Mittwoch, 14. Februar 2024

Der Strom und das Hirngespinst als Kunst

"Flussgeister" von Patricia Brooks

Aus der Reihe: Was schreiben jene, die für uns sprechen? Von Dominika Meindl

Eigentlich verwunderlich, dass in der österreichischen Literatur die Donau nicht eine noch viel größere Rolle spielt! Bei aller Liebe zu den Alpen (auch sie kümmern sich nicht groß um Grenzen) – aber wie erhebend ist es, über einen fast 3000 Kilometer langen Strom mit dem Schwarzen Meer, mit zehn anderen Ländern verbunden zu sein? In Patricia Brooks neuem, insgesamt fünten Roman ist die Donau mehr als ein bloßer Schauplatz, und das macht ihn besonders und besonders lesenswert*.

Dem erfolgreichen Anwalt Adam scheint es an nichts zu fehlen – bis auf sich selbst. Die Beziehung eingefahren, der Job anstrengend, das künstlerische Talent vergeudet zugunsten der Karriere. Als er im Auwald nahe Wien eine alte Fischerhütte findet, kauft er sie und beschließt spontan, sich ein Jahr Auszeit zu nehmen. „Adam glaubte fest daran, dass sich hier am Fluss alles zum Guten wenden würde.“ Von Männern in der (Midlife-)Crisis handeln wohl ca. 56 Prozent aller je veröffentlichten Bücher (konservative Schätzung), aber in den „Flussgeistern“ geht es um sehr viel mehr – die Hauptrolle teilen sich der Fluss und eine sterbende, junge Frau. Lola ist leichtsinnig in doppelter Wortbedeutung. Zum einen lässt sie sich auf Sex mit teilweise gewalttätigen Unbekannten ein. Zum anderen schreitet sie auf leichten Füßen durch den Auwald, durch Wien, durch ihr Leben und das der anderen. „Ich habe noch nie jemanden getroffen, der so ist wie sie, sie lebt in ihrer eigenen Welt, ihren eigenen Gedanken, ihrer Geschichte, so wie sie sich diese Geschichte selbst erzählt“, stellt Adam am Ende fest. Es tut der Handlung auch gut, dass er und Lola kein Paar werden, sondern eine merkwürdige Freundschaft schließen, die bald auf ihre Belastbarkeit getestet wird – und Adams Sicht auf seine eigene Realität verändert. Lange streitet er höflich ab, die Flussgeister wahrnehmen zu können, von denen sie immer wieder spricht. Aber dass der kein grober Klotz ist, ist von Anfang an klar, zu genau beobachtet er seine Umgebung. Es ist schön, mit ihm den Jahreskreis in diesem naturnahen Flecken zu beobachten, die Veränderung und das Gleichbleibende. „Der Fluss wechselte je nach Tageszeit und Wetter die Farbe.“ Die Donau ist selbst ein Kunstwerk, man muss nur zusehen lernen. „Dieses Spiel zwischen festem Material und luftigem, zwischen klarer Linie und erahnter Kontur“. Und was ist die Literatur anderes als ein großartiges Netz an Hirngespinsten?

Flussgeister. Roman, Septime Verlag.

Patricia Brooks wurde 1957 in Wien geboren, schreibt Romane, Kurzprosa, Lyrik und Hörspiele. Idee, Konzept und künstlerische Leitung des interdisziplinären Performanceprojektes „Radio rosa – TextMix Lab“ (seit 2008).

* Ob das zutrifft oder nur einer Kolleginnenschaft im Vorstand der GAV geschuldet ist, mögen Leserinnen und Leser bitte unbedingt selbst beurteilen!



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