Seit zwei Wochen geht mir die folgende Passage aus Franz Kains Roman
„Der Föhn bricht ein“ über den Beginn des Zweiten Weltkriegs
nicht mehr aus dem Kopf:
Die Eltern reagierten wie Schlafwandler auf das furchtbare
Ereignis. Die Mutter holte vom Dachboden irdene Vorratsgefäße
herunter und begann sie von den Spinnweben zu säubern. Der Vater
kramte eine Broschüre über den Tabakanbau hervor und vertiefte sich
in sie. Sonst war kein Wort aus ihnen herauszubringen. Da hätte
einer sagen können, was er wollte, sie stellten sich ein wie auf
einen langen, strengen Winter.“
Wie auf einen langen, strengen Winter also – auch wenn wir uns auf
einen Frühling und Frühsommer, möglicherweise sogar Sommer
einstellen müssen, in dem alles anders ist, als wir es gewöhnt
sind. Ganz anders, und alleine dieses Ganz-anders-Sein wirkt in
irgendeiner Form bedrohlich. Dabei bin ich gleichzeitig auch froh
über die Ruhe, die da jetzt plötzlich herrscht. Keine Hektik mit
Terminen wie Lesungen, Sitzungen, Besprechungen, kein Konzertabo,
keine Treffen mit Bekannten, alles durchgestrichen auf dem Kalender,
ein wahres Schlachtfeld diese Streichungen, als hätte ein
übereifriger Lehrer oder Lektor hier gewütet. Dafür stehen jetzt
so seltsame Dinge wie Gemüsezustellung, Supermarktzustellung oder
-abholung, Bäckerzustellung da. Die Reduktion des Lebens auf die
Sicherstellung der Ernährung prägt bereits das Leben.
Ganz anders also ist dieser Frühling, als würden plötzlich die
Forsythien weniger gelb blühen – oder schenke ich ihnen einfach
weniger Beachtung, weil anderes wesentlicher geworden ist? Dazu die
erschreckende Erkenntnis, dass fast alle in unserem Umfeld, und wir
mit eingeschlossen, alt sind, weil wir alle in dieser freiwilligen
Selbstisolation leben, die man uns Alten empfiehlt. Alt ist also, wer
über 65 ist und da hilft es nichts, sich selber doch gar nicht alt
zu fühlen. Wobei die vielen Alleinstehenden – eigentlich wird mir
erst jetzt bewusst, wie viele Frauen, mit denen ich befreundet bin
oder die gute Bekannte sind, nicht nur plötzlich alt, sondern auch
alleinstehend oder alleinwohnend sind – am meisten unter dem Mangel
an realen sozialen Kontakten leiden. „Heute mache ich mir eine
Freude und besuche mich selbst.... Hoffentlich bin ich daheim“,
diesen Ausspruch von Karl Valentin finde ich noch lustig, die
Alleinstehenden aber vermutlich nicht und wahrscheinlich kann ich in
einigen Wochen auch nicht mehr darüber lachen, weil auch mir die
sozialen Kontakte bald fehlen werden.
Derzeit habe ich den Eindruck, mich in einer Art Schwebezustand zu
befinden. Einerseits die eingefahrene völlige Normalität von
Tagesabläufen inklusive schreiben, kochen, Wäsche waschen, Post aus
dem Briefkasten holen, lesen, fernsehen, andererseits das Wissen
darum, dass nichts mehr normal ist. Vor wenigen Tagen habe ich
Vorbereitungen für eine Veranstaltung Ende September begonnen, weil
ich ja jetzt Zeit dafür habe, ich habe telefoniert, Mails
geschrieben. Und doch fehlt mir der Ernst an der Sache, weil im
Hinterkopf die Frage steht, ob Ende September wirklich alles so
normal ist, dass diese Veranstaltung im wahrsten Sinne des Wortes
über die Bühne gehen kann.
Jetzt jedenfalls hätte ich genügend Zeit um an meinem Roman weiter
zu schreiben, aber – wie mir eine Kollegin neulich in einem Mail
schrieb: „Geht's
dir so wie mir, dass du trotz erhöhter Ruhe alles andere tust als zu
schreiben?“
Tatsächlich ist es schwierig zu schreiben, denn ich habe zwar mehr
Zeit, aber nicht wirklich die innere Ruhe. Zu viel stürzt von außen
auf mich ein, Zahlen über Neuerkrankungen, Todesfälle, in
Österreich, Italien, Spanien, Frankreich, den USA, und obwohl ich
seit einer Woche nicht mehr so häufig Nachrichten hören oder sehen
will, weil es mir einfach schon zu viel ist, dennoch, die Frage wie
es weitergehen wird, nicht nur in meinem Leben, sondern insgesamt,
weltweit mit allem, diese Frage liegt doch wie ein schweres Gewicht
auf mir. Und da soll ich mit der nötigen Konzentration und Ruhe in
mein Romanprojekt hineintauchen können wie in eine andere Welt? Es
fällt mir schwer das zu schaffen und es gelingt mir nur selten.
Hinzu kommen ganz andere Fragen: Wie wird es Mitte oder Ende nächsten
Jahres, bis dorthin sollte der Roman wirklich fertig sein, mit den
Verlagen ausschauen, werden auch die kleineren Verlage überleben?
Und wie wird dann der Literaturbetrieb bei uns ausschauen? Welche
Bücher werden überhaupt noch verlegt werden? Bücher, die sich mit
Corona beschäftigen oder mit der Welt nach Corona? Oder Bücher, in
denen dieses Wort nicht vorkommt, weil niemand mehr daran erinnert
werden möchte? Kann ich selber so weiter schreiben, als wäre alles
hier wie vor zwei Monaten?
Anfang Februar waren wir im „Museum auf Zeit“ im Linzer Hafen.
Dort gibt es (derzeit natürlich leider auch geschlossen) kreative
Street Art und unter anderem auch ein Trickbild, in das man
hineinsteigen kann. Von einem ganz bestimmten Punkt aus fotografiert,
schaut es dann so aus, als würde man in einem verschlossenen Glas
stehen, das auf dem Wasser schwimmt. So ungefähr fühle ich mich
derzeit.
(c) Helmut Rizy |
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