Eine Rezension meines neuen Romans 'Ricardi', von von Helmuth Schönauer:
Ricardi
Bei der Planlosigkeit, mit
Menschen in einer konsumorientierten Gesellschaft oft ihr Leben starten, ist es
geradezu verwunderlich, wie viele davon später irgendwie das Sterbebett
erreichen. Die meisten freilich enden ziemlich weit weg von ihren Träumen.
Dietmar Füssel erzählt in
seinem Roman „Ricardi“ von drei sogenannten Knalltüten, die in den letzten
Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts in der Provinzmetropole Wehrstadt eine
Künstler-WG aufmachen. In einem Roman des Scheiterns wird gezeigt, wie ein
Schriftsteller, ein Maler und eine Sängerin noch während ihrer Künstlerpubertät
von der Kunst abgewehrt und ausgeschieden werden.
Es sind nämlich keine
sogenannten Türhüter, die darauf achten, dass niemand Falscher in den
Kunstbetrieb einsteigt, sondern es sind die Helden, die sich selbst nicht in
die Augen sehen können und deshalb auch keinen wahrhaftigen Blick auf die Kunst
zusammenbringen.
In der Rahmenhandlung räumt
der Icherzähler Poschpischil den Keller auf und entdeckt Notizen zu einem
Ricardi-Roman, den er als Student hat schreiben wollen. Ricardi ist der
Namensgeber einer Gasse im kleinen Wehrstadt, er dürfte vor Jahrhunderten
durchgereist sein und hat eine so starke Wirkung hinterlassen, dass seine Werke
im Lokalmuseum hängengeblieben sind.
Wie es sich für das Aufräumen
gehört, setzt sofort die Erinnerung ein, wenn man ein Stück davon in die Hand
nimmt. Sofort tauchen die Geschehnisse rund um die WG auf, die Absteige war
selbstverständlich zu teuer, so dass man zu Zwangsfreundschaften gezwungen war.
Der angehende Maler Baccu und die angehende Sängerin Marie müssen einziehen,
damit die Kosten für den einzelnen sinken. Der Erzähler versucht sie in sein
Romanprojekt zu implementieren, damit wenigstens ein Hauch von
Gemeinschaftssinn entsteht. Aber die Zentrifugalkräfte sind zu groß, die
Künstler-WG implodiert in Wahnsinn.
Das ist zumindest beim Maler
wörtlich zu nehmen, der nach einigen LSD-Aktionen in den Wahn verfällt, dass
seine Bilder begehbare Räume sind, aus denen Greifarme des Schreckens herausragen.
Selbst die simple Kellertür wird durch Halluzination zu einer Pforte, die
stracks in die Zeitlosigkeit eines schlecht gemalten Fegefeuers führt.
Marie, die eigentlich Eduarda
heißt, hat hingegen hat Probleme mit Männerbekanntschaften, welche der Erzähler
regelmäßig als Arschlöcher empfindet, da er vielleicht selber eines ist und
gegenüber Frauen den Verschreckten gibt.
Als der LSD-Maler in eine
psychiatrische Anstalt kommt und Marie mit einer Bekanntschaft verschwindet,
löst sich die WG auf. Mit dem Studium ist es nichts geworden, mit der Kunst
auch nichts. Die einzig richtige Antwort auf das allgemeine Desaster ist die
österreichische: Verdrängen und Vergessen.
Aber zum Österreichischen
gehört es auch, dass alle einen Keller haben, worin die Vergangenheit
eingesperrt ist. So sehr kann man gar nicht aufpassen, dass nicht eines Tages
der Keller aufgeräumt wird und die Geschichte erneut explodiert.
Poschpischil versucht
möglichst wertneutral seinen Romanversuch als echten Roman zu lesen, in dem
bekanntlich eine eigene Realität zur Anwendung kommt. Beim Durchstöbern der
Notizen verschwinden allmählich die Fixpunkte der Erinnerung, vielleicht hat es
die WG gar nicht in der Realität gegeben und alles war von vorneherein ein
Romanprojekt?
Um eine gewisse Linearität in
die Erinnerung zu bekommen, macht der Erzähler etwas, was man vor allem bei
Liebesbeziehungen und gescheiterten Verhältnissen nie tun darf: Er geht der
Sache nach dreißig Jahren noch einmal nach und sucht Marie, von der er eine
vage Adresse hat. Tatsächlich öffnet sie auf sein Läuten hin und erscheint
gespenstisch abgemagert und verängstigt an ihrer Wohnungstür. Ihr Mann ist wie
prophezeit ein Arschloch und schlägt sie, aber sie kann nicht weg, weil es ja
kein Roman ist.
Jetzt ist allgemeine Traurigkeit
angesagt, die Künstler unter dem Stern von Ricardi haben der Reihe nach
versagt. Gut für die Kunst, aber schlecht für das Heldenleben.
Dietmar Füssel reizt das Genre Künstlerroman absurd genau aus, indem er vordergründig mit Klischees spielt, die bei genauerer Betrachtung mit Kunsttheorie gespickt sind. Wenn man an diesen Klischees kratzt, tut sich die pure Banalität auf, die aber wunderbar geeignet ist, um einen üppigen Sinnlichkeitskosmos zu entfalten. Der Roman endet als wundersame Würdigung des Scheiterns.
Dietmar Füssel: Ricardi. Roman.
Klagenfurt: Sisyphus 2020. 152 Seiten. EUR 14,80. ISBN
978-3-903125-53-7.
Dietmar Füssel, geb. 1958, lebt in Ried im Innkreis.
Helmuth Schönauer
19/11/20
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