Dienstag, 8. März 2022

Geste – Schrift – Bild – Poesie. Ein Nachruf auf Josef Bauer

Von Richard Wall

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Nach seinem Tod, Traumsequenzen, verblassend: Der Stabhochspringer läuft mit seinen Stangenbuchstaben durch eine baumlose Landschaft … / Das Wort ROT schwebt als Laken im grünen Blattwerk eines Gartens … / Der Stabhochspringer rührt Farbmassen, streicht ein BLAU auf eine Plastikfolie, legt einen Bilderrahmen darüber … / Lässt Gips und Beton nach Interaktionen mit seinem Körper zu Reliefs und Skulpturen erhärten … / Vom jugendlichen, allerdings von grauen Haaren umrahmten Gesicht des Stabhochspringers löst sich die Brille und schwebt, zu einem unlesbaren Wort geworden, als taktile Poesie, jedoch unberührbar und uneinholbar durch einen leeren weißen Raum … 


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Als ich 1989 in die GAV aufgenommen wurde, waren mir der Name Josef Bauer und seine eigenständige bildnerische Arbeit ausschnitthaft bekannt. Spätestens als ich nach der Regionalisierung der GAV als sogenannter Regionaldelegierter der GAV OÖ die Liste der Autorinnen und Autoren in die Hände bekam, wusste ich, dass er auch Mitglied war. 

Als junger Mensch, an Kunst interessiert, hatte ich etwa ab 1970 fast jede Ausstellung, die es in Linz zu sehen gab, besucht. Die Orte, an denen Zeitgenössisches gezeigt wurde, waren wenige. Die Hypo-Galerie Nähe Mozartkreuzung, das Nordico, die Neue Galerie der Stadt Linz im Brückenkopfgebäude West (Vorläufer des Lentos) und die Galerie MAERZ am Taubenmarkt. Hier sah ich das erste Mal Arbeiten des Objekt- und Konzeptkünstlers: In Erinnerung blieb mir eine Fotodokumentation von Buchstabenskulpturen und Buchstaben an Latten oder Stangen, schwarz bemalt, positioniert in einer Landschaft … 


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Ich nehme an, dass ich Bauer bei einer Veranstaltung in der Galerie MAERZ persönlich kennengelernt habe. Ins Gespräch kamen wir – abseits von Small-Talk und Begrüßungsritualen bei Ausstellungseröffnungen – einige Male im Café Traxlmayr in den 1990er Jahren. Ich erlebte ihn als unaufgeregten und absolut uneitlen Kollegen. Wir sprachen über Kunst, speziell über die seine, ein Schaffen, das er neben seinem Brotberuf in nahezu jeder freien Minute betrieb. Er nannte die Materialien, die er benötigte und verwendete, erwähnte Abgusstechniken und ärgerte sich über Misslungenes, wenn ihm zum Beispiel bei einem Pinselstrich die intendierte Spannung fehlte. Einmal erzählte er mir von der Bedeutung der Galerie Griechenbeisl in Wien für die Avantgarde, wo er mindesten einmal, 1970, ausgestellt hat. Als M. Rutt und ich anlässlich 30 Jahre GAV die von einem Symposium begleitete Ausstellung „Literatur und Bildende Kunst. Die GAV-OÖ“ konzipierten (heute würde man sagen: kuratierten) baten wir auch Josef Bauer um einen Beitrag und um seine Teilnahme (im Katalog zwischen Heimrad Bäcker und Dietmar Brehm vertreten).    

Als beglückend empfand er die Wertschätzung, die Angerlehner seinem Werk entgegengebracht hat. Er zeigte mir, bescheiden wie immer, aber doch auch ein wenig stolz, bei einem Rundgang nach der Eröffnung den repräsentativen Ankauf, bemerkenswert schlüssig präsentiert. Zuletzt sah ich ihn 2019 anlässlich der Eröffnung seiner Schau im Belvedere 21 und kurz darauf in der Galerie MAERZ, wo ihm zu seinem 85. Geburtstag ebenfalls eine Ausstellung gewidmet wurde.  


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Eines seiner künstlerischen Anliegen war die Transformation eines visualisierten Textes/Wortes in eine haptische Qualität, wobei diese „Verdinglichung“ oft mit dem menschlichen Körper (oder Körperteilen) korrespondierte. Auf diversen Flächen „taktiler Poesie“ baute er durch minimale Artikulationsformen eine Spannung auf zwischen dem visuell Wahrnehmbarem und dessen Bedeutung (z.B. im „Zweifarbenbild gelb“, im monochromen Blau steht das Wort „gelb“; oder im Bild „Musterkatalog“ ist das Wort „schwarz“ mit roter Farbe geschrieben). Als originell empfand ich auch seine Objekte und Fotos bzw. Fotodokumentationen in Verbindung mit Sprache („Handalphabet“, etc.) und seine dreidimensionalen Objekte, bei denen ebenfalls Form und Inhalt auseinanderklaffen. Mischtechniken, bei denen er Zeitungen und andere bedruckte Materialien be- und überarbeitete (z.B. „Auswischungen“) sagten mir besonders zu. Ich empfinde dies als einen Eingriff, der eine vorgegebene, industriell gefertigte Botschaft respektive Ästhetik auslöscht und durch die eigene individuelle „Handschrift“ ersetzt oder gar ins Gegenteil verkehrt.


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Die Sprache des Zeigens – die Sprache der Manipulation – semiotisch gesehen: Hinter einer scheinbar eindeutigen Semantik (Wahrheit?) verbirgt sich oft eine andere Sigmatik oder Pragmatik. Welch eine Aktualität.


Josef Bauer und seine Frau Ulrike bei Eröffnung der Ausstellung
„Demonstration“ im Belvedere 21, 4. 9. 2019


Josef Bauer (links) im Gespräch vor Eröffnung
seiner Ausstellung im Belvedere 21, 4. 9. 2019


Text und Fotos: Richard Wall

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