Samstag, 20. August 2022

Rushdie

von Bernhard Hatmanstorfer

„Sobald der Imam an die Macht gekommen war, hatte er viele von denen umgebracht,
die ihm zur Macht verholfen hatten, auch alle, die ihm missfielen. Gewerkschafter,
Feministen, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle, Prostituierte, sogar seine
ehemaligen Statthalter.“

                                          Salman Rushdie: Joseph Anton. Die Autobiografie. München 2014
                                          [Aus dem Englischen von Verena von Koskull und Bernhard Robben]

Wir leben in Zeiten unbenannten Terrors. Um nur ja keine labilen Gefühlslagen bei permanent falsch verstandenen, zurückgesetzten wie zurückgebliebenen Gestalten und deren ebenso zart besaiteten Verständnisagenten in Wallung zu bringen, wird eine bestimmte Spielart des Terrors als eine wie alle anderen verkündet: als Terror. Die Nazis, Faschisten und extremen Rechten sind natürlich und völlig zu Recht als rechtsextrem punziert. Die Linksterroristen als linke Terroristen. Die totalitären Eskapaden der Fanatiker einer Weltreligion firmieren hingegen nicht als islamisch, sondern als islamistisch. Kein islamischer Terrorist hat sich jedoch je als islamistisch bezeichnet! Auch nicht der Attentäter auf Salman Rushdie.

In der Berichterstattung des ORF wird der Literat von Weltrang versimpelnd ausschließlich mit seinem Roman „Satanische Verse“ verschränkt. Ein Buch, das weder als Herabwürdigung der jüngsten der abrahamitischen Religionen gedacht war, noch an irgendeiner Stelle als solche gelesen werden kann – wenn man es denn überhaupt kann: lesen. Was den Analphabeten unter den Bigotten und Frömmlern nicht zuzugestehen ist. Dass dennoch der oberste unter den hochgeistlichen iranischen Massenmördern Jahre Schnee einen Bannspruch tat, der zur Tötung Rushdies ermunterte, war bekanntlich einem politischen Kalkül geschuldet: sein Gottesstaat, die inszenierte Hölle auf Erden, war am Verrotten. 

Zu Opfern der Ajatollah-Fatwa wurden neben dem Autor unmittelbar Übersetzer, Verleger, sowie mittelbar der Rest der Welt, der sich mit Rushdie solidarisch erklärte: eine Religion, die nirgendwo dort, wo sie sich als die herrschende geriert, Toleranz lebt, fordert für sich den Status „sakrosankt“ ein!

In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige, empfahl Karl Kraus. Darob, zwischen Zivilisation und Barbarei sich zu entscheiden, kann kein Zweifel aufkommen.

Mittwoch, 3. August 2022

Wir müssen mit Mut hinein in das Dunkel *

von Richard Wall

Zum 10. Todestag von Franz Xaver Hofer

„(…) Ich bin Zeitgenosse. Ich bin das, was so selbstverständlich ist, dass man es eigentlich gar nicht bezeichnen kann. Ich bekenne mich zum Prinzip der Verletzlichkeit, der Offenheit, des Gefühls – und der Liebe.“

Franz Xaver Hofer


In diesen Tagen, Anfang Juli, erinnere ich an Franz Xaver Hofer, der vor 10 Jahren, am 9. Juli 2012, viel zu früh verstarb. Er wäre in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden. Seine Frau, die Malerin und Autorin Helga Hofer, die über die vergangenen Jahre akribisch den Nachlass von Franz aufgearbeitet hat, und zu einem großen Teil, ohne finanziellen Aufwand zu scheuen, publiziert hat, überrascht mit einer gediegen editierten Publikation aufs Neue: Das schmale blaue Hoffnungsland.

Sie enthält noch unveröffentlichte Prosa und Gedichte ihres Mannes, sowie eine Hommage von Helga an den Menschen an ihrer Seite. In Die Zärtlichkeit des Regens geht sie auf die 40-jährige innige Beziehung und künstlerische Partnerschaft ein. Der Text macht die seltene Tiefe, ja das Besondere einer über die Jahre nicht abgekühlten Liebesbeziehung und von Kunst und Literatur weitgehend grundierten Lebensgemeinschaft nachvollziehbar. 

Helga hat nun auch die Beziehung zwischen der Graphikerin, Malerin und Glaskünstlerin Margret Bilger und ihren späteren Mann in einem 60-seitigen Essay aufgearbeitet.

Anhand von Tagebuchaufzeichnungen von Franz – er war zu Beginn der Beziehung 19 Jahre alt – und hunderter Briefe der „Bilgerin“ (Alfred Kubin) gelingt es ihr, das in der Intensität schwankende und sich wandelnde Verhältnis von 1961 bis zum Lebensende von Margret Bilger im Jahre 1971 nachzuzeichnen. 

Für das Verständnis der Beziehung sind wichtige Briefe, die auch Gedichte enthalten, umfangreich und leitlinienartig in den Text eingearbeitet. Sie verdeutlichen das Auf und Ab des doch letztlich ungleichen Paares (Margret Bilger ist zu dieser Zeit mit dem Maler Hans Joachim Breustedt verheiratet). Helga tritt erst 1971, ein halbes Jahr vor dem Tod von Margret Bilger, nachhaltig ins Leben von Franz.

Ergänzend hat die Herausgeberin eine fotografische Kurzbiographie sowie eine ausführliche und vollständige Publikationsliste von Franz sowie von Buchbesprechungen und anderen Texten über ihn und seine Kunstvermittlertätigkeit zusammengestellt.

Franz X. Hofer hat sich für die Zeitschrift Landstrich, für das Museum Bilger-Breustedt Haus in Taufkirchen sowie für Literatur und das Œuvre regionaler wie international bekannter Bildender Künstlerinnen und Künstler eingesetzt.

Bescheiden wie er war, trat er eher selten mit eigenen Publikationen an die Öffentlichkeit, sein Werk wurde erst spät, fast ausschließlich nach seinem Tod, von der Kritik und vom Feuilleton wahrgenommen. Davon zeugen die Texte und Essays von Erich Hackl, Hans Schusterbauer,  Brita Steinwendtner, Bernhard Widder und Richard Wall, die den Kern des Buches ausmachen.

Erschienen ist der schöne Band in der edition panoptikum (Hinterholz 14, 4933 Wildenau) und kann auch bei Helga Hofer bestellt werden.

Franz X. Hofer hat vor seinem Tod um Aufnahme in die GAV angesucht, die formelle Aufnahmebestätigung, nach dem Prozedere der Jury, erlebte er nicht mehr, sie erfolgte nach seinem Tod.  

R. Wall, Helga & Franz X. Hofer im Steinbruch St. Margarethen 
nach einem Besuch der Ausstellungshalle Maria Biljan-Bilger 
in Sommerein und einem Treffen mit dem Architekten Fritz Kurrent, Juli 08
Foto: Monika Wall-Penz

* Aus einem Gedicht von F.X. Hofer aus dem Jahr 1985

P.S.: Am 28. August, 15 Uhr, wird die Ausstellung „Franz Xaver Hofer / Der bildnerische Nachlass“ im Bilger-Breustedt-Haus eröffnet, und am 25. September, 17 Uhr, Buchpräsentation „Das Ich im Freien“, Gedichte von F. X. Hofer, anlässlich des 10. Todestages des Autors.


Dienstag, 2. August 2022

Literarische Triggerwarnung. Oder: Wie unheimlich, der Mensch

Literarische Triggerwarnung. Oder: Wie unheimlich, der Mensch

Corinna Antelmann. mail@corinna-antelmann.com. +43-6502502738

 

„Öffne deinen Schädel doch nur einen Spalt, damit ich deinen Geist erkunden kann“, lautet ein Satz, den die Ich-Erzählerin meines letzten Romans Kafka zuspricht, obwohl er dem Schädel eines Kommilitonen entsprang. Die Zeile kommt ihr bei dem Gedanken in den Sinn, „wie hübsch konservenmäßig geschlossen ein Schädel doch ist. Und dann überlege ich, wie der passende Büchsenöffner aussehen müsste. Liebe vielleicht?“[1]

Die Literatur vielleicht?

Schreibend tätig zu sein, kann vielerlei bedeuten: Kommendes vorwegnehmen. Vergangenes beschreiben. Bekanntes neu zusammenfügen oder das Unbekannte hervorholen. Ich finde mich darin wieder, wenn Christa Wolf sagt, für sie sei das Schreiben immer mehr der Schlüssel zu dem Tor geworden, hinter dem die unerschöpflichen Bereiche ihres Unbewussten verwahrt seien.[2]

So vielfältig die Ansätze, zu schreiben, also auch sein mögen: Stets öffnet die Literatur eine Tür, die uns in in die Köpfe anderer Menschen eintreten lässt und somit Einblicke in ihr Denken und Fühlen gewährt.

Diese Möglichkeit ist es, die mich an der Literatur, schreibend und lesend, immer am meisten interessierte und interessiert, denn sie leistet, was auch jede unvoreingenommene Begegnung leisten kann. Vorausgesetzt, sie wird von Neugier begleitet. Von der Neugier, uns neben dem Bekannten ebenso mit all dem zu konfrontieren, was wir ablehnen, auch, oder gerade, wenn es auf die eine oder andere Art Unbehagen auslöst.

Freud schreibt: „Unheimlich nennt man Alles, was im Geheimnis, im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist“[3], also eigene verdrängte Ängste und Wünsche, in denen sich die Facetten unserer Erfahrung und unseres Menschseins zeigen, die ganze Bandbreite dessen, was sich menschliches Leben nennt, einschließlich des Todes.

Und so kann uns manch literarischer Text unheimlich erscheinen, wann immer es ihm gelingt, eine Sprache für das zu finden, was wir von uns weisen möchten, statt es in die Schatten zurückzudrängen, denen es zu entstammen scheint. Denn in den Büchern, da laufen sie ungehemmt herum, die Figuren, und begegnen auf die eine oder andere Art diesem Zurückgedrängten, indem sie die Konfrontation mit sich selbst nicht scheuen oder in anderen gespiegelt sehen, was sie zu vermeiden trachteten. Und mehr noch: Die Leserinnen selbst sehen sich gespiegelt, sobald sie hineinschlüpfen in die Buchseiten und dort dem Fremden begegnen, das sich in dieser oder jener Figur zeigt.

Oder gar in einem Gespenst?

Das Gespenst, das in der Literatur herumwandert, schaut uns aus den Buchseiten entgegen und lässt uns das zurückgedrängte Vertraute als Fremdheit in uns selbst erblicken.

Wie unheimlich ist das, bitte?

Ja, in den Varianten der beunruhigenden Fremdheit zeigen sich Verhaltensweisen, die wir nicht an den Tag legten bisher, Gefühle, die wir nicht kennen oder nicht zu kennen behaupten, und die uns dennoch näher sind als wir wahrhaben wollen, denn alle teilen wir die Erfahrung von Menschsein.

Und deshalb erscheint mir vielmehr beunruhigend, wenn Verlage darüber nachzudenken beginnen, oder bereits durchsetzen, was anderorts, zum Beispiel auf Netflix, ohnehin üblich ist: Trigger-Warnungen auszusprechen. Dadurch sollen die Leserinnen davor geschützt werden, sich ein Buch zuzumuten, das Inhalte transportiert, die Unwohlsein hervorzurufen imstande ist. Es wird wohl als Dienst an den Kundinnen verstanden, vorzuwarnen, wenn ihre Gefühle durch Sprache, Denken oder Verhalten einer Figur, verletzt werden könnten, gleichgültig, ob sie dem Spektrum des menschlichen Daseins entsprechen mögen.

Die gute Nachricht: So müssen wir uns weder länger mit Motiven von Andershandelnden auseinandersetzen noch mit den Motiven von Andersdenkenden. Müssen weder unsere moralischen Urteile überdenken noch die eigene Blase je verlassen.

Die schlechte Nachricht: Wir müssen die eigene Blase nicht verlassen.

„Es trägt dem, der weise werden will, einen reichlichen Gewinn ein, eine Zeitlang einmal die Vorstellung vom gründlich bösen und verderbten Menschen gehabt zu haben“[4], schreibt Nietzsche 1886 und räumt zugleich ein, dass diese Vorstellung ebenso falsch sei wie die Vorstellung des sich moralisch überlegen fühlenden Menschen, der vorgibt, ihm seien sogar gedankliche Kränkung und Bosheit unbekannt.

Als Autorin versuche ich stets, eine Sprache zu finden für die Empfindungen und Widersprüche, für Ungewolltes und Abgelehntes sowie Erwünschtes und Ersehntes, nicht aber moralisch abgesichert zu schreiben, um das Versprechen einzulösen, niemandem wehzutun. Dieses Vorgehen speist sich aus der Überzeugung, dass jede noch so unbequeme Perspektive zu einem gegenseitigen Verständnis beiträgt. Sich allein mit dem zu beschäftigen, was mich nicht anficht und dabei der Konfrontation auszuweichen mit alldem, was der Mensch zu tun in der Lage ist, sich allein mit Büchern auseinanderzusetzen, die mir die eigene Weltsicht bestätigen, verhindert den Blick auf das oben beschriebene Fremde, das uns allen innewohnt.

Literatur drückt das Gemeinsame aus, das Verbindende. Sie ist kein Dienst an den konsumierenden, sondern an den Menschen in seiner Ganzheit. Sich wohlfühlen mag ein Maßstab für den Möbelkauf sein, nicht aber für das Lesen von Büchern. Weichen wir nicht aus. Begegnen wir den eigenen Verletzungen und suchen sie auszudrücken. Verlassen wir die Komfortzonen, in denen wir uns nur deshalb möglichst wohlfühlen sollen, um weitere Wohlfühlgegenstände um anzusammeln und an Lifestyles zu stylen, die uns zu unterscheiden trachten. Denn literarische Begegnungen im vorauseilenden Gehorsam von aller Unbehaglichkeit zu reinigen, führt zu einer Kultur, die dem Menschen nichts zuzumuten traut.

Und so werde ich weiterhin meinem Antrieb folgen, Figurenrede und Autorinnenmeinung zu unterscheiden und in eben diesen Figuren, mit denen ich nicht immer einer Meinung sein muss, schreibend und lesend zu begegnen: ob Täter oder Opfer, schwarz oder weiß, jung oder alt, Mann oder Frau. Mit all ihren Haken und Ösen und Abgründen. Mit Widersprüchen, Ängsten und Hoffnungen.

In all ihrer Vielfalt.



[1] Antelmann, Corinna. Drei Tage drei Nächte. Wien, 2018: 224

[2] Vergl. Wolf, Christa (1986): Die Dimension des Autors, Bd II. Essays und Reden I und II, Gespräche Auswahl: Angela Drescher. Berlin/Weimar

[3] Freud, Sigmund. Das Unheimliche. Bd 12: 231

[4] Friedrich Nietzsche. Menschliches, Allzumenschliches. Leipzig, 1930: 67

Ficken mit dem Klassenfeind. Walter Josef Kohl

Foto: Dieter Decker Rezension von Dominika Meindl  „ Bei all der sozialen Aufsteigerei, beim sich Emporarbeiten von ganz unten, vom dörfl...