Das Schöne an einem Flor an Möglichkeiten ist genau das: ein Bukett
an Möglichkeiten, aus dem eine zu ergreifen man nicht gezwungen ist,
um sich seiner zu erfreuen. Etwa die Wahl zwischen, sagen wir,
Base-Jumping, Botanisiertrommelfüllen oder einen drauf zu machen mit
Freunden im Gastgarten. Um sich dann trotzdem dafür zu entscheiden,
einer virtuosen koreanischen Konzertpianistin & Korrepetitorin zu
ihren Übungsanfällen die Notenblätter zu wenden. Wie anders
verhält es sich aber, wenn einem das Vielfache an Möglichkeiten mit
einem Schlag versagt bleibt? Und man sich in Selbstvorwürfen der
Sorte ergeht: Hätte man doch, als es noch ging…
Blöd gelaufen. Sich an die Stirn zu klatschen, hilft aber auch
nichts.
Nach Abhilfe vergebens sucht man im Kühlschrank. Das Bier, dem eben
erst ausgetrunkenen nachgelegt, ist dafür noch zu warm. Man versenkt
sich in die Lektüre von Büchern und wähnt sich beim Wiederlesen
einst unterstrichener Passagen der Holzköpfigkeit überführt. Warum
nur konnte man sich nicht merken, was zu merken man sich vorgenommen
hatte, um es ein-, zweimal sloterdijkmäßig in jeweils
passendem Zusammenhang zitieren zu können? Warum bloß vermag man
auch in Zeiten des verordneten Eigenheimkarzers Fremdsprachen nur
nach der Lenin-Methode zu lernen? Ein Schritt vor, zwei Schritte
zurück. Da möchte man aus dem Fenster springen, aber man wohnt
nicht so hoch oder so gediegen, als dass es etwas hermachen würde
wie bei Stuckrad-Barre im Chateau Marmont.
Gafft man aus dem Fenster, sieht man den Hausherrn von gegenüber –
der der Konzertpianistin einst das Quartier wegen Lärms
gekündigt hat und sich leidenschaftlich mit Leergebindesammeln
beschäftigt, weil ihm als Partikülier an gewichtigem Betreiben
offensichtlich sonst nichts obliegt – wie er Glasscherben von der
Schippe in die grüne Tonne beserlt. Aufschdeh, auziagn, owegeh
in d’goschn haun, wie es in Georg Danzers Lied vom Wessely
heißt? Gäbe es da nicht das geltende Ausgangsreglement, wägt man
es kurz ab. Man finge sich, sich dem widersetzend, mindestens eine
Anzeige wegen Körperverletzung ein.
Also turnen in den eigenen vier Wänden. Kann es etwas Affigeres
geben? Ja, nämlich seine Wände zu tapezieren. Oder, wie Čechov
erkannte, Laubsägearbeiten.
Dem Geschrei nach zu urteilen, zersägen sich Nachbars gerade
gegenseitig.
Man hört regelmäßig Radio. Natürlich Ö1. Und verpasst trotzdem
die Sendung, die neueste Kompositionen der mit dem Grawemeyer
Award Bedachten Chin Un-suk vorstellt.
Die Post stellt einem ein weiteres Rezensionsexemplar für die von
einem Kumpel betreute Japan-Web-Seite zu. Eine schöne Dissertation,
die sich kulturhistorisch mit dem Aufstieg Tokios zur
Gourmet-Weltstadt befasst. Man bedankt sich mittels blízpost
bei der dafür Verlagsverantwortlichen in München. Eben hatte die
Süddeutsche berichtet, in der Fasanerie wäre eine
chinesischstämmige Münchnerin von einem Halbdebilen unter „Corona!
Corona!“-Geschrei mit einem Antiseptikum attackiert worden. Die
Verlagsverantwortliche antwortet, sie lese die FAZ. Fasst man es? Es
rinnt noch viel Wasser die Rur runter, ehe Deutschland sein Ischgl
benennt: Heinsberg.
Man fängt an, Zeitungen (die die Bezeichnung verdienen; also keine
Arschwische) zum Thema für eine Zeitkapsel zu sammeln –
warholmäßig. Und weil einem schön langsam flau wird.
Slavoj Žižek verkündet in der Neuen Zürcher, Hegels
Analyse „Der Geist ist ein Knochen“ paraphrasierend, „Der Geist
ist ein Virus.“ Bramarbasierte er doch mit weniger Beunruhigendem,
dünkt einem.
Giorgio Agamben wird fuchsteufelswild und schmettert einen
Rundumschlag gegen einen sich totalitär gebärdenden Staat und eine
katholische Kirche, die auf ihre Mission pfeift.
Für die Zeitkapsel legt man unter anderem ab: Die Karikatur aus dem
Economist vom 14. März, die den geplanten Einkauf des
Notwendigsten vor dem Rückzug ins Home-Office sarkastisch
thematisiert: KLOPAPIER & DESINFEKTIONSMITTEL SIND ALLE!
Man kann Mutter im Pflegeheim nicht besuchen. Die, obwohl nur sehr
eingeschränkt mobil, droht damit sich abzuseilen.
Martin Amanshauser reist zur Abwechslung einmal nicht weit, weit weg
oder ins Trappistenkloster, sondern tritt in die Fußstapfen Xavier
des Maistres, leiert also die Voyage autour de ma chambre
neu an. Es heißt, K.-M. Gauß habe das auch schon gemacht, vor
Pandemiezeit. Man selbst trifft auf der Tour allenthalben den
Staubmolch.
Als Hörbuch zieht man sich Safranskis kongeniale Goethe-Studie rein.
Und bekommt auch da von CORONA zu hören. Allerdings: Corona
Schröter.
Die Berichterstattung über die Fälle der Erkrankungen lässt einen nicht
unberührt, es sei denn man wäre aus gebranntem Ziegelton, sprich:
ein Backstein. Oder der Golem selbst. Aber als goj? Finde
einem Virus eine Vakzine, auf dass es sich vertschüsst wie ein
Bauernfänger, dem keiner mehr auf den Leim, geht…!
Kurze Ausflüge in die Botanik werden im Anti-G7-Outfit gestartet.
Man könnte glattweg als Verlauster mit Radikalisierungsgelüsten
durchgehen, sähen die anderen auch nicht viel besser aus in ihrer
improvisierten Kostümierung.
Und schon wieder steht Linz vor einem Abriss. Bald wird diese Stadt
das Bielefeld-Schicksal erleiden, von der auch kein vernünftiger
Mensch glaubt, dass sie tatsächlich existiert.
Begeisterung, heruntergedimmt, kommt nur auf, wenn man feststellt,
dass im Kühlschrank zwischenzeitlich das Bier kalt geworden ist. Und
man noch Schnaps in der Speis hat.
In wiederkehrender Niedergedrücktheit sinnt man dem Ableben der
Künstlerin Emilie Goldmann (
Dezember 1992) nach. Und natürlich, wie schon hunderttausendmal
vorher, kommt ein beklemmendes Würgen im Hals dabei heraus.
Völkern der Wüste, heißt es, gilt der Tränenfluss als Vergeudung
von Wasser.
Und noch ein Runterzieher: Ror Wolf ist tot.
Könnte man doch, die Arme hochreißend, Ist nicht wahr
ausrufen, um es nicht wahr sein zu lassen!
Bernhard Hatmanstorfer, März/April 2020
"Begeisterung, heruntergedimmt, kommt nur auf, wenn man feststellt, dass im Kühlschrank zwischenzeitlich das Bier kalt geworden ist. Und man noch Schnaps in der Speis hat." Ja - und das ist nicht Nichts! Vielleicht ist es der Oik, der unsere Radikalisierungsgelüste bremst.
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