Dienstag, 30. Juli 2019

Die Landesliteraturschule. Eine freundliche Utopie

Von Dominika Meindl

Utopien haben den Vorteil, dass sie nichts kosten. Und das ist viel wert, wenn das Geld knapp gehalten wird. Wenn der Staat spart, um neue Autobahnen und Umfahrungen zu bauen. Wir laden zu einer Gratis-Reise, noch dazu klimaneutral, weil virtuell - nur in Gedanken. 

Sprache ist der Grundvollzug des In-der-Welt-Seins. Es ist nicht verwegen zu behaupten, dass Schriftstellerinnen und Autoren sich besonders gern mit ihr auseinandersetzen (weswegen sie nicht automatisch lieber in der Welt sind, aber vielleicht doch) - sie lieben die Sprache, und sie lieben damit wohl auch die deutsche Sprache. Hier geraten sie in eine merkwürdige Opposition zu Politikern, deren Liebe zu Deutsch so weit geht, dass sie Menschen ohne ausreichende Deutschkenntnisse die Wohnbeihilfe streichen und an den Schulen alle anderen Sprachen verbieten wollen. Bevor es hier zu polemisch wird (es war die Rede von einer freundlichen Utopie): Auch die Autorinnen und Autoren Oberösterreichs sind für Deutsch an der Schule. Und zwar für sehr, sehr viel mehr. Deswegen den Kindern zu untersagen, in den Pausen Türkisch, Serbisch, Arabisch oder Farsi zu sprechen, kommt ihnen nicht in den Sinn - viele der Schreibenden haben studiert und wissen, dass der Erwerb einer neuen Sprache auf der Kompetenz der Muttersprache beruht. 



Der Großteil des Kulturbudgets des Landes Oberösterreich (2015 74,4 Mio €) kommt dem Landesmusikschulwesen zugute. Angesichts zurückgezogener Investitionen in anderen Kultur-Sparten läge es nahe, darauf mit Neid zu reagieren. Doch die Vorteile und Erfolge dieser bedeutenden Institution sind offensichtlich: NeurologInnen verweisen auf die große Bedeutung der Musikerziehung. Viele der ehemaligen MusikschülerInnen liefern heute relevante Beiträge zum aktuellen heimischen Pop-Boom. Viele der Lehrenden können dank des Unterrichts am Nachmittag ihre eigene künstlerische Arbeit voranbringen und ihre Existenz sichern.

Das Bildungssystem muss sehr bald und umfassend reformiert werden. Mehr als elf Prozent der 15- bis 29-Jährigen sind weder in einer Ausbildung noch berufstätig. Rund 300.000 ÖstereicherInnen sind von funktionalem Analphabetismus betroffen (die Dunkelziffer liegt höher). Die Wirtschaft klagt über Lehrlings- und Fachkräftemangel. Der Mangel an LehrerInnen erreicht 2019 einen Höhepunkt, besonders Deutsch ist als Unterrichtsfach gefragt.
SchriftstellerInnen müssen zur Kenntnis nehmen, dass Literatur nur noch als Hobby engagierter Lehrkräfte vermittelt wird. Programme wie "Kukusch" oder "macht/schule/theater", die der Vermittlung von Kunst und Kultur an den Schulen dienten, wurden in den vergangenen Jahren gestrichen. 

Um nun aber wirklich zum freundlichen Entwurf zu kommen: Wir denken über eine Ausweitung des erfolgreichen oberösterreichischen Landesmusikschulwerks auf andere Sparten nach. Ob man dafür weitere 75 Millionen investieren müsste? Wahrscheinlich nicht. Andererseits: So erschreckend viel wäre das gar nicht (etwa angesichts der Kosten für den Westring)...

Wir denken an ein engmaschiges, dezentrales Bildungssystem, das Kindern nach der Schule die verschiedensten Spielarten der Literatur näherbringt. Für wenig Geld, sodass alle Mädchen und Buben, unabhängig vom Einkommen der Eltern, während der gesamten Schulzeit von versierten Fachleuten zusätzliche Förderung im Denken, Lesen, Schreiben, Dichten, Philosophieren bekommen. 
Wir denken an Deutschförderkurse, an Creative-Writing-Kurse, an Präsentationstechniken, an Poetry Slams, Gedichte, Songtexte, Reportagen, an die Förderung kritischen Medienkonsums. Wir denken an eine höchst wirksame Maßnahme gegen digitale Demenz und sekundären Analphabetismus. 

Wir denken an die Schönheit der Sprache und an die Freude, mit ihr zu spielen und dies Kindern zu vermitteln.

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