Mittwoch, 3. Mai 2023

Postkarten aus Flandern

Von Richard Wall


Polderlandschaft


Ein Gebirge aus Schnee

Gewölk über Plastikfolienfelder

grün begrenzt von einem

Winterweizenteppich mit

Traktorenfurchen, denn die Saat

muss gedüngt und besprüht

werden im Frühling

wenn die Osterhasen

rammeln und die Erpel

den Enten nachstellen.


In der Dämmerung

wird alles eins, meint man,

doch manches ist näher dem

Tod als dem Leben.



Brügge I


Backsteingotik, Türme dienen

der Orientierung und irritieren,

geziegelte Spitzbögen, Maßwerk,

welch eine Manifestation

von Material und Handwerk.

Über Kopfsteinpflaster – woher

nur kam der vertraute Granit? –

hüpfen wir auf unseren Rädern

durch schmale Gassen über

Steinbogenbrücken und

nachtschwarzen Kanälen entlang.


Durchgerüttelt die Gehirnmasse

schnalzen die Synapsen einen

Aprilscherz ins Nieseln.

Auf den Gemeinplätzen

um Kirchen und den Belfried

drängen die Massen in

vorösterlicher Erwartung.

Aufsteigt der Weihrauch

aus Fritteusen

Festliches ist vorgesehen

in jedem Winkel.



Brügge II


Vom Restaurant La Dentellière

blicken wir hinüber zum

Eingang der Beginenhöfe

dort, in der Stille eines weiten

Raumes wachsen aus dem

Märzenbecher-Blütenteppich

schlanke, hohe Bäume

schwarz wie Ruß die vom Regen

spiegelnassen Stämme

vor dem Weißanstrich der Mauern –

Kontraste einer Gnade die

Harmonie ergeben im Gegensatz

zum schrillen Gedränge draußen

in den Straßen und Gassen

flüchtige Momente aus

schmelzenden Schokoladebonbons

in endlichen Mündern.




Eulenspiegel


Tanzte vor unseren Augen

über den Kanal in Damme

befeuerte den Kessel im Raddampfer

und kletterte auf die Flügel

der Windmühle Schellemolen.


Er und seine Wassergeusen

befreiten die Flamen von der Inquisition

vom spanisch-habsburgischen Joch.

Goethe mochte Egmont.

War ihm Tyll zu rebellisch,

zu nah am Volk?


Die Störche auf den Rauchfängen

und Türmen aus Backstein

die Bewohner der Spechtlöcher

in hohlen und morschen Pappelbäumen

am Kanal, den Napoleon geplant,

wissen nichts

von den Wegen der Menschen.




An der Nordsee


Im Wattenmeer von Zwin

stochern Watvögel im flachen

Wasser nach Nahrung

vernehme ich die Rufe der

Austernfischer, des Brachvogels

Sinnliches und Assoziationen

versetzen mich flugs

an die Küste Connemaras.


Im Dünensand unsere Spuren

Fußstapfen in schmalen Rinnen

Wasser fließt meerwärts

oder versickert im Schlamm.

Draußen, im Dunst, auf der

fahlgrau-grünen Wasserlinie

ein Frachtschiff, typisch die Form

mit der hohen Brücke am Heck –

was sich nicht alles fügt

in diesem einen Moment.



Gent


Von Ganda, keltisch Zusammenfluss

von Leie und Schelde, Stapelrecht

seit dem Mittelalter, Waren im Überfluss,

auch für Hochstapler wie den

Kreuzfahrer Graf Philipp von Elsass

mit seinem Bollwerk Burg Gravensteen,

nichts weiß man vom Los der Steinmetze

und Leibeigenen die hier geschuftet.

Am Korenmarkt die Weite der Plätze

Lakenhalle, Stadthuis, gotisches Auf

und Nieder, Kopf im Nacken, stockender

Atem im Banne des Belfrieds, der Kirchen,

in St.-Bavo das Werk der Gebrüder Eyck

im Dunklen vom Aufleuchten der Farben

von der Vollendung der Formen

unweigerlich berührt – :

Unter flämische Kirchturmlandschaft

mit einer Dattelpalme am Horizont

gedeihen um die Gruppen der Anbetung

des hl. Lamms mit den Menschenaugen

Orangen- und Granatapfelbäumchen,

in den Grünschattierungen der Gräser

ein synchrones Aufblühen Dutzender

Heilkräuter und Blumen wie Maiglöckchen,

Pfingstrosen, Lilien, Veilchen, Gänseblümchen …

im Zentrum der Blutfluss aus wolleweißer Seite

das Lamm wankt nicht trotz Blutverlust

doch im Salzstollen von Altaussee fror

die nackte schwangere Eva beinahe zu Tode

beim Anblick der eingelagerten Fliegerbomben –

verhindert wurde die Sprengung, das Sakrileg.

Unter gotischem Gesprenge nun wieder

angstbefreiend die Offenbarung –

doch wer glaubt noch an sie?


5. - 10. April 2023

P.S.: Flandern ist ein Paradies für Radfahrer:innen. Einen Bruchteil nur der Radwege wenn wir hierzulande hätten! Und es gibt KEINE Werbetafeln über Land & vor den Dorf- bzw. Stadteinfahrten, & KAUM Zersiedelung!

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