Freitag, 12. Mai 2023

SPALIER DER FARNE. Ein Buch für die Insel

Von Richard Wall

Ich lernte Peter Hodina kennen, weil er mich kennenlernen wollte, er hatte mein Buch „Wittgenstein in Irland“ gelesen. Er kam – es muss im Jahr 2003, also vor 20 Jahren, gewesen sein – in die Gallneukirchner Buchhandlung „Bücherinsel“, in der Hans Eichhorn und ich unsere neuen Gedichtbände vorstellten. Er lebte damals gelegentlich in Gallneukirchen bei seiner damaligen Freundin, die ihn auf die Lesung aufmerksam gemacht hatte. Er blieb nach der Lesung, suchte das Gespräch, das im Erker jenes Gasthauses (vormals Konditorei Pauli, das Gebäude stammt aus dem 16. Jahrhundert), das jetzt abgerissen werden soll, fortgesetzt wurde. Ich war sofort von seiner Belesenheit und Wortgewandtheit beeindruckt, und er war einer der wenigen, der den im oben genannten Buch zitierten marxistischen Literaturwissenschaftler und Keltologen George Thompson und den Linguisten Michail Michailowitsch Bachtin nicht nur namentlich kannte. In den darauffolgenden Wochen, Monaten und Jahren trafen wir uns in unregelmäßigen Abständen zu längeren Wanderungen durch das Untere Mühlviertel, auch bei Schnee, poetisch-philosophische Spaziergänge, die stets von lustvollen Gesprächen und Gedankenspielereien begleitet waren. Unsere längste, mehrtägige Wanderung führte uns von Koper im weiten Bogen um Triest herum durch den slowenischen Karst bis nach Štanjel. Jahre später – seine Liebesbeziehung mit der Frau in G. war zu einem Ende gekommen – konnten wir unserer Gespräche anlässlich der Literaturtage am Wolfgangsee wieder aufnehmen.

Der in Salzburg geborene, abwechselnd in Wien, Berlin und seiner Geburtsstadt an der Salzach lebende Schriftsteller Peter Hodina setzt in seinem neuen Buch auf das Denken. Kein stümperhaftes „Querdenken“, wie es derzeit phrasenhaft Konjunktur hat, kein ideologisch festzumachendes, sondern ein prozesshaft-forschendes und sinnliches mit starken Bildern. Ihm in seinen originellen, die Bibel, Natur- wie Geisteswissenschaften und Weltliteratur miteinbeziehenden Denkbewegungen folgend, musste ich an folgendes Diktum von Fritz Mauthner denken: „Die Sprache ist aber kein Gegenstand des Gebrauchs, auch kein Werkzeug, sie ist überhaupt kein Gegenstand, sie ist gar nichts anderes als ihr Gebrauch. Sprache ist Sprachgebrauch.“

Da unser Denken nun einmal sprachgebunden ist, das Denken erst durch die Sprache und, konzentriert, durch die Verschriftlichung von Gedanken eine Form erhält, das daher nachvollziehbar und überprüfbar wird, sind Bücher wie „Spalier der Farne“ ein Segen in dieser von Banalitäten und geistiger Niedertracht verfluchten Zeit. Hodinas „Notate“ sind eine Manifestation des Humanen, eine Rückbesinnung auf Möglichkeiten, die in uns – ja in fast allen – angelegt sind. Sein Denken und Schreiben fußt auf einer breiten wie tiefgehenden Lektüreerfahrung von philosophischen Schriften und Autoren der Antike über Fichte bis zu Leo Tolstoi, Ralph Waldo Emerson, Wittgenstein, Cioran und den Notizen von Ludwig Hohl, um nur einige Kapazunder zu nennen. Dazu kommt eine Schärfe an Beobachtung von Alltagsverhaltensweisen und medialen Diskursen, die in präzisen Bildern, (ironischen) Fragestellungen und (desillusionierenden bis angriffigen) Einschätzungen den Reflexionsraum erweitern. Eingeschobene Traumsequenzen ergeben in ihrer poetischen Qualität einen zusätzlichen Aspekt, der subtil zu den eher objektivistischen Passagen eine persönliche und sympathische Dimension eröffnen.

Hier ein Beispiel dafür, wie eine Schrift wirken kann, aber nicht muss. Ich will damit zeigen, wie bereits der junge Student Hodina kreativ-eigenständig, vielleicht auch etwas naiv (im positiven Sinne!) mit einer Lektüre verfuhr: „Mit neunzehn Jahren vermeinte ich, etwas magisch, ich könnte durch das eifrige Studium von Edmund Husserls Schrift Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins so etwas wie die ZEITBREMSE finden. Statt wie andere junge Leute den Führerschein zu machen, um Gas, Bremse, Kupplung einzuüben, dachte ich, die Zeit mir vehikulär machen, sie nach Belieben beschleunigen, bremsen, zurückfahren zu können. / Ich dachte, die alten Leute, die Erwachsenen hätten irgendetwas in ihrem Leben falsch gemacht, indem sie vergingen. Sie hätten auf etwas Bestimmtes nicht achtgegeben: Die ZEITBREMSE nicht gefunden und nicht zu betätigen gelernt. / Mit Husserl gedachte ich, diese meine magische Intuition realisieren zu können: Retention wäre die Bremse, Protention das Gasgeben.“

Auch wenn aus den zum Teil aphoristisch kurzen Textpassagen Desillusionierung über das Verhalten der Menschheit durchklingt, sieht er immer wieder (noch) Erhellendes, trotz all der Versäumnisse und Dummheiten der an und für sich vernunftbegabten Spezies. In den einsamen Stunden des Geistes (Trakl) auf sich selbst zurückgeworfen, bedenkt er dialektisch Gesellschaftliches (mit). Denn das Individuum kann ohne Beziehung zu anderen Menschen keine Ethik entwickeln. Wie die Sprache ist sie etwas zwischen dem Du und dem Ich.

Er beharrt auf eine ins Stocken geratene Aufklärung (im Englischen „Enlightenment“, auch im Sinne von Inspiration, Erleuchtung) und insistiert auf das Bestehen von Möglichkeiten. Beispielhaft formuliert in folgender Passage: „Etwas auch nur zu denken, bedeutet schon ein Heranbranden. Manche Welle langt schon an das Gestade der Realisation. Und auf einen Vorstoß ins Reale kommen hunderte mit hundertfacher Heftigkeit. Wenn ich nur die andere Welt denke, sucht sich bereits etwas einen Weg. Es sind Versuche. / Selbst bist du Teil eines insgesamt Prozessierenden. Ein Regentropfen, ein Hagelkorn, Funke.“

Hodina zog und zieht es vor – obwohl ich mir bei ihm aufgrund seiner Kompetenzen und seinem Wissenshorizont eine akademische Laufbahn vorstellen konnte – ein freiberuflicher „Gelehrter“, Essayist und Schriftsteller zu sein, ja zu SEIN. Er steht auch peripher zum Literaturbetrieb, der Rauriser Förderungspreis im Jahre 2004 ist seine einzige wesentliche Auszeichnung.

Erstaunlich bei ihm ist seine formale Vielfalt, denn immer wieder zieht es ihn auch zur Poesie, so schreibt er auch Gedichte und hat 2012 den Gedichtband „Sternschnuppen über Hyrkanien“ veröffentlicht. Schon der Titel seines neuen Buches ist ein erlesen-schönes poetisches Bild. Der Farn – zumindest der Wurmfarn – erinnert an das Gefieder eines Pfaus, und wenn man sich vergegenwärtigt, wie ein Farn im Frühjahr austreibt, allmählich seine Blätter entrollt, so kann dies als ein Bild gesehen werden für das Entstehen einer Idee, für ein gewissenhaftes Formulieren und Schreiben. Und so ist, entsprechend des Titels, das Buch eine den Geist erfrischende Passage aus Ideen, ein Angebot an Leser:innen, dem Spalier aus konzentrierter Prosa entlangzuwandeln. „Spalier der Farne“ ist ein fein durchgearbeitetes, in seiner sprachlichen Qualität und aufgrund seiner lustvoll zu lesenden Denkbewegungen ein solitäres Meisterwerk, dem ich viele Leser:innen wünsche.

Peter Hodina: Spalier der Farne. Notate. edition fabrik transit, Wien 2022, 24 Euro




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