hier wieder heraus? Diese Geschichte geht mich an, sie erzählt von der
Gegenwart. Krieg hat seine Zeit, und Friede hat seine Zeit, so heißt es,
aber der Krieg sollte keine Zeit haben.
Zu keiner Zeit. Niemals.
(Hinter die Zeit, Septime Verlag, 2015)
Die Leiden dees Krieges lassen verstummen, so war es immer. Bis die Sprache zurückkehrt. Ich erinnere mich, wie die Großtanten schwiegen, zumal Teil des Tätervolks und somit nicht berechtigt zum Fühlen von Schmerz. Vererbte Irrtümer. Später dann gab es eine Zeit der Aufarbeitung und des Ausdrucks über alles Leid. Über den Schmerz, den der Krieg hinterlässt, über die Wunden, die kaum je heilen können. Ja, soviel wurde geschrieben und gemahnt, bedacht und betrauert, bis deutlich zu werden schien: Im Krieg gibt es allein Verlierer. Schien es nur mir, als wären wir seither auf dem Weg in ein offenes Miteinander gewesen, das keine Gegensätze aufbaut, sondern Brücken? Dass keine Fronten mehr schaffen will, sondern um Verständigung ringt? Keine Feindbilder aufbaut, sondern zeigt, dass alle einfach nur leben und leben gelassen werden wollen in ihrer Verschiedenheit?
Aber so war es doch! Wir hatten zu reden begonnen, um das Gemeinsame zutage treten zu lassen und zu erfahren, dass alle immer nur das eine sind: Menschen. Menschen mit ihren Ängsten und Zweifeln und Irrtümern und Irrwegen. Mit ihren Verletzungen, die nach Heilung rufen, um nicht als Verdrängtes hervorzubrechen und Unheil hervorzurufen.
Reden wir weiter und suchen nach dem, was eint, nicht trennt.
Und deshalb habe ich immerzu diesen Satz im Kopf und kann ihn nicht naiv finden: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Oder dieses Bild: Wir stehen einander gegenüber und werfen die Waffe weg, um dem Gegenüber entgegenzugehen und in die Arme zu fallen. Weil das Gegenüber Angst empfindet wie wir. Weil das Leben heilig ist. Weil niemand töten will, weder Russe noch Ukrainer. Und niemand dazu gezwungen werden sollte.
Zu keiner Zeit. Niemals.
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