Donnerstag, 28. April 2022

KURGARTEN IV

Eine Materialsammlung aus 30 Tagen Atelieraufenthalt in der Villa Rabl / Bad Hall. 

Lisa-Viktoria Niederberger


Urlaubsorange

Vorm Gastgarten plätschert der Brunnen. Die Vögel tun, als wäre es schon Frühling und irgendwo klingelt ein Handy. Schulkinder spielen das, was bei uns Der Hase läuft über das Feld hieß, im Kurgartentheater. Auf der Freiluftbühne steht ein Kind mit dem Rücken zum Park und schreit etwas in Phantasiesprache. Kinder in Skihosen und dicken Jacken rascheln auf es zu. Wer nicht stillsteht, wenn das Bühnenkind sich umdreht, hat verloren. Ein Mädchen macht Maschinengewehrgeräusche, der Reihe nach fallen Kinder um. Bleiben kichernd im Schotter, auf der Erde, in den Büschen liegen.  Ich spüre zum ersten Mal in diesem Jahr ordentlich Sonne im Gesicht, dieses Urlaubsorange innen am Augenlid. Kiesknirschen, der Kellner räuspert sich. 

Mahlzeit, bitte? Ein kleines Soda Zitron und ein Cappuccino bitte. Der ist bei uns mit Milchschaum. Gut. Richtige Milch haben wir. Sie meinen, Kuhmilch? Ja, Kuhmilch, selbstverständlich. Was sonst. Naja, Hafer oder so. Ha, Hafer, nein, also, das hamma nicht. Hätten Sie leicht. Naja, ich hätte schon. Aber sie haben eh nicht, also. Warten Sie, ich hab gleich das 3G. Sie waren schon mal da. Ja. Aber da waren Sie drinnen. Ja. Da war es auch nicht so schön, wie Sie das letzte Mal da waren. Sie wissen das noch? Das weiß ich noch. Der Cappuccino, der kommt gleich. Wollen Sie nicht 3G? Sie waren ja schon mal da.

Vorm Gastgarten plätschert der Brunnen. Die Vögel tun, als wäre es schon Frühling und mein Handy sagt, überall explodieren wieder die Inzidenzen. Zwei Zivildiener tragen große Plastikboxen voller PCR-Teströhrchen ins Nebengebäude. Ich schaue wieder ins Urlaubsorange, und im Beet vor mir lachen noch immer die Kinder, während sie so tun, als wären sie tot.


Amselabwehr

Denn auch der Kunst- und Kultursektor hat ein Diversitätsproblem. Ich sitze an einem Auftragstext. Nicht schreiben, aufhübschen. Klarere Sätze. Aktiv her, Passivkonstruktionen weg. Aus einem Monstersatz zwei oder drei kurze, knackige machen. Ich stehe an: alle Synonyme für Netzwerk aufgebraucht, aber noch viel Netzwerk da.  Am Balkon fetzen sich zwei Amselmännlichen. Knallorange Schnäbel picken schwarze Federn. Die Meisen schauen zu. Partizipationsplätze im Kulturbetrieb erleichtern Personen aus unterschiedlichen Kulturen und Lebenszusammenhängen Interaktion. Auch von den umliegenden Bäumen schimpfen die Meisen. Wollen ungestört zu den Sonnenblumenkernen. Die Futterstelle am Balkon habe ich dreimal geändert. Jetzt liegen die Kerne trocken und ich kann den Tieren vom Schreibtisch aus beim Fressen zusehen. Die Amseln denken gar nicht dran zu verschwinden, wo zu kämpfen wo sie nicht im Weg sind. Dass Meisen so laut sein, so dermaßen schimpfen können. Auch der Kurgartenpark hat ein Diversitätsproblem. Meisenangriff. Amselabwehr. Tusch. Meise gegen Glasdach, bleibt aber flugfit. Tusch verjagt Amseln. Meise verliert Bauchfedern. Weiche, winzige Meisenbauchfedern, wie Schnee. Ruhe am Balkon. Ich wieder in den Text. Es braucht neben Sensibilisierungsmethoden auch Selbstermächtigungsstrategien für marginalisierte Meisen Akteuer*innen. 


Der Bürgermeister

Er geht jeden Tag die Kurpromenade auf und ab. Nein, er promeniert. Mit einem Zigarillo. Jeden Vormittag, wenn ich in der Küche aus dem Fenster sehe, mir die drei Minuten vertreibe, bis mein Tee durchgezogen ist, sehe ich ihn. Wie ihm die Promenade gehört, wie er alles inspiziert. Der Trachtenhut mit dem Gamsbart, der graue Janker mit den Stickereien, Haferlschuhe: egal, ob er es wirklich ist, oder nicht, für mich ist er der Bürgermeister. Aufgequollen rot ist seine Nase und würde eine junge Frau so einen prallen Bauch durch den Kurgarten schieben, sie würde oft gefragt werden, wann es den so weit ist. Vielleicht gibt es eine Frau Bürgermeisterin, vielleicht sagt sie oft, es würde ihm guttun, wenn er abnehmen würde, weniger trinken. Der Franzl, der Peter, der Horst. Aber der Bürgermeister würde sich auf den Bauch klatschen mit der flachen Hand, ihr erklären, dass sie das nicht versteht. Wie er am Freitag am Bauernmarkt der erste ist, dem die Standler ein Achterl hinstellen. Wie sie beim Stammtisch immer zusammenrutschen, für den Bürgermeister ist immer Platz. Dass Schnaps ein Schmiermittel ist, ein soziales. Alle grüßen ihn, bei seinem Spaziergang auf der Kurpromenade. Der Bürgermeister steht vor der Rabl Villa, blau wabert ihm der Zigarillorauch aus der Nase. Er schaut auf die Wiese vor der Villa, schüttelt den Kopf und zieht ein Klapphandy aus der Brusttasche seines Jankers. Ruft jemanden an, da muss sich jemand um das ganze Laub in der Wiese kümmern. Wie das ausschaut. 

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