Von Richard Wall
Polderlandschaft
Ein Gebirge aus Schnee
Gewölk über Plastikfolienfelder
grün begrenzt von einem
Winterweizenteppich mit
Traktorenfurchen, denn die Saat
muss gedüngt und besprüht
werden im Frühling
wenn die Osterhasen
rammeln und die Erpel
den Enten nachstellen.
In der Dämmerung
wird alles eins, meint man,
doch manches ist näher dem
Tod als dem Leben.
Brügge I
Backsteingotik, Türme dienen
der Orientierung und irritieren,
geziegelte Spitzbögen, Maßwerk,
welch eine Manifestation
von Material und Handwerk.
Über Kopfsteinpflaster – woher
nur kam der vertraute Granit? –
hüpfen wir auf unseren Rädern
durch schmale Gassen über
Steinbogenbrücken und
nachtschwarzen Kanälen entlang.
Durchgerüttelt die Gehirnmasse
schnalzen die Synapsen einen
Aprilscherz ins Nieseln.
Auf den Gemeinplätzen
um Kirchen und den Belfried
drängen die Massen in
vorösterlicher Erwartung.
Aufsteigt der Weihrauch
aus Fritteusen
Festliches ist vorgesehen
in jedem Winkel.
Brügge II
Vom Restaurant La Dentellière
blicken wir hinüber zum
Eingang der Beginenhöfe
dort, in der Stille eines weiten
Raumes wachsen aus dem
Märzenbecher-Blütenteppich
schlanke, hohe Bäume
schwarz wie Ruß die vom Regen
spiegelnassen Stämme
vor dem Weißanstrich der Mauern –
Kontraste einer Gnade die
Harmonie ergeben im Gegensatz
zum schrillen Gedränge draußen
in den Straßen und Gassen
flüchtige Momente aus
schmelzenden Schokoladebonbons
in endlichen Mündern.
Eulenspiegel
Tanzte vor unseren Augen
über den Kanal in Damme
befeuerte den Kessel im Raddampfer
und kletterte auf die Flügel
der Windmühle Schellemolen.
Er und seine Wassergeusen
befreiten die Flamen von der Inquisition
vom spanisch-habsburgischen Joch.
Goethe mochte Egmont.
War ihm Tyll zu rebellisch,
zu nah am Volk?
Die Störche auf den Rauchfängen
und Türmen aus Backstein
die Bewohner der Spechtlöcher
in hohlen und morschen Pappelbäumen
am Kanal, den Napoleon geplant,
wissen nichts
von den Wegen der Menschen.
An der Nordsee
Im Wattenmeer von Zwin
stochern Watvögel im flachen
Wasser nach Nahrung
vernehme ich die Rufe der
Austernfischer, des Brachvogels
Sinnliches und Assoziationen
versetzen mich flugs
an die Küste Connemaras.
Im Dünensand unsere Spuren
Fußstapfen in schmalen Rinnen
Wasser fließt meerwärts
oder versickert im Schlamm.
Draußen, im Dunst, auf der
fahlgrau-grünen Wasserlinie
ein Frachtschiff, typisch die Form
mit der hohen Brücke am Heck –
was sich nicht alles fügt
in diesem einen Moment.
Gent
Von Ganda, keltisch Zusammenfluss
von Leie und Schelde, Stapelrecht
seit dem Mittelalter, Waren im Überfluss,
auch für Hochstapler wie den
Kreuzfahrer Graf Philipp von Elsass
mit seinem Bollwerk Burg Gravensteen,
nichts weiß man vom Los der Steinmetze
und Leibeigenen die hier geschuftet.
Am Korenmarkt die Weite der Plätze
Lakenhalle, Stadthuis, gotisches Auf
und Nieder, Kopf im Nacken, stockender
Atem im Banne des Belfrieds, der Kirchen,
in St.-Bavo das Werk der Gebrüder Eyck
im Dunklen vom Aufleuchten der Farben
von der Vollendung der Formen
unweigerlich berührt – :
Unter flämische Kirchturmlandschaft
mit einer Dattelpalme am Horizont
gedeihen um die Gruppen der Anbetung
des hl. Lamms mit den Menschenaugen
Orangen- und Granatapfelbäumchen,
in den Grünschattierungen der Gräser
ein synchrones Aufblühen Dutzender
Heilkräuter und Blumen wie Maiglöckchen,
Pfingstrosen, Lilien, Veilchen, Gänseblümchen …
im Zentrum der Blutfluss aus wolleweißer Seite
das Lamm wankt nicht trotz Blutverlust
doch im Salzstollen von Altaussee fror
die nackte schwangere Eva beinahe zu Tode
beim Anblick der eingelagerten Fliegerbomben –
verhindert wurde die Sprengung, das Sakrileg.
Unter gotischem Gesprenge nun wieder
angstbefreiend die Offenbarung –
doch wer glaubt noch an sie?
5. - 10. April 2023
P.S.: Flandern ist ein Paradies für Radfahrer:innen. Einen Bruchteil nur der Radwege wenn wir hierzulande hätten! Und es gibt KEINE Werbetafeln über Land & vor den Dorf- bzw. Stadteinfahrten, & KAUM Zersiedelung!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen