Freitag, 24. April 2020

Drogen-Apnoe, Nackenkrebs und fette Spatzen im Wind // Meindl im Lockdown

Von Dominika Meindl. Nachrichten aus dem Inneren, Teil 2
 
1. April
Mir träumt jetzt viel von Skitouren. Vorgestern sollte ich kurzfristig für das Festival der Regionen in die Schweiz, und zwar mit Sting(!?) als Bergführer, der auch freundlich blieb, als er mir die ganze Ausrüstung zusammenschnorren muss, weil man in Träumen nie weiß, was man in der Früh alles einpacken soll. Gestern musste ich eine letzte große Prüfung ablegen, damit mein Leben seine Richtigkeit hat – leider hat es einen schönen Schnee, sodass ich mich nicht konzentrieren kann, und leider ist das Prüfungsfach Chemie, sodass ich nicht einmal den Angabentext verstehe. 

 
Abb. 1.: Symbolbild "Meindl kommt nicht hin, wo sie hinmöchte" 

2. April
In der Nacht habe ich vergessen, wo mein Auto steht; schon etwas verzweifelt läute ich bei Franz Schuh(?!), der hilfsbereit, aber keine Hilfe ist. Zerrüttet gehe ich zurück auf die Straße, da steht mein Volvo 244 GL und tut, als wäre nichts gewesen (und als hätte er es mir im wahren Leben verziehen, dass ich ihn damals um 4000 Schilling nach Nigeria verklopft habe).

Ganz ich selbst sein zu dürfen, ist ein Privileg, das ich mir alleine vorbehalte (es hat viel mit zerrissenen Pullovern und ungewaschenen Haaren zu tun).

Mit wachsendem Interesse beobachte ich die Vogerln vor dem Fenster (=Symptom wachsender Verrücktheit).

3. April
Nützliche neue Begriffe: „Cyberloafing“ („das Internet auslesen“) und „Wohlfühlpanik“ (Grissemann).

Weil mich die gefiederten Freunde immer stärker begeistern, schicke ich der Familie Whatsapp-Nachrichten wie „Ein Rotkehlchen hat gerade vom Apfelbaum gekackt“, „Drei Stieglitze rumoren im Vogelhaus“ und „Ich frühstücke jetzt immer zwei Stunden lang wegen der Ornithologie!“, und eine Schwester schreibt nur „Was wäre der Unterschied zu deinem früheren Leben?“ Die herrliche Beobachtung, dass sich eine Blaumeise den Flaum, den sich die raufenden Stieglitze gegenseitig ausrupfen, zum Nestbau fladert, vergönne ich der undankbaren Mischpoche nicht mehr. Frisurenmäßig nähere ich mich übrigens zusehends den Haubenmeisen an. 

Abb. 5.: Lopophanes cristatus. Charakteristisch ist die schwarz-weiß gemusterte Federhaube.
 
5. April
In der Nacht wird mir ein inoperabler Hirntumor diagnostiziert, mehr als ein Jahr sei nicht mehr drin, sagte der Arzt nebenbei. Ich bin enttäuscht von mir selbst, weil ich beim Romanschreiben so faul gewesen bin und jetzt nichts habe, was ich einem Verlag mit dem verkaufsfördernden Hinweis auf meinen Tod aufschwatzen könnte. Als ich überlege, einfach im Toten Gebirge verschollen zu gehen, wache ich auf. Nie mehr Weißwein vor dem Schlafengehen.

7. April
Mangels Deadlines fehlt mir etwas der Zug am Ski. Ich organisiere lauter Sachen und ärgere mich, dass ich so viel organisieren muss, weiß aber, dass ich eh nichts anderes zu tun habe.

Ein Drittel meiner Vögel sind graues Gefleder, die zu führen meine Bestimmbücher sich zu schade sind. Ich solidarisiere mich (=manifester Wahnsinn).

8. April
Ich glaube schon, dass es mir gut geht, aber vielleicht auch nicht, man kann das nie ganz wissen. Der Körper spricht zu mir: Mein Genick ist so weh und steif, dass ich mich bewege wie Fester von der Addams Family. Alle schwärmen jetzt vom Himmel ohne Kondensstreifen, nur ich kann den Kopf nicht heben. Wie die armen Schweine, die ihr kurzes Lebtag lang nicht nach oben sehen können.

Ob die Quarantäne einmal als ergiebige Zeit in die Kunstgeschichte eingehen wird? Eher nicht, wir beschäftigen uns jetzt alle noch mehr mit uns selbst; und alle, die wirklich etwas erleben, haben keinen Nerv, darüber auch noch einen Roman zu schreiben. Siehe Facebook; alle nähen Masken, backen Brot und führen sich in den Kommentarsektionen auf wie die Stieglitze im Vogelhaus. Sobald ich unseren Kanzler bei einer seiner messianischen Verkündigungen sehe, zetere ich selbst wie ein Rohrspatz (zum Glück bin ich nicht auf Twitter).

9. April
Am Spering-Sattel ab Höhe der Funkstation liegt noch so viel Schnee, dass ich mit meinen Halbschuhen eigentlich umdrehen sollte, aber die Beine stapfen unvernünftig weiter wie pubertierende Zwillinge, und bald stehe ich mit waschelnassen Zehen in einem nordseitigen Hang, nach oben sehen kann ich nicht, wegen meines furchtbaren Genicks, und ich frage mich, warum ich so etwas IMMER mache, ein jedes Mal stehe ich beim Wandern irgendwo in der Botanik, weil ich die Person bin, die ich bin. 

 Abb. 3.: Schillereck. Charakteristisch ist die schwarz-weiß gemusterte Gipfelhaube. 

Im Traum trage ich meinen japanischen Godzilla-Gummikopf als Atemschutzmaske, was wirksam ist, weil er mich generell am Atmen hindert. Ich erwache und finde mich auf dem Rücken um Atem ringend, offenbar in Novalgin-Apnoe. Der Nacken ist so schlimm geworden, dass ich mir den Kopf halten muss, wenn ich mich umdrehen will.
Am Morgen handle ich wie jeder erwachsene, vernünftige Mensch: Symptome googeln (Suchanfragen „Gibt es Nackenkrebs“ und „Tod durch Halswirbelsäulenarthrose“) und dann den Vater anrufen, dabei versuchen, nicht gar zu jämmerlich zu klingen. Er rät zu Voltaren, wie seit 42 Jahren. Gerissene Kreuzbänder? „Nimm' die 100er.“ Liebeskummer? „Eine retard, auf den Magen aufpassen.“ Einkommensverlust durch Corona? „Eine 50er zum Frühstück, und nimm' dir in der Zwischenzeit das Geld, das ich für die Putzfrau liegen lassen habe.“ Ich nehme eine Voltaren dissolv, dann trage ich die riesigen Blumenkübel in den Garten und habe am Nachmittag schon vergessen, dass ich beinahe an meiner Vorerkrankung verstorben wäre. 

 Abb. 4.: Godzillakopf auf Meindlleib. Charakteristisch ist die schwarz-grün gemusterte Gummihaube.

10. April
Als Vegetarierin am Karfreitag ein Porträt über den Leberkaspepi schreiben. #wertewandel

12. April. Ostersonntag
Buttinger, steh' auf, ich hab' dir ein Osternest versteckt.“
Erklär' mir die Regeln.“
Was?!“
Sonst finde ich es nie.“
Deine Wohnung ist nicht Sibirien!“
Sag' mir wenigstens, ob es in einem Kastl ist.“
BUTTINGER!“
Er steht unwillig auf, geht umweglos ins Badezimmer und bückt sich nach der Whiskeyflasche, die ich ihm liebevoll in den Schmutzwäschekorb gelegt habe.

13. April
Jeden Montag schaue ich im Kalender nach, ob diese Woche eh nichts ist. Die Spuren der Eintragung „Slowenien Skitour Abfahrt“ sind fast nicht mehr zu erkennen.

Mein Erwerbsleben kann sich so wenig zwischen Dasein und Tod entscheiden wie ein Zombie; zu tun hätte ich immer etwas, bezahlt werde ich dafür auch ohne Corona nie und ich brauche keine Quarantäne, um die Besteckladen neu zu sortieren, anstatt den depperten Roman fertig zu schreiben. Die Ex-Erziehungsberechtigten rufen akkurat in dieser sensiblen Phase an, sie hätten in den OÖN einen Job für mich gefunden (Leiterin der KTU-Bibliothek, „du sortierst doch eh so gerne Bücher!“).

16. April
Ein Waldpfad auf den großen Größtenberg (wer denkt sich eigentlich die Namen für die Berge aus?). Mein rechtes Knie hört sich jetzt bei jedem Schritt an, als habe ich ein knisterndes Plastikpapierl in der Hosentasche vergessen. Es tut nicht weh, aber wegen meiner Misophonie zermürbt mich das Geräusch bald. Zum Glück erreiche ich die Schneegrenze, das Knirschen wird vom Stapfen durch das dreckige Sorbet überdeckt. Bald stehe ich mit nassen Zehen im Latschendickicht.

18. April
Ohne es zu beabsichtigen verkleide ich mich jetzt beim Gartenarbeit als mein Vater. Ich trage sein altes Zeug auf. Die Beine in seinen alten Arbeitsschuhen sind nicht mehr allein meine eigenen; ein Moment wie damals, als ich mit meiner Hand in den Pullover fuhr und am Ende die Finger meiner Mutter herauskamen. Nur noch die Neigung zu Heavy Metal und … nein, mir fällt nichts anderes mehr ein, das mir als Zeichen meiner familiären Individualität geblieben wäre, höchstens noch meine politische „Linksradikalität“ (oö. Gütesiegel). Ah: und die „Höhe“ meines Einkommens. Abgesehen davon ist ab jetzt Widerstand gegen die genetische Programmierung zwecklos.

19. April
Die Spatzen sind dank meiner übertriebenen Fürsorge so dick geworden, dass sie das Einflugloch in den Nistkasten durch Schnabelhiebe vergrößern müssen.

21. April
Das Baumhaus knarrt in den Wanten wie ein mürbes Piratenschiff. Der Wind wirft die Amseln (auch sehr dick heuer) in den Flieder. Mir kommt vor, dass diese Aufzeichnungen so etwas wie ein Dankbarkeitstagebuch sind, wie man es gegen seelische Verstimmungen empfiehlt. 

 Abb. 4.: Der Ort, an dem Dankbarkeit praktiziert wird. 

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