Ein Rückblick von
Elisabeth Strasser
Die
Reihe, in der heimische Schriftsteller:innen über von ihnen
verehrte, bewunderte, geschätzte Größen der Literatur sprechen,
sie vorstellen oder in Erinnerung rufen, wurde – wiederum
kuratiert, moderiert von Andreas Weber und stattfindend im 15. Stock
des Linzer Wissensturms – an drei aufeinanderfolgenden Mittwochen
im März 2025 fortgesetzt.
12.3.2025:
Margit Schreiner über Sabine Scholl
19.3.2025:
Walter Kohl über Leonard Cohen
26.3.2025:
Rudolf Habringer über Patricia Highsmith
Einige
Einblicke
Es
ging um persönliche Zugänge, etwa wenn Margit
Schreiner
biografische Parallelen mit der von ihr vorgestellten Sabine Scholl
feststellte: Beide in Oberösterreich geboren, gehören der gleichen
Generation an, beide lebten und arbeiteten in verschiedenen Ländern
(von Japan über Frankreich bis USA u.a.) – oft denselben,
allerdings nicht gleichzeitig. Beide sind Mütter, die ihre Zeit fürs
Schreiben mit der Kinderbetreuung zu vereinbaren hatten. Beide
beschäftigen sich mit autobiografischem Schreiben. – Als Motto
über der Hommage stand „Der Mensch als Frau“. Die Frage, was es
mit sogenannter „Frauenliteratur“ auf sich hat, und wie sich ein
Roman ohne im Text agierende männliche Figuren gestalten lässt, war
Thema, genauso wie Sabine Scholls Interesse für Benachteiligte,
Randgruppen und die Sprache jener, die keine Sprache haben.
Margit
Schreiner im Gespräch mit Moderator Andreas Weber
„Wir
sind die Früchte des Zorns“
lautet der Titel von Sabine Scholls autobiografischem Roman, den
Margit Schreiner insbesondere präsentierte. Eine Besonderheit dabei
ist, dass ausschließlich die Frauen dieser Geschichte als agierende
Personen vorgestellt sind, die Männer nur als deren nebenbei-Anhang
– wie traditionell Frauen oft bloß als „Anhängsel“ eines
Mannes und in Beziehung zu ihm dargestellt wurden. Wenn etwa vom
Ehemann der Hauptfigur die Rede ist, so wird dieser als „Odettes
(Name der Schwiegermutter) Sohn“ bezeichnet. Dennoch gehe es in
Sabine Scholls Werk nicht darum, „es den Männern heimzuzahlen“,
es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern bloß um die Auslassung
ihrer ansonsten so oft vorrangig dargestellten Positionen.
Thema
in Sabine Scholls Werken sind auch der Kolonialismus und seine
Auswirkungen. So stand sie in ihrer Zeit in den USA etwa mit
Chicanos/Chicanas in Kontakt, das sind aus Mexiko in die USA
Eingewanderte mit ihrer speziellen Kultur.
Walter
Kohl
vergegenwärtigte Leonard Cohen-Songs mit Gitarre und Mundharmonika –
gesanglich unterstützt von seiner Frau Christiane Marina Kohl –
und unterlegte am Schluss Cohens berühmtes „Halleluja“ mit
seinem (kürzlich bei der „Langen Nacht der GAV“ vorgetragenen)
Mundarttext „A Glashausgurkn möcht i sein“.
Walter
Kohl erzählt, bevor er zusammen mit Christiane Marina Kohl wieder zu
singen anhebt
Dazu
gab es interessante Aspekte zu den Hintergründen einiger Songtexte
zu erfahren, und Cohen wurde auch als Romanautor vorgestellt. Denn –
obwohl er in seiner Jugend bereits in einer Band spielte
(insbesondere, um Mädchen zu beeindrucken) – begann der 1934 in
Kanada in eine gutbürgerliche jüdische Familie geborene Leonard
Cohen seine Karriere als Dichter und auch Romanautor, bevor er sich
hauptsächlich der gesanglichen Interpretation seiner Lyrik zuwandte.
Zwei
Romane wurden an dem Hommagenabend erwähnt: Das
Lieblingsspiel/The
Favourite Game
(1963) und Schöne
Verlierer/Beautiful
Losers
(1966). – Ersterer wurde bezeichnet als „Roman für pubertierende
männliche Jugendliche – in deren Lebensvorstellung Sex die
Erlösung darstellt“. Bei zweiterem werden vier Personen
vorgestellt, ein Paar samt dessen Freund, mitsamt „Sex &
Drugs“, und dazu Kateri/Catherine Tekakwitha, eine Angehörige der
Mohawk aus dem 17. Jh., die nach einer Pockenerkrankung in einem
Kloster aufwächst, als „virgo consecrata“, d.h. geweihte
Jungfrau, lebt und schließlich heiliggesprochen wird. Ihre
Geschichte verschränkt sich mit jener der weiteren drei
Hauptfiguren.
Besonders
berührend war, den Hintergrund des vorgetragenen Songs „Who
by Fire“
zu erfahren: Leonard Cohen trat während des Jom-Kippur-Krieges 1973
vor israelischen Soldaten auf. Da konnte geschehen, dass jene, die
ihm zuhört hatten, wenige Stunden später tot waren. Davon und durch
den jüdischen Gebetstext „Unetanneh Tokef“ inspiriert, entstand
das Lied. Während der jüdische Text – nachdem verschiedenste
Todesarten genannt sind – letztendlich auf die Größe Gottes
hinausläuft, endet bei Cohen jede Strophe mit der offenen Frage:
„And who shall I say is calling?“
Wie
aus einer notierten Skizze nach einer eindrucksvollen persönlichen
Begegnung ein Roman entstehen kann, damit beschäftigte sich Rudolf
Habringer
anhand der Entstehungsgeschichte des Romans „Das
Salz und sein Preis“
von Patricia Highsmith unter anderem in seiner Hommage. Dieser 1952
zunächst unter Pseudonym veröffentlichte Roman, in dem es um eine
lesbische Liebesbeziehung, die glücklich endet, geht (was zu der
Zeit als doch etwas „problematisch“ galt), wurde rund 30 Jahre
später unter dem eigenen Namen der Autorin neuerlich veröffentlicht
und mit dem Titel „Carol“ verfilmt.
Rudolf
Habringer stellt Skizze und Roman gegenüber
Das
Besondere an diesem Roman ist, dass er sich von anderen berühmteren
Erzählungen der Autorin unterscheidet, in denen es um Verbrechen
geht, die jedoch keine klassischen Kriminalgeschichten mit Ermittlern
sind. Denn nicht die Auflösung des Kriminalfalls interessiert sie
und stellt sie der Leserschaft vor, sondern das Dunkle, die
kriminellen Anlagen, die in jedem Menschen vorhanden seien. Highsmith
arbeitete eine Zeit lang als Texterin in einer Comic-Agentur und
nicht alle ihrer Bücher wurden sofort von Verlagen angenommen. Einer
ihrer bekanntesten Romane „Zwei Fremde im Zug“, der bald nach
Erscheinen von Alfred Hitchcock verfilmt wurde, und der allzu
berühmte „talentierte Mr. Ripley“ (aus der Reihe gibt es fünf
Romane und etliche Verfilmungen) wurden – ihrer allgemeinen
Bekanntheit wegen – nicht näher vorgestellt. Dafür gab es
Einblicke ins Privatleben der Autorin, das gut bekannt ist aufgrund
ihrer mehrere tausend Seiten umfassenden Tagebücher, die sie für
Veröffentlichung vorsah, so wie sie ihren gesamten schriftlichen
Nachlass dem Diogenes Verlag hinterließ. Dabei geht es unter anderem
um ihre (gelinde gesagt) „schwierige“ Beziehung zu ihrer Mutter,
ihre zahllosen Liebesaffären mit Frauen, ihre Alkoholsucht, ihre
Manie des Listen-Schreibens und ihr Schreibpensum von acht Seiten
täglich.
Mit
der für die Hommage vorbereitenden Lektüre der über 1000 Seiten
starken Patricia-Highsmith-Biografie von Joan Schenkar („Die
talentierte Miss Highsmith“) hat
Rudolf Habringer ein beachtliches Pensum bewältigt und damit der
Zuhörerschaft das Leben und Werk dieser faszinierenden
Schriftstellerin eindrucksvoll nahegebracht.
Information
und Inspiration
Informationen
über die Vorgestellten lassen sich heute – dank Internet –
leicht und schnell bekommen. Biografien der Autor:innen und Näheres
zu deren Werken lassen sich z.B. auf Wikipedia zumindest im groben
Überblick nachlesen. Es finden sich – beispielsweise auf Youtube –
Filmportraits der Berühmtheiten, Aufnahmen ihrer Auftritte oder auch
Verfilmungen/Hörfassungen ihrer Romane.
In
dieser Fülle an Information braucht es trotzdem und gerade
Orientierung. Die „Hommagen“ taugen somit ganz besonders dazu,
durch persönliche Zugänge der Vortragenden aufmerksam gemacht zu
werden, sich mit der einen oder anderen bedeutenden Persönlichkeit
(wieder) näher zu beschäftigen, sie entweder überhaupt erst
kennenzulernen oder neue Facetten an ihr zu entdecken. Und wenn das
alles von Menschen kommt, die einem persönlich gegenübersitzen, wo
noch dazu Möglichkeit zu Fragen und Gespräch besteht, ist das noch
einmal etwas ganz Besonderes – und Inspiration. – Das ist das
Wunderbare an einer Life-Veranstaltung.
Eine
Menge Anregungen – Was ich aus den Hommagen mitgenommen habe
Sabine
Scholls Zugang der Auslassungen etwa gibt Impulse zum Weiterdenken.
Ebenso die Überlegungen zum Begriff „Frauenliteratur“, der
eigentlich schon längst als überholt gelten sollte. – So wie im
Vortrag gesagt wurde: Es wird schließlich auch kein Autor als
„Männerschriftsteller“ bezeichnet.
Patricia
Highsmith könnte man sich in Originalsprache zu lesen vornehmen, da
über ihren Schreibstil (von ihren Zeitgenossen) gesagt wurde, auch
Schulkinder fänden sich damit leicht zurecht.– Vor allem aber
interessant scheint (besonders für selbst literarisch Schreibende)
ihr Essay „Suspense
oder Wie man einen Thriller schreibt“.
Was
Leonard Cohen betrifft, habe ich mir nach der Hommage etliche seiner
Songs angehört, erstmals oder wieder neu mit neuem Wissen um
Hintergründe. – Vor allem einige Aufnahmen seines Konzerts 2013 in
London – wo jene Antwort auf eine wichtige Frage vorkommt, die
Walter Kohl erwähnte. Diese sei an der Stelle nicht verraten für
jene, die nicht bei der Hommage dabei waren. Lässt sich aber nach
Anhören der Aufnahme rausbekommen.
Von
Patricia Highsmith stammt der Ausspruch, mit dem sie wohl auf ihre
eigene Kindheit anspielte: Wer mit einer glücklichen Kindheit
gesegnet sei, werde fast nie ein guter Autor.
Da
ist etwas dran, denn gerade das Schwere, Brüche im Leben, führen
oft dazu, dass Großartiges entstehen kann. – Das wissen wir wohl
als Menschen alle, gleich ob wir (bekannte) Autoren/Autorinnen sind
oder nicht.
Eindrücklich
kommt dieser Gedanke in Leonard Cohens Poem „Anthem“
zum Ausdruck:
Da
ist ein Riss, ein Sprung (a crack) immer wieder da, doch gerade durch
diesen kann Licht eindringen: wirkliche Freude, Erneuerung, große
Kunstwerke, alles, was das Leben schön und lebenswert macht.
Als
Abschluss dieses Beitrags sei der Refrain zitiert. Es lohnt sich, die
Aufnahme des Londoner Konzerts anzuhören, wo Leonard Cohen den
Refrain anfangs mit seiner eindrucksvollen Stimme spricht: Leonard
Cohen - Anthem (Live in London)
Ring
the bells that still can ring / Forget your perfect offering
There
is a crack, a crack in everything / That’s how the light gets in.
Text und Fotos:
Elisabeth Strasser