Freitag, 13. Januar 2023

Anmerkungen zu einem Apropos

von Bernhard Hatmanstorfer


[Kasia] Boddy: Do you think you can identify a piece of writing as being by a woman?
[Kathy] Acker: No, I don’t at all. Partly what a novelist does is write in other voices. We don’t write ourselves.
Kathy Acker: The Last Interview, and Other Conversations. 
Edited (…) by Amy Scholder and Douglas A. Martin, Brooklyn 2018


    Judith Gruber-Rizy verweist in ihrem Blog-Beitrag „Apropos Literaturnobelpreis“ jüngst auf ein Faktum, dessen sich bewusst zu sein offenbar noch immer keinen Allgemeinplatz bildet: nämlich, dass die halbe Menschheit sich aus Frauen rekrutiert. 

    Doch Obacht in Zeiten, wo in auf Straßenbahngarnituren affichierten Personalausschreibungen die Kürzel „m/w/d“ aufscheinen, die Genderdebatte mittlerweile so etwas wie „Genderfluidität“ entdeckt haben will, das Changieren zwischen… – ja, was denn nun? –  und irgendwo bereits mehr als vierzig (!) verschiedene Geschlechter ausgemacht scheinen. Kann man es verstehen, dass da selbst eine ansonsten recht gefasste Philosophin wie Isolde Charim leicht hibbelig wird? Muss man sich die Menschen zur Zeitgenossenschaft des „Sachsenspiegels“ etwa als Verstörte denken, die sich darin in der Einteilung in Männer, Weiber, Zwergl und Zwitter vor den Kopf gestoßen fanden? Oder waren die Anno Tobak gar mit elementaren Problemen beschäftigt?

    Geschenkt, manche Überlegungen führen zu nichts! Zu nichts anderem als Schädelweh. Judith Gruber-Rizy macht zudem auf ein Dilemma aufmerksam, dem zu entkommen durch die Vergabe von Auszeichnungen keinem, wie paritätisch oder divers auch immer zusammengesetzten Komitee je gelingen kann: immer finden sich am Ende welche, die nicht ausgezeichnet werden, obwohl sie es doch ebenso verdient hätten. Nicht nur, dass die Nobelpreisliste zu wenig Frauen ausweist, zu wenig People of Color, ist auch eine bestimmte Weltsprache überrepräsentiert und finden sich gewisse Literaturtraditionen überhaupt nicht prämiiert. 

    Soll es auch nicht die deklarierte Absicht Helmut Qualtingers gewesen sein, eine Lanze für die einst so bezeichnete „Exotenliteratur“ zu brechen, als er weiland in der Aufmachung des fiktiven Eskimodichters Kobuk am Wiener Westbahnhof aus dem Zug stieg, so mag sich doch in seiner Aktion jene Weisheit erhellen, die einst in folgende Worte gegossen wurde: Übersicht gewinnt nur, wer vieles übersieht.

    „Handgranaten-Herbert“, der als K. H. Scheer zusammen mit Kompagnon Walter Ernsting, vulgo: Clark Darlton, brillierende, bisweilen brüskierende deutsche Science-Fiction-Autor, ließ deutlich vor seinem Ableben mit der launigen Bemerkung aufhorchen, er habe die Hoffnung auf Zuerkennung des Literaturnobelpreises aufgegeben. Dass englische Buchmacher regelmäßig Wetten annehmen vor Bekanntgabe des oder der Geehrten, nämlich auch Wetten darüber, wer ihn diesmal wieder nicht bekommt, kann im Hyper-Kapitalismus des Hochfrequenzhandels, wo man auf Kursverluste setzend, Gewinne realisiert, schon gar nicht mehr verwundern. 

    Findet sich in anderen Zusammenhängen die Konstellation einer gerechteren Verteilung verwirklicht? Mitnichten. Der Pritzker-Preis zum Beispiel, seit Ende der 1970er Jahre an Größen der Architektur vergeben, ehrte erst 2004 mit Zaha Hadid erstmals eine Frau, und eine Weile später mit Sejima Kazuyo, der einen Hälfte des kongenialen Duos SANAA, 2010 die nächste. Der Grawemeyer-Award, seit 1985 dotiert, zeichnete in der Kategorie „Musikkomposition“ bereits 1990 mit Joan Tower eine Frau aus. Es folgten 2003 die Finnin Kaija Saariaho und 2004 die in Berlin lebende Koreanerin Chin Un-suk. (2022 wurde bekanntlich Olga Neuwirth mit dem Preis bedacht.) Der ebenso renommierte Hugo Gernsback Award, je nach Sichtweise ab 1939 oder 1953 erstmals vergeben, zeichnete erst 1970 in der Kategorie „Best Novel“ eine Frau aus, die unvergessene Ursula K. Le Guin. Beim Nebula Award verhielt es sich nur ein kleinwenig besser. 1966 erstmals ausgeschrieben, gewann ihn 1972 mit Katherine MacLean eine Autorin. 1977 James Tiptree, Jr. – wie jede(r) weiß, die/der einschlägig beschlagen ist, ein Pseudonym, der neben Le Guin wohl einflussreichsten Vertreterin dieses Genres! 

    Darüber, was das Geschlechterverhältnis bei Vergabe des Pulitzer-Preises angeht, mögen Vermutungen angestellt werden, mir fehlt inzwischen die Übersicht. Fest steht, die Fields-Medaille hat 2022 mit der Ukrainerin Maryna Viazovska erstmals eine Frau zuerkannt bekommen. Und der Turner Prize, der seit 1984 an vierzig Kunstschaffende, bzw. Kollektive erging, zeichnete bisher immerhin zehn Frauen aus.

    Das alles bildet eine Wirklichkeit ab, die freilich so nicht Wirklichkeit bleiben muss und gewiss nicht bleiben wird.               

1 Kommentar:

  1. Oh ja, wann kommen wir endlich dahin, dass das Geschlecht (das biologische wie das "soziale"/Gender) schlicht keine Rolle mehr spielt.

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