Eine Materialsammlung aus 30 Tagen Atelieraufenthalt in der Villa Rabl / Bad Hall.
Lisa-Viktoria Niederberger
Lutealphase I
Bis zwei in der Früh habe ich gestern Videos auf meinem Handy geschaut. Von Straßenkatzen und Schildkröten ohne Beine. Eine Datingshow aus England. Menschen, die von ihrem Coming-out erzählen. Ein Waisenhaus für Orang-Utans. Heute verweigert mein Hirn. Die kognitiven Fähigkeiten haben sich alle zusammengeschlossen für einen Generalstreik. Ich schreibe trotzdem, ist ja eine Residency hier. Ich habe vergessen, was „Show“ und was „Tell“ ist. Ich esse eine Schachtel Bitterschokoladenbutterkekse, höre mir Youtube-Tutorials darüber an, wie man gut schreibt und lösche alles, was ich heute geschrieben habe.
Grillparzer
Ich schreibe gerne mit gekipptem Fenster, damit ich die Krähen höre, das Rauschen der Bäume und die Kirchenglocken. Es ist Sonntag, ich arbeite an einer traurigen Szene. Schon zweimal geheult. Vor meinem Fenster hat die Stadtführung Halt gemacht. Ich lerne, dass die medizinische Leistung von Dr. Rabl, dem Erbauer und Namensgeber der Villa, in der ich wohne, eine Augenbehandlung mit Jod gewesen ist. Vor einem Monat bin ich an den Augen operiert worden. Ich denke wieder an die Aufspreizhaken, daran, wie mir die OP-Assistentin die Wimpern mit Tixo oben und unten festgeklebt hat, damit ich nicht blinzle. Höre das Brutzeln des Lasers und sehe wieder die Weltraumschlacht. Die Stadtführerin sagt, dass Dr. Rabl hier berühmte Künstler während ihrer Kur behandelt hat: Grillparzer, Anzengruber, Makart. Ich stelle mir vor, wie Dr. Rabl Grillparzer an einen Lederstuhl bindet. Den Dichterschädel am Kopfteil festschnallt, einen Lederriemen rund um die Stirn. Ihm Jod in die Augen tropft. Wie es brennt. Wie Grillparzer sich winden würde, wenn er könnte. Wie er schreit stattdessen, den Doktor in einer unflätigen Sprache, dem Schriftsteller unwürdig, beleidigt. „Aber gehn S‘, Herr Grillparzer, das ist ja alles nicht so schlimm. Da müssen S‘ jetzt durch. Ja Sie als Schriftsteller, was täten Sie denn ohne Ihre Augen. Danken werden Sie mir noch.“ Dr. Rabl streichelt dem Autor väterlich den Unterarm. Aber Grillparzer schreit und schreit, reißt sich die Haut an den Lederriemen auf. Und später, als Grillparzer den Alpenkönig schreibt, wird er sich, immer dann, wenn er am Menschenfeind arbeitet, zurückerinnern. Wie schön die Vöglein vor dem Fenster gezwitschert, und die Brunnen geplätschert haben, als der Doktor ihm Feuer in die Augen gegossen hat. Ihm danken, weil er jetzt Hass kann, weil er all seinen Schmerz in diese Figur reinschreiben kann.
Lutealphase II
Ich wache auf, und bin der Überzeugung, dass alles was ich schreibe, geschrieben habe und je schreiben werde kompletter Schrott ist. Mittags schaffe ich es irgendwie aus dem Bett, putze mir die Zähne und bin zu viel auf Social Media. Ich zwinge mich zum Spazierengehen. Finde ein Renaissanceschlösschen mittelmäßig spannend und eine Rokokokirche auch nicht gerade berauschend. Stehe lange an der offenen Tür und kann nicht reingehen. Heute ist ein Tag, an dem ich Heiligenstatuen und Kruzifixe extra gruselig finde. Wo ich keine gefolterten Menschen, nicht mal aus Holz, sehen will, mir allein der Gedanke an diese Gewalt ein Gefühl von Ameisen auf der Haut gibt. Es überall zwickt, wenn ich Jesus da hängen sehe. Dass ich mich beobachtet fühlen würde, da drinnen. Später mache ich lustlos drei Fotos von einem rostigen Kriegerdenkmal, um mir beweisen zu können, dass ich draußen war. Ich spucke von einer Brücke in den Bach und frage mich, wie viele Preise, wie viele Stipendien und Verlagsanrufe ich bekommen muss, bis ich auch dann finde, dass ich sie verdiene, wenn meine Regel in ein paar Tagen kommt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen