Mittwoch, 13. Dezember 2023

Entschuldigung, wo bitte ist hier der Notausgang?

Entschuldigung, wo bitte ist hier der Notausgang?

Texte und Fotos von Erich Klinger

Den Ausgang, den die Rolling Stones dereinst bei „Exile on main street“ wählten, kann ich nicht mehr empfehlen, Ausgänge, die auf Hauptstraßen verweisen, enden mit ziemlicher Sicherheit in der einen oder anderen Road to hell. Dazu später.

Ich bestreite nicht, dass es einige Gründe gibt, der Nationalratswahl im kommenden Jahr mit großem Unbehagen entgegen zu blicken, mit der Aussicht auf eine erstarkte FPÖ zumindest in der Regierung und zuvor Wahlplakate und -slogans, bei denen es mensch nur mehr den Magen umdrehen kann.

Wem vor der FPÖ graust, der/die möge sich bitte zu Gemüte führen, welches FPÖ-würdige Personal bereits seitens der ÖVP im Einsatz ist – ein Metier, in dem aber auch die SPÖ in der Vergangenheit zu punkten wusste.

Sozial- und Integrationslandesrat Wolfgang Hattmannsdorfer – in Suchmaschinen mannigfach aufzufinden, während Schriftstellerkollege Bernhard Hatmanstorfer unbekannt scheint – hat heute im ö1-Morgenjournal sehr deutlich anklingen lassen, wie nahe sich ÖVP und FPÖ in vielen Belangen sind.

Hattmannsdorfer erweckte dabei den Eindruck, sämtliche Asylwerbende würden in Oberösterreich bestens versorgt und sorgenfrei im All-Inclusive-Modus leben.

Daher müsse man ihnen klar machen, dass es keine Rechte ohne Verpflichtungen gibt – daher die Verpflichtung, im Aufnehmerland gemeinnützige Arbeit zu leisten, Aufbesserung des Taschengeldes inklusive.

Den freien Zugang zum Arbeitsmarkt für Asylwerbende lehne er allerdings ab, so Hattmannsdorfer, schließlich wolle man die Wirtschaftsmigration nicht fördern. Aha.

Und da offenkundig die Zahl jener Wahlberechtigten steigt, die Asylwerbende vor allem als fragwürdige Nutznießende der großzügigen Aufnahmegesellschaft sehen, als Personen, die noch nichts in Sozialsystem eingezahlt hätten – danke für die Etablierung dieses menschenverachtenden Schwachsinns insbesondere an PolitikerInnen der ÖVP – will und kann und darf man nun bundesländerweise eine verschärfte Arbeitspflicht für Asylwerbende einführen.

Man müsse die Asylwerbenden aus ihrer Komfortzone holen, so Hattmannsdorfer sinngemäß, und ihnen klar machen, dass „Deutsch“ und „Arbeit“ die Grundpfeiler eines Verbleibs in OÖ seien.

(Da es bei uns keine Nazis mehr gibt, müssen wir uns an dieser Stelle mit einem behaglichen Grunzen aus zahlreichen Gräbern begnügen....)

Auch andere Sozial- bzw. FlüchtlingsreferentInnen in den Bundesländern sind der verschärften Verpflichtung für Aslywerbende zur Arbeit im kommunalen Rahmen durchaus zugetan, einzig der Wiener Stadtrat Peter Hacker hält „eine Verpflichtung zur Arbeit für Flüchtlinge nicht vereinbar mit den Menschenrechten.“


Während gerade in Linz Schnee in dichten Flocken fällt, man also durchaus meinen könnte, es sei ja zwischendurch doch alles im Lot, geht das Klimakonferenzspektakel in Dubei seinem Ende zu – ein Ende ohne Schrecken für die Öl- und Gaskonzerne und wohl auch für die sonstigen Haupt- und Mitverursacher der herandräuenden Klimakatastrophe.

Hans Joachim Schnellnhuber, Generaldirektor des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse mit Sitz im nö. Laxenburg, äußerte sich am 4.12. bei Martin Thür in der ZIB 2 in schonungsloser Klarheit zum fraglich gewordenen Fortbestand der Menschheit.

Er legte offen, dass die Erreichung des Paris-Zieles, die Erderwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, bereits illusorisch geworden und nicht einmal mehr bei sofortigem Stopp der Ausbringung klimaschädlicher Emissionen erreichbar sei, dass wir bereits auf 2 Grad Plus zusteuern und ohne sofortiges wirksames Gegensteuern auch diese Marke in Kürze überschreiten könnten und dass in weiterer Folge bei 3 Grad durchschnittlicher Erderwärmung der bisherige Lebensraum von 2 bis 3 Milliarden Menschen in den inneren Tropen de facto unbewohnbar würde, weil aufgrund des Zusammenspiels von Hitze und Luftfeuchtigkeit bereits relativ kurze Aufenthalte im Freien tödlich wären.

Meine Rückschlüsse: entweder geht ein doch beträchtlicher Teil der Menschheit wissenschaftlichen Unkenrufer*innen, Katastrophen-Apostel*innen und geltungssüchtigen, schicksalsschwangeren Untergangsprophet*innen seit Jahren und Jahrzehnten auf den Leim oder jene, die vorgeben, für uns verantwortlich zu handeln, also Politik zu betreiben bzw. jene, die bestehende Wirtschaftssysteme am Laufen halten, steuern mit uns an Bord gezielt auf eine Apokalypse der Menschheit zu, auch im Irrglauben, man würde eine technische Lösung für die mit jedem Tag dringender werdenden Probleme aus dem Hut zaubern.

Und wir in Mitteleuropa, in China, in Nordamerika und auch in Russland wären ja ohnehin fein raus, weil die ärgsten Folgen ja weit weit weg zu erwarten sind und irgendwie würden wir das ja handlen können. Na gut, nicht für alle, natürlich würden auch bei uns Menschen auf der Strecke bleiben – das tun sie auch jetzt schon, siehe Hitzesommer, Überschwemmungen – doch sei es nicht von Anfang an klar, dass das Leben gefährlich sei und dass nicht alle auf der Butterseite leben können?

 

Welch' Zynismus, dass der in Dubai beschlossene Klimafolgen-Entschädigungsfonds aktuell mit 200 Mio. US-$ - aus Deutschland und den Arabischen Emiraten – ausgewiesen ist, Finanzzusagen aus Grossbritannien, Japan und den USA sind ebenso bloße kosmetische Maßnahmen. Laut Schellnhuber bräuchte dieser Fonds die tausendfache Summe, 200 Mrd. US-$, um künftig wirkungsvoll sein zu können.

Österreich mit seinem 1/1000 der Weltbevölkerung ist für 1/500 der CO²-Emissionen verantwortlich, müsste somit 400 Mio. US-$ = 371,5 Mio. € zu einem Entschädigungsfonds für Klimafolgen beitragen.

Ein zu optimistisch scheinender Ansatz in einem Land, in dem der ehemalige Biathlet Dominik Landertinger als Mitorganisator nordischer Bewerbe im Tiroler Hochfilzen auf die Frage zu möglichen Protesten der Letzten Generation nahezu widerspruchslos sagen kann, dass es den Klimaschützern doch nur um Selbstdarstellung und Inszenierung gehe und dass China, Russland, die USA und Indien im Klimaschutz vorangehen müssten, aber doch nicht das kleine Österreich.

Ein Irrtum, denn so wenig „das kleine Österreich“ alleine das Weltklima retten kann, so wenig ist es unbedeutend, was im eigenen Land passiert – besser gesagt: vor allem auf die lange Bank geschoben bzw. ignoriert wird. Gerade der Alpenraum ist extrem gefährdet, auch durch Temperaturanstiege über den Durchschnitt hinaus und ein deutlicher Anstieg von Hitzetoten und Opfern von Unwettern kann ohne Übertreibung verlässlich vorhergesagt werden.


Interessant wäre auch eine zusätzliche Emissionsbilanz aus Einfuhr und Ausfuhr von Produkten, d.h. welche Emissionen müssen für in Österreich konsumierte Produkte aus anderen Ländern hinzugerechnet werden, was kann abgezogen werden für Produkte aus Österreich, die in andere Länder exportiert werden.

Österreich wird laut Ministerin Gewessler 35 Mio. € = 37,71 Mio. US-$ für Frühwarnsysteme und Anpassungsmaßnahmen an den „Klimawandel“ zur Verfügung stellen, ein Beitrag für den Klimafolgen-Entschädigungsfonds steht aber noch aus.

In den 2010 beschlossenen Green Climate Fund (GCF), der 2015 wirksam wurde und bis dato mit insgesamt gut 19 Mrd. US-$ „gefüllt“ war, wird Österreich für die Periode 2024 bis 2027 eine Summe von 160 Mio. € = 172,38 Mio. US-$ einbringen. Gesamtsumme für die genannte Periode 9,322 Mrd. US-$, 2 Mrd. € = 2,155 Mrd. US-$ davon aus Deutschland und eine gleich hohe Summe aus Großbritannien. Der österreichische Beitrag zum GCF beträgt demnäch 8% des deutschen Beitrags, bei CO²-Vergleichszahlen von 0,22% zu 2% müssten es aber knapp 11% sein.

OPEC-Generalsekretär Haitham al-Ghais hatte am 6. Dezember an die 13 Mitgliedsstaaten seiner Organisation Erdöl und Gas produzierender Länder sowie weitere zehn mit ihr verbündete Länder geschrieben, es bestehe „äußerste Dringlichkeit“, sich in Dubai Beschlüssen zur Abkehr von fossilen Energien zu widersetzen, und weiters: „Es scheint, dass der ungerechtfertigte und unverhältnismäßige Druck gegen fossile Energien einen Kipppunkt mit unumkehrbaren Konsequenzen erreichen könnte“.

So spricht oder kommuniziert der Öl-Schelm in Anlehnung an die Kipppunkte des Weltklimas - auch so kann man Warnungen entschärfen, in dem man deren Sprache übernimmt.


Laut Copernicus-Atmosphärendienst wurden 2023 durch die Waldbrände in Canada knapp ein Viertel der globalen Kohlenstoffemissionen aus Waldbränden freigesetzt, angesichts des trotz wüster Rodungen für die Holzindustrie hohen Waldanteils nicht verwunderlich, doch ein sehr deutliches Alarmzeichen.

Alarmierend auch die „Klima- und Ökobilanz“ von Kriegen, beispielsweise in der Ukraine, für mich ein zusätzlicher Aspekt, wenigstens einen Waffenstillstand anzustreben.

Ebenfalls verfahren ist die Lage in und um Israel:

Ich meine, dass die Überfälle der Hamas am 7. Oktober in ihrer Bestialität eine Zäsur darstellen und als einzigartiges Ereignis zu sehen sind.
Ich meine aber auch, dass das politische und militärische Vorgehen Israels ständig neue Gewalt gebiert, obwohl verständlich scheint, dass man der Hamas begegnen muss.

Auch kann ich die humanen Katastrophen als Konsequenzen eines Aktes der Selbstverteidigung nicht nachvollziehen geschweige denn „gutheißen“, von wegen Kollateralschäden.

Nicht vergessen sollte man aber auch, dass dass sich viele Menschen in Israel seit Jahren in einem Prozess ständiger Bedrohung vor allem durch Raketenangriffe der Hamas befinden und dass nur mit einem Unsummen verschlingenden militärischen Abwehrsystem halbwegs zivile Verhältnisse möglich sind.
Gleichzeitig wird mit dem äußerst gewaltvollen Vorgehen ultranationalistischer israelischer Siedler im Westjordanland ebenfalls ständig Öl ins Feuer gegossen.


In Folge von Polizeieinsätzen – police operations – treffen am Nachmittag des 12. Dezember nicht nur einige aus Richtung Wien kommende Schnellzüge mit teils beträchtlicher Verspätung in Linz Hbf ein, auch der REX 4409 aus Stainach-Irdning ist mit bis zu 20 Minuten Verspätung unterwegs, die bis Linz auf 12 Minuten reduziert werden, da sich die Überholung durch RJ und WESTBAHN in Lambach erübrigt hat.

Ein in Wels Hbf zugestiegenes Quartett testosterongesteuerter Spätjugendlicher benutzte den Zug, um auch im Namen Allahs zur Racheaktion – an wem auch immer – in Linz und am Taubenmarkt zu gelangen, wirklich beruhigend das Faktum, dass einer der vier sagte „kann nicht schlagen, bin auf Bewährung.“

Und ich frage mich, was in diesen Köpfen herumspukt, in welchem Umfeld diese Burschen leben, dass sie so beisammen sind.

Links zum Text:

https://www.derstandard.at/story/3000000198657/laender-beraten-ueber-moegliche-arbeitspflicht-fuer-asylwerber

https://www.nachrichten.at/sport/wintersport/ski-nordisch/dominik-landertinger-die-sollten-die-kirche-im-dorf-lassen;art193190,3903443

https://www.nachrichten.at/wirtschaft/oesterreich-stellt-35-millionen-euro-fuer-den-globalen-sueden-bereit;art15,3904301

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/gruener-klimafonds-gcf-100.html

 Die Fotostrecke besteht diesmal aus Fotos, die allesamt in den letzten Wochen, konkret im Zeitraum 16.11. bis 10.12.2023, entstanden sind und zwar 

beim Almkanal Salzburg,

 


dem Gollinger Wasserfall, auf der Fahrt nach Salzburg,




am Hbf Linz,


in Waidhofen/Ybbs,



 

am Bf Gaisbach-Wartberg,



bei der Vorbeifahrt an der Voest bzw. über die Steyreggerbrücke,


in Kefermarkt,


bei der Vorbeifahrt am Stausee bei Wienerbruck bzw. nahe Gösing – auf der Fahrt nach Mariazell.



Freitag, 1. Dezember 2023

An dunkeldunkelgrauen Tagen - Einblicke in den Alltag im Kunst- und Kulturbereich, wenn man von Depression betroffen ist.

 von Lisa-Viktoria Niederberger


Der Kulturbetrieb lebt von Abendveranstaltungen. Als Autorin und Kulturarbeiterin mit Depressionen fand ich das immer schon furchtbar. Richtig schlimm wurde es aber, als ich vor anderthalb Jahren mit dem Trinken aufhörte und lernte, wie hektisch, laut, hell und herausfordernd Lesungen etc. ohne die Unterstützung von Weißem Spritzer sind. Depressionen machen eine*n zwangsläufig phasenweise zur Eremit*in, arbeitsbedingte Abendtermine fordern Anwesenheit, ob man will und sich bereit fühlt, oder nicht. Abends performen zu müssen, ist besonders in psychisch dunklen Zeiten schwer, weil genau dann Aktivität gefordert wird, wenn der Tag normalerweise als überstanden gilt. Abzusagen ist keine Option, nicht vereinbar mit der ohnehin prekären Einkommenssituation als Künstlerin. Ich habe mich also schon viele Male aus dem Bett und aus der Gammelhose in den Bühnenblazer gequält. Sobald ich dann mit meinem Wasserglas und meinem Text auf dem kleinen Tisch im Scheinwerferlicht sitze, trage ich eine Rüstung aus Professionalität, die ich mir hart antrainiert habe. Meinem Lächeln sieht man nicht an, wie sehr ich mich zum Zähneputzen und Abendessen zwingen musste, meinen Haaren nicht, wie schwer es mir manchmal fällt, sie zu waschen. Und obwohl ich der tiefen Überzeugung bin, dass mein Text oder meine Statements bei der Podiumsdiskussion das Allerletzte sind (weil ich das Allerletzte bin, danke Depression), bleibe ich für Fotos, freue ich mich, wenn jemand ein Buch signiert haben möchte.

Was nicht geht

Man kann mich als hochfunktional depressiv kategorisieren, aber auch das ist nur die halbe Wahrheit. Dass ich am Tag nach Lesungen bis mindestens Mittag im Bett liegen muss, weil mein sozialer Akku komplett leer ist, wussten vor diesem Artikel nur mein Partner und meine Therapeutin. Warum erzähle ich es jetzt? Weil ökonomische Ängste einer der zentralen Auslöser von Depressionen sind, und uns das, insbesondere in der angeschlagenen postpandemischen Freien Szene alle betrifft. Weil es nur eine unzureichende Krankenstandsregelung für niedrigverdienende Selbstständige gibt und weil es Künstler*innen und Veranstaltenden obliegt, eine Lösung für krankheitsbedingte Ausfälle zu finden. Derzeit sieht das so aus: Ach, du trittst doch nicht auf? Schade, kein Geld für dich! (Zwischen den Zeilen: Kannst froh sein, wenn du noch einmal eingeladen wirst.) Also gehen wir zu oft (psychisch) krank arbeiten, mangels Alternativen. Vielleicht machen wir es uns ein bisschen leichter: Bier, zweites Bier, Joint, Notfalltablette. Und wenn’s wirklich mal nicht geht, dann lügen wir. Ich habe zumindest bisher immer gelogen, wenn ich depressionsbedingt nicht arbeiten konnte, eine Migräneattacke vorgeschoben, in feministischen Kreisen auch mal die Menstruation. Als im Patriarchat sozialisierte Frau habe ich immer noch Bedenken, als hysterisch oder Ähnliches abgestempelt zu werden, wenn ich ehrlich sagen würde, wie schlecht es mir manchmal geht. Und als Selbstständige im Neoliberalismus habe ich keine Lust auf den tausendsten «Du musst aber schon durchbeißen, wenn du es zu etwas bringen möchtest»-Vortrag, der dann oft kommt.












Wie es gehen könnte

Ich wünsche mir eine Lösung für die Vereinbarkeit von chronischer Krankheit und dem Arbeitsleben im Kulturbetrieb. Dass ehrliche Dialoge, die Verletzbarkeit erlauben, unter betroffenen Kolleg*innen und Veranstalter*innen nicht bloß schöne, solidarisierende Ausnahmen bleiben, sondern normalisiert werden. Ich bin nicht meine Depression, aber an vielen Tagen bestimmt sie, wie meine Tage aussehen. Ich möchte sie nicht wie ein Label oder Statement vor mir hertragen, sie aber auch nicht verstecken müssen.

So beginnt für mich der Lösungsweg: bei Transparenz, bei ungeschönter Ehrlichkeit. Ich werde mangels Alternativen vermutlich noch lange nicht aufhören, mich auch an dunkeldunkelgrauen Tagen zu Abendveranstaltungen zu zwingen, aber vielleicht könnte ich in Zukunft offen sagen, wie es mir geht. Mindestens hinter der Bühne, wenn es passt, vielleicht sogar auf ihr.

Aber wir wissen alle, strukturelle Probleme kann man rein auf der individuellen Ebene nicht lösen. Fix ist: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen oder in einer Gesellschaft, die psychische Krankheiten vorbehaltlos anerkennt, hätte ich diesen Essay ganz anders oder gar nicht geschrieben.



Mental Health? ja bitte!


Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "The Future Starts Now" vom KV Waschaecht lasen am 22.11. 2023 im Alten Schlachthof/Wels die Autorinnen Beatrice Frasl und Lisa-Viktoria Niederberger und diskutierten mit Paul Freysinger vom Jugendvolksbegehren zum Thema "Mental Health? Ja, bitte!". Die Veranstaltungs ist in voller Länge hier nachzusehen. 



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(Der  Beitrag "An Dunkeldunkelgrauen Tagen" wurde erstemals in der KUPF-Zeitung #185/2023 veröffentlicht)



Dienstag, 21. November 2023

Apfent 8.0 – Keks, Drugs N' Rock N' Roll: Die große Weihnachts-Lesebühne der GAV OÖ

13. Dezember, Mittwoch, 19.30 Uhr, Kulturverein Strandgut (Ottensheimer Straße, 4040 Linz). Eintritt frei! Es gibt GESCHENKE!!!!

Mit Walter Kohl, Dominika Meindl, René Monet und Kurt Mitterndorfer

Alle Jahre wieder ringt das Weihnachts-Ressort in Oberösterreichs größter Literaturvereinigung: um Stille, Frieden und innere Einkehr. Die Früchte dieses Ringens präsentiert das Quartett bei der traditionellen großen Jahresabschluss-Lesebühne. Dabei ist der Gabentisch bei der Tombola des Grauens stets überreich gedeckt. Ja, richtig gelesen: Das ist die einzige Lesereihe, bei der es GESCHENKE gibt!

Die gräuliche Tombola kennen Feinspitze von der Mutterlesebühne "Original Linzer Worte" und von daher stammt der famose Neuzugang im angestammten Apfent-Ensemble: Dem Multitalent Rudi Habringer folgt das Multitalent René Monet nach, seines Zeichens Chefingenieur des heimischen Literaturbetriebs. Er steht für besinnungslose Weihnachtslieder und abgründig-anrührende Erzählungen. Damit ist die Saiten-Sparte nun doppelt besetzt, denn Walter Kohl spielt seine immer versierter selbst gebauten Instrumente von Jahr zu Jahr versierter. Wie stets setzt er der gedankenlosen Fröhlichkeit die nötige Mahnung zur Umkehr entgegen. Das gilt auch für den lieben Alt-Vorsitzenden Kurt Mitterndorfer, der es in seinen kurzen Texten an der notwendigen gesellschaftskritischen Strenge nicht mangeln lassen wird. Im Gegensatz zur "Präsidentin" Dominika Meindl, von der bescheuerte Ansprachen zu erwarten sind, und die den drei Kollegen das eine oder andere Dramolett aufzwingen wird. Ihre beste Rolle ist noch die ersehnte Bescherung am ersehnten Ende: Tombola-Geschenke für das Publikum! Literatur und Präsente! Existenzielles Schrottwichteln!

Das Quartett performt im Ringerl, ob allein oder gemeinsam, in allen Formen und Farben. Das ist überraschend oder berührend, satirisch oder literarisch gehaltvoll – in Summe aber wahrhaft unterhaltsam.

Freitag, 10. November 2023

Streich- und Streichelkultur: Cancel-Culture-Kritik 29.11.

DH5, Mittwoch, 29. November, Beginn: 19:30 Uhr, Eintritt frei! "Herren"straße 5, 4020 Linz

Awareness im Land der fußkranken Awaren

Ein Abend der GAV OÖ zu Wokeness und Cancel Culture im DH5

Mit Martin Fritz, Dominika Meindl, Elisabeth Strasser, Barbara Rieger, Gastgeber: Walter Stadler

Sofern die älteren, hellhäutigen Herren im Feuilleton recht haben, drohen demnächst Zensur, Diktatur und Verenden der Literatur. Schon allein der Begriff „Cancel Culture“ treibt den allgemeinen Blutdruck in die Höhe. Ist die Meinungsfreiheit wirklich durch allzu woke Hypermoralapostel*innen (Obacht, Gendern!) bedroht? Oder werden wir Zeug:innen eines riesigen Ablenkungsmanövers? Brauchen weiße Männer eigene Verlage, um überhaupt noch gedruckt zu werden? Wo schießt die gute Absicht übers Ziel hinaus?

Es ist ein heikles Thema – aber wer soll sich darum kümmern, wenn nicht wir Autorinnen und Autoren, die wir den ganzen Tag damit beschäftigt sind, uns den Kopf über den besten Ausdruck zu zerbrechen?

Wir freuen uns über: den Tiroler Regionalsprecher und Autor Martin Fritz, der nicht nur sehr lustige Texte über die „Cancel Culture“ schreibt, sondern auch Leiter der Arbeitsgruppe für Awareness der GAV ist. Barbara Rieger berichtet aus der Praxis, die auch für höchst achtsame Autorinnen wie sie selbst nicht mehr ganz unkompliziert zu schaffen ist. 

Dominika Meindl moderiert und trägt Satirisches bei, Elisabeth Strasser spielt die Advokatin des Teufels, wenn es gar zu hitzig oder einträchtig wird.

Apropos Vorfreude: Das Ganze findet im famosen Kulturverein Damen- und Herrenstraße statt.

Der Eintritt ist frei, Mitdiskutieren erwünscht!

https://dh5.space/ 


Donnerstag, 2. November 2023

Was wir lasen. Die Enthusiasmus-Reihe der GAV OÖ

Von Dominika Meindl (Text +Fotos)


Ruth Aspöck, die man schon alleine wegen ihrer wirklich sehr schönen Outfits als Grande Dame der GAV (OÖ) bezeichnen darf. Sie sprach über Mark Twain, den sie in eigener Übersetzung vortrug. Sie unternahm eine literarische Reise, auf der sie Tom Sawyer und Huckleberry Finn auf einem Floß über den Mississippi begleitete.


Walter Kohl hatte eigentlich über Donald Duck sprechen wollen, ging aber des Heftls verlustig und besann sich seiner Faszination für Meier Helmbrecht. Das sei auch recht aktuell angesichts der Debatten über Klassismus. Die Gewaltmenschen im Text erinnerten ihn an "die Bauernbuben in Schönering, die ich in meiner Jugend fürchtete". Im 13. Jahrhundert wurde der Text recht gesichert zu Musik vorgetragen, weswegen Kohl ankündigte, nun den Rest des Vortrags mit dem Fotzhobel zu begleiten. Nur ein Witz, es ging verbal weiter. Es amüsiert ihn, dass Wernher der Gaertenere in langen Passagen die Vogelstickereien auf Meiers Kappe schildert ("das ist ein bisschen wie auf Instagram"9, während die Action rumsbums über die Bühne geht. Erich Wimmer wies als Absolvent der Florianer Bauernschule darauf hin, wie sehr es ihm gefallen habe, dass sich Meier seiner Standes-Bestimmung entzieht und vom väterlichen Acker macht.

Walter Baco hatte in Mails an die Verfasserin angekündigt, ausschließlich über seine Erstbesteigung des Pöstlingbergs zu berichten, aber so wie Walter Kohl beließ er es beim Witz. Stattdessen gab er seiner Begeisterung über Daniel Kehlmanns Frühwerk "Ruhm" Raum. Es sei ihm ungemein sympathisch, wie sich der Auto selbst auf die Schippe nehme. Das Geflecht der neun Erzählungen sei fein gesponnen und eine literarische Freude.

 Foto: Stifterhaus

Als Verfasserin dieses Nachberichts überspringe ich meinen eigenen Beitrag und belasse es bei einer dringlichen Empfehlung: Bitte lest "Der lebende Berg" von Nan Shepherd. Man muss die Berge nicht lieben, um diesen Stil zu lieben.


Wally Rettenbacher sprach über die höchst limitierte Auflage des 1965 veröffentlichten Hefts "Sea & Sky" von Robert Lax (1915 bis 2001). Seine Biographie hat selbst schon Literaturwürdigkeit. Als Drehbuchautor für Hollywood und Autor für National Geographic wollte er in New York nicht glücklich werden. Es brauche enorme Willenskraft, um mit 50 alles hinzuschmeißen, mit Zirkusakrobaten loszuziehen und auf Patmos anzukommen. Hier schrieb Lax ("very wise and very busy") seine ganz und gar eigenwilligen Gedichte? Kürzest-Stories? Rhythmischen Notate? Minimalistische, abstrahierte, vertikale Gedichtlinien, "Säulen aus Silben!" Rettenbacher verwendete seine Texte für ihr Meditationsprojekt in Bangkok, da es auch Lax' Ziel war, zu Momenten zu gelangen, an denen man aus der Zeit tritt. Eine Inhaltsangabe ist unmöglich, sein Schreiben gleiche eher einer Jam-Session.

Wally Rettenbacher interessierte es, ob die Violonistin Valentina Pirklbauer das Ergebnis ihrer Silbenzählung in Musik übersetzen könnte. Wer weiß, ob wir 2024 mehr darüber hören. Heuer brachte sie wie seit Beginn der Reihe die Frage auf, ob nicht in Wahrheit die Texte die Zwischenräume ihrer Darbietung seien. 

Erich Wimmer, Gastgeber und Vater der schönen Reihe "Was wir lesen" schloss den Abend mit seinem Enthusiasmus für George Steiners Text "Warum Denken traurig macht", "einer Art Predigt eines führenden Komparatisten." Es gebe zehn Gründe für die Schwermut: Wir gelangen nie zu abschließenden Gedanken. Denken ist ein dilettantisches Unterfangen. Die Gedanken sind bunte Banalitäten und stehen der monochromen Wahrheit entgegen. Denkprozesse sind diffus und kommen nie ordentlich zum Ausdruck, ein maßloser Verlust. Die innere Version ist nicht nach außen zu projizieren, die Beziehung zwischen Denken und Artikulation misslingt laufend. Es gibt keinen archimedischen Punkt, die Vertreibung aus dem Paradies ist ein Fall ins Denken. Wir bleiben einander Fremde. Wenig ist wert, gedacht zu werden, und noch weniger, gesagt zu werden. Denken verabscheut Leere. 

Für Erich Wimmer ist die "Amplitude zwischen dunklem Kontinent und unseren glühwürmchenartigen Geistesblitzchen im Urgrund komisch". Wimmer fühlt im Altern eine "wohltuende Enternstung des Lebens". 

Und genau deswegen freuen wir uns auf das nächste "Was wir lesen" am 23. April 2024 (äußerst passend am Welttag des Buches). 

Montag, 2. Oktober 2023

Leben in der Nacht - Über Kulturarbeit in Zeiten der Lichtverschmutzung

von Lisa-Viktoria Niederberger

Lichtverschmutzung entsteht durch zu viel künstliches Licht in unserer Umgebung, z. B. durch Straßenlaternen, Fassadenbeleuchtungen und Werbetafeln. Wer sich näher damit beschäftigt, merkt schnell, dass die Auseinandersetzung mit nächtlichem Licht nicht nur wichtig, sondern auch dringend notwendig ist, denn zu viel oder falsches Licht in der Nacht beeinflusst viele Bereiche negativ: Es trägt immens zum Insektensterben bei, beeinträchtigt die nächtliche Bestäubung und macht Bäume anfälliger für Frostschäden. Nachtaktive Tiere wie auch der Biorhythmus des Menschen werden gestört. Unnötige Beleuchtung verschwendet darüber hinaus Energie und damit Ressourcen und Geld.













Nachtarbeit und nächtliches Licht

Auch wenn wir Kulturarbeiter*innen als Teil des Nachtlebens nur einen kleinen Teil zur globalen Lichtverschmutzung beitragen, müssen sich Kulturinitiativen, wenn sie ökologisch, klimaschonend und nicht zuletzt menschenfreundlich arbeiten wollen, der Problematik hinter der nächtlichen Beleuchtung bewusst sein. Nachtarbeit wird oft mit Pflege und Gesundheit, aber auch mit Industrie, Verkehr und Transport in Verbindung gebracht, aber auch wir, die wir Theater, Kinos, Literaturhäuser und Konzertsäle bespielen, gelten als Nachtarbeiter*innen, denn die meisten österreichischen Kollektivverträge definieren Nachtarbeit als Tätigkeit zwischen 20 und 6 Uhr. Die Kulturjournalist*in, die nach der Veranstaltung noch den Text für den nächsten Tag schreibt, die Taxifahrer*in, die sie nach Hause bringt, die Künstler*innen, die Veranstaltenden, das Garderobenpersonal, die Licht- und Tontechniker*innen, der Reinigungsdienst – sie alle sind von den Auswirkungen der nächtlichen Beleuchtung, von Light at Night, kurz LaN genannt, betroffen. Studien haben außerdem gezeigt, dass sich Unfälle nachts dort häufen, wo die Verantwortlichen durch Straßenlaternen oder Scheinwerfer geblendet werden – entsprechend ‹gefährdet› sind von Kulturveranstaltungen Heimkehrende. Es gibt keine verlässlichen Studien darüber, dass Licht in der Nacht die Kriminalitätsrate senkt. Manchen Einbruch begünstigt es sogar, weil etwa ein Haus und mögliche Schwachstellen besser aus der Entfernung ausgekundschaftet werden können.

Risiken für die Gesundheit

Die gesundheitlichen Auswirkungen von LaN sind gut erforscht, vor allem für Krankenhauspersonal, das in Nachtschichten arbeitet. Diese Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Risiken betreffen aufgrund der Arbeitszeiten aber auch uns Kulturarbeiter*innen. Neben einer erhöhten Adrenalinausschüttung und einer Aktivierung des Sympathikus, was uns munter macht und die Herzfrequenz erhöht, bringt elektrisches Licht in der Nacht unseren Hormonhaushalt durcheinander. Die damit verbundene Unterdrückung der Melatoninproduktion erhöht das Risiko für Brust- und Prostatakrebs signifikant. Aber auch Herz-Kreislauf- und psychische Erkrankungen sowie das Risiko von Fehlgeburten nehmen bei hoher Lichtbelastung zu.

Was können wir tun?

Ein Kulturbetrieb, der sich des breiten Problemspektrums der Lichtverschmutzung bewusst ist, könnte und sollte sich z. B. dafür einsetzen, dass die Außenbeleuchtung der Kulturstätten abgeschaltet wird, sobald die Gäste fort sind, und gleichzeitig die Bedingungen im Inneren optimieren. Also weg von einer Beleuchtung mit hohem Blaulichtanteil hin zu einem wärmeren, orangefarbenen Licht, das die Melatoninausschüttung nachweislich weniger hemmt. Gleichzeitig könnte der Kulturbetrieb zu einer starken Stimme werden, die Druck auf die politischen Entscheidungsträger*innen ausübt. Wir sollten umgehend fordern, dass nicht länger die Energieversorger die Hauptverantwortung für die nächtliche Beleuchtung unserer Städte tragen, sondern jeweils die Kommunen selbst. Die Bedürfnisse der nachtaktiven Tier- und Pflanzenwelt sollten bei der Gestaltung unserer Städte berücksichtigt und unterstützt werden. Dazu gehört die Schaffung von Dunkelzonen, auf die z. B. Nachtfalter und Fledermäuse angewiesen sind, und die Reduzierung der Beleuchtung, wo immer dies möglich ist.

Im Rahmen der Ausschreibung Klimafitte Kulturbetriebe vergibt das BMKÖS bis Ende September 2023 Förderungen an Kunst- und Kulturstätten, die durch unterschiedliche Investitionen ihre CO2-Emissionen reduzieren wollen. Eine der geförderten Maßnahmen sind «Energieeffiziente Innen- und Außenbeleuchtungssysteme», wobei als spezifische Förderrichtlinie eine nachgewiesene Reduktion der elektrischen Leistung um 30 % gilt. Leider bedeutet dies nicht, dass der Bund eine Reduzierung der Beleuchtung fördert, was dem Lichtschutz zugute käme, sondern dass Kulturstätten dazu angehalten werden, von älteren Leuchtmitteln auf effizientere LEDs umzusteigen. Aus Emissions- und Kostengründen ist dies eine nachvollziehbare Empfehlung, allerdings kritisieren Fachleute seit dem Markteintritt der LEDs, dass diese sehr häufig falsch eingesetzt werden. Weil sie billiger sind, wird nicht nur mehr, sondern auch greller beleuchtet.

Wir lesen oft vom Kassabon als Stimmzettel, von der individuellen Konsumentscheidung als politisches Statement. Auch der Griff zum Lichtschalter kann ein solches sein. Wir können uns täglich entscheiden und Veränderungen anstoßen. Wir können uns als Kulturstätten für unbeleuchtete Fassaden, begrünte Innenhöfe und Vorplätze einsetzen, Anträge für verträglichere Leuchtmittel stellen und von unseren Kommunen erwarten, dass sie sich in puncto Beleuchtung von unabhängigen und interdisziplinär ausgebildeten Expert*innen beraten lassen. Wir sind vielleicht nicht die erste Stellschraube, an die man denkt, wenn es um Lichtverschmutzung geht, aber wir könnten zu einem entscheidenden Faktor werden. Denn wir sind viele, und der Abend und die Nacht sind die Räume, in denen wir arbeiten, mitgestalten oder einfach das tun, was wir lieben.


(erstmals erschienen in KUPF-Zeitung #187 am 23.9.23)

Brief an Bürgermeister Ludwig zur Schließung des Literaturreferats in Wien

von Corinna Antelmann

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Ludwig,

über die Grazer Autorinnen Autoren Versammlung habe ich erfahren, dass per 1.8.2023 das Literaturreferat der Stadt Wien als eigenständiges Referat aufgelöst und dem Referat „Film, Mode und Internationales“ angeschlossen wurde.

Dieser Schritt ist mir, die ich mich der Stadt Wien als deutsche Autorin und Wahl-Österreicherin verbunden fühle, unverständlich und sendet, wie ich meine, das falsche Signal aus der Hauptstadt eines Landes, das große Literatur hervorgebracht hat, nun jedoch mit Intellektuellen-Feindseligkeit und verengten Denkmustern zu kämpfen hat.

Seit jeher ist es die Literatur, die es uns ermöglicht, das Denken zu erweitern, in die Tiefe zu gehen und verschiedene Perspektiven einzunehmen - Eigenschaften, die es zu stärken gilt, gegenwärtig mehr denn je. Die Abschaffung eines eigenständigen Referats aber stuft die Bedeutung der Literatur hinunter, statt sich mit allen Kräften dem literarischen Schaffen in diesem Land und der Vermittlung von Literatur zu widmen.

Wir sind überflutet mit Neuen Medien und Neurologinnen sehen in der „digitalen Demenz“ mittlerweile eine große Gefahr. Der IQ ist in den Industriestaaten zuletzt gesunken. Die Gefahren der Digitalisierung (Einbußen in den Bereichen Konzentration, übergreifendes Denken, sozialer Kompetenz, Textverständnis, Ausdrucksbreite) werden zunehmend beforscht, „Digital Detox“ versucht bereits wieder, Wege zur digitalen Entgiftung aufzuzeigen.

Auch die Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch, und wir haben die Verantwortung als Menschen,daneben nun vor allem die wirklich menschlichen Skills zu stärken, die uns keine KI der Welt abnehmen kann (und sollte) als da sind: eigenständiges Denken, ethisches Empfinden, Verständnis füreinander, kurz: humanistische Ideale, die uns die Literatur lehrt, da wir hier ÜBER DAS MENSCHSEIN erfahren.

Fortlaufend werden stattdessen die Möglichkeiten für Lesungen ebenso zurückgefahren wie die Möglichkeiten, als Literatin im öffentlichen Leben präsent zu sein. Literatur nun noch unsichtbarer zu machen und sukzessive aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, wirkt dem gesellschaftlichen Auftrag, den jede Regierung innehält, schmerzlich entgegen.

Im Gegenteil sollte also nicht allein ein eigenes Referat unterhalten werden, sondern der Fokus auf Vermittlung von Literatur an Schulen und auch für Erwachsene zusätzlich verstärkt werden, denn sie hilft, Persönlichkeit zu entfalten und durch Sprachkompetenz den Ausdruck für all das zu finden, was den Menschen umtreibt und nicht selten in den Hass treibt, so er keine Worte findet. Gibt es kein ausgefeiltes Sprachverständnis und keinen souveränen Umgang mit Sprache mehr – etwas, das vor allem durch Literatur gefördert wird –, geht das kritische Denken verloren, das die Basis einer demokratischen Gesellschaft mündiger Bürgerinnen und Bürger ist, die wir doch alle erhalten und stützen wollen.

Ich freue mich über eine Zurücknahme der Auflösung und den Anlass, hier vielleicht über eine Erweiterung nachzudenken, um Literatur nicht als MUSS, sondern als Bereicherung für ALLE Menschen zu sehen. Sie sollte in ihren Möglichkeiten nicht unterschätzt werden. Für neue Ideen, was Literatur in Schule und Gesellschaft verankern hülfe, stehe ich mit meiner Expertise als Autorin und Hochschullehrerin gern zur Verfügung,

mit freundlichen Grüßen,

Dipl.Kult.Päd. Corinna Antelmann (eigen(st)händig verfasst)


 

Montag, 25. September 2023

Jeder hat seinen Preis. Rudi Habringers "Diese paar Minuten"

Rezension von Dominika Meindl

Rudolf Habringer: Diese paar Minuten. Erzählungen

In dieser Sache habe ich keine Scheu, mich zu wiederholen: In einer besseren Welt (und die sollte uns Schreibenden leicht vorstellbar sein) zählten Erzählungen mindestens so viel wie Romane. Und in einem besseren Literaturbetrieb als dem österreichischen stünde Rudi Habringer in der ersten Reihe. In der Realität steht er zum Glück nicht weit dahinter (aber: Oh, die feinen Unterschiede!). Es bleibt die Frage offen, ob das damit zusammenhängt, dass er in Oberösterreich geblieben ist. Ein Standortnachteil? „Selbstverständlich!“ sagt er bei der Buchpräsentation im Stifterhaus, aber es klingt nicht larmoyant.

Habringer lebt im selben Vorstadtgebiet, das seine Figuren bewohnen. Ein Paar entfremdet sich bei der Suche nach einem Samenspender. Ein ehemaliger Fremdenlegionär verunglückt auf eine Weise, die man auch für Absicht halten könnte. Eine Frau wird aus Langeweile zur Erpresserin.

Es ist der Ort, der sie verbindet – und ihre inneren Dilemmata. Sie sind alle in psychischen und sozialen Schieflagen. Hier hat jeder seine Schwächen, seinen Preis, für den er sich weggibt (ja, es sind mehr Männer, aber beileibe nicht nur). Es sind nur ein paar Minuten, in denen sich die Figuren in ein Verhängnis verstricken, aus dem sie kaum noch entkommen. Kinder kommen zu Schaden, Ehen zerbrechen, Leben springen aus den Schienen. Die Existenz ist entsetzlich angreifbar und verletzlich. Gezeigt wird die Brutalität der für „normal“ erachteten Verhältnisse, die Last der monogamen Paarbeziehung, der Erwartung, dass es Vater und Mutter gibt, dass man in der Firma nicht unter die Räder gerät – sprich: die Last des Alltags. Es gehe ihm um Resonanz, sagt Habringer, und das muss keine positive sein. Seine Lektorin habe die Erzählung, in der ein Mann ein Kind umbringt und kaum Reue empfindet, als zu belastend empfunden. Gerade deswegen sei sie im Buch geblieben. „Einen Teil der Weltliteratur müsste man ja sofort canceln.“

Die elf Short Stories haben eine Klammer, einen Metatext – in ihnen geistern Protagonist:innen von anderen Romanen und Erzählungen. Sie sind aber so fein verbunden, dass eine jede für sich stehen kann. Ein schwächerer Autor würde daraus elf Romane machen, Habringer beherrscht die Reduktion und Verdichtung, weil er akkurat ist. Überhaupt ist sein Stil auffällig unauffällig. Er habe, sagt er, die Leute reden lassen, wie sie eben reden, in ihrer Sprachlosigkeit und Unfähigkeit, das Richtige zum rechten Zeitpunkt zu sagen. „Plötzlich hörte ich diese Wörter des Ungefähren, wenn sie sprach: irgendwo, irgendwie, sozusagen, sag ich mal, sag ich jetzt ganz ehrlich, sag ich jetzt mal ganz im Ernst und so weiter. Ina verwendete plötzlich häufig die Wörter natürlich und normal.“ Nicht umsonst nennt er Raymond Carver eines seiner Vorbilder.

Es sei ihm wichtig, schreibt Habringer in einem der Essays in „Das Unergründliche und das Banale“, dass sein Nachbar, „wenn er sie denn lesen würde“, seine Texte auch verstehen könnte. „Mit meinen Geschichten, meinen Texten möchte ich Kontakt zu anderen Menschen herstellen“. „In diesem Sinne halte ich mich für einen realistischen Autor. Ich versuche mich schreibend und scheiternd als Feldforscher in der Wissenschat vom Menschen“.

Da gibt es kaum Metaphern, die Sätze sind trocken, lakonisch, unmanieriert. Wichtig sei ihm aber der Sound einer Figur, der Rhythmus der Prosa – er ist ja auch Musiker.

Rudolf Habringer: Diese paar Minuten. Erzählungen. Otto Müller Verlag, S. 200, 23 €

Sonntag, 3. September 2023

 

Erich Klinger



Ötschergräben



Bei der Annäherung an oder dem fließenden Übergang in jene Lebensphase, die einst von Jethro Tull mit "Too old to rock'n roll, too young too die" bezeichnet wurde, sollte man sich Erfolgserlebnisse suchen, die dem möglicherweise drohenden zwangsläufigen Benützen von Aufzug und Rollator eindeutig entgegen stehen.

Wobei man sich ohnehin davor hüten sollte, Liedtexte allzu ernst zu nehmen, sie also ung'schaut auf das eigene Leben zu übertragen. Im angesprochenen Lied stirbt der Rocker durch einen Unfall mit seinem Motorrad, also Bike, was Liedtexter Ian Anderson zur Schlussfolgerung bringt, seine Hauptperson wäre zu früh gestorben, somit noch nicht zu alt für Rock'n'Roll gewesen.

Hüten sollte sich unsereins allerdings auch vor dem zu exzessiven Gebrauch von youtube-Musikvideos. Oder konkreter formuliert: vor dem Hineinfallen in die von mathematischen Prozessen indizierten Endlosschleifen. Auch vor aktuellen Konzert-Aufnahmen, mit denen zwar im günstigsten Fall die Entscheidung, einem Konzert noch lebender Idole aus der eigenen Frühzeit beizuwohnen, leichter fällt, sei gewarnt, vor allem, wenn man ohnehin mit der eigenen Vergänglichkeit in mehr oder minder intensivem Clinch liegt.

Somit zum erfreulichen Aspekt dieser Geschichte. Am 24. August bin ich mit meiner Partnerin Renate nach Wienerbruck gefahren, um vom dortigen Nationalparkzugang aus den vorderen Teil der Ötschergräben zu durchwandern. Jahre, Jahrzehnte hindurch galt mir diese Wanderung als unmöglich, Einladungen zum gemeinsamen Erkunden und Durchqueren der Gräben habe ich mit dem Hinweis darauf, dass ich mich vor der Bewältigung dieser Strecke fürchte, abgelehnt und so bin ich auch nie in die Nähe der Ötschergräben gekommen. Mir reichten Fotos von Wegabschnitten ohne Absicherung nach unten in die Schlucht und die Warnung, dass Trittsicherheit und Schwindelfreiheit unbedingt erforderlich seien, um bisweilen auftauchende zarte Gelüste, die Ötschergräben zu durchqueren, innerhalb weniger Minuten im Keim zu ersticken.

 

Mit ausschlaggebend für dieses Zurückscheuen war vielleicht auch ein Ereignis vor gut 40 Jahren, als ich bei einer Wanderung mit Freunden im alpinen Gelände bei einer mit Geröll versetzten Hangquerung den Halt verlor und vorerst ziemlich schnell im Geröll nach unten rutschte.

Irgendwie gelang es mir dann doch, die Abwärtsbewegung zu stoppen - lebensgefährlich war dieser Unfall meiner Erinnerung zufolge mangels naher Abgründe nicht, als scheußlich empfand ich dieses Ereignis trotzdem.

 

Wiederum einige Jahre später begann ich systematisch, an Abgründe heran zu treten und mein Verhalten auf Wegen zu testen, auf denen es auf einer Seite relativ steil nach unten geht. Am Salzburger Kapuzinerberg entdeckte ich beim Aufstieg von der Schallmooser Hauptstraße aus, dass rechts vom Weg liegende "Abgründe" eine stärkere Verunsicherung hervorrufen als Gefahrenstellen linkerhands. Durch Experimentieren mit kurzen Wegstücken in der Gegenrichtung bzw. durch Abstieg über den selben Weg, den ich bergauf genommen hatte, wurde mir klar, dass etwaige Ängste bevorzugt auftreten, wenn ich mit meinem guten Auge näher zur Gefahrenseite bin. Die selbe Stelle in entgegengesetzter Richtung - bei gleichwertigen Bedingungen - konnte ich leichtfüssiger passieren.

Es hilft einem schon weiter, wenn man gewisse Eigenheiten durchschaut und sich vor allem auch vorstellen kann, Hindernisse zu bewältigen, ohne dabei frei von Angst sein zu "müssen". Für Hochalpinist*innen mag ja der Aufstieg zum vorarlbergerischen Lünersee über den Bösen Tritt eine relativ leichte Übung sein/gewesen sein - dem Vernehmen nach wurden die ausgesetzteren Passagen in der Zwischenzeit entschärft - für mich war dieser Weg eine Herausforderung und die Bewältigung einer derartigen Herausforderung, die sich auch in den bereits genannten Attributen bleibt lange im Gedächtnis und im Körper verhaftet und so lassen sich Schritt für Schritt Ängste überwinden.

Mut zeigt sich ja, abseits von Klischees, nicht darin, frei von Ängsten zu sein, sondern sich den Ängsten zu stellen und dieser Mut „darf“ auch beinhalten, den Ängsten nicht mit der Brechstange zu begegnen, sondern sie auch als berechtigte Warnungen wahrzunehmen.



Wir waren durch den vorderen Teil der Ötschergräben - bis zur Weggabelung beim Ötscherhias, von wo aus man weiter durch die Gräben gehen oder durch das Mühlbachtal zur Erlaufklause bzw. in Richtung Mitterbach aufsteigen kann - gut zwei Stunden unterwegs, mit einer Geh-Pause beim Kraftwerk Wienerbruck, das 1911 gemeinsam mit dem Kraftwerk Erlaufböden in Betrieb genommen wurde, um die Mariazellerbahn fürderhin mit elektrischem Strom zu versorgen.

Die letzte Viertelstunde, die letzten 20 Minuten der Ötschergräbenpassage wurde ich unsicher beim Gehen und Schritt fassen, was bei Holzkonstruktionen mit einer leichten Querneigung bzw. engen steinigen Stellen, wo es auf einer Seite so weit nach unten geht, dass die Wahrscheinlichkeit, ohne gröbere Verletzung - wenn überhaupt - davon zu kommen, gering wäre, keine gute Grundlage mehr ist.

Somit auf das Weitergehen und die Besichtigung des Mira-Falles verzichtet und nach kurzer Rast , der letztlich entspannte und entspannende Weg nach Mitterbach, zuletzt am Erlauf-Stausee entlang, um mit der Mariazellerbahn von dort aus zurück nach St. Pölten zu fahren.

Fortsetzung der Ötschergräben-Abenteuer könnte bald folgen, sicher nicht erst in 20 oder 30 Jahren, auch abhängig von den finanziellen Mitteln, um ein paar Tage in der Nähe von Ausgangspunkten für Wanderungen zu verbringen, auch wenn die geschilderte Unternehmung stressfrei an einem Tag mit Hinfahrt und Rückreise ab und nach Linz zurückgelegt werden konnte.

Naja, soweit man die gemeinsame Fahrt mit Rapid-Fans auf dem Heimweg vom Spiel gegen Fiorentina unter "stressfrei" einordnen kann, letztlich hielt sich dieser Teil des Abenteuers in einem erträglichen Rahmen, von Bier- und sonstigen Ausdünstungen abgesehen und dem leider oder zum Glück nicht verstehen können, was am archaisch gegröhlten Hüt-tel-dorf so berauschend oder rauschverstärkend sein kann.

Eckdaten: Abfahrt Linz Hbf um 9.17 Uhr, Ankunft in Wienerbruck-Josefsberg um 12.31 Uhr, Rückfahrt ab Mitterbach um 19.12 Uhr, Ankunft in Linz Hbf um 22.31 Uhr plus Nachhauseweg. Umstiege jeweils in St. Pölten Hbf.

P.S.: Sämtliche Fotos stammen von dieser Wanderung, das Foto von mir hat Renate aufgenommen.

25. und 29.8., 3.9.2023

 

Montag, 28. August 2023

Der Fuchs

 Ein Gedicht von Richard Wall, veröffentlicht im "Standard"


Der Fuchs


Nächtens bewegt er die Landschaft –

bewegt sich hungrig und wachsam zugleich

unter kreisenden Sternen, unterm Mond,

der die Gezeiten der Ozeane bewegt.

Selten hortet er seine Beute.

Der Quarz in den Felsen schimmert.


Er hat sein Revier markiert.

Er hält inne, lauscht –

gräbt sich ein Loch zu einer Maus am Feldrain,

trabt weiter, durch Wälder, seine Rute

streift über blühende Heidelbeersträucher,

gleitet im Schnee über Wellen und Gräben –

und verschwindet auf einem Blatt Papier.

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...