Wir würden uns noch wundern, was alles möglich sein wird, sagte im
Bundespräsidenten-Wahlkampf Norbert Hofer, damals FP-Kandidat für
dieses höchste Amt in unserer Republik, später Minister, jetzt
ehemaliger Minister, aber dafür neuer Parteiobmann. Ich weiß noch
genau, wie mich dieser Satz erschreckt hat, als ich ihn bei der
Fernsehdiskussion gehört habe.
Und ja, Hofer hatte völlig recht, ich jedenfalls wundere mich
seither immer wieder, jeden Tag aufs Neue, was in unserem Land alles
möglich geworden ist, ja, was beinahe selbstverständlich und in
kürzester Zeit irgendwie normal werden konnte.
Vor etwas mehr als einem Jahr durfte ich Erich Kandel in Wien
persönlich kennenlernen. Kandel gebürtiger Österreicher, jetzt
US-Bürger, Nobelpreisträger für Physiologie der Medizin im Jahr
2000 und mit seinen 90 Jahren ein sehr beeindruckender Mann. Ihm
gelang im Jahr 1939 als 10 Jähriger gemeinsam mit seinem Bruder die
Flucht vor den Nazis. Anlässlich der Enthüllung einer
Erinnerungstafel an die vertriebenen und teilweise ermordeten
jüdischen Bewohner des Hauses, in dem Erich Kandel aufgewachsen war,
kam er auf Besuch nach Wien.
Wie immer bei solchen Gelegenheiten, wurden eine ganze Reihe von
Reden gehalten. Unter anderem sprach auch die damalige
Bezirksvorsteherin, eine Frau in meinem Alter, eine Jüdin, deren
Großmutter als eine von ganz wenigen der Familie die Shoah überlebt
hat. Diese Frau sagte schließlich in ihrer Rede: Es hieß immer,
wehret den Anfängen! Dafür aber ist es jetzt schon zu spät, wir
sind schon viel weiter als in den Anfängen.
Auch das ist ein Satz, der mich seither nicht mehr loslässt, der
sofort wieder präsent ist, bei jedem der zumindest 66 sogenannten
Einzelfälle, die bekannt geworden sind, vom Liederbuch, in dem die
Ermordung einer siebten Million Juden besungen wird, über die
„stichhaltigen Gerüchte“, dass George Soros, der Jude Soros,
Europa „umvolken“ will, bis zu diesem grässlichen Rattengedicht
und zum „Bevölkerungsaustausch“ von dem ein Vizekanzler dieser
unserer Republik sprach, bis zur Nominierung eines Odin Wiesinger für
den oberösterreichischen Kulturbeirat, aber auch bis zur ständigen
Nennung des Namens Silberstein, auch durch den nunmehrigen
Ex-Bundeskanzler. Auch er bedient sich so wie seine rechtsextremen
Koalitionspartner damit eines antisemitischen Codes, benutzt
antisemitisches Framing, und niemand soll mir erzählen, das sei
zufällig. Denn ich bin überzeugt: würde dieser Mann nicht
Silberstein, sondern Müller, Meier oder Gruber heißen, der Name
würde nicht mehr genannt werden.
Es ist dieses Spiel mit Worten, mit Codes, mit Anspielungen, mit
Bedeutungsänderungen oder Bedeutungsaufladungen von Worten, das vor
allem in den vergangenen zwei Jahren geradezu über uns
hereingebrochen ist und - das erscheint mir als das eigentlich
Erschreckende daran – von den meisten einfach hingenommen wird,
unhinterfragt, unreflektiert.
Da ließ ein Innenminister der Republik Österreich das
„Erstaufnahmezentrum“ für Flüchtlinge in „Ausreisezentrum“
umbenennen, einfach so, ganz offiziell, und kein einziges Mitglied
der Regierung, auch nicht der Bundeskanzler, protestierte dagegen,
keine Ministerin, kein Minister, keine Staatssekretärin wies auf die
Orwell-mäßige Absurdität dieser Umbenennung hin, schon gar nicht
wurden Bedenken bezüglich der europäischen Menschenrechtskonvention
und der Internationalen Menschenrechte laut.
Da ist das Überhandnehmen in der Verwendung von Codes, denen sehr
viele Menschen, so habe ich immer mehr den Eindruck, unwissend und
auch hilflos gegenüberstehen. „Bevölkerungsaustausch“ etwa. In
einschlägig rechtsextremen Kreisen ist schon länger vom „großen
Austausch“ die Rede, wer also heute und hier bei uns
„Bevölkerungsaustausch“ sagt, tut dies nicht zufällig, der
weiß, was er damit erreichen will und wen er damit anspricht. Aber
der verwendet dieses Wort auch, damit es langsam aber sicher in den
normalen gebräuchlichen Wortschatz Einzug hält. Und wir erinnern
uns: dieses Wort ist nicht harmlos, die rechtsextremen Identitären
verwenden es und der Attentäter von Christchurch in Neuseeland hat
es propagiert, bevor er so viele Menschen ermordet hat. Bei uns wurde
es nach diesen Morden vom Vizekanzler unserer Republik Österreich
verwendet - und verteidigt.
Dass das Wort vom angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ auf
fruchtbaren Boden fällt, dafür reicht ein Blick nach Weikendorf,
einer kleinen Gemeinde 35 km östlich von Wien, wo ein ÖVP
Bürgermeister den Hauskauf durch eine palästinensische Familie zu
verhindern versucht, weil er nicht will, dass sich Muslime in diesem
verschlafenen und wahrlich unattraktivem Nest ansiedeln. Die
türkischstämmigen Landarbeiter, die dort in der Umgebung leben und
für minimale Löhne auf den Feldern der im Marchfeld wirklich großen
Bauern arbeiten, stören ihn nicht, der ehemalige
Universitätsprofessor für Englisch mit seiner Familie schon.
Die Umdeutung von bestimmten Worten, die Verwendung von Codes, von
einschlägigen Begriffen ist immer nur der Anfang. Und wenn ich auf
Facebook die von mir ungewünschte Werbung des Ex-Kurz-Bundeskanzlers
lese: „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“,
dann kriecht die Gänsehaut über meinen Rücken, denn immer wenn das
gerade bei uns durch die Nazivergangenheit so stark aufgeladene Wort
„Volk“ als Gegensatz zum gewählten Parlament ins Spiel gebracht
wird, dann sollten wir sehr schnell und sehr intensiv darüber
nachdenken, wohin das führen kann. Denn damit wird eigentlich eine
Delegitimierung des ja doch vom „Volk“ gewählten Parlaments
angedeutet. Und es ist die Wortwahl der Rechtsextremen und
Rechtspopulisten, die hier durchklingt.
Als ich vor vielen Jahren das erste Mal den Begriff „Gutmenschen“
gehört habe, erschien es mir unvorstellbar, dass sich dieser
Ausdruck als negative Beschreibung eines Menschen durchsetzen und in
den allgemeinen Sprachgebrauch als Beschimpfung eingehen könnte. Der
Begriff „guter Mensch“, also ein Mensch, der einfach menschlich
ist und menschlich handelt - ob aus Solidarität, aus Vernunft, aus
Mitgefühl oder auch aus christlicher Nächstenliebe – so dachte
ich mir damals, kann doch nie negativ besetzt werden, nie zur
Beschimpfung werden - wir sind doch nicht bei Orwell 1984. Ich habe
mich geirrt.
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