Dienstag, 21. April 2020

Aufgelaufen in Quarantanien - Nachrichten aus dem Inneren

Von Bernhard Hatmanstorfer

Das Schöne an einem Flor an Möglichkeiten ist genau das: ein Bukett an Möglichkeiten, aus dem eine zu ergreifen man nicht gezwungen ist, um sich seiner zu erfreuen. Etwa die Wahl zwischen, sagen wir, Base-Jumping, Botanisiertrommelfüllen oder einen drauf zu machen mit Freunden im Gastgarten. Um sich dann trotzdem dafür zu entscheiden, einer virtuosen koreanischen Konzertpianistin & Korrepetitorin zu ihren Übungsanfällen die Notenblätter zu wenden. Wie anders verhält es sich aber, wenn einem das Vielfache an Möglichkeiten mit einem Schlag versagt bleibt? Und man sich in Selbstvorwürfen der Sorte ergeht: Hätte man doch, als es noch ging…
Blöd gelaufen. Sich an die Stirn zu klatschen, hilft aber auch nichts.
Nach Abhilfe vergebens sucht man im Kühlschrank. Das Bier, dem eben erst ausgetrunkenen nachgelegt, ist dafür noch zu warm. Man versenkt sich in die Lektüre von Büchern und wähnt sich beim Wiederlesen einst unterstrichener Passagen der Holzköpfigkeit überführt. Warum nur konnte man sich nicht merken, was zu merken man sich vorgenommen hatte, um es ein-, zweimal sloterdijkmäßig in jeweils passendem Zusammenhang zitieren zu können? Warum bloß vermag man auch in Zeiten des verordneten Eigenheimkarzers Fremdsprachen nur nach der Lenin-Methode zu lernen? Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück. Da möchte man aus dem Fenster springen, aber man wohnt nicht so hoch oder so gediegen, als dass es etwas hermachen würde wie bei Stuckrad-Barre im Chateau Marmont.
Gafft man aus dem Fenster, sieht man den Hausherrn von gegenüber – der der Konzertpianistin einst das Quartier wegen Lärms gekündigt hat und sich leidenschaftlich mit Leergebindesammeln beschäftigt, weil ihm als Partikülier an gewichtigem Betreiben offensichtlich sonst nichts obliegt – wie er Glasscherben von der Schippe in die grüne Tonne beserlt. Aufschdeh, auziagn, owegeh in d’goschn haun, wie es in Georg Danzers Lied vom Wessely heißt? Gäbe es da nicht das geltende Ausgangsreglement, wägt man es kurz ab. Man finge sich, sich dem widersetzend, mindestens eine Anzeige wegen Körperverletzung ein.
Also turnen in den eigenen vier Wänden. Kann es etwas Affigeres geben? Ja, nämlich seine Wände zu tapezieren. Oder, wie Čechov erkannte, Laubsägearbeiten.
Dem Geschrei nach zu urteilen, zersägen sich Nachbars gerade gegenseitig.
Man hört regelmäßig Radio. Natürlich Ö1. Und verpasst trotzdem die Sendung, die neueste Kompositionen der mit dem Grawemeyer Award Bedachten Chin Un-suk vorstellt.
Die Post stellt einem ein weiteres Rezensionsexemplar für die von einem Kumpel betreute Japan-Web-Seite zu. Eine schöne Dissertation, die sich kulturhistorisch mit dem Aufstieg Tokios zur Gourmet-Weltstadt befasst. Man bedankt sich mittels blízpost bei der dafür Verlagsverantwortlichen in München. Eben hatte die Süddeutsche berichtet, in der Fasanerie wäre eine chinesischstämmige Münchnerin von einem Halbdebilen unter „Corona! Corona!“-Geschrei mit einem Antiseptikum attackiert worden. Die Verlagsverantwortliche antwortet, sie lese die FAZ. Fasst man es? Es rinnt noch viel Wasser die Rur runter, ehe Deutschland sein Ischgl benennt: Heinsberg.
Man fängt an, Zeitungen (die die Bezeichnung verdienen; also keine Arschwische) zum Thema für eine Zeitkapsel zu sammeln – warholmäßig. Und weil einem schön langsam flau wird.
Slavoj Žižek verkündet in der Neuen Zürcher, Hegels Analyse „Der Geist ist ein Knochen“ paraphrasierend, „Der Geist ist ein Virus.“ Bramarbasierte er doch mit weniger Beunruhigendem, dünkt einem.
Giorgio Agamben wird fuchsteufelswild und schmettert einen Rundumschlag gegen einen sich totalitär gebärdenden Staat und eine katholische Kirche, die auf ihre Mission pfeift.
Für die Zeitkapsel legt man unter anderem ab: Die Karikatur aus dem Economist vom 14. März, die den geplanten Einkauf des Notwendigsten vor dem Rückzug ins Home-Office sarkastisch thematisiert: KLOPAPIER & DESINFEKTIONSMITTEL SIND ALLE!
Man kann Mutter im Pflegeheim nicht besuchen. Die, obwohl nur sehr eingeschränkt mobil, droht damit sich abzuseilen.
Martin Amanshauser reist zur Abwechslung einmal nicht weit, weit weg oder ins Trappistenkloster, sondern tritt in die Fußstapfen Xavier des Maistres, leiert also die Voyage autour de ma chambre neu an. Es heißt, K.-M. Gauß habe das auch schon gemacht, vor Pandemiezeit. Man selbst trifft auf der Tour allenthalben den Staubmolch.
Als Hörbuch zieht man sich Safranskis kongeniale Goethe-Studie rein. Und bekommt auch da von CORONA zu hören. Allerdings: Corona Schröter.
Die Berichterstattung über die Fälle der Erkrankungen lässt einen nicht unberührt, es sei denn man wäre aus gebranntem Ziegelton, sprich: ein Backstein. Oder der Golem selbst. Aber als goj? Finde einem Virus eine Vakzine, auf dass es sich vertschüsst wie ein Bauernfänger, dem keiner mehr auf den Leim, geht…!
Kurze Ausflüge in die Botanik werden im Anti-G7-Outfit gestartet. Man könnte glattweg als Verlauster mit Radikalisierungsgelüsten durchgehen, sähen die anderen auch nicht viel besser aus in ihrer improvisierten Kostümierung.
Und schon wieder steht Linz vor einem Abriss. Bald wird diese Stadt das Bielefeld-Schicksal erleiden, von der auch kein vernünftiger Mensch glaubt, dass sie tatsächlich existiert.
Begeisterung, heruntergedimmt, kommt nur auf, wenn man feststellt, dass im Kühlschrank zwischenzeitlich das Bier kalt geworden ist. Und man noch Schnaps in der Speis hat.
In wiederkehrender Niedergedrücktheit sinnt man dem Ableben der Künstlerin Emilie Goldmann ( Dezember 1992) nach. Und natürlich, wie schon hunderttausendmal vorher, kommt ein beklemmendes Würgen im Hals dabei heraus.
Völkern der Wüste, heißt es, gilt der Tränenfluss als Vergeudung von Wasser.
Und noch ein Runterzieher: Ror Wolf ist tot.
Könnte man doch, die Arme hochreißend, Ist nicht wahr ausrufen, um es nicht wahr sein zu lassen!


Bernhard Hatmanstorfer, März/April 2020

1 Kommentar:

  1. "Begeisterung, heruntergedimmt, kommt nur auf, wenn man feststellt, dass im Kühlschrank zwischenzeitlich das Bier kalt geworden ist. Und man noch Schnaps in der Speis hat." Ja - und das ist nicht Nichts! Vielleicht ist es der Oik, der unsere Radikalisierungsgelüste bremst.

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