Montag, 2. Oktober 2023

Leben in der Nacht - Über Kulturarbeit in Zeiten der Lichtverschmutzung

Lichtverschmutzung entsteht durch zu viel künstliches Licht in unserer Umgebung, z. B. durch Straßenlaternen, Fassadenbeleuchtungen und Werbetafeln. Wer sich näher damit beschäftigt, merkt schnell, dass die Auseinandersetzung mit nächtlichem Licht nicht nur wichtig, sondern auch dringend notwendig ist, denn zu viel oder falsches Licht in der Nacht beeinflusst viele Bereiche negativ: Es trägt immens zum Insektensterben bei, beeinträchtigt die nächtliche Bestäubung und macht Bäume anfälliger für Frostschäden. Nachtaktive Tiere wie auch der Biorhythmus des Menschen werden gestört. Unnötige Beleuchtung verschwendet darüber hinaus Energie und damit Ressourcen und Geld.













Nachtarbeit und nächtliches Licht

Auch wenn wir Kulturarbeiter*innen als Teil des Nachtlebens nur einen kleinen Teil zur globalen Lichtverschmutzung beitragen, müssen sich Kulturinitiativen, wenn sie ökologisch, klimaschonend und nicht zuletzt menschenfreundlich arbeiten wollen, der Problematik hinter der nächtlichen Beleuchtung bewusst sein. Nachtarbeit wird oft mit Pflege und Gesundheit, aber auch mit Industrie, Verkehr und Transport in Verbindung gebracht, aber auch wir, die wir Theater, Kinos, Literaturhäuser und Konzertsäle bespielen, gelten als Nachtarbeiter*innen, denn die meisten österreichischen Kollektivverträge definieren Nachtarbeit als Tätigkeit zwischen 20 und 6 Uhr. Die Kulturjournalist*in, die nach der Veranstaltung noch den Text für den nächsten Tag schreibt, die Taxifahrer*in, die sie nach Hause bringt, die Künstler*innen, die Veranstaltenden, das Garderobenpersonal, die Licht- und Tontechniker*innen, der Reinigungsdienst – sie alle sind von den Auswirkungen der nächtlichen Beleuchtung, von Light at Night, kurz LaN genannt, betroffen. Studien haben außerdem gezeigt, dass sich Unfälle nachts dort häufen, wo die Verantwortlichen durch Straßenlaternen oder Scheinwerfer geblendet werden – entsprechend ‹gefährdet› sind von Kulturveranstaltungen Heimkehrende. Es gibt keine verlässlichen Studien darüber, dass Licht in der Nacht die Kriminalitätsrate senkt. Manchen Einbruch begünstigt es sogar, weil etwa ein Haus und mögliche Schwachstellen besser aus der Entfernung ausgekundschaftet werden können.

Risiken für die Gesundheit

Die gesundheitlichen Auswirkungen von LaN sind gut erforscht, vor allem für Krankenhauspersonal, das in Nachtschichten arbeitet. Diese Rahmenbedingungen und die damit verbundenen Risiken betreffen aufgrund der Arbeitszeiten aber auch uns Kulturarbeiter*innen. Neben einer erhöhten Adrenalinausschüttung und einer Aktivierung des Sympathikus, was uns munter macht und die Herzfrequenz erhöht, bringt elektrisches Licht in der Nacht unseren Hormonhaushalt durcheinander. Die damit verbundene Unterdrückung der Melatoninproduktion erhöht das Risiko für Brust- und Prostatakrebs signifikant. Aber auch Herz-Kreislauf- und psychische Erkrankungen sowie das Risiko von Fehlgeburten nehmen bei hoher Lichtbelastung zu.

Was können wir tun?

Ein Kulturbetrieb, der sich des breiten Problemspektrums der Lichtverschmutzung bewusst ist, könnte und sollte sich z. B. dafür einsetzen, dass die Außenbeleuchtung der Kulturstätten abgeschaltet wird, sobald die Gäste fort sind, und gleichzeitig die Bedingungen im Inneren optimieren. Also weg von einer Beleuchtung mit hohem Blaulichtanteil hin zu einem wärmeren, orangefarbenen Licht, das die Melatoninausschüttung nachweislich weniger hemmt. Gleichzeitig könnte der Kulturbetrieb zu einer starken Stimme werden, die Druck auf die politischen Entscheidungsträger*innen ausübt. Wir sollten umgehend fordern, dass nicht länger die Energieversorger die Hauptverantwortung für die nächtliche Beleuchtung unserer Städte tragen, sondern jeweils die Kommunen selbst. Die Bedürfnisse der nachtaktiven Tier- und Pflanzenwelt sollten bei der Gestaltung unserer Städte berücksichtigt und unterstützt werden. Dazu gehört die Schaffung von Dunkelzonen, auf die z. B. Nachtfalter und Fledermäuse angewiesen sind, und die Reduzierung der Beleuchtung, wo immer dies möglich ist.

Im Rahmen der Ausschreibung Klimafitte Kulturbetriebe vergibt das BMKÖS bis Ende September 2023 Förderungen an Kunst- und Kulturstätten, die durch unterschiedliche Investitionen ihre CO2-Emissionen reduzieren wollen. Eine der geförderten Maßnahmen sind «Energieeffiziente Innen- und Außenbeleuchtungssysteme», wobei als spezifische Förderrichtlinie eine nachgewiesene Reduktion der elektrischen Leistung um 30 % gilt. Leider bedeutet dies nicht, dass der Bund eine Reduzierung der Beleuchtung fördert, was dem Lichtschutz zugute käme, sondern dass Kulturstätten dazu angehalten werden, von älteren Leuchtmitteln auf effizientere LEDs umzusteigen. Aus Emissions- und Kostengründen ist dies eine nachvollziehbare Empfehlung, allerdings kritisieren Fachleute seit dem Markteintritt der LEDs, dass diese sehr häufig falsch eingesetzt werden. Weil sie billiger sind, wird nicht nur mehr, sondern auch greller beleuchtet.

Wir lesen oft vom Kassabon als Stimmzettel, von der individuellen Konsumentscheidung als politisches Statement. Auch der Griff zum Lichtschalter kann ein solches sein. Wir können uns täglich entscheiden und Veränderungen anstoßen. Wir können uns als Kulturstätten für unbeleuchtete Fassaden, begrünte Innenhöfe und Vorplätze einsetzen, Anträge für verträglichere Leuchtmittel stellen und von unseren Kommunen erwarten, dass sie sich in puncto Beleuchtung von unabhängigen und interdisziplinär ausgebildeten Expert*innen beraten lassen. Wir sind vielleicht nicht die erste Stellschraube, an die man denkt, wenn es um Lichtverschmutzung geht, aber wir könnten zu einem entscheidenden Faktor werden. Denn wir sind viele, und der Abend und die Nacht sind die Räume, in denen wir arbeiten, mitgestalten oder einfach das tun, was wir lieben.


(erstmals erschienen in KUPF-Zeitung #187 am 23.9.23)

Brief an Bürgermeister Ludwig zur Schließung des Literaturreferats in Wien

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Ludwig,

über die Grazer Autorinnen Autoren Versammlung habe ich erfahren, dass per 1.8.2023 das Literaturreferat der Stadt Wien als eigenständiges Referat aufgelöst und dem Referat „Film, Mode und Internationales“ angeschlossen wurde.

Dieser Schritt ist mir, die ich mich der Stadt Wien als deutsche Autorin und Wahl-Österreicherin verbunden fühle, unverständlich und sendet, wie ich meine, das falsche Signal aus der Hauptstadt eines Landes, das große Literatur hervorgebracht hat, nun jedoch mit Intellektuellen-Feindseligkeit und verengten Denkmustern zu kämpfen hat.

Seit jeher ist es die Literatur, die es uns ermöglicht, das Denken zu erweitern, in die Tiefe zu gehen und verschiedene Perspektiven einzunehmen - Eigenschaften, die es zu stärken gilt, gegenwärtig mehr denn je. Die Abschaffung eines eigenständigen Referats aber stuft die Bedeutung der Literatur hinunter, statt sich mit allen Kräften dem literarischen Schaffen in diesem Land und der Vermittlung von Literatur zu widmen.

Wir sind überflutet mit Neuen Medien und Neurologinnen sehen in der „digitalen Demenz“ mittlerweile eine große Gefahr. Der IQ ist in den Industriestaaten zuletzt gesunken. Die Gefahren der Digitalisierung (Einbußen in den Bereichen Konzentration, übergreifendes Denken, sozialer Kompetenz, Textverständnis, Ausdrucksbreite) werden zunehmend beforscht, „Digital Detox“ versucht bereits wieder, Wege zur digitalen Entgiftung aufzuzeigen.

Auch die Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch, und wir haben die Verantwortung als Menschen,daneben nun vor allem die wirklich menschlichen Skills zu stärken, die uns keine KI der Welt abnehmen kann (und sollte) als da sind: eigenständiges Denken, ethisches Empfinden, Verständnis füreinander, kurz: humanistische Ideale, die uns die Literatur lehrt, da wir hier ÜBER DAS MENSCHSEIN erfahren.

Fortlaufend werden stattdessen die Möglichkeiten für Lesungen ebenso zurückgefahren wie die Möglichkeiten, als Literatin im öffentlichen Leben präsent zu sein. Literatur nun noch unsichtbarer zu machen und sukzessive aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, wirkt dem gesellschaftlichen Auftrag, den jede Regierung innehält, schmerzlich entgegen.

Im Gegenteil sollte also nicht allein ein eigenes Referat unterhalten werden, sondern der Fokus auf Vermittlung von Literatur an Schulen und auch für Erwachsene zusätzlich verstärkt werden, denn sie hilft, Persönlichkeit zu entfalten und durch Sprachkompetenz den Ausdruck für all das zu finden, was den Menschen umtreibt und nicht selten in den Hass treibt, so er keine Worte findet. Gibt es kein ausgefeiltes Sprachverständnis und keinen souveränen Umgang mit Sprache mehr – etwas, das vor allem durch Literatur gefördert wird –, geht das kritische Denken verloren, das die Basis einer demokratischen Gesellschaft mündiger Bürgerinnen und Bürger ist, die wir doch alle erhalten und stützen wollen.

Ich freue mich über eine Zurücknahme der Auflösung und den Anlass, hier vielleicht über eine Erweiterung nachzudenken, um Literatur nicht als MUSS, sondern als Bereicherung für ALLE Menschen zu sehen. Sie sollte in ihren Möglichkeiten nicht unterschätzt werden. Für neue Ideen, was Literatur in Schule und Gesellschaft verankern hülfe, stehe ich mit meiner Expertise als Autorin und Hochschullehrerin gern zur Verfügung,

mit freundlichen Grüßen,

Dipl.Kult.Päd. Corinna Antelmann (eigen(st)händig verfasst)


 

Montag, 25. September 2023

Jeder hat seinen Preis. Rudi Habringers "Diese paar Minuten"

Rezension von Dominika Meindl

Rudolf Habringer: Diese paar Minuten. Erzählungen

In dieser Sache habe ich keine Scheu, mich zu wiederholen: In einer besseren Welt (und die sollte uns Schreibenden leicht vorstellbar sein) zählten Erzählungen mindestens so viel wie Romane. Und in einem besseren Literaturbetrieb als dem österreichischen stünde Rudi Habringer in der ersten Reihe. In der Realität steht er zum Glück nicht weit dahinter (aber: Oh, die feinen Unterschiede!). Es bleibt die Frage offen, ob das damit zusammenhängt, dass er in Oberösterreich geblieben ist. Ein Standortnachteil? „Selbstverständlich!“ sagt er bei der Buchpräsentation im Stifterhaus, aber es klingt nicht larmoyant.

Habringer lebt im selben Vorstadtgebiet, das seine Figuren bewohnen. Ein Paar entfremdet sich bei der Suche nach einem Samenspender. Ein ehemaliger Fremdenlegionär verunglückt auf eine Weise, die man auch für Absicht halten könnte. Eine Frau wird aus Langeweile zur Erpresserin.

Es ist der Ort, der sie verbindet – und ihre inneren Dilemmata. Sie sind alle in psychischen und sozialen Schieflagen. Hier hat jeder seine Schwächen, seinen Preis, für den er sich weggibt (ja, es sind mehr Männer, aber beileibe nicht nur). Es sind nur ein paar Minuten, in denen sich die Figuren in ein Verhängnis verstricken, aus dem sie kaum noch entkommen. Kinder kommen zu Schaden, Ehen zerbrechen, Leben springen aus den Schienen. Die Existenz ist entsetzlich angreifbar und verletzlich. Gezeigt wird die Brutalität der für „normal“ erachteten Verhältnisse, die Last der monogamen Paarbeziehung, der Erwartung, dass es Vater und Mutter gibt, dass man in der Firma nicht unter die Räder gerät – sprich: die Last des Alltags. Es gehe ihm um Resonanz, sagt Habringer, und das muss keine positive sein. Seine Lektorin habe die Erzählung, in der ein Mann ein Kind umbringt und kaum Reue empfindet, als zu belastend empfunden. Gerade deswegen sei sie im Buch geblieben. „Einen Teil der Weltliteratur müsste man ja sofort canceln.“

Die elf Short Stories haben eine Klammer, einen Metatext – in ihnen geistern Protagonist:innen von anderen Romanen und Erzählungen. Sie sind aber so fein verbunden, dass eine jede für sich stehen kann. Ein schwächerer Autor würde daraus elf Romane machen, Habringer beherrscht die Reduktion und Verdichtung, weil er akkurat ist. Überhaupt ist sein Stil auffällig unauffällig. Er habe, sagt er, die Leute reden lassen, wie sie eben reden, in ihrer Sprachlosigkeit und Unfähigkeit, das Richtige zum rechten Zeitpunkt zu sagen. „Plötzlich hörte ich diese Wörter des Ungefähren, wenn sie sprach: irgendwo, irgendwie, sozusagen, sag ich mal, sag ich jetzt ganz ehrlich, sag ich jetzt mal ganz im Ernst und so weiter. Ina verwendete plötzlich häufig die Wörter natürlich und normal.“ Nicht umsonst nennt er Raymond Carver eines seiner Vorbilder.

Es sei ihm wichtig, schreibt Habringer in einem der Essays in „Das Unergründliche und das Banale“, dass sein Nachbar, „wenn er sie denn lesen würde“, seine Texte auch verstehen könnte. „Mit meinen Geschichten, meinen Texten möchte ich Kontakt zu anderen Menschen herstellen“. „In diesem Sinne halte ich mich für einen realistischen Autor. Ich versuche mich schreibend und scheiternd als Feldforscher in der Wissenschat vom Menschen“.

Da gibt es kaum Metaphern, die Sätze sind trocken, lakonisch, unmanieriert. Wichtig sei ihm aber der Sound einer Figur, der Rhythmus der Prosa – er ist ja auch Musiker.

Rudolf Habringer: Diese paar Minuten. Erzählungen. Otto Müller Verlag, S. 200, 23 €

Sonntag, 3. September 2023

 

Erich Klinger



Ötschergräben



Bei der Annäherung an oder dem fließenden Übergang in jene Lebensphase, die einst von Jethro Tull mit "Too old to rock'n roll, too young too die" bezeichnet wurde, sollte man sich Erfolgserlebnisse suchen, die dem möglicherweise drohenden zwangsläufigen Benützen von Aufzug und Rollator eindeutig entgegen stehen.

Wobei man sich ohnehin davor hüten sollte, Liedtexte allzu ernst zu nehmen, sie also ung'schaut auf das eigene Leben zu übertragen. Im angesprochenen Lied stirbt der Rocker durch einen Unfall mit seinem Motorrad, also Bike, was Liedtexter Ian Anderson zur Schlussfolgerung bringt, seine Hauptperson wäre zu früh gestorben, somit noch nicht zu alt für Rock'n'Roll gewesen.

Hüten sollte sich unsereins allerdings auch vor dem zu exzessiven Gebrauch von youtube-Musikvideos. Oder konkreter formuliert: vor dem Hineinfallen in die von mathematischen Prozessen indizierten Endlosschleifen. Auch vor aktuellen Konzert-Aufnahmen, mit denen zwar im günstigsten Fall die Entscheidung, einem Konzert noch lebender Idole aus der eigenen Frühzeit beizuwohnen, leichter fällt, sei gewarnt, vor allem, wenn man ohnehin mit der eigenen Vergänglichkeit in mehr oder minder intensivem Clinch liegt.

Somit zum erfreulichen Aspekt dieser Geschichte. Am 24. August bin ich mit meiner Partnerin Renate nach Wienerbruck gefahren, um vom dortigen Nationalparkzugang aus den vorderen Teil der Ötschergräben zu durchwandern. Jahre, Jahrzehnte hindurch galt mir diese Wanderung als unmöglich, Einladungen zum gemeinsamen Erkunden und Durchqueren der Gräben habe ich mit dem Hinweis darauf, dass ich mich vor der Bewältigung dieser Strecke fürchte, abgelehnt und so bin ich auch nie in die Nähe der Ötschergräben gekommen. Mir reichten Fotos von Wegabschnitten ohne Absicherung nach unten in die Schlucht und die Warnung, dass Trittsicherheit und Schwindelfreiheit unbedingt erforderlich seien, um bisweilen auftauchende zarte Gelüste, die Ötschergräben zu durchqueren, innerhalb weniger Minuten im Keim zu ersticken.

 

Mit ausschlaggebend für dieses Zurückscheuen war vielleicht auch ein Ereignis vor gut 40 Jahren, als ich bei einer Wanderung mit Freunden im alpinen Gelände bei einer mit Geröll versetzten Hangquerung den Halt verlor und vorerst ziemlich schnell im Geröll nach unten rutschte.

Irgendwie gelang es mir dann doch, die Abwärtsbewegung zu stoppen - lebensgefährlich war dieser Unfall meiner Erinnerung zufolge mangels naher Abgründe nicht, als scheußlich empfand ich dieses Ereignis trotzdem.

 

Wiederum einige Jahre später begann ich systematisch, an Abgründe heran zu treten und mein Verhalten auf Wegen zu testen, auf denen es auf einer Seite relativ steil nach unten geht. Am Salzburger Kapuzinerberg entdeckte ich beim Aufstieg von der Schallmooser Hauptstraße aus, dass rechts vom Weg liegende "Abgründe" eine stärkere Verunsicherung hervorrufen als Gefahrenstellen linkerhands. Durch Experimentieren mit kurzen Wegstücken in der Gegenrichtung bzw. durch Abstieg über den selben Weg, den ich bergauf genommen hatte, wurde mir klar, dass etwaige Ängste bevorzugt auftreten, wenn ich mit meinem guten Auge näher zur Gefahrenseite bin. Die selbe Stelle in entgegengesetzter Richtung - bei gleichwertigen Bedingungen - konnte ich leichtfüssiger passieren.

Es hilft einem schon weiter, wenn man gewisse Eigenheiten durchschaut und sich vor allem auch vorstellen kann, Hindernisse zu bewältigen, ohne dabei frei von Angst sein zu "müssen". Für Hochalpinist*innen mag ja der Aufstieg zum vorarlbergerischen Lünersee über den Bösen Tritt eine relativ leichte Übung sein/gewesen sein - dem Vernehmen nach wurden die ausgesetzteren Passagen in der Zwischenzeit entschärft - für mich war dieser Weg eine Herausforderung und die Bewältigung einer derartigen Herausforderung, die sich auch in den bereits genannten Attributen bleibt lange im Gedächtnis und im Körper verhaftet und so lassen sich Schritt für Schritt Ängste überwinden.

Mut zeigt sich ja, abseits von Klischees, nicht darin, frei von Ängsten zu sein, sondern sich den Ängsten zu stellen und dieser Mut „darf“ auch beinhalten, den Ängsten nicht mit der Brechstange zu begegnen, sondern sie auch als berechtigte Warnungen wahrzunehmen.



Wir waren durch den vorderen Teil der Ötschergräben - bis zur Weggabelung beim Ötscherhias, von wo aus man weiter durch die Gräben gehen oder durch das Mühlbachtal zur Erlaufklause bzw. in Richtung Mitterbach aufsteigen kann - gut zwei Stunden unterwegs, mit einer Geh-Pause beim Kraftwerk Wienerbruck, das 1911 gemeinsam mit dem Kraftwerk Erlaufböden in Betrieb genommen wurde, um die Mariazellerbahn fürderhin mit elektrischem Strom zu versorgen.

Die letzte Viertelstunde, die letzten 20 Minuten der Ötschergräbenpassage wurde ich unsicher beim Gehen und Schritt fassen, was bei Holzkonstruktionen mit einer leichten Querneigung bzw. engen steinigen Stellen, wo es auf einer Seite so weit nach unten geht, dass die Wahrscheinlichkeit, ohne gröbere Verletzung - wenn überhaupt - davon zu kommen, gering wäre, keine gute Grundlage mehr ist.

Somit auf das Weitergehen und die Besichtigung des Mira-Falles verzichtet und nach kurzer Rast , der letztlich entspannte und entspannende Weg nach Mitterbach, zuletzt am Erlauf-Stausee entlang, um mit der Mariazellerbahn von dort aus zurück nach St. Pölten zu fahren.

Fortsetzung der Ötschergräben-Abenteuer könnte bald folgen, sicher nicht erst in 20 oder 30 Jahren, auch abhängig von den finanziellen Mitteln, um ein paar Tage in der Nähe von Ausgangspunkten für Wanderungen zu verbringen, auch wenn die geschilderte Unternehmung stressfrei an einem Tag mit Hinfahrt und Rückreise ab und nach Linz zurückgelegt werden konnte.

Naja, soweit man die gemeinsame Fahrt mit Rapid-Fans auf dem Heimweg vom Spiel gegen Fiorentina unter "stressfrei" einordnen kann, letztlich hielt sich dieser Teil des Abenteuers in einem erträglichen Rahmen, von Bier- und sonstigen Ausdünstungen abgesehen und dem leider oder zum Glück nicht verstehen können, was am archaisch gegröhlten Hüt-tel-dorf so berauschend oder rauschverstärkend sein kann.

Eckdaten: Abfahrt Linz Hbf um 9.17 Uhr, Ankunft in Wienerbruck-Josefsberg um 12.31 Uhr, Rückfahrt ab Mitterbach um 19.12 Uhr, Ankunft in Linz Hbf um 22.31 Uhr plus Nachhauseweg. Umstiege jeweils in St. Pölten Hbf.

P.S.: Sämtliche Fotos stammen von dieser Wanderung, das Foto von mir hat Renate aufgenommen.

25. und 29.8., 3.9.2023

 

Montag, 28. August 2023

Der Fuchs

 Ein Gedicht von Richard Wall, veröffentlicht im "Standard"


Der Fuchs


Nächtens bewegt er die Landschaft –

bewegt sich hungrig und wachsam zugleich

unter kreisenden Sternen, unterm Mond,

der die Gezeiten der Ozeane bewegt.

Selten hortet er seine Beute.

Der Quarz in den Felsen schimmert.


Er hat sein Revier markiert.

Er hält inne, lauscht –

gräbt sich ein Loch zu einer Maus am Feldrain,

trabt weiter, durch Wälder, seine Rute

streift über blühende Heidelbeersträucher,

gleitet im Schnee über Wellen und Gräben –

und verschwindet auf einem Blatt Papier.

Donnerstag, 24. August 2023

„Blind Date“ mit Herbert Christian Stöger

Von Judith Gruber-Rizy


Unter dem Titel „Blind Date“ zeigt derzeit das Linzer Stadtmuseum Nordico einen sehr bunten Einblick in seine verschiedenartigsten Sammlungen. Da gibt es vom Herren-Zylinder aus dem Ende des 19. Jahrhunderts bis zu Tellern aus der Kantine der Linzer Tabakfabrik aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, von der Totenmaske des ehemaligen Linzer Bürgermeisters Dametz bis zum zweiteiligen Damen-Badeanzug um 1900, von riesigen Herren-Unterhosen aus dieser Zeit bis zu einer Art Deco Tischuhr eine Vielfalt an Sammlungsstücken zu sehen, die sonst nur im Depot lagern und bisher noch nie von Besuchern betrachtet werden konnten.

Ein wesentlicher Teil dieser „Verabredung mit einer Sammlung“ ist natürlich der Bildenden Kunst gewidmet. Und da finden sich zwischen Zeichnungen von Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Klemens Brosch und Gemälden von Johann Baptist Reiter auch zwei sehr markante Siebdrucke unseres Linzer GAV-Kollegen Herbert Christian Stöger, der wie viele Kolleginnen und Kollegen in der GAV nicht nur Schriftsteller, sondern eben auch Bildender Künstler ist. 


„Blind Date“ im Nordico gehört jedenfalls zu den kurzweiligsten Ausstellungen, die in Linz derzeit zu sehen sind, und lässt man sich auf das wilde Kunterbunt ein, so kann man zwischen einer Streichzither (noch nie zuvor gesehen) und Linde-Kaffeefiguren (die ich als kleines Kind natürlich auch gesammelt habe) einen wirklich vergnüglichen Ausstellungsrundgang genießen. Mit ganz besonderer Beachtung der beiden Werke von Herbert Christian Stöger selbstverständlich. Noch bis 22. Oktober zu sehen.

Foto: © Helmut Rizy

Freitag, 7. Juli 2023

Die tabuisierte Frau

Corinna Antelmann

In meiner Kindheit und Jugend ist es mir erfolgreich gelungen, mich beim Lesen und Filmeschauen von meinem Geschlecht zu entkoppeln und mich ausschließlich mit den männlichen Autoren und den ihnen entsprechenden Protagonisten meiner Lektüre zu identifizieren. Als Mann durfte ich mir die Welt aneignen und Subjekt sein; als Frau hätte ich in die Rolle des Objekts schlüpfen müssen. In Folge fiel es mir leicht, in einem Museum der Maler zu sein, der sich sein weibliches Modell zurechtrückt. Ich war erfolgreich darin, den männlichen Blick anzunehmen. Und auf Frauen herabzuschauen.

Ob das tatsächlich einen Erfolg dargestellt hatte, stellte ich spätestens während des Studiums in Frage: Konnte ich mir einen Platz in der Welt tatsächlich nur als Mann erobern? Wer war ich, wenn ich selbst schrieb? Und wer bestimmte, welche Sicht auf die Welt die Inhalte vorgibt, über die geschrieben werden darf?

Ich hatte seit frühester Kindheit geschrieben, meist aus der Perspektive des Mannes, doch nun begann ich, der Geschlechterkonfusion in meinem Inneren bewusst die Lektüre schreibender Frauen entgegenzusetzen: Neben Simone de Beauvoir und Christa Wolf las ich auch Prosa von Elfriede Jelinek und Ingeborg Bachmann, obgleich ich mich im Norden von Deutschland befand und die Erfahrung, in Österreich zu leben, noch nicht teilte. Andere Übereinstimmungen zu den von ihnen beschriebenen Erfahrungen überwogen, die schmerzhaften Variationen des Zwischen-den-Welten-Stehens, das Gefühl, als (künstlerisch tätige) Frau zu verschwinden, weil die eigene Stimme ungehört bleibt.

Sie erzählten von Frauenleben und -erfahrungen, die magisch sein können oder tödlich oder auch beides. Von der Vielschichtigkeit, Migrantin im Männerland zu sein. Hier bahnte sich eine Sprache den Weg in die Literatur, die Inhalt und Ausdrucksform erweiterte und das Spektrum menschlicher Erfahrung um einen Blick bereicherte: um allgemein Menschliches ebenso wie um spezifisch Weibliches.

„Was bringt mich dazu, die früh eingeprägte Mahnung: Nimm dich doch nicht so wichtig! zu mißachten? Selbstüberhebung?, fragte sich Christa Wolf 1961[1] und weiter: Aber ist Selbstüberhebung, sich wichtig nehmen, nicht die Wurzel allen Schreibens?“

Während meines Studiums, also gut ein Vierteljahrhundert später, nachdem Wolf diesen Satz geschrieben hatte, schien langsam aber stet auch für Frauen selbstverständlich zu werden, was in hunderten von Jahren allein Männern zugebilligt worden war: Endlich, so dachte ich, steht nicht länger in Frage, dass dem Erleben einer Frau die gleiche Wichtigkeit gebührt wie dem eines Mannes. Immer lauter würden die Stimmen zu hören sein, die ich in Kindheit und Jugend vermisst hatte. Würde meine Stimme gehört, wenn ich schreibe, ohne vorzugeben, eigentlich keine Frau zu sein, sondern jemand, der an der männlichen Literatursphäre teilzuhaben versucht. Und deshalb, so folgerte ich, kann ich entscheiden, welche Inhalte meiner Literatur ich für relevant erachte. Kann ich mir erlauben, spürbar werden zu lassen, was sich aus meinem Denken und Fühlen formt. Der Versuch, dabei immer auch Perspektivwechsel vorzunehmen, ist Teil des literarischen Prozesses, aber trotz aller Empathie, die hier wirksam ist, wird es nie möglich sein, alle denkbaren Perspektiven gleichzeitig zu berücksichtigen und wäre meinem Verständnis von Literatur, die uns auffordert, einen Ausschnitt Leben näher zu betrachten, wohl auch nicht zuträglich.

Offenbar hatte ich mich getäuscht. Was Männern jahrtausendelang zugebilligt wurde, nämlich die Erlaubnis, selbst zu bestimmen, was als literarisch relevant gilt, und die Erlaubnis, eine einzelne spezifische Perspektive einzunehmen, gilt offenbar noch lange nicht für schreibenden Frauen. Was ist los mit dir, Frau?, scheint die Frage zu lauten, bist du nicht diejenige, die früh lernte, dich in ALLE hineinfühlen zu können?

Ich empfinde es noch immer als Bereicherung, lesend seit jeher wie selbstverständlich einen Einblick in männliches Denken und Fühlen bekommen zu haben, und verstehe das Schreiben als Versuch, zu verstehen, was in einem Menschen vorgeht. Als den Versuch, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, indem ich meinen Fokus auf einen spezifischen Aspekt richte, der eine spezifische Figuren-Konstellation nach sich zieht, die sich mir inhaltlich begründet und über die spezifische Perspektive entscheidet. Und ja, sie kann männlich sein, weiblich, transgender, niemals jedoch alles gleichzeitig.

So wählte ich für meinen letzten (noch unveröffentlichten) Roman beispielsweise doch wieder einmal einen Mann als Protagonisten, um ihn aus seiner Perspektive mit einer ihm fremden Sicht auf die Welt zu konfrontieren - vertreten durch ein Konsortium aus Frauen. Und erhalte die Expertise, dass biologische Geschlechter im gegenwärtigen Literaturbetrieb abgelehnt werden. Ich argumentiere, dass jede einzelne Sicht, in diesem Fall, einen Unterschied von Mann und Frau zu behaupten, Anstoß zur Diskussion sein kann, da sie keinen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Und bekomme zur Antwort, dass der aktuelle Diskurs es verlange, das binäre System der Geschlechter in Frage zu stellen.

Wer bestimmt, was geschrieben werden darf?

Ich halte an dem Manuskript fest, überarbeite und versuche, stärker hervorzuheben, dass es hier in erster Linie darum geht, eine feministische Sicht auf naturwissenschaftliche Standards zu entwickeln. Dennoch bekomme ich auf der Suche nach einem Verlag die Auskunft, trotz feministischer Absicht sei der Text nicht feministisch, da er erstens einen Mann zum Protagonisten mache, apropos Perspektive, und zweitens die Frauen in die Nähe von Begriffen wie gebären und Geburt rücke, was dahingehend missverstanden werden könne, dass eine Frau über ihre Gebärmutter definiert werde. „Tota mulier in utero“ – gegen diese Definition habe bereits Simone de Beauvoir gehöhnt. Die Frau im Zusammenhang mit ihrer Gebärfähigkeit zu erwähnen, so ein weiterer Einwand von anderer Seite,  könne zudem als transphob interpretiert werden.

Folgende Fragen stellen sich hingegen mir: Hat Simone de Beauvoir sich nicht vielmehr gegen die Reduktion auf das biologische Geschlecht ausgesprochen? Gegen die Schlüsse, die aus der Gebärfähigkeit der Frau für ihr soziales Leben abgeleitet wurden? Und: Ist es tatsächlich nicht möglich, sich als Frau auf biologische Merkmale zu beziehen, ohne den Verdacht zu erwecken, Transfrauen ausgrenzen zu wollen (meine Vermutung ist dahingehend, dass nicht-binäre Personen aufgeschlossener sind als der Literaturbetrieb ihnen zu attestieren scheint)? Und weiter: Wenn wir in der Literatur nach einer Sensibilisierung der Begriffe von Mann und Frau streben, schließt das spezifisch weibliche und spezifisch männliche Texte aus? Oder erweitert sich das Spektrum abermals, ohne es an anderer Stelle wieder einschränken zu müssen?

Ich bin froh, dass das Verständnis von Geschlechteridentität fließender geworden ist, froh, dass nicht mehr alle und alles ausgegrenzt wird, was nicht weiß und männlich ist, sondern zu Wort kommen darf. Und eben darum möchte ich als Frau, die nach einigen Irrungen endlich ihre Stimme gefunden hat und sich erlaubt, beim Schreiben - wie viele Autoren vor ihr - aus ihrer Wahrnehmung des Lebens zu schöpfen, nicht abermals verstummen müssen. Möchte ich weder mein Denken noch mein Schreiben in neue Schubladen zwängen, wenn es doch nach lang vermisster Vielfalt strebt.

Sollte mein Manuskript dem Geschlechter-Begriff hinterherhinken, so breche ich mir ein Bein, denn meine Gedanken eilen voraus: Vorbei an den überwunden geglaubten Vorgaben, worüber es sich schreiben ließe und worüber besser nicht. Ich will mir erlauben, das Vorhandensein meiner Gebärmutter nicht verstecken zu müssen, nur um part of the game sein zu dürfen. Ich denke und hoffe nämlich, dass wir gesellschaftlich an einem Punkt angelangt sind, zwischen Mutterschaft und Mütterlichkeit unterscheiden zu können. Weder geht es darum, sich für Kinder zu entscheiden oder dagegen, noch darum, sie als Vater oder Mutter, als homosexuelles Paar, allein, im Verbund oder im Dorf aufzuziehen, sondern allein darum, dass gegenwärtig NIEMAND mehr gezwungen sein sollte, die eigene Identität vom Körper entkoppeln zu müssen, um teilhaben zu dürfen am Chor der Stimmen.

Es lebe die Polyphonie!

Das Thema meines Romans behandelt im Übrigen nicht das Gebären, sondern die Geburt als Sinnbild allen Lebendigen, das jeden Menschen, Frauen, Männer, Transfrauen, ***, daran erinnert, Teil dieser Welt zu sein.

Vielleicht gibt es keinen Verlag für das, was ich zu erzählen versuche. Und somit eine (meine) Stimme weniger, um oben aufgeworfene Fragen zu stellen, auf die es sicher so vielfältige Antworten wie Sichtweisen gibt.

Eine letzte Frage: Bleiben wir neugierig?

Ansonsten bliebe abermals nur der Riss in der Wand.


[1] Wolf, Christa, Ein Tag im Jahr (1961): 25

Leben in der Nacht - Über Kulturarbeit in Zeiten der Lichtverschmutzung

Lichtverschmutzung entsteht durch zu viel künstliches Licht in unserer Umgebung, z. B. durch Straßenlaternen, Fassadenbeleuchtungen und Werb...