Freitag, 21. August 2020

Schreiben als Existenzform (in diesen Zeiten)

Von Bernhard Hatmanstorfer

Im Interim der Einschränkung gestalterischer Möglichkeiten auf Verknappung der Freiheiten bilden sich Lebensfragen mitunter konturgenauer vor kenntlicheren Hintergründen ab als man es wünschte, dass sie es täten. Im Trott des eingeübten wie eingetrübten Alltagshandelns leistet man sich selten insistierendes Hinterfragen, das mehr sein wollte als rhetorische Redefigur. So ist es beispielsweise um ein Nachdenken über das Mitteilungsbedürfnis bestellt, das im schwärenden Ausnahmezustand des Nichtzustandekommens von Kulturveranstaltungen sich mit fehlender Resonanz und einem Durchkreuzen seiner Absichten konfrontiert findet, das so weit geht, es selbst als solches in Frage zu stellen. Der Ruf, der ins Leere geht, weil niemand ihn vernimmt, offenbart eine gänzlich andere Qualität des Umsonst, des erwiesenen Unnützen, des Unnötigen als es jenem entspricht, der zwar vernommen, aber dennoch nicht gehört wird.

In Zeiten gesundheitspolitisch angezeigten Notfallmanagements fokussiert ein konzentriertes Nachdenken darüber auf das Wozu. Wozu die Ausformungen der Kultur, oder, um es auf vertrautes Metier abzustellen: Wozu überhaupt Literatur? Die triviale Anmutung dieser Frage bezeugt dennoch eine von Gewicht, mit der sich auseinanderzusetzen die Banausen nie scheuen, einerseits – vor allem wenn es um brüske Zurückweisung von Unverstandenem geht („Das soll Kunst sein?“) – die andererseits die Inszenatoren dazu inspiriert sie zu verbrämen („Kunst und Wahrheit fallen in eins.“).

Doch sollten wir uns der Worte Nietzsches eingedenk wissen: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“ Mitunter verhilft die geistige Gesundheit zu erhalten, sich deren Gegenteil zu imaginieren. Die Möglichkeit nicht Wirklichkeit werden zu lassen – auch das findet sich im Spektrum menschlicher Vorstellungskraft, die in künstlerischen Hervorbringungen kondensiert. So gesehen hat es mit der Botschaft, die ein Agens des Mitteilungsbedürfnisses sein kann – vor allem diesseits des außermoralischen Bereichs – eine gewisse Paradoxie. Die Belehrung adressiert sich jeweils an die der Belehrung vermeintlich Bedürftigen, die indes einer Belehrung anderer Art bedürftig sein könnten. Wer will das entscheiden, findet eine breitestmögliche Auseinandersetzung darüber nicht statt? 

Sich anderen nicht mitteilen zu können – nicht: nicht sich selbst – weil ein Medium oder deren mehrere nicht zur Verfügung stehen, heißt für den Schreibenden sich der Bestätigung seines Betreibens beraubt sehen. Ein Elendszustand, der selbst den Schöpfern der Samisdat-Literatur nicht zuteilwurde und jeglichen Sinn des Nicht-für-sich-Schreibens zurücksetzt auf die Frage – wie eben bereits erhoben – des Wozu. Damit verknüpft sich unabweisbar die Existenzfrage.

Ist ein schriftstellerisches Schreiben vorstellbar, das nicht gelenkt würde vom Mitteilungsbedürfnis seines Autors oder seiner Autorin? Der Verweis auf die Technik der Écriture automatique, wie sie unter anderem die Surrealisten ersonnen haben, geht ins Leere, da sie über die Absichtslosigkeit nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass da jemand ist, der sich dazu verhält keine bewusste Absicht zu haben. Die fortschreitende Entwicklung textgenerativer Programme, die auch imstande sind Belletristik zu produzieren – das „schreibende Perpetuum mobile“ aus Tschechows „Waldschratt“ entpersonalisiert – ist zu keiner künstlerischen Hervorbringung imstande, steht fest, solange noch Wert darauf gelegt wird „künstlerisch“ definitorisch unterscheidbar zu halten von „künstlich“.

Eine Mitteilung, aus einem Bedürfnis heraus artikuliert, und sei es ein zuweilen zu Verklärung neigendes Zur-Sprache-bringen selbst, wünscht sich Anzusprechende. Das Theater der „Publikumsbeschimpfung“ vor Publikum ist zweifellos eines, das Theater ohne Publikum jedoch keines. Es geht seiner Existenz verlustig, ebenso wie der Schreibende, der niemand erreicht, Gefahr läuft die seine zu verlieren.

Man könnte es natürlich auch so verstehen: Der Unterbruch des Redeflusses lässt Geschwätzigkeit aussetzen. Bei dem einen. Und den tiefschürfenden Gedankengang, der Dunkles zu erschließen vermag, bei der anderen. Erleichterung darüber wäre so wenig angebracht wie ein Bedauern hierüber, räumte man beidem nicht ein, dass aus dem Spektrum der den Menschen gegebenen Möglichkeiten die je eigene legitim zu ergreifen wäre.

Zuletzt drängt sich die Skizze der Tucholskyschen Treppe ins Gedächtnis, die ein Emporsteigen vom Sprechen zum Schreiben und vom Schreiben zum Schweigen nahelegt. Diese missverstehen hieße, das ins Schweigen gezwungene Schreiben als die Errettung aus dem Gerede fehldeuten.   


Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...