Erste Folge: Dominika Meindl
13.3.
„Meine
Definition von Glück? Keine Termine und leicht einen sitzen.“ Eine
geschmacklose Gottheit hat meine geheimsten Wünsche erfüllt, aber
um welchen Preis?! Die Wirtschaft geht den Bach hinunter, alle haben
Sorgen und ich muss die Reise zum Polarkreis aufgeben. Positiv ist
höchstens, dass Harald Juhnkes bestes Zitat die Runde macht.
Angesichts
des hektischen Entrümpelns im Altstoffsammelzentrum sieht mich die
ältere Mitarbeiterin wohlwollend an und sagt „Gottseidank sind wir
in Pension, goi?“ Vielleicht gebe ich meinen Widerstand gegen das
Haarefärben auf, wenn das alles hier vorbei ist. Im Supermarkt ist
alles Grüne aus den Kisten gerupft; nur beim Stangensellerie würden
die Menschen von Linz-Land lieber hungern, als ihn zu kaufen. Ein
Freund von einem Freund von einem Freund erzählt, dass auch alle
Jungpflanzen im Hanf-Growshop gehamstert werden.
Die Nachbarn sind zu Besuch.
14.3.
Jemand,
den ich von ferne kenne – als bildender Künstler eigentlich im
Genuss meines Vertrauensgrundsatzes – beginnt, auf Facebook dummes
Zeug zu posten, das Virus sei aus einem chinesischen Kampflabor
entschlüpft, die Zahl der Infizierten vom System übertrieben,
außerdem sei heute der Tag, um der Bombardierung der Staatsoper zu
gedenken, als die Amerikaner die Österreicher ins Herz trafen (der
Mann ist selbst Spanier). Als ich ihn höflich frage, ob ihm ein Radl im Dreck renne, blockiert er mich umgehend. Corona macht die Klugen klüger und
die Dummen dümmer. „Social media distancing“ drängt sich auf
(was ich durch das Verfassen von Blogtexten gleich wieder ad absurdum
führe).
15.3.
Am
Tag vor der Ausrufung der Covid-19-Gesetze verlassen die Roma mit
ihren Gespannen Wels. Es werden sie weniger die völkischen Kräfte
in der Stadtregierung vertreiben (obwohl die seit Jahren alles daran
setzen, die Durchreisenden an ihrem traditionellen Halt zu hindern)
als die Hoffnung, noch die französische Grenze zu erreichen, bevor
alles dichtgemacht wird.
Privilegierte Schauplätze der Selbstisolation: unterm Baumhaus
16.3.
Das
Ausräumen des Geschirrspülers gewinnt eine nie dagewesene Würde im
Alltagsvollzug. Bei „Recherchen“ entdeckt: Im inneren
Asteroidengürtel gibt es einen Kleinplaneten, der „(243491)
Mühlviertel“ heißt. Die Gendarmerie fährt Streife durch mein
Einfamilienhausghetto, um nachzusehen, ob die Kinder jeweils in den
eigenen Gärten trampolinspringen.
18.3.
Ein
Freund erzählt beim Entlastungsplausch am Telefon, er habe seit
Ausbruch der Seuche in China nachgedacht und viel gerechnet; dank
seiner Prognosen sei er so erfolgreich beim Aktienhandel gewesen (und
zwar zum Nachteil einer großen Bank, sehr gut), dass er jetzt zur
Not seine Familie eine Weile alleine durchbringe. Seither verbringt
er viel Zeit damit, auf die leere Autobahn hinunterzuschauen.
Zehen und Leseempfehlung der Autorin
19.3.
Einen
Termin nach dem anderen radiere ich aus dem Kalender; bei den vielen
unbezahlten Besprechungen ist es mir eine Erleichterung, bei „Skitour
Slowenien“ oder „Großvenediger“ radiere ich gründlicher,
damit mich keine Spuren dieser Einträge an mein versäumtes Leben
erinnern. Ich stehe jetzt öfter vor den Karten vom Toten Gebirge,
die ich an die Wand genagelt habe, und male mir lange
Entschädigungstouren im Sommer aus.
23.3.
Erleichterung,
dass ich in den übersozialen Wochen offensichtlich niemanden
angesteckt habe, vor allem nicht bei Hans Eichhorns Begräbnis (das
in dieser großen, offenen Form wohl erst wieder im Sommer hätte
stattfinden dürfen; schön, dass wir uns noch so verabschieden
konnten.)
24.3.
Gertraud
Klemm schreibt soeben auf Facebook über ihren Ärger, wenn es
überall heißt, jetzt komme man endlich wieder zum Lesen. „Ich
kann's nimmer hören! Die Literaturbranche kracht wie ein
Kaisersemmerl: Leipzig fand nicht statt, die PR stottert, viele
Lesungen brechen weg, Herbstprogramme werden abgesagt. Und was
passiert? Der ORF empfiehlt 'Schwarten' wie Tolstoi, Ö1 stellt das
Kulturjournal ein, und Amazon liefert einfach keine Bücher mehr aus.
Das könnte die Stunde der Literatur sein und ist stattdessen ein
Untergang in mehreren Etappen. Ich frage mich gerade - wie konnte das
passieren, dass die ganze Literaturbranche so veranstaltungsfixiert
und verplappert ist? Sollte es nicht ums Lesen gehen?“
Wie
uns das alles hier in OÖ betrifft, müssen wir abwarten. „Zum
Glück“ habe die Oberbank „Fett auf den Rippen“, sagt der
slimfitte Direktor Gasselsberger. In der heimischen Literatur haben
wir dieses Fett höchstens im Wortsinn am Leib, unsere finanziellen
Reserven sind mager wie Marathonläufer.
Orban
schafft es immer noch, fassungslos zu machen – er will den Notstand
auf unbestimmte Zeit verlängern. Wäre das jetzt nicht ein schöner
Anlass für die EU, sehr, sehr, sehr streng zu werden? Und für die
türkisen Orban-Freunde in der Regierung, sich vom Gulaschdespoten zu
distanzieren? Gut,
dass wir in Österreich die Bedeutung des Wortes „Notstand“
derzeit noch privat auslegen dürfen und an die armen Singles denken,
die zuhause grade ohne Unterleibsfreuden bleiben. Wäre ich nur ein
wenig verworfener, ich wünschte dem Orban ein Unterleibsleiden,
aber: So sind wir nicht.
Die
etwas ungenutzt umherstreifenden Empfindungen suchen sich eigene
Ventile, man ist etwas empfindlicher als sonst, die Empathie mit den
Marillenbauern über deren Totalausfall ist so tief wie die
Temperaturen.
Service für die Filterblase: ein coronabefreiter Pressespiegel
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