Schaden/Freude/Tage
von Erich Klinger
Überraschende Wendungen können die einen zum Lachen oder Jubeln
oder ausgelassenen Feiern bringen, die anderen allerdings in das
tiefe Tal der Tränen bzw. der Resignation versetzen. So geschehen
auf zwei unterhaltsamen Ebenen: in der 2. Fußballliga Österreichs
und innerhalb der SPÖ. Am 3. Juni, kurz nach 15 Uhr, schien fest
zu stehen, dass HP Doskozil (Spitzname: Hasricha Uhudla)
Parteivorsitzender der SPÖ wird, es sah so aus, als ob bei der
Kampfabstimmung 316 zu 279 Stimmen zu Gunsten von Doskozil
entschieden hätten. Tags darauf, am 4. Juni, sah es zur selben
Zeit nicht mehr gut aus für die Titelambitionen der Blau-Weissen
Jungs, die dem Nachteil des Ein-Punkte-Vorsprungs des GAK ein
potschades Eigentor zum 0:1 Rückstand hinzugefügt hatten. Zum
Glück der Linzer fingen sie sich vor der Halbzeit kein weiteres
Gegentor ein, präsentierte sich Dornbirn den Ruf als schlechteste
Heimmannschaft zumindest in diesem Spiel widerlegend und agierte
der GAK zu verkrampft und vor allem nach der Pause glücklos. Und
so erlitten die Grazer Rotjacken, denen zudem der Schiedsrichter
bei einer elferfraglichen Situation nicht beistand, ein Dortmunder
Schicksal. Die Blau-Weissen hingegen schafften es noch - mit Ach
und Krach - das Spiel zu drehen, mit einem Siegestor, bei dem der
Ball nur kurz im Flug hinter der Linie war. Dann ging Dornbirn
auch noch in Führung, das Spiel in Linz wurde abgepfiffen, 2:1 für
BW Linz. Der GAK glich aus, der Dornbirner Goalie musste nach
seiner zweiten Gelben vom Feld, Austauschkontigent erschöpft, ein
Feldspieler im Tor und der letzte GAK-Angriff - nach aus Linzer
Sicht nicht vergehenden Minuten - ein Schuss weit über das
Dornbirner Tor. Abpfiff. BW Linz, nach dem verkorksten Heimspiel
gegen Horn im Nachteil gegenüber den Grazern, nun doch Meister.
Juhu. Jubel. Meisterzinken und große Freude.
Ebenfalls in zeitlicher Nähe zu 15 Uhr verkündete am 5. Juni die
inzwischen ehemalige Leiterin der SPÖ-Wahlkommission, Michaela
Grubesa, dass das Wahlresultat der samstäglichen Abstimmung der
Parteitagsdelegierten spiegelverkehrt zu lesen sei, dass also
nicht HP Doskozil, sondern der linke Andi aus Traismauer,
pardon, Traiskirchen die Wahl gewonnen hätte. Draufgekommen sei
man bei der Suche nach der fehlenden Stimme - und immerhin hat man
die Farce mit den vertauschten Einträgen in eine Excel-Tabelle
(scheiß Microsoft-Klumpat) nicht durch die Bestätigung des Sieges
von Doskozil auf die Spitze getrieben, sondern Andreas Babler zum
Sieger erklärt. Der das geänderte Resultat gleichermaßen
angeschlagen wie sein burgenländischer Parteifreund, äh -kollege,
zur Kenntnis genommen hat.
Ich tu' mir schwer mit dem Andreas Babler, weil ich auch gegenüber linken "Heilsbringern" - wenn auch aus anderem Grund - skeptisch bin, weil ich nicht einschätzen kann, ob Bablers "kämpferisches Gehabe" inzwischen mehr Schein als Sein ist, wie weit ihm, gesetzt den Fall seiner politischen Glaubwürdigkeit, bewusst ist, dass man ihn nicht an den berauschenden Bildern der von ihm propagierten gesellschaftspolitischen Veränderungen, an seinen Utopien "messen" wird, sondern vor allem an banalerem, am Erfolg bei der nächsten Nationalratswahl, an Posten, Arbeitsplätzen innerhalb der eigenen Partei und auch daran, wie viel von seinem Feuer in den Mühen der Ebenen noch zu spüren sein wird.
Trotz aller Zweifel freut mich, dass mit Babler wenigstens wieder
einmal ein Hoffnungsschimmer auftaucht, dass aus der SPÖ wieder
mehr werden könnte, als eine Verwalterin ihrer Vergangenheit und
ihrer noch immer vorhandenen Machtrayone und Pfründe, aus der
folglich keine gesellschaftsverändernde Kraft mehr hervor geht.
Also doch und immerhin: Babler.
Dass der "Hasriche Uhudla" seinen endgültigen Rückzug - ein für alle Mal - aus der Bundespolitik angekündigt hat, hatte vermutlich eher mit kurzzeitiger Schockstarre nach der Resultatsumkehr als mit länger haltbarem Versprechen zu tun, wir werden sehen.
Sehr große Schadenfreude empfand ich gegenüber all jenen Kommentator*innen, Journalist*innen, Reporter*innen, Politikanalyst*innen, die sich schon so schön zurecht gelegt hatten, warum der linke Andi, Lehrender der Traiskirchner Marxismusschule und verbaler der EU auf den Kopf-Scheißer, es trotz seines Feuers nicht geschafft hat, die Mehrzahl der Delegierten von sich zu überzeugen. Und warum es ohnehin gescheiter ist, dass Doskozil das Ruder in der SPÖ übernimmt, Dosko, der Berechenbare, vielleicht etwas Einfältige, aber immerhin gestandene Politik-Profi, der sich vielleicht auch nicht ständig daran erinnern mag, mit wem er eigentlich Koalitionen ausgeschlossen hat, weil die Verhältnisse sich ja auch ändern können. Und immerhin wünschen sich doch auch die meisten der journalistischen Schnuckis und Kan-Arienvögel, dass die SPÖ nicht doch ganz so arg am Zahnfleisch daherkräult und so lustig sind ÖVP-FPÖ-Regierungen dann auch nicht, weil im Ausland und die Wirtschaft und das Klima, ja, die Festspiele und der schöne Schein, naja, Udo und Marlene hätten manche dann doch lieber als Auferstehung von Jürgens und Dietrich.
Mich freut aber auch, dass etliche auch hochrangige
SPÖ-Politiker, die in ihrem realpolitischen Weltbild eher vom Hasrichen
Uhudla als vom linken Andi angetan waren, sich jetzt
anderes überlegen müssen als kundzutun, dass sich letztlich knapp,
aber doch, die Vernunft durchgesetzt hat. Und das vergönne ich auch
dem Linzer Bürgermeister Klaus Luger, einem Pragmatiker des
Machterhalts, den auch nur mehr ein sozialdemokratisches Gerippe
als Schattenspiel vor den Fenstern an ideologisch verbindlichere
Zeiten erinnert. Ein schwacher Trost - immerhin - dass dem Herrn B
zugestanden werden kann, sich bei öffentlichen Anlässen auch
inhaltlich verständlich auszudrücken und dies mit deutlicher,
angenehmer Stimme.
Der Häme seitens der "politischen Mitbewerber*innen" und auch einiger Geistesgrößen der journalistischen Zunft über diesen "unglaublichen Vorgang der Resultatsverdrehung" kann und mag ich mich nicht anschließen: man muß einem offen sichtlich zu Boden Taumelnden nicht auch noch einen Stoss versetzen, in der Sache selbst wurde nach Entdecken des Fehlers zumindest dem ersten Anschein nach professionell reagiert. Ich war eher darüber verwundert, dass es unmittelbar nach der Auszählung keine Kontrolle des Eintrags gab bzw. dass der Weg zum Resultat offenbar nicht eingesehen wurde, da lobe ich mir die händische Auszählung unter 10 bis 14 Augen in einem herkömmlichen Wahllokal.
Rückkehr vom Planeten der Verschwörungstheorien, den, ich gestehe
es ohne Anwendung weniger gelinder Methoden, auch ich aufgesucht
habe: Es sieht so aus, als ob die Wahlkommission gar nicht fähig
gewesen wäre, die Wahl zu manipulieren. Anscheinend wurde auf
jegliche Kontrolle des Gesamtergebnisses gepfiffen. Keine/r hat
sich die Mühe gemacht, die zusammengetragenen Ergebnisse der
einzelnen Wahlurnen auf Stichhaltigkeit in Bezug auf die Zahl der
abgegebenen Stimmen und die richtige Zuordnung der Stimmen zu
überprüfen. Nach Stand Dienstag, 6. Juni, 13.21 Uhr hat erst
ZIB2-Journalist Martin Thür durch simples Nachrechnen von Stimmen
und Gesamtzahl die Nachprüfung des Wahlresultats in Gang gebracht,
was so oder so ein sehr schlechtes Licht auf die Wahlkommission
wirft, die aber immerhin noch zu Lebzeiten von Doskozil, Babler
und Rendi-Wagner die Richtigstellung der Resultate in Gang
gebracht hat.
Und damit lasse ich die SPÖ endlich in Frieden, denn das Hin- und Nachtreten besorgen, wenn man die Journale in Ö1 und die ZIB2 verfolgt, auch im vermeintlichen "Rotfunk" eine Mehrzahl der mit der "Causa SPÖ" befassten Redakteur*innen und Journalist*innen. Mitunter entsteht bei mir der Eindruck, man würde es ganz in Ordnung finden, dass die SPÖ so bedient ist, dass der Kandidat des Aufbruchs, der linke Andi aus Traiskirchen, fürs Erste gar nicht mehr dazu kommt, Euphorie zu verströmen. Folglich bläst man die Resultatsverdrehungsgeschichte zu einer Größenordnung auf, derzufolge die SPÖ mit großer Wahrscheinlichkeit chancenlos sei, bei der Nationalratswahl etwas zu reissen, weil man ja die Nachwehen dieser Wahl, die wie man ja wisse, fürchterlich seien, erst aufarbeiten und das Vertrauen der Menschen wieder herstellen müsse und dies sei eben jetzt als erstes an der Tagesordnung und Euphorie und Aufbruch sei - leider leider leider - von dieser organisatorischen Katastrophe in den Orkus gerissen worden.
Wem nützt dieses fortgesetzte "Gemetzel"? Sicher vor allem jenen, die kein Interesse daran haben, dass die SPÖ sich wieder auf sozialdemokratische Werte besinnt.
Immerhin hat der Vorsitzende der steirischen SPÖ, Anton Lang, in einem kurzen Interview fürs Mittagsjournal am 6. Juni die Dinge wieder insofern zurecht gerückt, als er - sinngemäß zitiert - meinte, dass man, peinliche Vorgänge hin, gravierende Fehler, die passiert seien, her, die Kirche im Dorf lassen und nach erneuter Bestätigung von Babler als neuem Parteivorsitzenden sich umgehend wieder an die Arbeit für die Menschen in diesem Lande machen müsse. Anstatt sich - unausgesprochener Nachsatz - noch monate- oder gar jahrelang mit der Causa "unglaubliche Fehler bei der Wahl des neuen Parteivorsitzenden" zu beschäftigen.
Verdiente Journalist*innen in ORF und anderen Medien werden
allerdings, das steht zu befürchten, an der Causa dran bleiben und
keine Gelegenheit auslassen, Babler darauf anzusprechen, wie er
denn die unterschiedlichen Meinungen innerhalb der SPÖ mit seinem
eigenen Weltbild in Einklang zu bringen gedenke und ihm
unausgesprochen klar machen, er möge doch bitte nicht so naiv
sein, davon auszugehen, dass eine de facto "linke Politik" in
Österreich mehrheitsfähig sei.
Linz, 5. bis 13. Juni 2023