Über Joyce Mansours „Nur Besessene schwänzen das Grab“, aus dem Französischen von Lisa Spalt
Rezension von Dominika Meindl
Beim Lesen der ersten Seiten kam mir (unter mildem Einfluss legaler psychotroper Drogen – es war Wochenende!) die Idee, den ganzen Surrealismus noch einmal von vorne beginnen zu lassen, aber diesmal geschrieben und gemalt und gefilmt ausschließlich von Frauen; das wäre doch ein Experiment!
Joyce Mansour (1928 bis 1986) war eine Französisch schreibende Dichterin mit syrisch-jüdischen Wurzeln, die lange in Ägypten lebte und schließlich nach Paris zog, wo sie sich den Surrealisten anschloss, als eine von wenigen Frauen (ihre Lyrik und Prosa wurden auch von den Männern nach dem binären Schema besprochen, wie sich im Wikipedia-Eintrag nachlesen lässt). Sie selbst überließ ihre Biographie bereitwillig den Spekulationen anderer.
Mansours Erzählungen bewegen sich oft an der Grenze zwischen Wachen und Traum, zwischen Klarheit und Wahn. Die Handlung nachzuerzählen ist nicht ganz leicht, und auch nicht ganz wichtig. Im ersten und längsten Text „Maria oder die Ehre zu dienen“ tut sich eine Frau mit ihrem Mörder zusammen, ihre Schwester hat Sex mit ihrem Kater, der von einer losgelösten Hand erwürgt wird. In „Sonntagskrämpfe“ spricht der von Poesie besessene Narr Hiob in Aphorismen. „Das ist kein Mensch, das ist ein Feuerwerk.“ Und in „Der Krebs“ verliebt sich ein junger Diener in den stetig wachsenden Buckel seiner Herrin.
Die drei Texte dürfen nicht schnell weggelesen werden, im Idealfall findet sich die Zeit, jeden einzelnen Satz im Geiste Form annehmen zu lassen, als läse man ein langes Prosagedicht. Mancher trägt vielleicht zu schwer an seiner psychoanalytischen Metaphorik, aber dann steht wieder ganz Großes da. Da kriechen „Gedanken, kalt wie Nacktschnecken“, da ist ein Mann, „der von allem, was tröstet, entwöhnt war.“ „Die Vögel haben allgemein wenig Humor.“ (Was nicht stimmt, wenn man den tolldreisten Manövern der Dohlen zusieht). Schön auch: „Ich bin nicht zynisch genug, um gegen die Uhr, gegen die Leichtigkeit, gegen die Dummheit zu kämpfen.“ Und dann: „Stille am Rand der Weltveranstaltung“.
Die drei Erzählungen sind nun zum ersten Mal auf Deutsch zu lesen. Ob die Übersetzung kongenial ist, lässt sich nur vermuten, das eigene Französisch ist seit Schultagen verschüttet wie ein Pharaonengrab, aber es ist ohne Risiko anzunehmen, da der Name Lisa Spalt für Qualität bürgt. Das „ständige Mitglied für poetische Alltagsverbesserung“ bezeichnet das Buch im Übrigen scherzhaft als „ein sehr obszönes, heftiges, witziges, grausames Minibuch“, das man nicht in „einer Kinderliteraturzeitschrift“ besprechen sollte. Das ist gut gesagt und sehr richtig!
Joyce Mansour: „Nur Besessene schwänzen das Grab“. Aus dem Französischen von Lisa Spalt. Mit Zeichnungen von Sabine Marte. Czernin Verlag
https://www.czernin-verlag.com/buch/nur-besessene-schwanzen-das-grab
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