Montag, 2. Oktober 2023

Brief an Bürgermeister Ludwig zur Schließung des Literaturreferats in Wien

von Corinna Antelmann

Sehr geehrter Herr Bürgermeister Michael Ludwig,

über die Grazer Autorinnen Autoren Versammlung habe ich erfahren, dass per 1.8.2023 das Literaturreferat der Stadt Wien als eigenständiges Referat aufgelöst und dem Referat „Film, Mode und Internationales“ angeschlossen wurde.

Dieser Schritt ist mir, die ich mich der Stadt Wien als deutsche Autorin und Wahl-Österreicherin verbunden fühle, unverständlich und sendet, wie ich meine, das falsche Signal aus der Hauptstadt eines Landes, das große Literatur hervorgebracht hat, nun jedoch mit Intellektuellen-Feindseligkeit und verengten Denkmustern zu kämpfen hat.

Seit jeher ist es die Literatur, die es uns ermöglicht, das Denken zu erweitern, in die Tiefe zu gehen und verschiedene Perspektiven einzunehmen - Eigenschaften, die es zu stärken gilt, gegenwärtig mehr denn je. Die Abschaffung eines eigenständigen Referats aber stuft die Bedeutung der Literatur hinunter, statt sich mit allen Kräften dem literarischen Schaffen in diesem Land und der Vermittlung von Literatur zu widmen.

Wir sind überflutet mit Neuen Medien und Neurologinnen sehen in der „digitalen Demenz“ mittlerweile eine große Gefahr. Der IQ ist in den Industriestaaten zuletzt gesunken. Die Gefahren der Digitalisierung (Einbußen in den Bereichen Konzentration, übergreifendes Denken, sozialer Kompetenz, Textverständnis, Ausdrucksbreite) werden zunehmend beforscht, „Digital Detox“ versucht bereits wieder, Wege zur digitalen Entgiftung aufzuzeigen.

Auch die Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch, und wir haben die Verantwortung als Menschen,daneben nun vor allem die wirklich menschlichen Skills zu stärken, die uns keine KI der Welt abnehmen kann (und sollte) als da sind: eigenständiges Denken, ethisches Empfinden, Verständnis füreinander, kurz: humanistische Ideale, die uns die Literatur lehrt, da wir hier ÜBER DAS MENSCHSEIN erfahren.

Fortlaufend werden stattdessen die Möglichkeiten für Lesungen ebenso zurückgefahren wie die Möglichkeiten, als Literatin im öffentlichen Leben präsent zu sein. Literatur nun noch unsichtbarer zu machen und sukzessive aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, wirkt dem gesellschaftlichen Auftrag, den jede Regierung innehält, schmerzlich entgegen.

Im Gegenteil sollte also nicht allein ein eigenes Referat unterhalten werden, sondern der Fokus auf Vermittlung von Literatur an Schulen und auch für Erwachsene zusätzlich verstärkt werden, denn sie hilft, Persönlichkeit zu entfalten und durch Sprachkompetenz den Ausdruck für all das zu finden, was den Menschen umtreibt und nicht selten in den Hass treibt, so er keine Worte findet. Gibt es kein ausgefeiltes Sprachverständnis und keinen souveränen Umgang mit Sprache mehr – etwas, das vor allem durch Literatur gefördert wird –, geht das kritische Denken verloren, das die Basis einer demokratischen Gesellschaft mündiger Bürgerinnen und Bürger ist, die wir doch alle erhalten und stützen wollen.

Ich freue mich über eine Zurücknahme der Auflösung und den Anlass, hier vielleicht über eine Erweiterung nachzudenken, um Literatur nicht als MUSS, sondern als Bereicherung für ALLE Menschen zu sehen. Sie sollte in ihren Möglichkeiten nicht unterschätzt werden. Für neue Ideen, was Literatur in Schule und Gesellschaft verankern hülfe, stehe ich mit meiner Expertise als Autorin und Hochschullehrerin gern zur Verfügung,

mit freundlichen Grüßen,

Dipl.Kult.Päd. Corinna Antelmann (eigen(st)händig verfasst)


 

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