1. April
Mir
träumt jetzt viel von Skitouren. Vorgestern sollte ich kurzfristig
für das Festival der Regionen in die Schweiz, und zwar mit Sting(!?)
als Bergführer, der auch freundlich blieb, als er mir die ganze
Ausrüstung zusammenschnorren muss, weil man in Träumen nie weiß,
was man in der Früh alles einpacken soll. Gestern musste ich eine
letzte große Prüfung ablegen, damit mein Leben seine Richtigkeit
hat – leider hat es einen schönen Schnee, sodass ich mich nicht
konzentrieren kann, und leider ist das Prüfungsfach Chemie, sodass
ich nicht einmal den Angabentext verstehe.
Abb. 1.: Symbolbild "Meindl kommt nicht hin, wo sie hinmöchte"
2.
April
In
der Nacht habe ich vergessen, wo mein Auto steht; schon etwas
verzweifelt läute ich bei Franz Schuh(?!), der hilfsbereit, aber
keine Hilfe ist. Zerrüttet gehe ich zurück auf die Straße, da
steht mein Volvo 244 GL und tut, als wäre nichts gewesen (und als
hätte er es mir im wahren Leben verziehen, dass ich ihn damals um
4000 Schilling nach Nigeria verklopft habe).
Ganz
ich selbst sein zu dürfen, ist ein Privileg, das ich mir alleine
vorbehalte (es hat viel mit zerrissenen Pullovern und ungewaschenen
Haaren zu tun).
Mit
wachsendem Interesse beobachte ich die Vogerln vor dem Fenster
(=Symptom wachsender Verrücktheit).
3.
April
Nützliche
neue Begriffe: „Cyberloafing“ („das Internet auslesen“) und
„Wohlfühlpanik“ (Grissemann).
Weil
mich die gefiederten Freunde immer stärker begeistern, schicke ich
der Familie Whatsapp-Nachrichten wie „Ein Rotkehlchen hat gerade
vom Apfelbaum gekackt“, „Drei Stieglitze rumoren im Vogelhaus“
und „Ich frühstücke jetzt immer zwei Stunden lang wegen der
Ornithologie!“, und eine Schwester schreibt nur „Was wäre der
Unterschied zu deinem früheren Leben?“ Die herrliche Beobachtung,
dass sich eine Blaumeise den Flaum, den sich die raufenden Stieglitze
gegenseitig ausrupfen, zum Nestbau fladert, vergönne ich der
undankbaren Mischpoche nicht mehr. Frisurenmäßig nähere ich mich
übrigens zusehends den Haubenmeisen an.
Abb. 5.: Lopophanes cristatus. Charakteristisch ist die schwarz-weiß gemusterte Federhaube.
5.
April
In
der Nacht wird mir ein inoperabler Hirntumor diagnostiziert, mehr als
ein Jahr sei nicht mehr drin, sagte der Arzt nebenbei. Ich bin
enttäuscht von mir selbst, weil ich beim Romanschreiben so faul
gewesen bin und jetzt nichts habe, was ich einem Verlag mit dem
verkaufsfördernden Hinweis auf meinen Tod aufschwatzen könnte. Als
ich überlege, einfach im Toten Gebirge verschollen zu gehen, wache
ich auf. Nie mehr Weißwein vor dem Schlafengehen.
7.
April
Mangels
Deadlines fehlt mir etwas der Zug am Ski. Ich organisiere lauter
Sachen und ärgere mich, dass ich so viel organisieren muss, weiß
aber, dass ich eh nichts anderes zu tun habe.
Ein
Drittel meiner Vögel sind graues Gefleder, die zu führen meine
Bestimmbücher sich zu schade sind. Ich solidarisiere mich
(=manifester Wahnsinn).
8.
April
Ich
glaube schon, dass es mir gut geht, aber vielleicht auch nicht, man
kann das nie ganz wissen. Der Körper spricht zu mir: Mein Genick ist
so weh und steif, dass ich mich bewege wie Fester von der Addams
Family. Alle schwärmen jetzt vom Himmel ohne Kondensstreifen, nur
ich kann den Kopf nicht heben. Wie die armen Schweine, die ihr kurzes
Lebtag lang nicht nach oben sehen können.
Ob
die Quarantäne einmal als ergiebige Zeit in die Kunstgeschichte
eingehen wird? Eher nicht, wir beschäftigen uns jetzt alle noch mehr
mit uns selbst; und alle, die wirklich etwas erleben, haben keinen
Nerv, darüber auch noch einen Roman zu schreiben. Siehe Facebook;
alle nähen Masken, backen Brot und führen sich in den
Kommentarsektionen auf wie die Stieglitze im Vogelhaus. Sobald ich
unseren Kanzler bei einer seiner messianischen Verkündigungen sehe,
zetere ich selbst wie ein Rohrspatz (zum Glück bin ich nicht auf
Twitter).
9.
April
Am
Spering-Sattel ab Höhe der Funkstation liegt noch so viel Schnee,
dass ich mit meinen Halbschuhen eigentlich umdrehen sollte, aber die
Beine stapfen unvernünftig weiter wie pubertierende Zwillinge, und
bald stehe ich mit waschelnassen Zehen in einem nordseitigen Hang,
nach oben sehen kann ich nicht, wegen meines furchtbaren Genicks, und
ich frage mich, warum ich so etwas IMMER mache, ein jedes Mal stehe
ich beim Wandern irgendwo in der Botanik, weil ich die Person bin,
die ich bin.
Abb. 3.: Schillereck. Charakteristisch ist die schwarz-weiß gemusterte Gipfelhaube.
Im
Traum trage ich meinen japanischen Godzilla-Gummikopf als
Atemschutzmaske, was wirksam ist, weil er mich generell am Atmen
hindert. Ich erwache und finde mich auf dem Rücken um Atem ringend,
offenbar in Novalgin-Apnoe. Der Nacken ist so schlimm geworden, dass
ich mir den Kopf halten muss, wenn ich mich umdrehen will.
Am
Morgen handle ich wie jeder erwachsene, vernünftige Mensch: Symptome
googeln (Suchanfragen „Gibt es Nackenkrebs“ und „Tod durch
Halswirbelsäulenarthrose“) und dann den Vater anrufen, dabei
versuchen, nicht gar zu jämmerlich zu klingen. Er rät zu Voltaren,
wie seit 42 Jahren. Gerissene Kreuzbänder? „Nimm' die 100er.“
Liebeskummer? „Eine retard,
auf den Magen aufpassen.“ Einkommensverlust durch Corona? „Eine
50er zum Frühstück, und nimm' dir in der Zwischenzeit das Geld, das
ich für die Putzfrau liegen lassen habe.“ Ich nehme eine Voltaren
dissolv,
dann trage ich die riesigen Blumenkübel in den Garten und habe am
Nachmittag schon vergessen, dass ich beinahe an meiner Vorerkrankung
verstorben wäre.
Abb. 4.: Godzillakopf auf Meindlleib. Charakteristisch ist die schwarz-grün gemusterte Gummihaube.
10.
April
Als
Vegetarierin am Karfreitag ein Porträt über den Leberkaspepi
schreiben. #wertewandel
12.
April. Ostersonntag
„Buttinger,
steh' auf, ich hab' dir ein Osternest versteckt.“
„Erklär'
mir die Regeln.“
„Was?!“
„Sonst
finde ich es nie.“
„Deine
Wohnung ist nicht Sibirien!“
„Sag'
mir wenigstens, ob es in einem Kastl ist.“
„BUTTINGER!“
Er
steht unwillig auf, geht umweglos ins Badezimmer und bückt sich nach
der Whiskeyflasche, die ich ihm liebevoll in den Schmutzwäschekorb
gelegt habe.
13.
April
Jeden
Montag schaue ich im Kalender nach, ob diese Woche eh nichts ist. Die
Spuren der Eintragung „Slowenien Skitour Abfahrt“ sind fast nicht
mehr zu erkennen.
Mein
Erwerbsleben kann sich so wenig zwischen Dasein und Tod entscheiden
wie ein Zombie; zu tun hätte ich immer etwas, bezahlt werde ich
dafür auch ohne Corona nie und ich brauche keine Quarantäne, um die
Besteckladen neu zu sortieren, anstatt den depperten Roman fertig zu
schreiben. Die Ex-Erziehungsberechtigten rufen akkurat in dieser
sensiblen Phase an, sie hätten in den OÖN einen Job für mich
gefunden (Leiterin der KTU-Bibliothek, „du sortierst doch eh so
gerne Bücher!“).
16.
April
Ein
Waldpfad auf den großen Größtenberg (wer denkt sich eigentlich die
Namen für die Berge aus?). Mein rechtes Knie hört sich jetzt bei
jedem Schritt an, als habe ich ein knisterndes Plastikpapierl in der
Hosentasche vergessen. Es tut nicht weh, aber wegen meiner Misophonie
zermürbt mich das Geräusch bald. Zum Glück erreiche ich die
Schneegrenze, das Knirschen wird vom Stapfen durch das dreckige
Sorbet überdeckt. Bald stehe ich mit nassen Zehen im
Latschendickicht.
18.
April
Ohne
es zu beabsichtigen verkleide ich mich jetzt beim Gartenarbeit als
mein Vater. Ich trage sein altes Zeug auf. Die Beine in seinen alten
Arbeitsschuhen sind nicht mehr allein meine eigenen; ein Moment wie
damals, als ich mit meiner Hand in den Pullover fuhr und am Ende die
Finger meiner Mutter herauskamen. Nur noch die Neigung zu Heavy Metal
und … nein, mir fällt nichts anderes mehr ein, das mir als Zeichen
meiner familiären Individualität geblieben wäre, höchstens noch
meine politische „Linksradikalität“ (oö. Gütesiegel). Ah: und
die „Höhe“ meines Einkommens. Abgesehen davon ist ab jetzt
Widerstand gegen die genetische Programmierung zwecklos.
19.
April
Die
Spatzen sind dank meiner übertriebenen Fürsorge so dick geworden,
dass sie das Einflugloch in den Nistkasten durch Schnabelhiebe
vergrößern müssen.
21.
April
Das
Baumhaus knarrt in den Wanten wie ein mürbes Piratenschiff. Der Wind
wirft die Amseln (auch sehr dick heuer) in den Flieder. Mir kommt
vor, dass diese Aufzeichnungen so etwas wie ein Dankbarkeitstagebuch
sind, wie man es gegen seelische Verstimmungen empfiehlt.
Abb. 4.: Der Ort, an dem Dankbarkeit praktiziert wird.
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